19. Juli 2022

Neuer Trend: Jugendlich-europäisch

Wenn es um Europafragen in Lettland geht, stellt sich eigentlich die "Europäische Bewegung" (Eiropas kustība Latvijā) dafür zur Verfügung. Als Befürworter/innen der Europäischen Idee" lassen sie sich gerne bezeichnen, und sie waren, bald nach ihrer Gründung 1997, sicher eine wichtige Lobbygruppe für den EU-Beitritt Lettlands 2004. 

International ist man vernetzt mit "European Movement", in Deutschland mit der "Europa Union". Letzterer ist wiederum auch ein Jugendverband angeschlossen, die "Jungen Europäischen Föderalisten" (JEF). Im Gegensatz zur "Union of European Federalists" mit Sitz in Brüssel unterhält JEF Deutschland in Lettland eigene Kontakte, Partner ist hier "Klubs Maja" ("Haus"), wo nach eigenen Worten "junge Menschen Veranstaltungen, Seminare, Vorträge, Konferenzen, Camps, Wettbewerbe, thematische Teeabende und andere Veranstaltungen organisieren." 

Etwas kompliziert also, diese europäische Vernetzung. Zumindest aber scheint das Angebot ausreichend, wer sich in Sachen Europa in Lettland engagieren möchte. Warum also gründen lettische Jugendliche noch weitere europäisch orientierte Vereine? 

Ernests Barons zum Beispiel war fünf Jahre alt, als seine Eltern sich entschlossen nach Norwegen zu ziehen. Als sich seine Eltern einige Jahre später entschieden, wieder zurück nach Lettland zu gehen, entschied Ernests sich in Norwegen zu bleiben - zusammen mit seiner Schwester. "Ich hatte schon einmal das Gefühl von Sicherheit und Zugehörigkeit verloren, ich wollte das nicht noch mal erleben," erzählt er im Interview mit der Zeitschrift "IR". Aber dennoch pflegte Ernests seine lettischen Wurzeln, sang in Norwegen in einem lettischen Chor, und nahm 2019 im badischen Freiburg an einem Seminar für junge Führungskräfte teil (Jauno līderu skola). Dort trafen sich Lettinnen und Letten aus verschiedenen Ländern Europas; nur drei Monate später gründeten 13 von ihnen in Oslo die "Eiropas Jaunieši (EJ)" (Jugendliche Europas). "Dreizehn von uns waren in Oslo dabei, aber insgesamt haben noch ungefähr 60 Leute die Veranstaltung online verfolgt", erklärt Ernests. 

Ziel des neuen Vereins sei es, Neuankömmlingen aus Lettland bei der Eingewöhnung in ihr neues Land zu helfen. „Wenn jemand nach Norwegen zieht, können wir helfen, angefangen mit Ratschlägen, wo man "Kāruma"-Snacks kaufen kann, bis hin zu Möglichkeiten, eine Wohnung zu finden", meint Ernests. (IR) Wer zwischen 18 und 30 Jahren alt ist, darf Mitglied werden - so legt es die Vereinssatzung fest. Wer allerdings 35 Jahre und älter ist, darf kein Vorstandsamt mehr annehmen. 

Eine der Vereinsaktivitäten gab sich sportlich: es wurde der "Olimpiskais Lāčplēsis" verliehen, 2021 durchgeführt in Norwegen, Dänemark und Deutschland (2022 in Schweden statt Norwegen, 2019 auch Italien). Beworben weitgehend auf Instagram und Facebook und mit Hilfe des lettischsprachigen Portals "Latviesi.com", finanziell unterstützt vom lettischen Kulturministerium und anderen lettischen Fördergeldern. So eine Art "Spiel ohne Grenzen" (wer erinnert sich noch?) auf lettisch. Lieder singen am Lagerfeuer ist natürlich ebenfalls unverzichtbar. Eine andere Wiederentdeckung: es wird "tautasbumba" gespielt ("Völkerball"), ein Spiel das in Deutschland eher in der Kritik steht (Deutschlandfunk).

