6. September 2012

Russischer Stil: zahlen und schweigen

"Lettische Banken werden zu Magneten für russische Auslandsgelder" titelten kürzlich deutschsprachige Zeitung wie DIE WELT und NZZ(beide unter Bezug auf die Finanzdatenagentur Bloomberg). Wie sieht es im Detail aus mit Aktivitäten von Geschäftsleuten aus Russland in Lettland? Auch die Zeitschrift "IR" brachte einen Bericht. Dort werden unter anderem lettische Bankangestellte zitiert, die von Kunden aus Russland berichten. Kunden aus Russland würden große Summen Geld in Lettland einzahlen unter der Bedingung, dass die Bank in gar keinem Fall mit ihnen direkt, weder telefonisch noch per Email, in Kontakt trete. Typische Reaktionen auf russische Geschäftstätigkeit in Lettland sind Aussagen in lettischen Internetforen ähnlich wie diese: "mit jedem an Russland verkauften Unternehmen verlieren wir ein Stück unserer Unabhängigkeit."
Unterdessen gibt es aber auch Russen, die einfach die seit 2009 gültige Regelung wahrnehmen wollen, die ab einer bestimmten Investitionssumme den Investoren eine Aufenthaltsgenehmigung in Lettland zusagt. Gerne wird auf dem Immobilienmarkt investiert. In Ruhe in Lettland die Zeit verbringen mit der Familie, zum Beispiel in traditionell bei Russen beliebten Orten wie Jurmala - auch das kann ein Ziel sein.

Lettland: für russische Investoren ein Land des Lächelns -
oder nur Ort für strategisch "geparkte" Gelder?
Als Beispiel russischer Geschäftstätigkeit in Lettland könnte Multimillionär Andrejs Beshmeļņicki* gelten. Er vereinigte die beiden lettischen Firmen " Rigas Piena kombināts" und "Valmieras piens" in seinem Konzern "Food Union". In der lettischen Presse wird bereits darüber spekuliert, ob er nicht in ein paar Jahren alles zusammen für gutes Geld einem internationalen Konzern wie "Danone" verkaufen wird.
Beshmeļņicki gehört zu der Gruppe Russen, die in Lettland ganz öffentlich auftreten. "Mir und meiner Familie gefällt es hier", sagt er, "und wir verbringen auch ziemlich viel Zeit in Lettland." (Zitat nach "IR")

Allein in den Jahren 2009 bis 2012, nach Einführung von entsprechenden Steuererleichterungen in Lettland für Investoren, soll sich die Zahl der wegen Investitionen nach Lettland eingereisten Russen vervierfacht haben (179 im Jahr 2009, 806 im Jahr 2011). Dennoch gehen Schätzungen weit darüber hinaus, denn viele legen wenig Wert darauf, dass Herkunft der Finanzen und Personen ganz öffentlich werden - und registrieren die Unternehmen, die in Lettland tätig werden, beispielsweise in Zypern.

Unternehmer wie Beshmeļņicki schätzen an Lettland, dass es einerseits den Einstieg in die Europäische Union und den Europäischen Markt bietet, andererseits auch russisch gesprochen wird.

Ex-Qualitätsmarke mit unklarem
Gegenwartswert: "Triāls"
Sergejs Čerņins*, Inhaber der SIA "GasInvest", steht angeblich kurz vor dem Kauf von "Triāls", dem ehemaligen Fleischkombinat von Valmiera, einem der bisher größten Produzenten von Fleisch- un d Wurstwaren in Lettland ("IR"). Die 1926 gegründete "Triāls" hatte zuletzt 2009 Steuerschulden von über 1.5 Mill. Lat nicht zahlen können und war geschlossen worden, 200 Angestellte wurden arbeitslos, die Firma ging in das Eigentum von "Latektus", einer Tochter der SEB Bank, über. Geklagt wurde damals auch über das Diktat der Supermarkt-Ketten, die niedrige Preise verlangten, oder andernfalls die Waren aus den Regalen nehmen würden.
Um heute nun solches Kaufinteresse an Firmeneigentum und Gelände zu begründen, reicht es offenbar, in Lettland eine "SIA" - ähnlich einer deutschen "Gesellschaft mit beschränkter Haftung" - zu bilden. Wie die Recherchen der Zeitschrift "IR" ergaben, ist der Eigentümer der "GasInvest" identisch mit dem Eigentümer der russischen "GazEnergoStroi", die bisher an Projekten im Bereich der Energiewirtschaft in Russland, Ost- und Westeuropa beteiligt war.



Schwierigkeiten wie in Russland werden Firmen wie "GasInvest" in Lettland wohl nicht zu erwarten haben: in der Olympiastadt Sochi gab es Proteste gegen den Bau einer vom Mutterkonzern "GazEnergoStroi" beantragten Anlage die darin mündeten, dass Farbe und Zement in Baufahrzeuge und Fahrerkabinen geschüttet wurden. Wütende Bürger, oder neidische Konkurrenz? Oder erneut ein Problem der Nachwirkungen des brutalen Umgangs mit Minderheiten und ethnischen Gruppen in der (Sowjet-)-russischen Vergangenheit? (siehe Beitrag Deutschlandradio vom 10.8.). Im Agrarbereich gibt es Projekte zum Bau von Biogasanlagen der selben Firma, auch mit deutschen Partnern. Einige der Projekte von "GazEnergoStroi" in Russland stehen offensichtlich unter der Protektion des russischen Präsidenten.

Noch nicht ganz klar scheint aber zu sein, ob in Valmiera tatsächlich die bisherige "Triāls"-Produktion wieder aufgenommen wird, oder nur das 12ha große Gelände den russischen Investoren für andere Projekte zur Verfügung gestellt wird (siehe Dienas Bizness). Jānis Baiks vom Stadtrat Valmiera glaubt, die Russen würden sich noch gut an den Räucherschinken aus Valmiera erinnern, und in der Zukunft vor allem Waren nach Russland importieren wollen (siehe "Kas Jauns"). Ob das Projekt sich als Auffrischung der lettischen Lebensmittelindustrie, oder die Immobilie sich nur als Spekulationsobjekt erweisen wird, muss die Zukunft zeigen.

Das manche Ängste vor allzu großem russischen Einfluß auch unbegründet sind, zeigt ein Blick auf die Statistiken von Geschäftsgründungen kleiner Firmen (SIA, siehe oben), die mit Investitionssummen ab 2000 Lat Grundkapital eröffnet werden können. Von 1714 ausländischen Staatsbürgern, die in den vergangenen 2 Jahren an solchen Firmengründungen beteiligt waren, sind 447 Russen. Andere häufig genannte Herkunftsstaaten sind Litauen (323 mal) und Weißrussland (160mal). Kann man also daraus schließen, dass vielen Investitionen kleine Investitionssummen gegenüberstehen? Wie der Fall "GasInvest" zeigt, gelten die SIA's oft auch als Basis für weitere Operationen.
Was mir persönlich bei allen Statistiken in Bezug auf Russlands angeblichen oder tatsächlichen Einfluß fehlt ist eine Gegenüberstellung mit vergleichbaren Aktivitäten anderer internationaler Konzerne. Denn schließlich gilt "Geschäft ist Geschäft", und finanzielle Abhängigkeit oder Unabhängigkeit berechnet sich nicht nach dem Maßstab gefühlter Aversionen.

* = russische Namen werden hier in lettischer Schreibweise wiedergegeben

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