31. Mai 2008

Steini und Nüsschen - schon wieder in Riga ...

Der liebe Kollege Māris 

- so Bundesaussenminister Frank-Walter Steinmeier - darf nun innerhalb weniger Wochen gleich zum wiederholten Male zu einer Versammlung von Amtskollegen einladen. Am 22.Mai war es das "3 + 1"-Treffen: der estnische Aussenminister Urmas Paet, sein litauischer Kollege Petras Vaitiekunas, und Franks Walters aus Berlin reisten ins neu eingerichtete Gebäude des lettischen Aussenministerium an. Am 3.+4.Juni wird es der Ostseeratsgipfel sein. 

Zu essen gab es bei der "kleinen Generalprobe" viel (kredenzt vom lettischen Starkoch Mārtiņš Rītiņš), Fragen gab es wenig. Das leicht mürrische Gesicht des Litauers Vaitiekunas verleitete auf der auf das Ministertreffen folgenden Pressekonferenz zur einzigen Frage: ob denn inzwischen in Atomfragen Einigkeit erzielt sei unter den Kollegen. Die diplomatische Routine brachte das jedoch kaum aus der Ruhe. Ein sinnvoller Energiemix sei nötig, so stimmte auch Sozialdemokrat und Atomausstiegsparteigänger Steinmeier zu.

Viel mehr Fragezeichen schien der im Maimonat ausgerufene deutsche Kulturmonat in Lettland aufzuwerfen. Steinmeiers Versuch, seinen Glückwunsch zur gelungenen Kulturparade im Wonnemonat auszusprechen, geriet erneut zum Kulturschock (vor allem sprachlich - wie schon beim Riga-Besuch von Kulturstaatsminster Neumann): von "Owatziehja" hatte leider in Riga noch nie jemand etwas gehört. Ein wenig Orts- und Sprachkenntnis könnte da helfen (mehr Lettisch-Sprachkurse in Deutschland!).

Dabei war "Oma-zieh-ma" gar nicht so erfolglos in Riga - aus lettischer Sicht. Vācija (Deutschland) war allumfassend präsent in Lettland im Monat Mai: von der Stipendiatenprämierung des deutsch-baltischen Hochschulkontors (mit begleitender Ausstellung "Letten sehen Deutschland"), über einer Reihe von Ausstellungen (Expressionismus aus Dortmund), bis hin zum lettlandweiten Deutschland-Motto bei der landesweiten "Nacht der Museen". Deutschland allüberall, verkündet fast täglich durch Fernsehen und Radio in Lettland - und das durchgehend positiv - das schafft wohl nur die Kultur.

Auf deutscher Seite fanden sowohl Harald Schmidt als auch Kabarett-Kollege Volker Pispers das Thema Lettland im Monat Mai erwähnenswert. Nein, nicht etwa weil "diese Balten" schon wieder beim Grand Prix vor Deutschland landeten (oder doch?). Pispers (in "Neues aus der Anstalt") erinnerte daran, dass noch vor 15 Jahren die meisten Deutschen Lettland eher mit Lappland oder Legoland gleichgesetzt haben - doch bei Schmidt wird Lettland immer noch schlicht mit einem dunklen Wald symbolisiert. Wenn er doch gewusst hätte, wo Deutschland und Lettland wirklich ähnliche Schlagzeilen schrieben in diesem Monat: beim Milch-Lieferboykott.

23. Mai 2008

Lettland im Mai

Mai in Lettland - immer ein Monat mit vielen Ereignissen. Diesmal ging es weitgehend ruhig und friedlich zu, bei größtenteils sonnigem Wetter, begeleitet von kalten Winden allerdings.

Da ist zunächst der 4.Mai, der Tag der lettischen Unabhängigkeitserklärung im Jahr 1990. Auf diesen Tag sind die Letten besonders stolz, gerade weil zwischen diesem Tag, den darauf folgenden von sowjetfreundlicher Seite angezettelten Unruhen (Stichwort "schwarze Barette", "Putsch in Moskau") und der tatsächlichen internationalen Anerkennung der lettischen Unabhängigkeit im August / September 1991 noch einiges selbst erkämpft werden musste.

