Die Argumente zur plötzlichen Aufgabe lassen aufhorchen. Die Entscheidung sei gefallen "angesichts der sich derzeit entwickelnden De-facto-Koalition mit
kremlnahen politischen Kräften mit Verbindungen zu Oligarchen" (president.lv). Eine Frage muss erlaubt sein: was will Herr Levits damit sagen? Dass Zweifel an demokratischen Prozessen in Lettland ab sofort offiziell erlaubt sind?
Levits' zweites Argument ist sein Rat an die gegenwärtig regierende Koalition, sich auf einen gemeinsamen Kandidaten (oder Kandidatin) zu einigen. Aber diese Maßgabe hätte nun keiner der beiden bisherigen Kandidaten - Levits und Pilēns - erfüllen können. Letzterer sieht natürlich keinen Grund, sich ebenfalls zurückzuziehen (lsm) Und die potentiellen Levits-Fans werden durch ein am selben Tag in der Zeitschrift "IR" veröffentlichtes Interview mit Levits irritiert, von dem vor allem die Behauptung hängen bleibt, in Levits Amtszeit sei "Lettland lettischer geworden". Zu seinen niedrigen Umfragewerten meinte Levits nur, dass sei seiner Haltung während der Pandemie geschuldet: er habe sich für die Impfung ausgesprochen.
Nun ja, wie auch immer: nun stellen sich rund um den inzwischen zum Favoriten gereiften Pilēns ein weiterer Kandidat und eine Kandidatin auf. Regierungschef Kariņš sieht sich natürlich trotz des Levitschen Hinweises auf möglichst einen gemeinsamen Koaltionskandidaten nicht veranlasst, jetzt plötzlich für Levits Gegenkandidaten zu stimmen. Seine Partei "Jaunā vienotība" ("Neue Einigkeit") ist sich vorerst nur parteiinten einig, einen ihrer unzweifelhaft angesehensten Politiker als Kandidat aufzustellen: Außenminister Edgars Rinkēvičs. Der ist mit 12 Jahren Amtszeit (seit Oktober 2011) wohl inzwischen Europas dienstältester Außenamtsvertreter, und steht auch in Meinungsumfragen nicht schlecht da. Und das, obwohl er 2014 öffentlich sich zu seinem Schwulsein bekannte. Als Präsidentschaftskandidat möglicherweise stark - aber absehbar nicht wählbar für alle anderen konkurrierenden und um Machteinfluss ringenden Parteien, die ihn mitwählen müssten.Ja, und dann eben doch eine Frau als Kandidatin. Elīna Pinto steht für eine Karriere der etwas anderen Art: bis vor einigen Monaten war sie Vorsitzende der "Vereinigung der Letten in Europa" (Eiropas Latviešu apvienības ELA). Derzeit steht sie für "EsiLV", einen Verein der sich für Innovationen und Kooperation zwischen Wissenschaft und Wirtschaft einsetzt. Schon die Liste der Länder, in denen sie verschiedene Fächer studiert hat, ist vielsagend: Lettland, Italien, Frankreich, Großbritannien und Luxemburg. Sie arbeitet gegenwärtig bei der Repräsentanz der Europäischen Kommission in Luxemburg, ist verheiratet mit Orlando Pinto, einem in Portugal gebürtigen Luxemburger Diplomaten (lsm/ bnn / LA). "Die gegenwärtigen Herausforderungen verlangen moderne Denkweisen", so begründet Kaspars Briškens, Parteichef der "Progresivie" ("Die Progressiven", derzeit 10 Sitze im Parlament), die Kandidatinnenauswahl. Ein symbolischer Akt nicht nur deshalb, weil die Kandidatin vorerst nur für die erste Wahlrunde aufgestellt wird - auch unter den wahlberechtigten Lettinnen und Letten in verschiedenen Ländern Europas schneiden die "Progressiven" prozentual weit besser ab als im eigenen Lande.
Die diesjährigen Präsidentschaftswahlen in Lettland: offenbar ein Spiel, bei dem mehrfach mitten drin die Karten gewechselt werden.
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