Längst hat auch das lettische Aussenministerium mit Elita Gavele eine "Beauftragte für Diasporafragen" ernannt, die gerne den Gedankenaustausch mit den EJ-Jugendlichen aufnimmt (lvportals). Gavele zeigte sich erfreut, dass die Jugendlichen ihre Veranstaltungsteilnehmer/innen auch auf die Möglichkeiten hinweisen an den Parlamentswahlen im Oktober teilzunehmen. Auch die lettische "Stiftung für soziale Integration" (Sabiedrības integrācijas fonds SIF) förderte, neben der "Bärentöterolympiade", inzwischen "Diaspora"-Projekte in 20 verschiedenen Ländern (delfi)

18. Juli 2022

Warten auf Schultag zwei

Wer die Arbeitswelt in Lettland kennt, hat vielleicht schon öfter darüber gestaunt, wie niedrig das Lohnniveau bei Lehrerinnen und Lehrern ausfällt. Was ist da los? Ist es Lettinnen und Letten egal, wer ihre Kinder erzieht und bildet? Aber dieser Zustand dauert inzwischen schon viele Jahre an - in sofern ist es wenig überraschend, wenn für den 2. September, also den Beginn des neuen Schuljahres, nun ein Generalstreik angekündigt wurde. Lettische Lehrkräfte bekommen nominell eines der niedrigsten Gehälter in der Europäischen Union (GEW)

Überarbeitet, unterbezahlt, perspektivlos?

Streik im lettischen Schulwesen? Die lettische Gewerkschaft der Beschäftigen in Wissenschaft und Bildungswesen (Latvijas Izglītības un zinātnes darbinieku arodbiedrība LIZDA), gegründet 1990, ist mit über 24.000 organisierten Mitgliedern die einflußreichste Organisation in diesem Bereich (nach Angaben der LIZDA sind das 42,8% der in diesem Bereich insgesamt Beschäftigten). Gewerkschaftschefin Inga Vanaga zur Streikankündigung: „Den 1. September wollen wir als Tag des Wissens feiern. Aber was dann kommt - es liegt in den Händen der Politik, einen Streik zu vermeiden.“ Aus früheren, kurzfristigeren Streiks habe man gelernt, meint Vanaga: "Effektiv ist es nur, wenn es zeitlich unbegrenzt sein wird" (lsm).

Einkommen von Lehrerinnen und Lehrern im Vergleich: Lettland weit hinten

Koeffizienten und Multiplikatoren

Was sind die Forderungen? Es ist erstens eine Anhebung der Lehrer/innengehälter (mittelfristig auf ein EU-Durchschnittsniveau, zumindest auf das durchschnittliche Niveau anderer Fachkräfte im öffentlichen Dienst). Zweitens klagen die Pädagig/innen über Arbeitsüberlastung, und drittens hat die Regierung gerade ein neues Schulfinanzierungsmodells beschlossen - das die Gewerkschaft heftig kritisiert (likumi). Einerseits lockt zum neuen Schuljahr 22/23 eine Erhöhung des Mindestlohns für Pädagog/innen von 830 auf 900 Euro, bei Grundschullehrer/innen von 872 auf 970 Euro (izm.gov.lv). Andererseits strebt die neue Finanzierung eine stärkere Orientierung an den exakten Schüler/innenzahlen in den betreffenden Gemeinden an. So sieht das Ministerium nun beispielsweise pro Schüler und Monat in der 1.-6. Klasse 126 Euro vor, in der 7.-9. Klasse 162 Euro und in der 10.-12. Klasse 172 Euro. Wer nun die Zukunft einiger Schulen voraussagen will, muss sich mit Koeffizienten und Multiplikatoren genau auskennen. Die Regierung sieht es so: 2,5 Millionen Euro zusätzlich sei für 2023 notwendig, bis 2026 sollen insgesamt 30,6 Millionen Euro zur Verfügung stehen (LA)

