"Alles normal verlaufen" - könnte man sagen, nachdem der aufwendig abgesperrte NATO-Summit in Riga schon wieder vorüber ist. Keine Unruhen, keine Eier- oder Tomatenwerfer, keine gewalttätigen Tumulte auf Rigas Straßen, keine plakativen Aktionisten. Wenn da nicht die Gerüchte um Russlands Präsident Putin gewesen wären. Ein neues Wort für die versammelte Auslandspresse, die in Riga versuchte Näheres zu erfahren: "Tikai baumas" - alles nur Gerüchte. Dennoch ein Lehrstück.
Wer hatte ein Interesse, überhaupt die russischen Interessen in Riga zur Sprache zu bringen? Ein offizielles NATO-Russland-Treffen war auf einen späteren Zeitpunkt verschoben worden. Da veröffentlichten am 28.11. spät abends russische Zeitungen erste Thesen über einen "spontanen Besuch" Putins auf dem Gipfel. In der Basler Zeitung war zu lesen, Chirac habe schon während des Besuchs in Estland, am Tag vor dem NATO-Treffen, mit Putin telefoniert. Nun gut. Russland-Aktuell machte daraus eine Schlagzeile "Putin überrascht Riga mit einem Besuch" - vielleicht zu fortgeschrittener Stunde geschrieben. Die Geschichte setzte sich aber noch bis nach Mitternacht fort, die meisten Journalisten gehen da vielleicht ins Bett - wenn sie nicht im unbekannten Ausland von wichtigen Gipfeltreffen alpträumen müssen. Die selbsternannten Yellow-Nato-Press-Experten von Russland aktuell garnierten die Schlagzeile noch etwas weiter: "Putin will uns nur den Gipfel stehlen“, so etwas schob man US-Amerikanern als angebliche Zitate in den Mund. Haben wir im Westen die Schlagzeilen verpasst? Nein, keineswegs - wozu gibt es Online-Medien. Da lässt sich am laufenden Band schreiben und wieder streichen, was am nächsten Tag wahrhaft "Schnee" von gestern ist.
DIE WELT schreibt plötzlich: "Putin will sich einschleichen!" Hier wird plötzlich fabuliert, Staatspräsidentin Vike-Freiberga (wirklich eine viel beschäftigte Frau dieser Tage!) habe ANGST mit diesen beiden Männern allein essen gehen zu müssen (Chirac und Putin). Na, wenn die WELT es schreibt - da zieht doch BERLIN ONLINE noch mit einer Glosse nach. Seine angeblichen spontanen Besuchpläne werden hier gar als "teuflische Idee" hochstilisiert, und nun wird auch über Jacques Chiracs Befinden spekuliert: angeblich hasse der es, überhaupt auf sein Alter angesprochen zu werden. Auch die lettische Presse - sicher ein dankbarer Partner, wenn es um wilde Spekulationen um das russische Innenleben geht - griff das Thema inzwischen ebenfalls auf. "Putin könnte in Riga auftauchen" - pointiert DIENA den schönen Spruch aus dem "Kalten Krieg", dass die Russen eben doch bereits vor der Tür stehen. "Putin und Chirac könnten den Gipfel kaputt machen", dramatisiert TVNET. Bei LETA dagegen klingt es doch wieder recht vage: "Putin hofft Chirac zum Geburtstag gratulieren zu können." Ich kann es mir so richtig vorstellen: Gemeinsam fragt die versammelte Journalistenmeute bei allen verfügbaren Pressesprechern an: wird er, soll er, darf er - oder kommt er gar heimlich? Chiracs Büro wehrt sich nicht gegen den Ansturm. Das Putin gern gratulieren möchte, wird bestätigt. Das Büro Vike-Freibergas sieht sich schließlich genötigt zu erklären, natürlich könne man eine entsprechende Feier organisieren - wenn dies gewünscht werde, und natürlich wenn überhaupt Zeit im dicht gedrängten Kalender bliebe.
