Putins Angriffskrieg in der Ukraine geht vorerst weiter, Lettland ist weiter in Unruhe. Themen der öffentlichen Diskussion sind schon jetzt die anstehenden "Maifeiern": der 4. Mai wird als Tag der Wiederherstellung der Unabhängigkeit im Jahr 1990 gefeiert, und am 9.Mai bemüht sich das öffentliche Riga jedes Jahr, den Europatag zu begehen. Das gewohnte Bild war aber bisher immer, dass Zehntausende zum sogenannten "Uzvaras piemineklis" ziehen und dort dem Sieg im Großen Vaterländischen Krieg gedenken. Sowjetisch-Russischer Veteranentag also.
Blumen in Gedenken an den Großen Vaterländischen Krieg - in diesem Jahr unangemessen? |
Einer Meldung des lettischen Fernsehsenders LTV zufolge halten sich gegenwärtig etwa 50.000 Russinnen und Russen mit einer Aufenthaltserlaubnis in Lettland auf. Gründe dafür sind, den Zahlen der zuständigen lettischen Behörde zufolge (Pilsonības un migrācijas lietu pārvalde PMLP), bei rund 10.000 davon Arbeitsplatz, Studium oder auch Familienzusammenführung. 40.000 aber sind russische Staatsbürger/innen.
Māris Riekstiņš, Botschafter Lettlands in Moskau, äußerte in lettischen Medien (lsm) die Behauptung, es seien bereits Hunderte Russinnen und Russen in Lettland aktuell neu angekommen, die ihr Heimatland auf der Flucht vor den aktuellen Zuständen verlassen. Dies seien Künstler/innen, Journalist/innen, aber auch andere Menschen. Da Lettland normalerweise nicht so einfach Aufenthaltsvisa an russische Staatsbürger/innen gebe (seit Verhängung der Sanktionen gegen Russland nur noch im Rahmen von humanitären Aktivitäten), versuche die Botschaft in Moskau jeden Fall individuell zu beurteilen und zu entscheiden.
Die Partei der Nationalkonservativen (Nacionālā apvienība „Visu Latvijai!” LA / Nationale Vereinigung "Alles für Lettland"), die an der amtierenden Koalitionsregierung beteiligt ist, hatte Anfang März vorgeschlagen, alle Aufenthaltgenehmigungen für Russ/innen in Lettland für ungültig zu erklären - dies hatten die Koalitonspartner abgelehnt. Statt dessen wird erwogen, Aufenthaltsgenehmigungen dann zu widerrufen, wenn jemand den Krieg gegen die Ukraine verherrliche. Und auch die Erteilung von Aufenthaltsvisa an Investor/innen will Lettland nun beenden (Handelsblatt). Bisher wurden auf Antrag Aufenthalterlaubnisse für fünf Jahre für diejenigen Personen erteilt, die mindestens 250.000 Euro (zumeist in Immobilien) in Lettland investieren (PMLP / BBCRiga).
Die beiden Städte Daugavpils und Rēzekne, im Osten Lettlands gelegen, sehen keinen Grund für den 9.Mai diesen Jahres irgend etwas zu ändern. Allerdings hätten beide Städte auch noch keine Anträge potentieller Veranstalter für diesen Tag erhalten.(lsm) "Wir sind dafür, alles nach geltendem Recht zu behandeln, und sehen keinen Grund für ein eventuelles Verbot", sagt Aleksejs Vasiļjevs, stellvertretender Bürgermeister von Daugavpils, und selbst Mitglied der Partei "Lettlands Russen" (Latvijas Krievu savienība LKS), die mit ihrem einzigen Sitz im Stadtrat der Partei "Saskana" zu einer Mehrheit verholfen hat. Aktuell bemängelt die Opposion, dass vor dem Stadtratsgebäude Daugavpils nicht wie in vielen anderen Städten - auch in Rēzekne - die ukrainische Flagge als Zeichen der Solidarität wehe (LA). Der Slogan der LKS lautet: "Der Tag des Sieges eint die Gesellschaft, er teilt sie nicht".
In der lettischen Koalitionsregierung herrscht Uneinigkeit im Blick auf potentielle "russische Siegesfeiern" am 9.Mai. Regierungschef Krišjānis Kariņš ("Jaunā Vienotība") kündigte an, es müsse verhindert werden, dass entweder die (sowjetische) Okkupation Lettland noch der Angriffskrieg gegen die Ukraine verherrlicht werde.(lsm) Krišjānis Feldmans dagegen, als Vertreter der "Neuen Konservativen" ebenfalls an der regierenden Koalition beteiligt, erklärte ein Veranstaltungsverbot noch am 25. März als "juristisch schwerig". "An diesem Tag alle Veranstaltungen zu verbieten, geht schon deshalb nicht, weil es ja auch der Europatag ist," meint er.
Eine Entscheidung dazu wurde vom lettischen Parlament dann am 31. März getroffen. Beschlossen wurde nun, dass im Fall von Veranstaltungen ein Abstand von 200m zum "Siegesdenkmal" eingehalten werden muss (LA). Außerdem wurde auch ein Verbot von Symbolen beschlossen, die "militärische Aggression und Kriegsverbrechen" rechtfertigten könnten (wie das "Z-Zeichen"). Kritiker wenden ein, dass es für die Sicherheitspolizei schwierig werden könnte, Tausende Menschen, die am 9.Mai - aus welchem Grund auch immer - zum Uzvaras parks kommen, genau 200m vor dem Denkmal zurückhalten zu wollen.
Über die Zukunft des Denkmals im "Uzvaras parks" (Siegespark) diskutierte am 30. März auch der auswärtige Ausschuß des lettischen Parlaments. Dabei wurde verdeutlicht, dass keine Pläne bestehen, das Denkmal abzureißen oder zu demontieren - schon deshalb nicht, da Lettland im Einklang mit dem Abzug russischer Truppen 1994 diesbezügliche Vereinbarungen mit der russischen Seite unterschrieben habe. Rihards Kols, stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses und ebenfalls der rechtskonservativen Partei der "Nationalen Vereinigung" (LA) angehörig, schloss aber eine Umbenennung des Denkmals nicht aus. 1997 hatte es schon mal einen Sprengstoffanschlag auf das Denkmal gegeben. Im Jahr 2019 hatte es einen Initiativantrag mit 10.822 Unterschriften für den Abriss des Denkmals gegeben (delfi).
Auf dem Portal "Manabalss" ("Meine Stimme") werden momentan Unterschriften gesammelt für einen ganz anderen Vorschlag, was bis zum 9.Mai zu tun sei: es solle eine Ausstellung mit Fotos zusammengestellt werden, die Kriegsverbrechen von Putins Angriffskrieg dokumentieren. Bisher gibt es dort 5700 unterstützende Unterschriften.
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