8. Mai 2020

Home-watching

Was macht Lettlands Ex-Präsidentin Vaira Vīke-Freiberga in Zeiten der "pašizolācija"? Sie meditiert, verriet sie lettischen Medien. - Ähnliche Momente könnte auch die Tätigkeit beinhalten, die schon seit 2012 von Naturfreund*innen und professionellen Biologen in Lettland organisiert wird, genauer gesagt von den Ornitholog*innen. "Putnu vērošana" (Vogelbeobachtung) ist bequem von zu Hause aus möglich, und ja, es läuft 24 Stunden am Tag, pausenlos (sofern es keine technischen Probleme gibt).

Bevor jemand fragt: ja, für die gefiederten Zeitgenoss*innen, jedenfalls für diese ausgesuchten Nester, ist der Datenschutz aufgehoben. Tag für Tag können Interessierte Menschen den Vogelmamas und Vogalpapas beim Eier bebrüten zusehen - und, worauf natürlich die meisten warten: beim Füttern und der Aufzucht der Küken. Auch wenn es da gelegentlichen "Shitstorm" gibt, jedenfalls dann, wenn parallel Chatrooms angeboten werden. Nein, es ist nicht jedermanns Sache, wenn lebende Fische, Küken aus anderen Nestern, kleine Häschen oder ähnliches live verfüttert werden. Und bei einigen Vogelarten, wie etwa beim Schreiadler, ist es üblich das nur das größere Küken überlebt - und zwar deshalb, weil seine Mama das Kleinere nicht füttert, und schließlich meist sogar höchstpersönlich aus dem Nest wirft. Da wird schon mal gefragt: "Warum hackt das größere Küken das kleinere grundlos?". Und wenn mal einen ganzen Tag von den Vogeleltern kein Futter rangeschafft wird verlangen doch tatsächlich einige, es solle jemand schleunigst zum Nest fahren und helfen.

Sieben Prinzipien haben die lettischen Ornithologen auf ihrer Webseite veröffentlicht, darunter auch den Grundsatz, dass alle Vogelarten gleich viel wert sind. "Aber Milda und Raimis, die beiden Vogeleltern aus dem Nest bei Durbe, wurden schon im vergangenen Jahr zu so etwas wie unsere erfolgreichsten 'Influencer' ", bekennt Jānis Ķuze (Diena). Auch international wissen inzwischen sehr viele, die dauerhaft oder kurzzeitig dem Vogelgeschehen in Lettland zuschauen, wie "Durbertvilla" aussieht.

Neun verschiedene Beobachtungskameras bietet allein schon die Seite "Dabasdati.lv" an, das geht vom Seeadlerpärchen über Uhu, Schwarzstorch, Schreiadler, Fischadler bis hin zum Schwarzmilan. Allerdings muss dabei in Kauf genommen werden, dass manche Brutplätze eben nicht in jedem Jahr erfolgreich genutzt werden: so ist jetzt schon im zweiten Jahr Papa Uhu allein im Nest und ruft klagend nach einer Freundin, ohne dass ihn jemand erhört. Folgen zu starken Holzeinschlags im Wald? Werden Vogelbruten durch Kahlschlag im Wald verhindert, oder sogar zerstört? Fragen, die Vogelfreund*innen umtreiben.

Wer wollte, konnte sich auch zu Home-Office-Zeiten
an erfolgreich überstandenen Schwierigkeiten der
Vogelbrut in Lettland "erwärmen" (Aufnahme vom
30.März 2020)
Manchen scheint es auch verwunderlich, dass gerade Lettland sich die relativ teure Ausstattung von Brutnestern mit Beobachtungstechnik leisten kann. Dem kann entgegen gehalten werden, dass es immer wieder erfolgreiche Spendenaufrufe gab, und sogar inzwischen "Fanshops" T-Shirts und andere Accessoires verkaufen - und das Publikum ist ja alles andere als auf Lettland beschränkt.

Jānis Ķuze, einer der verantwortlichen Organisatoren der "Online-Vogelschau", hofft auf einen Kompromiss zwischen Wirtschafts- und Naturschutz-Interessen in Lettland. "Wir sind dabei, die schon im Westen gemachten Fehler zu wiederholen", stellt er bedauernd fest. "Seit Wiedererlangung der Unabhängigkeit ist die Waldbewirtschaftung weitgehend industrialisiert worden. Es wird verlangt, dass die Wälder leichter zugänglich werden, überall werden Wege angelegt. Daher nehmen die Störungen des Tierlebens massiv zu, zum Beispiel für den Schwarzstorch." (Diena)

Es ist klar, dass die Erlöse für verkauftes Holz in Lettland um ein vielfaches höher liegen, als Ausgleichszahlungen für den Nestschutz seltener Vogelarten. Aber vielleicht hilft die internationale Aufmerksamkeit auch dabei, das Bewußtsein für die immer noch reichhaltige Artenvielfalt der lettische Natur wach zu halten. Der Schreiadler mag als Beispiel dienen: in Lettland leben und brüten allein die Hälfte aller Schreiadlerpärchen Europas und ein Fünftel der Weltpopulation. Dennoch mussten die lettischen Ornithologen in den vergangenen 20 Jahren einen Rückgang um 15% verzeichnen.

Lettische "Nist-watch"-Möglichkeiten:

Seeadler / Schreiadler / Schwarzstorch / Uhu / Schwarzmilan / Fischadler / Habicht

Naturwebcams Estland

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