Inga Vanaga, Chefin der Gewerkschaft LIZDA kritisiert unter anderem, vom Ministerium nicht vollständig über die geplante Neuregelung informiert worden zu sein. Nachdem es bereits einen Demonstrationszug am 16. Juni mit 3.000 Teilnehmer/innen vor dem Parlament in Riga gegeben hatte (tvnet), kommt jetzt der Streikaufruf. (lsm) - Das Ministerium macht Versprechungen, bis 2027 werde der Mindestlohn weiter von 900 auf 1327 Euro steigen. Vanaga dagegen weist darauf hin, dass gerade in Lettland die Lehrkräfte bis zu 70% ihrer bezahlten Zeit für die Schulstunden aufbringen, während der Durchschnitt international (EU und OECD) hierfür nur bei 45% läge (IR). Es fehle die Zeit für die Vorbereitung von Unterrichtsmaterialien, Beratung, Bewertung von Arbeiten, und für Kindern mit besonderen Bedürfnissen. Ein anderes Phänomen sei die Übernahme mehrerer Teilzeitjobs, um über die Runden zu kommen (tvnet)

Erhöhte Stundenzahl, lange Ferien

Einer Umfrage unter den Lehrkräften zufolge, an der 1400 Lehrerinnen und Lehrer teilnahmen, fühlen sich 48% oft überarbeitet, 60% geben zu, wegen Überlastung nicht die gewünschte Arbeitsqualität liefern zu können. Und nur 24% sehen sich selbst mit Sicherheit auch in 5 Jahren noch im Lehrer/innenberuf. Nur 11% glauben, dass sich das Ansehen der Pädagog/innen in der lettischen Gesellschaft in den letzten Jahren verbessert habe - aber immerhin 78% würden die eigene Schule anderen als guten Arbeitsplatz weiterempfehlen (Skolatāju balss). Aus dem Ministerium heißt es dazu, dass man eine Wochenstundenzahl von 30 Stunden empfehle - viele aber 40 Stunden und mehr arbeiten. 

Zwei Organisationen unterstützen bisher den Streikaufruf: neben der bereits genannten LIZDA auch der Verband der Leitungskräfte im Bildungswesen (Latvijas izglītības vadītāju asociācija LIVA). "Wahrscheinlich wird keine lettische Regierung unsere Forderungen unterstützen - aber niemand wird uns verbieten, die Stimme zu erheben" meint Rūdolfs Kalvāns, Direktor eines Gymnasiums in Sigulda und LIVA-Chef. Gunta Lāce, Leiterin eines Gymnasiums in Limbaži, weist auf nicht besetzte Planstellen in den Fächern Mathematik, Chemie, Englisch, Phasik und Geschichte hin - das sei der Grund für eine Wochenstundenzahl von 40 Stunden für die anderen verfügbaren Lehrkräfte, und die Wochenstundenzahl steige auf 70-80% der Arbeitszeit (IR).

Die geforderten Lohnerhöhungen würden den lettischen Staat 119 Millionen Euro kosten - meint  Bildungsministerin Anita Muižniece (Konservatīvie), und um die Reduzierung des Arbeitspensums zu erreichen, wäre die Einstellung von 4000 zusätzlichen Pädagogen notwendig. (lsm) Eine lettische Besonderheit ist es, dass in den allgemeinbildenden Schulen über 84% der Lehrkräfte Frauen sind (Litauen 82%, Deutschland 66%). Und nach wie vor besteht das lettische Schuljahr nur aus 169 Pflichtschultagen (Deutschland 188, Litauen + Estland 175, OECD)

15. Juli 2022

Gasdruck

Nachdem auch Lettland sich entschieden hat, ganz auf Gaslieferungen aus Russland zu verzichten, denkt nun auch die lettische Regierung über den Bau von Flüssiggas-(LNG)-Terminals nach. Zwar gibt es Gespräche mit Estland und Finnland, und ein Teil der Nachfrage kann über das LNG-Terminal in Klaipėda befriedigt werden. 

