Der Monat Mai geht auch in Lettland mit einigen ungewöhnlich kalten Tagen zu Ende - Gelegenheit, auch noch einmal auf das Großereignis Eishockey-WM zurückzublicken und die Frage zu stellen, welche Lehren aus dem Ablauf der Veranstaltung zu ziehen sind. Wer das Ereignis in Riga miterlebt hat, wird einige Trends erkannt haben, von denen enige doch ein paar nachdenkliche Sorgenfalten auf der Stirn hinterlassen haben dürften.
Schweden ist Weltmeister! Die skandinavischen Nachbarn aus Finnland wurden Dritter - und damit endete es auch für die Gastgeber geschäftlich noch glimpflich. Nicht umsonst waren nur die Straßen vom Hafen zum Hockeystadion mit den WM-Begrüßungsflaggen geschmückt: die per Schiff aus Schweden angereisten Sportfans benahmen sich ganz nach den Erwartungen der Gastgeber: sie belagerten schon mittags die Kneipen und Straßencafes, nächtigten in Mittel- und Oberklassehotels, schauten sich möglichst viele Spiele ihrer Mannschaft live an, und belebten auch die übrige lettische Geschäftswelt während der WM-Wochen.
So positiv sahen es aber längst nicht alle. 22 Lat (33 Euro) kostete die günstigste Eintrittskarte zu den Spielen der WM - bei ca. 450 Euro Monatslohn für "Janis den Durchschnittsletten" durchaus eine Sache, auf die man ein Jahr sparen kann. Wer also Lettland-Tschechien (ein Unentschieden gegen einen Favoriten) oder beispielsweise den Sieg gegen Norwegen mitverfolgt hat, der wird (aus lettischer Sicht) vielleicht zufrieden nach Hause gegangen sein. Mussten aber die Hotels der Rigaer Innenstadt ihre Preise gleichzeitig unbedingt verdoppeln oder verdreifachen? Wird sich ein lettischer Fan auch noch ein Spiel Slawakei-Italien ansehen? Warum gab es nur derart spärlichen Service für die Auslandspresse? Und wer hat das viele Geld ausgegeben für die in der Altstadt überall aufgestellten Großbildfernseher, vor denen sich regelmäßig nur wenige Fans - eigentlich nur die zufällig vorbeigekommenen Passanten - versammelten?
Einige Fragen bleiben. Auch in der lettischen Presse waren sie ähnlich nachzulesen. So fragte DIENA in der Ausgabe am 23.Mai, warum nicht alle Eintrittskarten verkauft worden waren (67% der verfügbaren Anzahl), und warum so viele Hotelbetten leer blieben. Offensichtlich wähnt sich speziell Riga gegenwärtig in einem Tourismusboom - und alle rennen los, um irgendwie ein Geschäft zu machen. So waren WM-Eintrittskarten schon 2005 von einigen Tourismusagenturen aufgekauft worden, verknüpft mit Pauschalbuchungen von Hotelzimmern. Offiziell galt also vieles schon im Vorfeld aus "ausverkauft" - in Wirklichkeit waren während des laufenden Wettbewerbs an immer mehr Stellen Schilder zu sehen: "Hier gibt es Eintrittskarten". So sollen Karten selbst zum Endspiel, offiziell mit einem Preis von 123 Lat versehen, kurz vor dem Spiel für 20 - 40 Lat erhältlich gewesen sein.
Andere Extremfälle wurden von Fangruppen aus Slowenien und Tschechien berichtet: Lieber charterten sie ein Flugzeug, um dann direkt nach dem Spiel in die Heimat zurückzufliegen, als dass man sich auf die überhöhten Preise in Riga und einen teuren Aufenthalt eingelassen hätte. Was wäre nur gewesen, wenn etwa Kanada, die USA, Slowenien oder Tschechien die Finalspiele unter sich ausgemacht hätten? Für die Fans der einen wäre die Anreise zu weit (der Austragungsort zu unbekannt), für die anderen der Aufenthalt zu teuer gewesen. In sofern wurde die Veranstaltung vor allem durch die sportlich erfolgreichen Schweden und Finnen geretttet - auch wenn selbst bei Spielen der lettischen Mannschaft nur durchschnittlich 9578 Zuschauer gezählt wurden (in einer Halle, die 10.000 Menschen fasst).
"Eines der Probleme waren die Spekulationsgeschäfte", so wird Uldis Vitolins, Chef der lettischen Agentur zur Tourismusentwicklung (TAVA) in der Presse zitiert (DIENA, Delfi). So soll in Moskau ein Sonderzug mit tausenden Fans bereit gestanden haben - bis Russland dann doch in der Zwischenrunde ausschied. Die russischen Fans blieben zu Hause. Die Organisationsleitung muss wohl auch eigene Verluste ausgleichen: für 20.000 potentielle Gäste hatte man Hotelbetten vorreservieren lassen - für 3,7 Millionen Euro. Inhaber von Kneipen der Altstadt wiederum klagen, die Straßen seien zur WM-Zeit oft ziemlich leer gewesen. Janis Jenzis, Vorsitzender der lettischen Hotel- und Gaststättenvereinigung (LVRA), sieht dagegen keinen Grund zur Klage.
Alles sei "wie in einem gewöhnlichen Mai" gewesen, wird er zitiert (Delfi). Beobachter sehen es anders: "Ein Wettbewerb der Gierigen" sei es gewesen - so sieht es auch die BALTIC TIMES in der Rückschau, verbunden mit der Frage, ob die Verantwortlichen in der lettischen Hauptstadt daraus gelernt hätten. Gegenwärtig sieht es nicht so aus. Im Herbst steht der NATO-Gipfel in Riga an, und wieder wird sich die Stadt im Lichte internationaler Aufmerksamkeit sonnen können.
Die Stadt ist ein "teures Pflaster" geworden. Die Kommerzialisierung in der Innenstadt ist so gut wie abgeschlossen, der Wandel von einer verschlafenen grauen Stadt hinter dem "eisernen Vorhang" hin zur Metropole der Möchtegern-Trendsetter ist vollzogen. Längst haben sich alle Rigenser, die sich ein solches Lotterleben nicht leisten können (wie es hier vom Glückspiel bis zum Nachtleben angeboten wird), irgendwo anders hin verzogen. Riga ist bereit: für die vergnügungssüchtigen, vermögenden Mittelklassetouristen aus einem möglichst vermögenden Ausland. So ist es wohl auch nicht ausgeschlossen, dass die internationalen Sportfans in diesem Jahr doch eher das Geld gespart haben, um nur wenig später bei der Fußball-WM in Deutschland dabei sein zu können. Die entsprechenden Statistiken werden es sicher noch ausweisen. Viele der lettischen Sportfans werden sich auch am liebsten an den schönen Überraschungen erfreuen, die Sportler dieses kleinen Landes immer wieder bieten. Dieser Tage war es plötzlich wieder die Leichtathletik: Speerwerfer Vadims Vasilevskis warf mit 90,43m eine Jahresweltbestweite.
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