15. September 2012

Deutsche Sprache, schwere Sprache ...

Neustart nötig?
Die Pflege der deutschen Sprache verlange in Lettland nach einem "Re-Start" - so eine lettische Initiativgruppe, die kürzlich in der Rigaer Zentralbibliothek eine Veranstaltungsreihe eröffnete, die bis zum Ende des Jahres Begegnungen mit Lettinnen und Letten ermöglichen soll, die von erfolgreich angewendeten Deutschkenntnissen erzählen. Tālivaldis Kronbergs, einer der Initiatoren, Gründer und Leiter des Portals "StudentNet", arbeitete zunächst daran, ein Netzwerk gemeinsamer Träger dieser Veranstaltungsreihe zu knüpfen. Ihre Beiträge leisten nun das Goethe-Institut, das Mencendorff-Haus, der Verband der Deutschen in Lettland, die Deutsche Botschaft in Riga, das Institut für Auslandsbeziehungen (IFA), der Verband der Deutschlehrer Lettlands und die Zentralbibliothek der Stadt Riga. Auch die Verlage "Zvaigzne ABC", "Zinātne", "Atēna" und "Nordik/Tapals" haben ihre Unterstützung zugesagt.

Deutsch - so wie es Mitte der 1990er Jahre an der
Baustelle der Deutschen Botschaft in Riga vermittelt wurde

Wie ist die Ausganglage? Wer als Deutscher die Lage in Lettland seit Wieder-erlangung der Unabhängigkeit länger beobachtet hat, vielleicht auch etwas Lettisch lesen und sprechen kann, um die Diskussionen in Lettland besser nachvollziehen zu können, der wird schon sehr verschiedene Einschätzungen und Beurteilungen zur Lage der deutschen Sprache gehört haben. "Das waren doch früher deutsche Gebiete, da wird sich die deutsche Sprache schon wieder durchsetzen" - eine derartige Äußerung begegnete mir selbst Anfang der 90er Jahre. Fast gleichzeitig gab es Nachkommen von Deutschbalten, die in Lettland offenbar "deutsches Erbe" zu inspizieren geruhten und dabei Äußerungen taten von der Art, die Letten hätten das vormals sorgsam geordnete deutsche Kulturgut nur wenig pfleglich behandelt. Oder es gab deutsche Banker, die eine Diskussion über Lettland mit Zahlen zum lettischen Handelsvolumen und einem Vergleich mit dem Umsatz an den deutschen Börsen einleiteten, und gleichzeitig immer die Funktion "Brücke nach Russland" betonten, statt sich mal näher um lettische Bedürfnisse und Ängste zu kümmern. Aus deutscher Sicht ist eben manchmal scheinbar vieles in Geld aufzuwiegen.

Deutsch-Lettisch außer Mode?
Und natürlich gab es lange Zeit fast keinen Austausch zwischen Letten und Deutschen - gerade die deutsche Seite zögerte den Beginn visafreien Reisens, der eigentlich 1996 schon spruchreif gewesen war, bis 1999 heraus. In dieser Zeit wurde der deutsche Reisemarkt fast ausschließlich von "Heimatreisenden" dominiert, die ihre Reiseziele bitteschön nur mit den alten deutschsprachigen Bezeichnungen benannt haben wollten (wer kennt "Hasenpoth"?) Der freie Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt wurde dem neuen EU-Mitglied Lettland bis Mai 2011 verschlossen - für Deutschland ein selbstverständliches Recht, für Lettland aber die Ursache, dass Arbeitssuchende auf dem internationalen Markt sich eher englischsprachig orientierten (und in englischsprachigen Ländern wiederum eigene Vereinigungen der dort lebenden Menschen gründeten, die ihre Erfahrungen viel intensiver nach Lettland zurückspiegeln).

Auf dem Reisemarkt wurde der erste positive Trend im Jahr 2004 ausgelöst, verursacht teilweise durch geballte deutsche Medien-Berichterstattung zum EU-Beitritt Lettlands, teilweise auch von guten Verkehrsverbindungen vor allem per Schiff. Eine erste Phase, um in Lettland den deutschen Markt ernst zu nehmen, und deutsche Sprachkenntnisse dann auch zu Hause angewandt werden können. In dieser Phase konnte man vielerorts in Deutschland hören: Riga? Lettland? Ja, davon habe ich schon gehört, da will ich irgendwann auch mal hin! Leider hielt der Trend nicht immer an: Billigflieger verleiten zwar zum kurzen Ausprobieren eines Reiseziels, nicht aber zum näheren Kennenlernen - und Städte mit Billigflughafen werden gegenüber den anderen Landesteilen wohl eindeutig bevorteilt. Dazu kam die Wirtschaftskrise - heute stehen einige, in Katalogen und auf Landkarten schon verzeichneten Hotels leer und verbarrikadiert in der Landschaft. Und auf lettischer Seite hat sich abseits des lettischen Fatalismus noch immer kein Gefühl für eine Stammkundschaft entwickelt: wer spontan für die Dienstleistung noch ein paar Lat mehr fordern kann als eigentlich angesagt, der tut es wohl - und glaubt sowieso nicht das Gäste auch wiederkommen. Außerdem herrscht der weitverbreitete Glaube vor, auch die deutschen Gäste mit Englisch ausreichend bewirten zu können (sicher, zum Geld einnehmen reicht es!).

