4. September 2017

Sturm über Neubad - eine lettische Legende

Bildquelle: zudusilatvija.lv
Eine der schlimmsten Schiffskatastrophen Lettlands ereignete sich am 9. September 1926, als nördlich der Daugavamündung der Passagierdampfer "Neubad" (Neibāde) sank. Das Schiff war trotz einer Sturmwarnung gestartet, damals gab es eine Schiffsverbindung zwischen Riga und Ainaži. Solche Schiffsverbindungen gab es zu dieser Zeit viele - denn die Straßenverbindungen damals waren schlecht.

Auf der ("Neubad") befanden sich zum Zeitpunkt des Unglücks 39 Passagiere, dazu 11 Personen Schiffspersonal und eine Ladung von 45 Tonnen (allerdings schwanken die Passagierzahlen und Anzahl der Geretteten je nach Quelle).
Lettisch Chronisten wissen außerdem zu berichten, dass an Bord der Steuermann Mārtiņš Erdmanis war, dazu zwei Maschinisten, Heizer und vier Matrosen (siehe Tvnet). Morgens um sieben Uhr hatte das Schiff Riga verlassen, mit ungefähr 30 Passagieren an Bord. In Vecmīlgrāvis stiegen 8 zu. Als das Schiff den Leuchtturm von Daugavgrīva passiert hatte, nahmen die Windböen zu.Der Kapitän versuchte noch, das Schiff wenden zu lassen und auf eine Sandbank zu setzen - aber zu spät. Nicht weit von dem Ort Vecāķi sank die "Neubad" sehr schnell - innerhalb von nur 15 Minuten, wie zwei Fischer vom Strand aus beobachteten. Der Schlepper "Canders" versuchte noch Menschen zu retten, aber konnte nicht so nahe an die Küste heranfahren, und war auch erst zwei Stunden später vor Ort. Einige Menschen konnten zunächst Sandbänke vor der Küste erreichen, wo sie allerdings, übermüdet und entkräftet, wieder von Wellen überspült wurden.

Bildquelle: nekropole.info
Als dann die erste Leiche am Strand gefunden wurde - die 39 Jahre alte Marta Kraukle - versuchten Fischer zusammen mit einigen Polizisten sie wiederzubeleben, leider erfolglos. Ärzte befanden sich keine vor Ort und mussten erst aus Riga gerufen werden, und die Rettungsstation in Vecāķi war zu dieser Zeit wegen Finanzierungsproblemen nicht in Betrieb. Bis zum Abend wurden bereits 25 Leichen angespült, darunter auch der Steuermann Mārtiņš Erdmanis.

Die Ursachen des raschen Untergangs wurden nie ganz geklärt. Eine Untersuchungskommission meinte zunächst, auf der rechten Seite des Schiffes hätten Bullaugen offen gestanden - als das Wrack jedoch 12 Jahre später gehoben wurde, fand man diese allesamt geschlossen. Wahrscheinlicher ist, dass technische Mängel und menschliche Unachtsamkeit die Ursachen waren.
Das Schiff hatte unter dem erfahrenen Kapitän Gustavs Lielkalns im Sommer 1926 schon vorher viele Fahrten ohne Probleme absolviert. Der Dampfer betrieb die Schiffsverbindung zwischen Rīga und Ainaži, weitere Haltepunkte auf diesem Weg waren Vecmīlgrāvis, Pabaži, Saulkrasti (das damals noch deutsch "Neubad" hieß), Skulte, Dunte, Liepupe, Vitrupe und Salacgrīva. Solche Schiffsverbindungen gab es damals zwischen April und September täglich - an der Mündung des Ķīšupe, nördlich Saulkrasti, war eigens dafür ein Anleger errichtet worden. 

Das Schiff befand sich damals im Eigentum der Schifffahrts-AG "Kaija" ("Möve"). 1908 war es auf der Rigaer Werft der "Lange & Sohn" gebaut worden, eine Werft die 1870 noch unter dem Namen "A. Lange & J. Skuye" gegründet wurde und wo bis 1912 ganze 232 Schiffe gebaut wurden (zudusilatvija)! "Neubad" hatte 95,3 BRT, war 24,5 m lang, hatte einen Tiefgang von 2,60m und war bis zum 1.Weltkrieg im Besitz von Baron Pistohlkors, dem auch das in der Nähe von "Neubad" liegende Gut Koltzen (heute: Schloß Bīriņi) gehörte, und der viel in die Entwicklung des damaligen Kurortes investierte.