Der Gasververbrauch Lettlands liegt bei etwa 12 Terrawattstunden im Jahr (IR). Seit die lettische Regierung beschloss, den Bezug aus Russland ganz einzustellen, ist nun das LNG-Terminal im litauischen Klaipeda die einzige Alternative; theoretisch könnte Klaipeda auch den Verbrauch in allen drei baltischen Staaten abdecken (20 TWh in Litauen, 5 TWh in Estland). Da aber bereits seit einiger Zeit die Versorgung gemeinsam mit Finnland (25 TWh) und Polen (110 TWh) geregelt wird, müssen noch andere Quellen her. 

Inzwischen streiten sich gleich zwei US-amerikanische Investorengruppen darum, von der lettischen Regierung eine Zusage für ein LNG-Projekt zu bekommen. Hinter dem Projekt auf Kun­dziņsalā, der Halbinsel in der Daugava, im Bereich des Rigaer Hafens steht "Millenium Energy Partners", ein Investor aus dem USA. Ein zweites Projekt ist für Skulte vorgesehen, ein kleiner Ort zu Saulkrasti gehörend und nördlich der Daugavamündung an der Ostsee gelegen. Von Skulte aus sollte in den unterirdischen Speicher von Inčukalns (conexus) gepumpt werden - aber dieses Projekt baut ganz auf finanzielle Unterstützung durch die lettische Regierung, und zögerte bisher, Namen potentieller Investoren zu veröffentlichen.

Schon im April war deshalb in den lettischen Medien zu lesen, das Projekt in Riga sei profitabler und sinnvoller (neatkarīga) - auch deshalb, weil die notwendige Pipeline Skulte-Inčukalns (etwa 34 km) über ein Gebiet von wertvollen Strandbiotopen, Wäldern und privaten Wochenendhäusern hätte gebaut werden müssen. Skulte gehört zu Saukrasti, und hier ist man bis jetzt stolz auf den Status eines Kurortes. Da hilft auch die Behauptung der (potentiellen) Terminalbetreiber nicht viel, die schwimmende Plattform zur Entgegennahme des Gases werde 5km entfernt vom Ufer gebaut, sei also nahezu "nicht sichtbar".

Beim Blick auf den lettischen Gasverbrauch wird zudem klar: 70% davon wird in Riga benötigt. Noch vor wenigen Monaten hatte das "Kundziņsala"-Projekt allerdings ein Imageproblem: als Eigentümer der in den USA registrierten "Millennium Energy Partners LLC" firmiert jetzt Laša Šanidze. Bis Ende 2021, fünf Jahre lang, wurde das Projekt aber noch von der in Liechtenstein registrierten "Shelann Establishment" vorangetrieben, dahinter verbargen sich die beiden russischen Geschäftsleute Jevgeņijs un Mihails Skigin - die beide sowohl krimineller Tätigkeiten wie enger Beziehungen zum russischen Diktator Putin verdächtigt wurden (The Insider / moscow-city), unter anderem in dem Buch "Putins Netz" von Catherine Belton, Ex-Korrespondetin für die "Financial Times" in Moskau. Inzwischen sei das aber alles geregelt, behauptet Dmitrijs Artjušins, Vorstandsvorsitzender beim "Kundziņsala"-Projekt: "Alles geklärt, Skigin hat einfach verkauft!" behauptet er, und bis Herbst 2023 könnte alles betriebsbereit sein (IR).

Beide gegenwärtig diskutierten Projektentwürfe stammen allerdings noch aus der Zeit vor Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Bis Ende August sammelt nun das lettische Wirtschaftsministerium alle notwendigen Informationen um eine Entscheidung vorzubereiten. Beide Projektvarianten erfordern aber auch Abnahmegarantien von der lettischen Regierung.