Es folgt der 8.Mai und der 9.Mai, Tage die viel Raum für Interpre- tationen lassen. Spitzfindig feierten einige den 8.Mai 2008 bewusst als Europatag, und eine Regierungsdelegation legte einen Kranz nieder für den unbekannten Soldaten, also für die Toten der beiden Weltkriege.
Daraufhin konnte man am Folgetag, einem äusserst sonnigen Samstag, das Feiern in Ausgehanzug und militärischen Paradeorden ganz den im Lande lebenden Russen überlassen. Zehntausende kamen, und rund um das "Uzvaras piemineklis" (Siegesdenkmal) erklangen russische Schlager, ein rieisiges buntes Blumenmeer bildete sich (penibel und immer ordentlichen Reihen niedergelegt) , und einige sozialistische Gruppe versuchten die Stimmung für ihre Politwerbung zu nutzen. Die politischen Reden gerieten dieses Jahr kürzer und weniger tobsüchtig, nur Alfreds Rubiks, früher Bürger- meister von Riga und aktiver Unterstützer des Putsches gegen Gorbatschow, macht sich neuerdings Hoffnungen bei den kommenden Europawahlen kandidieren zu können, da die innenpolitische Regel, dass frühere Funktionäre des Sowjetsystems nicht kandidieren dürfen, dann wohl nicht angewendet werden darf (Euroaprecht).

Zwei neue politische Gruppierungen formieren sich immer mehr - beides Abspaltungen aus bestehenden Parteien - vor allem im Hinblick auf die Europawahlen 2009: "Cita politika" (andere Politik - mit den Frontfiguren der ehemaligen Minister Artis Pabriks und Aigars Štokenbergs), und "Pilsoniska savieniba" (bürgerliche Vereinigung). Letztere sei einige Vereinigung "patriotische Vereinigung mit Wurzeln in den Regionen", so sagte es die Leitfigur dieser Vereinigung, die ehemalige Aussenministerin und Beinahe-EU-Kommissarin Sandra Kalniete. Für beide wird es wohl darum gehen, bei Wahlen die 5%-Hürde zu überspringen.

Erfolgreich war eine Initiative von "cita politika" zu einer Volksbefragung mit dem Ziel, die Rentnen auf das Niveau des errechneten Existenzminimums erhöhen zu lassen. Etwa 170.00 Menschen unterschrieben dafür (noch nicht alle Stimmen sind ausgezählt). Nun muss das lettische Parlament darüber beraten: entweder den Gesetzentwurf so annehmen, wie er eingereicht wurde, oder landesweit eine Volksabstimmung durchführen zu lassen. Von den Befürwortern gern erwähnt wird auch der Vergleich mit den Nachbarländern: im statistischen Mittel liegen die lettischen Renten bei etwa 177 Euro, während sie in Litauen bei 182 Euro und in Estland bei 240 Euro liegen.

Weiterhin erinnert dieser Mai auch an den vergangenen Herbst - die sogenannte "Regenschirmrevolution". Sie war ja unter anderem ausgelöst worden von Versuchen des damaligen Regierungschefs Kalvitis (der später zurückrat), den Leiter der lettischen Antikorruptionsbehörde KNAB, Loskutovs, abzusetzen. Begründung: finanzielle Unregelmäßigkeiten bei KNAB. Zumindst dies steht inzwischen fest: es gab erhebliche finanzielle Unklarheiten bei KNAB, es sind mehrfach verschiedene Summen Geld "verschwunden" und nicht ordnungsgemäß in den Abrechnungsbüchern nachzuvollziehen. Die Vorliebe der lettischen Presse, gern alles was Geld kostet in aller Ausführlichkeit in der Öffentlichkeit darzustellen, kann hier ebenfalls Anwendung finden: der Verbleib von insgesamt 89.868 Lat, 38.445 Euro und 27.287 Dollar sind in der Behörde nicht mehr nachzuweisen.
Die Lettinnen und Letten fragen sich nun: wer wird in Zukunft wen kontrollieren? Die Generalstaatsanwaltschaft die Antikorruptionsbehörde? Die Antikorruptionsbehörde die Regierung? Die Polizei die Antikorruptionsbehörde? Auch ein möglicher Rücktritt von Anti-Korruptionschef Loskutovs wird wieder diskutiert.

Ein anderer Spitzenposten muss neu besetzt werden: der Vorsitzende des lettischen obersten Verfassungsgerichtshofs. Auch Kandidat Ivars Bičkovičs muss sich mal wieder einer alten Diskussion aussetzen: hat er zu Zeiten Sowjetlettlands mit der "Tscheka", dem sowjetischen Geheimdienst, zusammengearbeitet oder nicht? In Lettland wurde das berüchtigte "Tscheka-Säckchen", eine Liste mit Namen angeblicher Mitarbeiter/innen, immer noch nicht öffentlich gemacht. Aber immer wieder sickern Namen durch, die angeblich dort verzeichnet sein sollen.

Monat Mai - das ist für viele Schülerinnen und Schüler der Monat der Prüfungen und Examen. Parallel dazu gibt es alljährlich Berichte über Versuche, diese Prüfungen zu fälschen, oder auf dunklen Wegen illegal sich bereits vorab die Prüfungsfragen und -antworten zu beschaffen. Dementsprechend ein Bericht der Zeitung Neatkarīgā vom 22.Mai über eine Zusammenarbeit von Journalisten und der Polizei im Küstenort Liepāja. Journalisten hatten, in Absprache mit der Polizei, auf Anzeigen in einem Internetportal reagiert, wo die Examensfragen für Mathematik für 200 Lat (300 Euro), diejenige für Lettisch zu einem Preis von 150 Lat, und Englisch für 100 Lat angeboten waren. Die angebotene "Ware" erweist sich dann aber größenteils als Fälschung. Es wurden mehrere in diesen "Examenshandel" verwickelte Personen festgenommen.