Kapitän Lielkalns überlebte übrigens das Unglück - er war schon sehr schnell ins Wasser gesprungen (oder über Bord gespült) und konnte sich an Land retten. Insgesamt waren es acht Überlebende: Jānis Lielkalns, der Bruder des Kapitäns, sowie weitere zwei Männer und vier Frauen. Eine dieser Frauen belastete den Kapitän - er habe sehr schnell das Schiff verlassen. Lielkalns wurde zunächst festgenommen, denn auch die Beladung des Schiffes hatte er nicht überwacht. Er wurde zu Geldzahlungen an die Hinterbliebenen verurteilt, aber das Urteil brauchte lange um durch alle Instanzen bestätigt zu werden. Lielkalns fuhr inzwischen wieder zur See und steuerte 1929 die "Laima", die auf See spurlos verschwand.
Bis 1936 waren Spenden gesammelt worden zur Errichtung eines Denkmals am Strand von Vecāķi - allerdings reichten die bis dahin gesammlten 800 Lat nicht aus, und so wurde das Geld einem Anwalt übergeben, der es der lettischen Seefahrtsschule zu Gute kommen lassen sollte.
(Infoquellen: Valdis Bērziņš / Tvnet, Zudusilatvija, / nekropole / Latvijas Avize)

Heute kennen noch viele das Lied vom "Schiff Neubade", singen und tanzen fröhlich danach - der angeblich geschmuggelte "schwedische Schnaps", den die damals in den USA lebenden Exil-Musiker der "Chicago Fünf" hinzufügten als sie sich einen Text ausdachten, ist wohl eine weitere Versuch der Verschönerung dieser Legende  (Quelle: dziesmas.lv, oder "Čikāgas piecīši", nach einer Melodie von Woody Guthrie, Text Ilmārs Dzenis)

Kuģis Neibāde (Das Schiff Neubad)
Vai tev atmiņā vēl mazais kuģis Neibāde, (erinnerst du dich an das kleine Schiff Neubad?)
Kas no Rīgas uz Saulkrastiem reiz bij satiksmē? (das einst von Riga nach Saulkrasti verkehrte?)
Būvēts gadsimtu Rīgā un ūdenī laists, (gebaut in Riga und zu Wasser gelassen)
Tas spītēja vējiem, tas bija jauns un skaists! (es trotzte dem Wind, es war jung und schön!)


Piedz. (Refrain)
Vai tu atceries vēl, (erinnerst du dich noch?)
Vai tu atceries vēl kuģi Neibāde, (erinnerst du noch das Schiff Neubad)
Baltijas viļņus kas šķeļ ? (welches die Wellen des Baltikums zerteilte?)


Brauca lielkungi, baroni, rēderi ar,  (es fuhren Herren, Barone, auch Reeder)
Brauca zemnieki, kalpi un rokpeļņu bari, (es fuhren Bauern, Diener, viele Tagelöhner)
Lai vai kā kuro reizi, das vedams nu bij’, (was auch immer jedes Mal mitgeführt wurde)
Reiz siļķes, reiz milti, reiz kokvilnas dzijas. (mal Heringe, mal Mehl, mal Baumwollgarn)


Ilgus gadus tas dienēja - lietus vai sniegs, (lange Jahre diente es - im Regen oder Schnee)
Bija apkalpes lepnums un kapteiņa prieks. (zum Stolz der Bediensteten, zur Freude des Kapitäns)
Cauri vētrām to vadīja zvaigznes, kas mirdz, (durch die Stürme leiteten die Sterne, die strahlten)
Bija mājvieta tiem, kam pēc jūras alkst sirds. (es war ein Zuhause denen das Herz für das Meer schlug)


Kādā rudeņa naktī bij septembris spriegs, (In einer intensiven Herbstnacht war September)
Kuģī Neibādē lādēts bij Zviedrijas spirts. (hatte Neubad schwedischen Schnaps geladen)
Lūkas aizmirstas, atstātas vaļā tās bij’, (die Luken wurden vergessen, standen offen)
Viļņi augsti un ūdens drīz iekšā tur lij’. (die Wellen schlugen hoch, und das Wasser dran bald ein)


Spēji sasvērās kuģis un sāka tas grimt, (das schwere Schiff begann zu sinken)
Visur kliedzieni, panika nestāja rimt. (überall Schreie, die Panik verging nicht)
Nedaudz mirkļu un ūdeņu dziļu tas ņemts, (einige Augenblicke und das tiefe Wasser nimmt es)
Tikai retam šai naktī bij izglābties lemts.  (nur selten in dieser Nacht wurde Rettung beschlossen)


Ļaudis gaidīja ostā, kad kuģis reiz brauks. (So warten die Menschen im Hafen, wann das Schiff fährt)
Velti raudzījās tālē gan radinieks, gan draugs, (Umsonst weint in der Ferne der Verwandte, der Freund)
Tikai pelēkie viļņi un vējš brāzieniem (nur die grauen Wellen und die Windstöße)
Likās stāstām par Neibādes likteni tiem.  (konnten ihnen vom Schicksal Neubads erzählen)

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