6. Juni 2019

Lettisch essen, schwarz arbeiten?

Neues von Ķirsons. Nachdem der lettische Unternehmer Gunārs Ķirsons bereits Anfang Oktober 2018 eines seiner Restaurants in Berlin zusperrte - kurz nach einer Feier zum zweijähriges Bestehen - scheint er sich jetzt Argumente dazu überlegt zu haben, mit denen er an die Öffentlichkeit treten kann. Ķirsons verkündete in dieser Woche vor der lettischen Presse, den deutschen Markt vielleicht ganz verlassen zu wollen. Seine Begründung: "Von zehn Personen, die bei mir arbeiten wollen, verlangen acht, dass ich sie cash bezahle, bar auf die Hand - also 'schwarz'." (tvnet) Und, noch allgemeiner: "Ich dachte, in Deutschland ist jeder ehrenhaft und zahlt Steuern. Deutschland zahlt hohe soziale Unterstützung, und die Leute wollen diese bekommen, und nebenbei noch irgendwo 'inoffiziell' arbeiten." (delfi)

Ein Foto aus berlinfreundlicheren Tagen: rechts die Gönner und Spender,
links (im Hintergrund) die Schwarzarbeiterinnen?
Ist "Lettisch essen" in Berlin so schnell gescheitert? Oder ist es einfach nur ein geschickter Unternehmer, ohne Garantie auf Weiterbeschäftigung, wenn er Filialen nach eigenem Gusto öffnet und wieder schließt - solange nur die eigenen Gewinne im Sack sind?

Schon jetzt präsentiert sich auch die einzig verbliebene Filiale im Alexa in Berlin mit stark reduzierter Speisekarte: ein bischen lettisches Bier, ein kleiner Nachtisch - das war's schon mit dem "typisch lettischen". "Die Idee, in Berlin bis zu 12 Restaurants eröffnen zu wollen, war ein Fehler", meint Kirsons heute. Angeblich werden für die verbliebene Filiale schon jetzt ein Geschäftspartner oder Käufer gesucht. Und damit nicht genug - Kirsons ist Berlin offenbar nicht "deutsch" genug: "Berlin ist nicht Deutschland - das haben wir falsch eingeschätzt. In Berlin gibt es viele Migranten aus der ganzen Welt."(TVNet / db / Kapitāls).

Neue Texte fürs Kirsons-Liederbuch:
"Nein, wir sind so dankbar,
wir wollen keinen Lohn,
selbst wenn Gunnar auch mal krank war,
wir alle lieben seinen Hohn!"
Dabei wirbt Kirsons selbst sein Personal mit "Aufstiegsmöglichkeiten in einem internationalen Unternehmen". Seine finanzielle Bilanz ist ebenfalls interessant zu lesen: "In Lettland ist es schon gut, 4000 Euro Umsatz am Tag zu machen. In Berlin muss es aber 6000 Euro sein."- Dank für den persönlichen Einsatz seiner Angestellten, das findet sich bei  Kirsons nirgendwo.

In einem früheren Interview für "Dienas Bizness" hatte er sich zu den Unterschieden in verschiedenen Ländern geäussert. In Estland sei einfach weniger Salz nachgefragt, und "manche Kohlgerichte mögen sie nicht". In Deutschland habe Kirsons versucht, die Kunden von ausschließlich natürlichen Zutaten zu überzeugen, aber: "sie essen alles, aber sie sind gewöhnt an chemische Zusatzstoffe. Wir versuchen sie von natürlichen Zutaten zu überzeugen, aber sie verstehen das nicht." (db). Wer solche Aussagen versucht zwischen den Zeilen zu lesen, die Schlußfolgerung könnte in zwei Richtungen gehen: entweder hat Kirsons versucht, die Preise in Berlin langsam anzuheben (mit dem Verweis auf "natürliche Zutaten") - und das haben die Kunden nicht nachvollziehen können (weil sehr viele schon in Deutschland mit "natürlichen Zutaten" werben). Oder aber, es ist ein Argument dafür, dass Kirsons eigentlich sagen will: um mehr Gewinn rauszuschlagen in Berlin, komme auch ich nicht ohne Zusatzstoffe aus.

Nein, die Angestellten seines Unternehmens scheinen den "lettische McKirsons" in seinen Zukunftsplänen wirklich nur zu stören. Er denkt bereits darüber nach, automatisierte digitale Zahlungssysteme einzuführen, und auch die Möglichkeit für Bestellungen "online" will die Lido-Kette ausbauen. Noch gibt es in den LIDO-Restaurants (allen zusammen) etwa 1200 Menschen die dort arbeiten. - Bliebe eigentlich nur noch hinzuzufügen, dass einer aktuellen Umfrage zufolge in Lettland 84% aller Arbeiter/innen und Angestellten NICHT Mitglied bei einer Gewerkschaft sind. Kein Wunder, dass der Chef dieses Thema auch bezüglich Berlin lieber nicht erwähnt.

Wie sagte noch Ķirsons anläßlich der Schließung in der Charlottenstraße so schön: "Wir bitten zum Verständnis."

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