16. November 2006

Nur Gesundes für die Schulen

Eigentlich haben Schulen in Lettland eine Vielzahl von Problemen: Finanzierungsschwierigkeiten sowieso, kleine Landschulen müssen oft um ihre Weiterexistenz bangen. Lehrer/innen sind meist unterbezahlt oder fehlen ganz. Aber lettische Schulen machen momentan mit etwas ganz anderes Schlagzeilen: dem sogenannten "Cola-Verbot". Seit dem 1.November 2006 gelten neue Gesetzesbestimmungen in Lettland, welche Waren in Schulen an Schülerinnen und Schüler verkauft werden dürfen. Und nicht nur das: Lettische Bildungspolitiker/innen hoffen, dass nach der Ausweitung von Nichtraucherzonen, dem Verbot der Tabakwerbung, und weitgehenden EU-Kampagnen gegen Drogenkonsum auch gesunde Waren an vorbildlichen Schulen ein EU-weites Beispiel sein könnten.

Bereits seit Anfang 2006 war das Thema des "Cola-Verbots" in den lettischen Medien präsent. Keine Geringere als Madleine Albright meldet sich - gleich mal bei der lettischen Präsidentin - um angebliche Benachteiligungen von US-Firmen in Lettland zu beanstanden (NRA 21.7.2006). 

Solche Diskussionen erscheinen schwierig - gerade weil ja ein Land wie Lettland als besonders US-freundlich gilt. 75 Millionen US-Dollar habe Coca Cola in Lettland investiert. Die damalige und auch gegenwärtige Gesundheitsministerin Baiba Rivža wird mit erstaunlichen Thesen zitiert: "An unseren Schulen sollten mehr Salate zu finden sein, natürliche Säfte, frische Produkte - die geben einfach mehr Energie!" Nur eine Woche später, Ende Juli 2006, erscheinen in den lettischen Medien wiederum zusammenfassende Darstellungen der laufenden Diskussion (NRA /TVNet 27.7.06). 

Inzwischen befanden sich eine Vielzahl US-diplomatischer Stellen "im Dialog mit dem lettischen Gesundheitsministerium". Raimonds Made, oberster Coca-Cola-Repräsentant in Lettland, äusserte sich besorgt: "Das geplante Verbot schürt in der Bevölkerung unnötige Ängste vor völlig sicher zu konsumierenden Produkten." Gleichzeitig gab er aber zu, dass seine Firma ja nicht ausschließlich mit dem bekannten braunen Süßgetränk handele, sondern firmeneigene Automaten an den Schulen wohl auch mit Säften, Eistee und Mineralwasser bestücken könne. Inzwischen hatten Journalisten ausgerechnet, dass Lettland 1075 Schulen habe, davon 1033 auf denen Kinder zu finden sind, die jünger als 12 Jahre sind (auf die das geplante Gesetz also zuträfe). Einen Monat später haben auch internationale Medien das Thema entdeckt. "Lettland verbietet Junkfood", heisst es im österreichischen "Standard" am 23.August 2006, wahrscheinlich gestützt auf eine DPA-Meldung vom Vortag. Gleichzeitig werden Befürchtungen der Genußmittelindustrie erwähnt, die einen EU-weiten Präzidenzfall befürchten. Am 6.Sepetmber schreibt Hannes Gammillscheg bei "FR-Online": "Lettische Schüler sollen künftig weniger Cola schlürfen, Chips knabbern und Kaugummi kauen." Gamillscheg meinte damals aber auch (der Beitrag wurde inzwischen von der FR aus dem Onlline-Angebot herausgenommen): "Damit dreht die Regierung die Entwicklung um fünfzehn Jahre zurück." Schließlich sei ja zu Zeiten des Endes der Sowjetunion auch nicht viel in den Läden zu kaufen gewesen - aber Gamillscheg befand die Waren damals noch für schmackhaft und lecker. Inzwischen sieht er in Lettland multinationale Konzerne sich vor-drängen - die heimisch-lettisches ver-drängen. 

Was aber stand also der Umsetzung der neuen Gesetzgebung noch im Wege? Eigentlich nur die Parlamentswahlen Anfang Oktober, denn im unabhängigen Lettland hatte bisher noch nie eine amtierende Regierung einen Wahlgang "überlebt". Nicht so 2006 - die neue zuständige Ministerin ist auch die "alte". Am 27.Oktober schließlich veröffentlicht LETA die genauen Ausführungsbestimmungen des Gesetzes. Nicht mehr zugelassen sind demnach in den Kantinen und Kiosken der Kindergärten und Schulen auch Produkte mit künstlichen Zusatzstoffen, Konservierungstoffen oder Coffeinen. Geschrieben wird in Lettland selbst meinst über die verbotenen "čipsi" - aber auch Kvass ist vom Verbot betroffen. Gleichzeitig hat inzwischen eine Kampagne der lettischen Milchverarbeiter begonnen, die Automaten mit kostenlos erhätlicher Milch an lettischen Schulen aufstellen. "Schon 600 schulische Einrichtungen haben sich diesem Programm angeschlossen," schreibt die Firma "Valmieras piens" schon am 15.August. Seit dem 1.November ist die neue Bestimmung für lettischen Schulen in Kraft - auf Erfahrungsberichte dürfen wir vielleicht gespannt sein. 

Immerhin hält in Lettland die LIDO-Kette mit leckerem Essen nach typisch lettischer Art auch tapfer und durchaus erfolgreich die Stellung gegen Burger- und BigMac's gleich nebenan - übrigens, ganz ohne vorgeschriebene Verhaltensregeln für die Kunden. Was denken deutsche Schüler/innen über ein mögliches Colaverbot? Während auf lettischen Internetseiten Abstimmungen veranstaltet werden, um den Unterstützungsfaktor für die neuen Bestimmungen zu erfahren (Beispiel: Reitingi = 88% pro Colaverbot), scheint in Deutschland niemand ernsthaft an Ähnliches zu glauben. Wenn man die eher komplizierten Diskussionen im "Politikforum" einmal außer acht lässt, sind auch ganz "coole" Meinungsäußerungen in der Bloggerszene nachzulesen, "aus dem Schüleralltag" sozusagen. Zitat "Bademeisterblog": "Coffein ist doch gut - da bleiben wir wenigstens wach!" Bei den Schalke-Fans steht ein Cola-Verbot gleich nach dem Jubel-Verbot und dem Bratwurst-Verbot ganz oben auf der Gräßlichkeiten-Skala. Bei ZDF.DE steht ein Cola-Verbot in direktem Zusammenhang mit einem Kopftuch-Verbot, aber eindeutig scheint: in Deutschland wäre bisher eine ähnliche Gesetzgebung wie in Lettland wohl kaum vorstellbar.

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