Welches ist der bekannteste lettische Architekt? Der Gast in Riga wird da vielleicht nur an den Jugendstil denken, mit Michail Eisenstein an der Spitze, auch weitere lettische Architekten. Aber darüber hinaus? Die neue lettische Nationalbibliothek hat zumindest einen weiteren Namen aus dieser Branche ins Bewußtsein der lettischen Öffentlichkeit fest eingraviert.
Als 18jähriger war Gunārs Gunivaldis Birkerts zunächst als Zwangsarbeiter nach Deutschland gelangt. Nach dem Krieg wurde er heimatlos, denn die Sowjetunion hatte das vorher unabhängige Lettland besetzt. Dennoch zeigte sich Birkerts bald als ziemlich zielstrebiger junger Mann: er studierte an der Technischen Hochschule Stuttgart, siedelte nach dem Schulabschluß 1949 in die USA über, heiratete 1950 und arbeitete in den Architekturbüros von "Perkins and Will", "Eero Saarinen" und "Minoru Yamasaki". 1959 begann er Vorlesungen an der Univerität Michigan zu besuchen, 1962 gründete er in Detroit sein eigenes Büro (bis 1962 als "Birkerts & Straub", dann "Gunnar Birkerts and Associates").
"Gerade Linien sehen immer sehr menschengemacht aus" zitiert ihn "Chicago Tribune", "wenn ich mit bewegenden Formen arbeiten kann, dann kann ich die Natur des Gebäudes ausdrücken." Auch einige seiner wichtigsten Werke stehen in den USA: die Minneapolis Federal Reserve Bank, fertigestellt 1973, die Bibliothek der Universität von Michigan (1981), der Rundbau der
oder das "Kemper Museum für Moderne Kunst" in Kansas City und das Museum für Moderne Kunst in Houston. Das Bauhaus habe er studiert in Deutschland, sich dann inspirieren lassen von Alvar Aalto und Eero Saarinen, um dann seinen eigenen Stil zu finden, sagen Fachleute. 1962 hatte Birkerts eine Reise nach Finnland unternommen. Auch mit dem Werk des Antrophosophen Rudolf Steiner hat sich Birkerts anfangs auseinandergesetzt. Faszinierend an vielen Bauten von Birkerts ist nicht nur die äussere Form, sondern auch die Lichtwirkung innen. Er wollte Tageslicht so weit wie möglich nach innen bringen, arbeitete auch mit Reflektoren und Oberlichtern, auch mit dem Ziel eines effektiven Einsatzes von Energie. Seine Handskizzen erinnerten manchen an organische Strukturen wie z.B. Blattrippen; der Weg führte weg von der Geometrie, es
entstehen Gebäude und Details mit gerundeten,
geschwungenen und vielfach segmentierten Grundrissen.
Aber die Nationalbibliothek Lettlands in Riga, auch Schloss des Lichts ("Gaismas pils") genannt, war immer ein Projekt, das Birkerts besonders am Herzen lag. Von der ersten Idee bis zum fertigen Gebäude vergingen ganze 25 Jahre. Es gelang ihm seinen Traum von der hier schlafenden Prinzessin als Symbol der Freiheit, die hier wachgeküsst wird (nach dem Märchen "Das goldene Pferd" von Rainis) Gestalt werden zu lassen. So wird auch in den lettischsprachigen Nachrufen betont, Birkerts sei auch beeinflusst gewesen von seinen Eltern - einer Sprachwissenschaftlerin und einem Kulturwissenschaftler. Birkerts spielte in seiner Jugend Geige und Klavier und sang in einem Chor - das Klavier, auf dem er in seiner Jugend spielte, ist heute im 11.Stock der Nationalbibliothek ausgestellt. Als Kind stattete er zusammen mit seiner Mutter auch Ranis Besuche ab: "Vor Aspazija fürchtete ich mich ein wenig, sie war eher nervös, aber bei Rainis saß ich auf dem Schoß und bestaunte die Welt," zitiert die Tageszeitung "Diena" Aussagen des Architekten.
Erst kürzlich hatte Birkerts den "Library Building Award" der US-amerikanischen Architektenkammer verliehen bekommen. In Lettland bekam er 1995 den "Drei-Sterne-Orden" (Triju Zvaigžņu ordenis) für sein Lebenswerk. Über 300 Gebäude sind nach Birkerts Plänen projektiert und errichtet worden.
Gunārs Birkerts starb am 15. August 2017 in Boston, USA, wo er nahe seinen Söhnen und Enkeln zuletzt lebte. Er hinterlässt seine Frau Sylvia (geborene Zvirbulis), drei Kinder (Sven, Erik und Andra) und sieben Enkel.
Siehe auch:
Chicago Tribune, New York Times,USAToday, Washington Post, Artforum, Michigan Modern, Swiss Architekts
Gunnar Birkerts: National Library of Latvia. Axel Menges Verlag, Stuttgart 2015.
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