"Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist" schrieb einst Berthold Brecht ("An die Nachgeborenen"). Vielleicht denken die lettischen Naturfreunde momentan ähnlich: 100 Jahre, gut und schön - aber ein Gespräch über Bäume muss möglich sein. "Was hat Ihrer Meinung nach den größten Wert in der lettischen Natur!" fragte der World Wildlife Fund Lettland ("Pasaules dabas fonds") und erntete von Dreiviertel aller Letten die Antwort: der Wald!
Umfrageergebnisse des WWF Lettland: Wald und Küste wichtig für Lettinnen und Letten |
Es ist nicht die einzige Initiative zum Schutz von Bäumen. Jegliche Waldarbeit möchte eine weitere Initiative für die Zeit der Vogelbrut unterbrochen haben, die auf dem Portal "Mana balss" ("Meine Stimme") um Unterstützung wirbt - über 5000 Menschen haben schon unterschrieben.
Aber auch im offiziellen Programm "Lettland 100" fehlen Bäume nicht. Dazu ist wichtig zu wissen, was "dižkoki" sind - den Begriff einfach mit "große, alte Bäume" zu übersetzen, wäre fast untertrieben, gemessen an der Verehrung die viele Lettinnen und Letten gegenüber prachtvollen Baumexemplaren haben. Dem entsprechend ist auch die Wortschöpfung "dizošana" eine Erläuterung wert: hier sollen die Teilnehmer/innen durch ein Fragespiel herausfinden, welchem Baum sie am ähnlichsten sind - um diesen dann auch in der freien Natur zu besuchen.
In diesem Zusammenhang ist es erstaunlich, dass in Lettland für jede Baumart genaue Kriterien gelten, ab welchem Stammdurchmesser ein Baum als "dižkoks" gelten kann: sind beim Wacholder nur 0,8m nötig, so muß eine Kiefer schon 2,5m Durchmesser haben, eine Eiche 4m und eine Pappel sogar 5m, um in diese besondere Kathegorie aufgenommen zu werden. Etwa 4000 solcher besonderen Bäume sind in Lettland bereits offiziell als Naturdenkmäler registriert worden - eine exakte Liste findet sich zum Beispiel im lettischen Wikipedia, bei der Naturschutzverwaltung, bei der Lettischen Stiftung zum Schutz des Naturerbes, oder bei Guntis Eniņš, dem besten Baumkenner Lettlands. Eniņš setzte sich bereits zu Sowjetzeiten für den Erhalt und Schutz alter Bäume ein und schaffte es, 900 alte Bäume selbst zu erfassen und registrieren zu lassen. So manche lettische Gemeinde wirbt auch touristisch mit ihrem Bestand an Baumriesen - wenn auch manchmal nur im lettischsprachigen Teil der Touristinfo. Beispiele: Ādaži, Alūksne, Jaunpils, Jēkabpils, Kandava, Liepāja, Mārupe, Talsi, und sicher noch viele weitere.
Die lettischen Naturfreunde - es gibt sie also noch. Zwar sind die großen Zeiten der lettischen Umweltschutzbewegung offenbar vergangen - aber ein naturnahes Leben ist für die meisten Lettinnen und Letten auch heute noch ein erstrebenswertes Ziel. Bleibt zu hoffen, dass auch in Zeiten der groß angelegten, auf bloße Geldvermehrung angelegten Ressourcenausbeutung die Naturwerte Lettlands nicht mit zerstört werden.
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