Die Pflege der deutschen Sprache verlange in Lettland nach einem "Re-Start" - so eine lettische Initiativgruppe, die kürzlich in der Rigaer Zentralbibliothek eine Veranstaltungsreihe eröffnete, die bis zum Ende des Jahres Begegnungen mit Lettinnen und Letten ermöglichen soll, die von erfolgreich angewendeten Deutschkenntnissen erzählen. Tālivaldis Kronbergs, einer der Initiatoren, Gründer und Leiter des Portals "StudentNet", arbeitete zunächst daran, ein Netzwerk gemeinsamer Träger dieser Veranstaltungsreihe zu knüpfen. Ihre Beiträge leisten nun das Goethe-Institut, das Mencendorff-Haus, der Verband der Deutschen in Lettland, die Deutsche Botschaft in Riga, das Institut für Auslandsbeziehungen (IFA), der Verband der Deutschlehrer Lettlands und die Zentralbibliothek der Stadt Riga. Auch die Verlage "Zvaigzne ABC", "Zinātne", "Atēna" und "Nordik/Tapals" haben ihre Unterstützung zugesagt.
Deutsch - so wie es Mitte der 1990er Jahre an der Baustelle der Deutschen Botschaft in Riga vermittelt wurde |
Deutsch-Lettisch außer Mode?
Und natürlich gab es lange Zeit fast keinen Austausch zwischen Letten und Deutschen - gerade die deutsche Seite zögerte den Beginn visafreien Reisens, der eigentlich 1996 schon spruchreif gewesen war, bis 1999 heraus. In dieser Zeit wurde der deutsche Reisemarkt fast ausschließlich von "Heimatreisenden" dominiert, die ihre Reiseziele bitteschön nur mit den alten deutschsprachigen Bezeichnungen benannt haben wollten (wer kennt "Hasenpoth"?) Der freie Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt wurde dem neuen EU-Mitglied Lettland bis Mai 2011 verschlossen - für Deutschland ein selbstverständliches Recht, für Lettland aber die Ursache, dass Arbeitssuchende auf dem internationalen Markt sich eher englischsprachig orientierten (und in englischsprachigen Ländern wiederum eigene Vereinigungen der dort lebenden Menschen gründeten, die ihre Erfahrungen viel intensiver nach Lettland zurückspiegeln).
Auf dem Reisemarkt wurde der erste positive Trend im Jahr 2004 ausgelöst, verursacht teilweise durch geballte deutsche Medien-Berichterstattung zum EU-Beitritt Lettlands, teilweise auch von guten Verkehrsverbindungen vor allem per Schiff. Eine erste Phase, um in Lettland den deutschen Markt ernst zu nehmen, und deutsche Sprachkenntnisse dann auch zu Hause angewandt werden können. In dieser Phase konnte man vielerorts in Deutschland hören: Riga? Lettland? Ja, davon habe ich schon gehört, da will ich irgendwann auch mal hin! Leider hielt der Trend nicht immer an: Billigflieger verleiten zwar zum kurzen Ausprobieren eines Reiseziels, nicht aber zum näheren Kennenlernen - und Städte mit Billigflughafen werden gegenüber den anderen Landesteilen wohl eindeutig bevorteilt. Dazu kam die Wirtschaftskrise - heute stehen einige, in Katalogen und auf Landkarten schon verzeichneten Hotels leer und verbarrikadiert in der Landschaft. Und auf lettischer Seite hat sich abseits des lettischen Fatalismus noch immer kein Gefühl für eine Stammkundschaft entwickelt: wer spontan für die Dienstleistung noch ein paar Lat mehr fordern kann als eigentlich angesagt, der tut es wohl - und glaubt sowieso nicht das Gäste auch wiederkommen. Außerdem herrscht der weitverbreitete Glaube vor, auch die deutschen Gäste mit Englisch ausreichend bewirten zu können (sicher, zum Geld einnehmen reicht es!).
Initiativen, Projekte: wer hilft?