Initiativen, Projekte: wer hilft?
Einer der Initiatoren
der Veranstaltungs-
reihe zur Rolle der
Deutschen Sprache
in Lettland:
Tālivaldis Kronbergs
Schließlich noch die fehlenden Netzwerke. Soll man es begrüßen oder beklagen, dass man schon ein ziemlich eigensinniger, wundersamer Kauz sein muss, um sich über längere Zeit schwerpunktmäßig mit Lettland zu beschäftigen? Karriereabsichten - wenn es nicht gerade "schnelles Geld verdienen" ist - können es kaum sein. Ernstzunehmende deutschsprachige Medien zu Lettland oder den baltischen Staaten gibt es keine (keine, die über ihre speziellen Zielgruppen hinausgehen). Finanzielle Förderungen für deutsch-lettische Projekte sind einerseits schwer zu finden, andererseits immer nur auf die Dauer von maximal ein bis zwei Jahren ausgelegt. Wohl gibt es fachliche Kooperationen, aber kaum offene Netzwerke, die interdisziplinär für Menschen aller beruflichen und privaten Ebenen ausgelegt sind - oft muss man die Eindruck haben, wer irgendwo das Wort ergreift oder publiziert wird, muss schon besser einen Doktortitel vorweisen (nichts gegen Akademiker - aber oft gilt es dann gleichzeitig als Grund für die Kurzfristigkeit des Interesses der vielbeschäftigten Wissenschaftler mit bekannterem Namen). Schon seit seiner Gründung orientierte sich das Goethe-Institut in Riga eher auf die deutsche Hochkultur als auf Projekte zwischen den Menschen aus beiden Ländern. Etwas mehr als 3.000 Deutsche leben in Lettland - und gelten, wie es kürzlich eine Sendereihe des WDR ziemlich realistisch wiederspiegelte, eher als "wundersame Eigenbrödler" denn als konstruktive deutsch-lettische Aktivisten. Und dann noch der Ansatz des Deutsch-Lettischen Partnerschaftsforums in Selm aus dem Jahr 2009, deren Teilnehmer/innen gegenüber deutschen Behörden in Lettland einen vermehrten Einsatz zu Gunsten der Deutschen Sprache forderten, aber erst nach längeren Nachdenken auch eine gleiche Wertigkeit des Lettisch-Lernens für Deutsche hinzufügen mochten.

DELFI-Bericht übers Treffen der
Deutschsprachigen
Wird also das Interesse für Deutschland und die deutsche Sprache in Lettland wieder aufblühen? Interessant zu beobachten, dass schon ein einzelner Bericht über die oben erwähnte Veranstaltung im Portal DELFI eine ziemliche Diskussion auslöste. Eine durchaus "bunte" Besucherschar habe sich da in der Rigaer Stadtbibliothek versammelt, konstatiert die Reporterin. Und weiter: Ein deutsches Lied zur Einstimmung - von einem wunderschönen Tag der niemals enden möge, werden als Einstimmung von "einer Dame mit weißer Bluse am dunkelbraunen Klavier 'Riga' und Sängerinnen in Tracht und Spitzensöckchen" dargeboten. Die Motivation der Anwesenden, sich mit Deutschland und deutscher Sprache zu beschäftigen, seien ziemlich unterschiedlich gewesen: einige die wohl gern nach Deutschland auswandern wollten, andere als Historiker mit deutscher Sprache befasst, und wieder andere, die zusammen mit der starken deutschen Anti-Atombewegung solidarische Aktionen gemeinsam planen. "Keine Angst, die Veranstaltung findet in lettischer Sprache statt!" habe Moderator Kronbergs die Anwesenden beruhigt, berichtet DELFI weiter. Während die Vereinigung der Deutschen in Lettland kostenlose Hilfe beim Deutschlernen anbietet, zweifeln andere an Aussagen nur die englische Sprache öffne in der globalisierten Welt alle Türen. Die Stadtbibliothek bietet ihrerseits ihr Sortment an deutschsprachigem Lesestoff an.