Weiterhin diskutiert wird über die lettische Milch, bzw. die Produktionsbedingungen für Bauern in Lettland. Seit dem Jahr 2001 ist die Gesamtproduktion von Milch in Lettland von 848.000 t zu 841.000 t ziemlich gleich geblieben, der Verbrauch im Inland aber von 828.000 t auf 641.000 t gesunken. Die Einkaufspreise für den Handel stiegen von 16,8 Santimes (25,2 EuroCent) im Januar 2007 auf 23,82 Santimes (35,7 EurCent), fallen seitdem aber wieder stetig. Vertreter der lettischen Einzelhandels dazu in der lettischen Presse: wir haben zu viele Bauern mit 10 bis 20 Kühen, andere Länder produzieren effektiver (= Importmilch ist billiger als einheimische). Ein Plädoyer für die Massentierhaltung?

Und ebenfalls Objekt der Diskussion war eines der drei in Riga geplanten kulturellen Gross- projekte: der Baubeginn der neuen Nationalbibliothek wurde definitiv beschlossen. Extrem unpopulär sind aber die hohen Baukosten: in der Fernsehsendung "Kas notiek Latvijaa" (was passiert in Lettland) diskutieren am 7.Mai alle wesentlichen am Projekt Beteiligten, wobei auch grundsätzliche Kritik erneut ihren Raum fand ("ach, irgendwie passt das Projekt doch nicht zur gegenwärtigen Stadtsilhouette ..."). Charakteristik dieser Sendung ist, dass die Zuschauer während der Sendung zum Thema abstimmen können, und das Ergebnis laufend eingeblendet wird: über 90% Ablehnung des Projekts. Projektleiter Zigurds Magonis darauf in der Tageszeitung DIENA (21.5.): "manchmal möchte ich lieber aufs Land fahren und Wildschweine jagen ...".

Eine "Frühlingsfrage" speziell für Rigenser ist die Frage, ob in Zukunft das Sitzen auf dem staatlich gepflegten Rasen und in den Parkanlagen erlaubt werden soll. Bisher ist es verboten, auch bei Demonstrationen und Versammlungen wirkt es manchmal so, dass die Einhaltung dieser strikten Bestimmung die Hauptsorge der Lokalpolizisten sei. Schülerinnen und Schüler veranstalteten nun ein "Sit-in" auf dem Gehweg, um die den ihrer Ansicht nach vorliegen- den Widersinn dieser Verbote hinzu- weisen. Die Protestaktion wurde als "flashmob" per Handy organisiert.

Auf den Kanälen der Rigaer Stadtparks zukünftig erlaubt sein soll das Fahren mit Motorbooten - so ein Beschluß des Stadtrats. Dafür hagelte es allerdings starke öffentliche Kritik - vermutet wurde, dass hier die Geschäftsinteressen einzelner Geschäftsleute vorangebracht werden sollen, die Motorboote gern an Touristen vermieten wollen.

Aufsehen - aber keine Verletzten - verursachte das durch Unaufmerksamkeit der Besatzung für Kolka (der Spitze der Bucht von Riga) auf Grund gelaufene Kreuzfahrtschiff "Mona Lisa". Mit Hilfe der lettischen Marine wurden die Passagiere von Bord gebracht, darunter viele Deutsche, und mussten die Heimreise auf anderem Wege fortsetzen. Dann wurde das Schiff freigeschleppt - durfte aber nicht weiterfahren, bevor nicht die Erstattung der auf lettischer Seite entstandenen Kosten versichert wurde. 135.000 Lat berechnete daraufhin das zuständige lettische Ministerium, und erzeugt neuerdings erstaunte Rückfragen von Seiten der Schiffseigner, wie denn eine solche Summe zustande käme. Gegenüber vergleichbaren Operationen in Deutschland seien die Kosten in diesem Fall um ein vierfaches höher ...

Ach ja, und da war ja noch die ..... Eurovision. Die Letten nahmen sogar teil, wenn auch die verkleideten Piraten "á la Musikantenstadel" (so der deutsche Moderator dazu) als solche vielleicht kaum jemand als Abgesandte ihres Landes erkannt hat. 12 Punkte aus Irland waren garantiert, ein Platz im Mittelfeld. "Neatkarīgā" veranstaltet eine Abstimmung: "Schämen Sie sich für den lettischen Beitrag? 39% sagten "ja", 12% "ich bin stolz auf unseren Beitrag".