14. Mai 2020

Bewegung in der Baltic Bubble

Geschichtlich haben es die drei Staaten, die in Deutschland meist "baltisch" genannt werden (oder sogar gemeinsam in den Topf "Baltikum" geworfen werden), ja, geschichtlich haben sie es mehrfach versucht, und nie richtig geschafft: die "baltische Einheit". Nun aber, ab dem 15. Mai 2020 gibt es eine "Baltic Bubble" (lsm) - freier Personenverkehr nur zwischen den drei Staaten Estland, Lettland und Litauen. Wenigstens für ein paar Wochen.

In der Mitteilung des lettischen Außenministeriums ist von "nationals" die Rede, allerdings auch von "Personen die sich legal in einem der drei baltischen Staaten aufhalten" (mfa). Ab dem 15. Mai ist es also allen, die sich in Lettland aufhalten (und nicht an Covid-19 erkrankt sind oder eindeutige Symptome aufweisen) erlaubt, auch nach Litauen oder Estland zu fahren. Offenbar sind für diese neue Reiseregelung zwei Grenzübergänge nach Estland und vier nach Litauen vorbereitet. Ganz einheitlich sind die Regelungen in den beiden Nachbarländern allerdings nicht.

Das Tragen einer Gesichtsmaske ("Munsaske") wird für den Besuch in Estland nicht zwingend vorgeschrieben - aber empfohlen. In Litauen dagegen gibt es offenbar schärfere Vorschriften, auch für grenzüberschreitende Lettinnen und Letten:  Maskenpflicht herrscht auf Marktplätzen, im Supermarkt, auf allen öffentlichen Veranstaltungen, bei Exkursionen und im Öffentlichen Nahverkehr.

In Estland mögen sich die grenzüberschreitenden Lettinnen und Letten nicht in Gruppen von mehr als 2 Personen aufhalten; In Litauen dagegen dürfen es fünf Personen sein - aber die Treffen dürfen nicht länger als 15 Minuten dauern (mfa). Sogar Veranstaltungen, auch privater Art, mit bis zu 30 Personen sind erlaubt - allerdings nur, wenn pro Person ein Platz von mindestens 10m2 zur Verfügung steht. Wer soll das ausrechnen?

Hotels öffnen in Litauen erst ab dem 18.Mai - also Obacht für diejenigen, die bereits am 15.Mai losfahren (Zelt mitnehmen?). Litauerinnen und Litauer dürfen bereits seit dem 11.Mai nach Polen fahren - falls sie dort arbeiten oder studieren (lrv). Gleiches gilt für den Besuch von Pol*innen in Litauen: allerdings muss dann ein Nachweis geführt werden, 14 Tage nirgendwo anders als nur in Polen gewesen zu sein (urm). Ähnliches wird wohl auch von den lettischen und estnischen Nachbarn verlangt werden, die jetzt einreisen wollen. In Litauen gilt außerdem eine Ausnahmeregelung für Journalisten aus dem Ausland - allerdings nur für diejenigen, die vom litauischen Außenministerium eine Genehmigung (Einladung?) bekommen haben.

Nein, liebe einreisenden Lett*innen, hier wird nicht Corona
"der Krieg erklärt" (ähnlich wie der französische Präsident
Macron es tat) - hier warnt ein Vertreter des litauischen
Militärs vor zunehmender "Falschinformation im Zuge der Krise"
Estland erleichtert seinerseits Finnen die Einreise - zur Arbeitsaufnahme, Studium, oder auch in "dringenden Familienangelegenheiten" (err). Weiter gab die estnische Regierung bekannt, dass die nun in Krisenzeiten wieder notwendig gewordenen Kontrollen an der Grenze zu Lettland wöchentlich einen zusätzlichen Betrag von 93.000 Euro kosten (err).

Nachzulesen in der lettischen Presse ist auch die Ankündigung in Richtung des lettischen Tourismus, bald wieder Gruppen mit bis zu 25 Personen zulassen zu wollen (lsm). Gleiches soll für Kulturveranstaltungen gelten.

Die Fluggesellschaft AIR BALTIC kündigte an, ab dem 18. Mai wieder Flüge von Riga nach Tallinn und Vilnius anbieten zu wollen (lsm). Die Passagiere sollen dann mit Masken und Desinfektionstüchern ausgestattet werden.

8. Mai 2020

Home-watching

Was macht Lettlands Ex-Präsidentin Vaira Vīke-Freiberga in Zeiten der "pašizolācija"? Sie meditiert, verriet sie lettischen Medien. - Ähnliche Momente könnte auch die Tätigkeit beinhalten, die schon seit 2012 von Naturfreund*innen und professionellen Biologen in Lettland organisiert wird, genauer gesagt von den Ornitholog*innen. "Putnu vērošana" (Vogelbeobachtung) ist bequem von zu Hause aus möglich, und ja, es läuft 24 Stunden am Tag, pausenlos (sofern es keine technischen Probleme gibt).