Reaktionen und Einschätzungen
Durchaus ungewöhnlich aber, dass allein auf diesen einen Bericht bei DELFI über 200 Leserreaktionen eingehen. Abseits einzelner Meinungen ist hier vielleicht interessant zu erwähnen, was dort viel diskutiert wird, und was gar nicht. Stark vertreten sind zum Bespiel Äußerungen, die in irgendeiner Weise lettische Geschichte thematisieren, und zwar meist in Bezug auf frühere Phasen russischer oder deutscher Vorherrschaft in Lettland ("700 gadu zem vācu jūga bijām.."). Als ob Lettland nicht seit über 20 Jahren unabhängig wäre: für viele steht die Hinwendung zu einer bestimmten Sprache also im Zusammenhang damit, welchen "Einflußbereich" man gestärkt sehen möchte. Manche sehen die deutsche Sprache "in der Sowjetzeit unberechtigterweise zurückgedrängt", andere haben sogar noch die Schimpfworte aus der Zeit der "junglettischen Bewegung" (aus der Zeit vor Erlangung der Unabhängigkeit 1918) parat und meinen eher zynisch, in letzter Zeit habe sich die Zahl der "Kārklu vācieši" auch wieder stark vermehrt (Schimpfwort für Letten, die eine Annäherung an Deutschland befürworteten, oder sogar zu Deutschen werden wollten). Andere Stimmen meinen betonen zu müssen, Deutsche hätten schließlich den Letten die Bibel übersetzt und das Chorsingen beigebracht - "die Engländer dagegen nichts!".
Andere betonen eher ihre Schwierigkeiten mit allzu langen deutschen Worten: "Höchstgeschwindigkeitsbegrenzung, Hubschrauberlandeplatz - das kann doch keiner aussprechen!" Zustimmend reagieren diejenigen, die sowieso meinen, Deutsch könne in Lettland eher mit Russisch als zweiter Fremdsprache, nicht aber mit Englisch als erster konkurrieren. Auf die zunehmenden Anglizismen zielen wohl solche Äußerungen ab: "Selbst die Deutschen sprechen zunehmend Englisch!"  - Und was von Deutschen mitveranstaltete Konferenzen und Seminare in Lettland angeht, wird man eingestehen müssen, dass auch diese - wenn nicht in Lettisch - dann meist in Englisch veranstaltet werden, und sogar deutschsprachige Dokumentationen dazu fehlen: in Deutschland wird so niemand der unbeteiligt war diese Diskussionen in Lettland nachvollziehen können.

Etwas peinlich berührt könnten Deutsche vielleicht regieren, wenn sie all die Letten sehen würden, die ihr Deutsch von den billigen Fernsehserien lernen, die in Lettland lediglich eingesprochen oder mit lettischen Untertiteln gesendet werden (und dann alle angeblich "deutschen" Kanäle aufzählen, aber ARD und ZDF nicht kennen ...). Mir persönlich fehlt bei der ganzen Diskussion ein wenig mehr lettisches Selbstbewußtsein: ja, will denn gar keine ein wenig mehr Kenntnis über lettische Kultur, Mentalität, Geschichte und Politik in die übrige Welt tragen helfen? Aus dem Lettischen in anderen Sprachem kommunizieren können? Es müssen ja nicht gleich alle Übersetzer/innen werden (so viel Sprachtalent hat nicht jeder). Aber es gibt so etwas wie "sich selbst erfüllende Prophezeihungen" - wer für sich selbst nur die Rolle des dienenden, sich anderen unterordnenden, oder irgendwo zur Assimilation vorgesehen Menschen sieht - es könnte sich verwirklichen. Warum können etwas mehr Deutschkenntnisse nicht dazu beitragen, Deutsche und Deutschland zunächst mal etwas besser zu verstehen (und nicht immer nur von Schröder, Merkel und Putin daherzuschwadronieren - alle drei negativ natürlich ...)? Die 200 Wortmeldungen bei DELFI jedenfalls zeigen die Einseitigkeit der Thematik: die Nützlichkeit von Sprachkenntissen generell wird von niemandem bestritten. Viele legen sich aber offenbar, bevor sie damit anfangen, ein fest gezurrtes Weltbild zurecht, das nur noch wenige positive Überraschungen zuläßt. Wird Zusammenarbeit und Austausch zwischen Menschen heute nur noch virtuell gesehen? Lieber 500 Facebook-Freunde in Deutschland, die meine englischen Bruchstücke verstehen, als reale Kommunikation unter Freunden? Schade. Oder liegt der Sinn von "Freunden in Deutschland" allein darin, Letten günstige Gebrauchtwagen (in den 90er Jahren Wunsch Nummer 1) oder Arbeitsplätze in Deutschland (auf Kosten eigener Arbeitslosigkeit?) zu beschaffen? - Aber vielleicht bleibt es ja der gerade begonnen Veranstaltungsreihe vorbehalten, daran ein wenig zu ändern.

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