Galerie der Ränkespiele
Nein, Präsidentschaftswahlen laufen auch in Lettland anders ab. Guntis Ulmanis brachte 1993 den Vorteil des bekannten Nachnamens mit (und wurde später Eishockey-Funktionär), Vaira Vīke-Freiberga kam 1999 als plötzlich auftauchende Überraschungskandidatin ins Amt. Deren Nachfolger Valdis Zatlers soll 2007 durch Absprachen verschiedener Parteien ins Amt gewählt worden sein, die ausgerechnet den Rigaer Zoo als Treffpunkt (für hohe Tiere?) ausgewählt hatten (tvnet). Dass Teile der deutschen Presse ihn damals als "zwielichtigen Arzt" bezeichneten (TAZ) lag vor allem an seinem Geständnis, von Patienten auch schon mal Geschenke angenommen zu haben (mit dem Verweis auf "sowjetische Verhältnisse").
Von seinem Nachfolger Andris Bērziņš erhofften sich die Politiker/innen, die ihn wählten, wohl vor allem, er werde nicht gleich wieder das ganze Parlament entlassen (was Zatlers tat). Außerdem gab es manchmal Missverständnisse, denn der Name Andris Bērziņš ist nicht gerade selten in Lettland - und so bekamen auch Namensvettern nach dieser Wahl überraschend Glückwünsche.
Als nächster wurde dann Raimonds Vejonis ins Präsidentenamt gehoben. Wenig charismatisch, aber skandalfrei. Ein studierter Biologe, Ex-Umwelt- und Ex-Verteidigungsminister und eher leiser Genosse - der sich bei seinen Reden manchmal tragisch verhaspelte. Er kandidierte kein zweites Mal, wurde aber dennoch 2020 erneut Präsident ... des lettischen Basketballverbands (lsm). Danach kam dann Egils Levits - der vor allem denjenigen Lettinnen und Letten gut bekannt war, die im Exil oder in der Diaspora in Deutschland lebten. Levits besuchte das lettische Gymnasium in Münster, studierte in Hamburg und war 1992-93 nach Wiedererlangung der lettischen Unabhängigkeit erster lettischer Botschafter in Deutschland. Aber zum Schluß bleiben vor allem die Umfragen stehen, denen zufolge weniger als ein Drittel aller Lettinnen und Letten mit seiner Arbeit als Präsident zufrieden waren.
Der neue, alte Bekannte
Nun also Edgars Rinkēvičs. Ein Mensch, der auf Twitter immerhin über 87.000 Follower hat und seit Oktober 2011 (also seit fast 12 Jahren) lettischer Außenminister ist. 1973 in Jūrmala geboren, studierte er in den Niederlanden und nahm an einem US-amerikanischen Ausbildungsprogramm teil (jauns). In der internationalen Öffentlichkeit erregte er auch dadurch Aufmerksamkeit, dass er sich 2014 öffentlich zu seiner Homosexualität bekannte. Gewählt mit 52 Stimmen (zur absoluten Mehrheit hätten 51 gereicht) im dritten Wahlgang. Er wird sein neues Amt am 8. Juli antreten, und seine Mitgliedkarte bei der Partei "Jaunā vienotība" ("Neue Einigkeit" / JV) schon in den nächsten Tagen zurückgeben (Diena). Kandidatin Elīna Pinto hingegen, studierte Juristin, verheiratet mit einem Portugiesen und als "Diaspora-Aktivistin" bekannt, schied nach dem zweiten Wahlgang als Kandidatin mit den wenigsten Stimmen (10) aus, äußerte danach aber sichtlich ihre Zufriedenheit über den "dritten Platz" (Bronze, ebenfalls in Anspielung auf Eishockey) (Diena) Die Moderatorin der Live-Übertragung des lettischen Fernsehens wies zwar darauf hin, dass die lettischen Diaspora-Gemeinden sicherlich beim Eishockey sehr viel enthusiastischer mitfieberten - aber an politischer Statur hat Pinto sicherlich auch gewonnen. "Ich wusste gar nicht, dass wir eine so gut aussehende und intelligente Frau in der Politik haben" - solche Stimmen schnappte die lettische Presse vor allem von weiblichen Befragten auf. Und 2024 kommt ja schon die Europawahl.
Was Uldis Pīlēns, der andere Gegenkandidat, nun eigentlich erreicht hat, scheint er sich inzwischen auch selbst zu fragen. Aufgestellt von der Partei "Apvienotais Saraksts" ("Vereinigte Liste" AS), ein Koalitionspartner der JV von Regierungschef Kariņš, stand seine Kandatur zunächst dafür, eine Wiederwahl von Egils Levits verhindert zu haben (der sich mehrfach einen gemeinsamen Kandidaten der gegenwärtigen Koalition gewünscht hatte). Als sich dann auch noch Ainārs Šlesers von der oppositionellen Partei "Latvija pirmajā vietā" ("Lettland zuerst") dazu bekannte Pilēns wählen zu wollen, fürchteten einige schon den Einfluß von "moskaufreundlichen Kräften" bei der Präsidentenwahl. Nun bekam Pilēns aber in allen drei Wahlgängen lediglich 25 der 100 Stimmen, und der Kandidat wird nun nicht müde zu betonen: "der Ausgang der Präsidentschaftswahlen sollte keinen Einfluss auf die Koalition haben."
Die Regierung sortiert sich neu
Aber genau dies scheint sich jetzt anzudeuten. "Jaunā vienotība" gibt in der aktuellen Regierungskoalition eindeutig den Ton an - so kommentierte es die lettische Presse. Regierungschef Kariņš hat es also geschafft, den eigenen Kandidaten gegen beide Koalitonspartner durchzusetzen - denn die “Nacionālā apvienība” ("Nationale Allianz"), nachdem sich der eigene Kandidat Egils Levits selbst aus dem Rennen genommen hatte, hatte sich in allen drei Wahlgängen nicht an der Präsidentenwahl beteiligt (was offenbar nach lettischem Recht möglich ist - dennoch waren 52 der nun noch verbliebenen 87 Stimmen nötig).
Auch Journalist Kārlis Streips sieht die "Nationale Allianz" nun eher im Abseits: "Warum auch immer sie an allen drei Wahlgängen nicht teilgenommen haben - entweder wollten sie nicht für einen schwulen Kandidaten stimmen, oder es lagen irgendwelche Revancheakte an", schreibt er, "ich denke ihre Wählerschaft ist einfach sehr alt und wird auch nicht jünger." (LA)
Es ist also keine große Rechenkunst (das Abstimmungsverhalten ist vom Protokoll dokumentiert, seit 2019 wird offen abgestimmt) zu behaupten, die 52 Stimmen seien nun von der regierenden "Jaunā vienotība" (26 Sitze), den oppositionellen "Grünen Bauern" (Zaļu un zemnieku savieniba ZZS, 16 Sitze) und den ebenfalls oppositionellen "Progressiven" ("Progresīvie", 10 Sitze) gekommen - letztere hatten in den ersten beiden Wahlgängen natürlich für ihre eigene Kandidatin Pinto gestimmt.Rinkēvičs redete in seinen Dankesworten direkt nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses sehr viel von Eishockey - Regierungschef Kariņš kündigte Gespräche über eine "Erweiterung der Koalition" bereits für die kommenden Tage an (LA).