Bis DIENA (in der kürzlich erst geschaffenen Online-Ausgabe des Blattes) von einer russischen Agentur erfährt: Putin kommt nicht! Manche wollen das Ende dieser Schaumschlägerei erst am anderen Morgen bemerkt haben. Da war Staatspräsidentin Vike-Freiberga schon auf dem Weg, Chirac vor Beginn der morgentlichen NATO-Treffen offiziell eine üppig ausgestattete Torte zu überreichen (ob Chirac überhaupt gerne Kuchen ist - darüber wurde leider gar nichts geschrieben...). Nun ist die Zeit zum Erbsenzählen. "Chirac muss ohne Putin feiern", verkündet nun RUSSLAND.RU, nicht ohne genüßlich die Konkurrenz zu zitieren, die anderes geschrieben hatte. REUTERS verkündet am 29.11. um 7.32 Uhr offiziell: "Putin wird nicht kommen." Nun zitieren TVNET und LETA wiederum Chirac mit den Worten, er sei niemals Initiator oder Organisator solcher Pläne gewesen. Das wirkt dann schon fast wieder presse- technisch interessant:
Kann man ihm das glauben? Der russische Botschafter in Lettland, Viktors Kaļužnijs, verweigert in der lettischen Morgensendung "900 Sekunden" im TV leider wieder jeden Kommentar - schade eigentlich. Statt dessen treibt die lettische Presse aber Dmitrijs Peskovs auf, ein stellvertretender Pressesprecher, angeblich der des russischen Präsidenten, der gegenüber der russischen Agentur ITAR-TASS angeblich bestätigt habe, das es mal Pläne zu einem Geburtstagsbesuch Putins gegeben habe ... Ach, wie schön, wieviel doch auf der Welt so geschrieben wird, und wie langweilig es doch manchmal sein mag, wenn so viele Journalisten an ein und denselben Ort geschickt werden.
Das schönste war vielleicht das Ende dieser Geschichte. Auf der offiziellen Infoseite des NATO-Summits ist ein Video der Pressekonferenz von Präsidentin Vike-Freiberga nach Ende des Gipfels herunterzuladen. Gefragt, warum das Geburtstagstreffen mit Putin nicht stattgefunden habe, ob sie selbst etwa etwas dagegen gehabt habe, antwortet VVF souverän: "Ach wissen Sie, nächstes Frühjahr wird es einen ganzen Monat mit französischer Kultur hier in Riga geben, und Jacques ist einer der größten Unterstützer. Was Gäste angeht: außer den 25 Regierungschefs jetzt im Moment hatten wir in diesem Jahr schon drei Königinnen zu Gast, Besuche der Präsidenten von Aserbeidjan, Kasachstan, nächstes Jahr steht Besuch aus Japan an, - ich selbst bin eine sehr gastfreundliche Person, seien Sie dessen versichert, und wir werden niemanden einen Besuch verweigern. " Na denn - nur Mut, Vladimir - vielleicht nimmst Du Gerhard S. mal mit nach Riga, und hast noch einen Aufsichtsratsposten für Jacques C. bereit - es stehen in Frankreich bald Präsidentschaftswahlen an!
1 Kommentar:
Schöne Geschichte!
Aber die staatlich kontrollierten russischen Medien waren es offensichtlich nicht zufrieden: noch gestern abend schrieben sie (Novosti, http://de.rian.ru/world/20061129/56194355.html), Chirac habe sich für eine Festigung der Russland-NATO-Beziehungen eingsetzt. Gut - die anderen NATO-Mitglieder etwa nicht? Bei Novosti klingt es pointierter: Chirac spricht sich gegen die USA aus.
Uneinigkeit war nun wirklich nicht Charakteristik des Gipfels von Riga - auch wenn es manche gern so gehabt hätten. NATO-Russland Beziehungen verbessern: Jederzeit! Nur die Frage, wer hierfür die Rahmenbedingungen gerne diktieren möchte.
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