8. Juli 2022

Wahlkampf im Krieg

Anfang Oktober 22 stehen in Lettland Parlamentswahlen an. "In der Genealogie lettischer Parteien ist es manchmal nicht einfach zu berechnen, wer von wem ein echter oder ein falscher Verwandter ist", so kommentierte kürzlich Journalist Aivars Ozoliņš (IR) die lettische Parteienlandschaft. So ist ein Übertritt von einer Partei in eine andere wesentlich üblicher als etwa in Deutschland, und auch Spaltung wie auch Neugründung von Parteien sind häufig beobachtete Vorgänge der Vorwahlzeit. So ist es auch mit "Latvijas attīstībai" ("Für Lettlands Entwicklung"): 2018 neu gegründet, nach Aussage des eigenen Parteiprogramms "klassisch liberal, westlich orientiert" (attistibai). Aber in Zeiten, wo das gesamte politische und gesellschaftliche Leben in Lettland vom russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine dominiert wird - womit Wahlkämpfe gewinnen? 

Quelle: lett.Verteidigungsministerium
Artis Pabriks, lettischer Verteidigungsminister und Vorstandsmitglied bei "Attīstībai", schlug im Rahmen einer Pressekonferenz am 5. Juli die Wiedereinführung des allgemeinen Wehrdienstes in Lettland vor (lsm / tvnet). Pabriks, der in seiner Zeit als Politiker auch schon mehrere Parteimitgliedschaften durchlaufen hat ("Tautas Partija", "Sabiedrība citai politikai", "Vienotība") meint, der Übergang zu einer Wehrpflicht könne in mehreren Stufen geschehen: ab 2023 soll die Absolvierung des Wehrdienstes bereits freiwillig möglich werden. In fünf Jahren soll dann ein 11 Monate dauernder Wehrdienst für alle Männer im Alter zwischen 18 und 27 Jahren obligatorisch werden. Ausnahme: wer mit 18 Jahren noch eine berufsbildende Schule besucht, soll erst nach Ende der Schulzeit eingezogen werden. Für Frauen soll der Wehrdienst auf freiwilliger Basis möglich sein.
Innerhalb des Wehrdienstes stehen dann vier Bereiche zur Wahl:
- allgemeine Landesverteidigung
- Dienst bei der "Zemessardze" (Vertrag über 5 Jahre)
- Lehrgang für leitende Kommandeure an einer Hochschule
- Alternativer Wehrdienst (Arbeit in Einrichtungen der Ministerien für Inneres, Gesundheit oder Soziales)
"Die lettische Gesellschaft muss sich ihrer wichtigsten Überlebensvoraussetzung bewusst sein – je größer die Zahl der militärisch vorbereiteten und ausgebildeten Bevölkerung, desto unwahrscheinlicher wird es, dass Russland seine militärische Aggression gegen Lettland richten wird", so Minister Pabriks (mod.gov.lv). Schätzungen des Ministeriums gehen davon aus, dass für den gesamten Prozess der Wiedereinführung des Wehrdienstes insgesamt 120 Millionen Euro notwendig sein werden (andere Quellen sprechen von 800 Millionen). Als Ziel wird ausgegeben, nach Ablauf von fünf Jahren 50.000 Bürger und Bürgerinnen verteidigungsfähig geschult zu haben: 14.000 Personen beim aktiven Militär, 16.000 bei den Zemessardze, und 20.000 in den Reserveeinheiten (nra).

Die ministeriellen Maßnahmen stehen offenbar auch in Zusammenhang mit gegenwärtigen Schwierigkeiten der lettischen Berufsarmee (Nacionālie bruņotie spēki NBS), die 2007 eingeführt wurde. Bei der Rekrutierung von Soldaten gäbe es erhebliche Probleme, so NBS-Kommandeur Leonīds Kalniņš in der lettischen Presse (lsm) Üblich sei ein Vertrag auf fünf Jahre. Im Jahr 2021 habe die Truppe aus 6600 Soldaten und 8200 Zemessargi bestanden, so Zahlen des Ministeriums. "Im aktuellen Jahr haben wir 98 Soldaten rekrutiert", berichtet Kalniņš, "In den Vorjahren waren es noch um die 300. Einerseits gibt es eine demografische Lücke, aber vielleicht motivieren Eltern die Jugendlichen auch weniger zu einem derartigen Engagement." Ein vom lettischen Parlament 2016 beschlossenes Konzept geht von Streitkräften von insgesamt 6500 Berufssoldaten (zu Friedenszeiten) aus. Im Jahr 2018 waren noch 614 Soldaten neu aufgenommen worden (mil.lv)