Bevor jemand fragt: ja, für die gefiederten Zeitgenoss*innen, jedenfalls für diese ausgesuchten Nester, ist der Datenschutz aufgehoben. Tag für Tag können Interessierte Menschen den Vogelmamas und Vogalpapas beim Eier bebrüten zusehen - und, worauf natürlich die meisten warten: beim Füttern und der Aufzucht der Küken. Auch wenn es da gelegentlichen "Shitstorm" gibt, jedenfalls dann, wenn parallel Chatrooms angeboten werden. Nein, es ist nicht jedermanns Sache, wenn lebende Fische, Küken aus anderen Nestern, kleine Häschen oder ähnliches live verfüttert werden. Und bei einigen Vogelarten, wie etwa beim Schreiadler, ist es üblich das nur das größere Küken überlebt - und zwar deshalb, weil seine Mama das Kleinere nicht füttert, und schließlich meist sogar höchstpersönlich aus dem Nest wirft. Da wird schon mal gefragt: "Warum hackt das größere Küken das kleinere grundlos?". Und wenn mal einen ganzen Tag von den Vogeleltern kein Futter rangeschafft wird verlangen doch tatsächlich einige, es solle jemand schleunigst zum Nest fahren und helfen.

Sieben Prinzipien haben die lettischen Ornithologen auf ihrer Webseite veröffentlicht, darunter auch den Grundsatz, dass alle Vogelarten gleich viel wert sind. "Aber Milda und Raimis, die beiden Vogeleltern aus dem Nest bei Durbe, wurden schon im vergangenen Jahr zu so etwas wie unsere erfolgreichsten 'Influencer' ", bekennt Jānis Ķuze (Diena). Auch international wissen inzwischen sehr viele, die dauerhaft oder kurzzeitig dem Vogelgeschehen in Lettland zuschauen, wie "Durbertvilla" aussieht.

Neun verschiedene Beobachtungskameras bietet allein schon die Seite "Dabasdati.lv" an, das geht vom Seeadlerpärchen über Uhu, Schwarzstorch, Schreiadler, Fischadler bis hin zum Schwarzmilan. Allerdings muss dabei in Kauf genommen werden, dass manche Brutplätze eben nicht in jedem Jahr erfolgreich genutzt werden: so ist jetzt schon im zweiten Jahr Papa Uhu allein im Nest und ruft klagend nach einer Freundin, ohne dass ihn jemand erhört. Folgen zu starken Holzeinschlags im Wald? Werden Vogelbruten durch Kahlschlag im Wald verhindert, oder sogar zerstört? Fragen, die Vogelfreund*innen umtreiben.

Wer wollte, konnte sich auch zu Home-Office-Zeiten
an erfolgreich überstandenen Schwierigkeiten der
Vogelbrut in Lettland "erwärmen" (Aufnahme vom
30.März 2020)
Manchen scheint es auch verwunderlich, dass gerade Lettland sich die relativ teure Ausstattung von Brutnestern mit Beobachtungstechnik leisten kann. Dem kann entgegen gehalten werden, dass es immer wieder erfolgreiche Spendenaufrufe gab, und sogar inzwischen "Fanshops" T-Shirts und andere Accessoires verkaufen - und das Publikum ist ja alles andere als auf Lettland beschränkt.

Jānis Ķuze, einer der verantwortlichen Organisatoren der "Online-Vogelschau", hofft auf einen Kompromiss zwischen Wirtschafts- und Naturschutz-Interessen in Lettland. "Wir sind dabei, die schon im Westen gemachten Fehler zu wiederholen", stellt er bedauernd fest. "Seit Wiedererlangung der Unabhängigkeit ist die Waldbewirtschaftung weitgehend industrialisiert worden. Es wird verlangt, dass die Wälder leichter zugänglich werden, überall werden Wege angelegt. Daher nehmen die Störungen des Tierlebens massiv zu, zum Beispiel für den Schwarzstorch." (Diena)

Es ist klar, dass die Erlöse für verkauftes Holz in Lettland um ein vielfaches höher liegen, als Ausgleichszahlungen für den Nestschutz seltener Vogelarten. Aber vielleicht hilft die internationale Aufmerksamkeit auch dabei, das Bewußtsein für die immer noch reichhaltige Artenvielfalt der lettische Natur wach zu halten. Der Schreiadler mag als Beispiel dienen: in Lettland leben und brüten allein die Hälfte aller Schreiadlerpärchen Europas und ein Fünftel der Weltpopulation. Dennoch mussten die lettischen Ornithologen in den vergangenen 20 Jahren einen Rückgang um 15% verzeichnen.

Lettische "Nist-watch"-Möglichkeiten:

Seeadler / Schreiadler / Schwarzstorch / Uhu / Schwarzmilan / Fischadler / Habicht

Naturwebcams Estland