Einer der Initiatoren der Veranstaltungs- reihe zur Rolle der Deutschen Sprache in Lettland: Tālivaldis Kronbergs |
DELFI-Bericht übers Treffen der Deutschsprachigen |
Reaktionen und Einschätzungen
Durchaus ungewöhnlich aber, dass allein auf diesen einen Bericht bei DELFI über 200 Leserreaktionen eingehen. Abseits einzelner Meinungen ist hier vielleicht interessant zu erwähnen, was dort viel diskutiert wird, und was gar nicht. Stark vertreten sind zum Bespiel Äußerungen, die in irgendeiner Weise lettische Geschichte thematisieren, und zwar meist in Bezug auf frühere Phasen russischer oder deutscher Vorherrschaft in Lettland ("700 gadu zem vācu jūga bijām.."). Als ob Lettland nicht seit über 20 Jahren unabhängig wäre: für viele steht die Hinwendung zu einer bestimmten Sprache also im Zusammenhang damit, welchen "Einflußbereich" man gestärkt sehen möchte. Manche sehen die deutsche Sprache "in der Sowjetzeit unberechtigterweise zurückgedrängt", andere haben sogar noch die Schimpfworte aus der Zeit der "junglettischen Bewegung" (aus der Zeit vor Erlangung der Unabhängigkeit 1918) parat und meinen eher zynisch, in letzter Zeit habe sich die Zahl der "Kārklu vācieši" auch wieder stark vermehrt (Schimpfwort für Letten, die eine Annäherung an Deutschland befürworteten, oder sogar zu Deutschen werden wollten). Andere Stimmen meinen betonen zu müssen, Deutsche hätten schließlich den Letten die Bibel übersetzt und das Chorsingen beigebracht - "die Engländer dagegen nichts!".
Andere betonen eher ihre Schwierigkeiten mit allzu langen deutschen Worten: "Höchstgeschwindigkeitsbegrenzung, Hubschrauberlandeplatz - das kann doch keiner aussprechen!" Zustimmend reagieren diejenigen, die sowieso meinen, Deutsch könne in Lettland eher mit Russisch als zweiter Fremdsprache, nicht aber mit Englisch als erster konkurrieren. Auf die zunehmenden Anglizismen zielen wohl solche Äußerungen ab: "Selbst die Deutschen sprechen zunehmend Englisch!" - Und was von Deutschen mitveranstaltete Konferenzen und Seminare in Lettland angeht, wird man eingestehen müssen, dass auch diese - wenn nicht in Lettisch - dann meist in Englisch veranstaltet werden, und sogar deutschsprachige Dokumentationen dazu fehlen: in Deutschland wird so niemand der unbeteiligt war diese Diskussionen in Lettland nachvollziehen können.
Etwas peinlich berührt könnten Deutsche vielleicht regieren, wenn sie all die Letten sehen würden, die ihr Deutsch von den billigen Fernsehserien lernen, die in Lettland lediglich eingesprochen oder mit lettischen Untertiteln gesendet werden (und dann alle angeblich "deutschen" Kanäle aufzählen, aber ARD und ZDF nicht kennen ...). Mir persönlich fehlt bei der ganzen Diskussion ein wenig mehr lettisches Selbstbewußtsein: ja, will denn gar keine ein wenig mehr Kenntnis über lettische Kultur, Mentalität, Geschichte und Politik in die übrige Welt tragen helfen? Aus dem Lettischen in anderen Sprachem kommunizieren können? Es müssen ja nicht gleich alle Übersetzer/innen werden (so viel Sprachtalent hat nicht jeder). Aber es gibt so etwas wie "sich selbst erfüllende Prophezeihungen" - wer für sich selbst nur die Rolle des dienenden, sich anderen unterordnenden, oder irgendwo zur Assimilation vorgesehen Menschen sieht - es könnte sich verwirklichen. Warum können etwas mehr Deutschkenntnisse nicht dazu beitragen, Deutsche und Deutschland zunächst mal etwas besser zu verstehen (und nicht immer nur von Schröder, Merkel und Putin daherzuschwadronieren - alle drei negativ natürlich ...)? Die 200 Wortmeldungen bei DELFI jedenfalls zeigen die Einseitigkeit der Thematik: die Nützlichkeit von Sprachkenntissen generell wird von niemandem bestritten. Viele legen sich aber offenbar, bevor sie damit anfangen, ein fest gezurrtes Weltbild zurecht, das nur noch wenige positive Überraschungen zuläßt. Wird Zusammenarbeit und Austausch zwischen Menschen heute nur noch virtuell gesehen? Lieber 500 Facebook-Freunde in Deutschland, die meine englischen Bruchstücke verstehen, als reale Kommunikation unter Freunden? Schade. Oder liegt der Sinn von "Freunden in Deutschland" allein darin, Letten günstige Gebrauchtwagen (in den 90er Jahren Wunsch Nummer 1) oder Arbeitsplätze in Deutschland (auf Kosten eigener Arbeitslosigkeit?) zu beschaffen? - Aber vielleicht bleibt es ja der gerade begonnen Veranstaltungsreihe vorbehalten, daran ein wenig zu ändern.
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