Das lettische Verteidigungsministerium bietet angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine auch bereits seit dem 28.Februar, also schon vier Tage nach Kriegsbeginn, die Möglichkeit an sich als Freiwilliger zur ukrainischen Armee zu melden (saeima.lv /mod.gov.lv). Dies gilt allerdings nur für Personen, die nicht schon in der Berufsarmee oder bei den Zemessardze aktuell dienen (also Berufssoldaten sind). 

In der lettischen Presse werden Untersuchungen zitiert, denen zufolge im Falle einer militärischen Invasion 34% der Bevölkerung bereit zur Landesverteidigung seien (50% der Männer). Aber nur 0,5 % bis 2 % der Bevölkerung Lettlands verfügen schätzungsweise über praktische (militärische) Vorkenntnisse. (nra) Ein Blick auf die Nachbarländer: in Estland existiert eine Wehrpflicht von zwischen 8 und 11 Monaten Dauer, Litauen führte 2016 eine neunmonatige Wehrpflicht wieder ein (für alle zwischen 18 und 23 Jahren)

Aber während "im Netz" viele bereits die Wiedereinführung der Wehrpflicht in Lettland als vollzogen vermelden, wird man abwarten müssen, wie sich diese Diskussion in der nun beginnenden "heißen Phase" des lettischen Wahlkampfs entwickelt. Der Interessenausgleich innerhalb lettischer Koalitionsregierungen scheint oft undurchsichtig, und es ist noch nicht absehbar, wer nach den Wahlen Regierungschef oder Verteidigungsminister sein wird. "Ein interessanter und innovativer Vorschlag", kommentiert Pabriks momentaner Koalitionskollege, Außenminister Edgars Rinkēvičs (Partei "Jauna Vienotiba") - fügt aber hinzu: "entscheidend werden aber die Details bei der Umsetzung sein." Viele würden sich vielleicht noch an die Jahre der Sowjetunion oder die ersten Jahre nach wiederhergestellter Unabhängigkeit erinnern, meint Rinkēvičs, als der Wehrdienst viele Schwächen aufgewiesen habe. Begrüßenswert sei eine breite Debatte statt bloßer Wahlkampfparolen (Latvijas Avize). 

"Ich zweifle, ob die Regierung sich in dieser Frage einig werden wird," kommentiert Politologe Filips Rajevskis in der "Diena". "Es ist zunächst einmal ein bequemes Wahlkampfthema, scheinbar einfacher als die Probleme der Inflation oder der Energiekrise". Außerdem prognostiziert Rajevskis Ungleichheiten in der lettischen Gesellschaft, wenn Pabriks Vorschlag so umgesetzt werde. "Dann werden die einen den Militärdienst absolvieren, die anderen aber erst den Schulabschluß machen und so dem Arbeitsmarkt früher zur Verfügung stehen."
"Ich glaube nicht, dass sein Vorschlag viel Zustimmung für Pabriks unter den jungen Wählern bringen wird", meint auch Politologin Ilga Kreituse. "Die ältere Generation, die daran glaubt dass Disziplin und Ordnung wichtig sind, bei denen dagegen schon. Aber es kommt darauf an, wieviel Wahlmüdigkeit es bei den Jüngeren wie bei den Älteren geben wird." (lsm) Zudem sei die Finanzierung des Pabrik-Konzeptes bisher noch völlig unklar, und der gesamte Prozess der Umstellung des Bildungssystems auf eine Wehrpflicht könnte bis zu 12 Jahren dauern, meint Jānis Strencis in seiner Analyse für "Delfi.lv".