Wir versuchen ein paar Puzzleteile der Stimmungslage einzusammeln.
Auch aus der Ferne, zum Beispiel durch das von ARTE übertragende Solidaritätskonzert für die Ukraine, wurde deutlich, wie durch und durch lettisch sich diese Ukraine-Solidaritätsbewegung anfühlte. Es wurden, bis auf die ukainische Nationalhymne, ausnahmslos lettische Lieder gesungen. Die Menschen fühlen sich also "mitgemeint" von Putins Aggression. Da fühlt es sich sicher wie ein Triumph an, gerade am Kongreßhaus in Riga zu demonstrieren - in Sichtweite der Botschaft Russlands auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Ähnlich wie die litauischen Kolleg/innen in Vilnius hat sich die Stadtverwaltung noch einen besonderen Coup ausgedacht: das Straßenstück an dem die russische Botschaft liegt, bisher "Antonijas iela", heißt seit dem 4. März nun "Ukrainas neatkarības iela" ("Straße der Unabhängigkeit der Ukraine"). (LA)Dainis Īvāns, eine der Leitungsfiguren der Lettischen Unabhängigkeitsbewegung der 1980iger, bezeichnete den ukrainischen Präsidenten Selenskyj als "Anführer des Widerstands der ganzen freien Welt". "Sie haben uns damals ganz genauso beschmipft, als Faschisten, Russophobe, Nazis", meint Īvans. (lsm)
Kulturwissenschaftler Deniss Hanovs sieht andere Leitbilder: "So wie in der Ukraine ein jüdischer Präsident jetzt verschiedene Gruppen und Religionen vereint, das brauchen wir auch hier in Lettland schon lange - einen starken politischen Willen um gemeinsam eine Nation zu bilden." Und er sagt auch: "Für viele Russen in der ganzen Welt ist es sehr schwer zu verstehen, dass nun das Böse und die Diktatur Russisch spricht."
In der "Latvijas Avize" war eine Äußerung des italienischen Ex-Regierungschefs Matteo Renzi zu lesen, der sich für Angela Merkel als Vermittlerin im Ukraine-Krieg aussprach. "Sie ist die Einzige, der sowohl in Moskau wie in Washington zugehört wird".
Auch die lettische Post stellt sich auf das Thema ein und gibt am 10.März Sondermarken heraus, entworfen vom Designer Ģirts Grīva. 50% der Einnahmen daraus sollen für die Unterstützung der Ukraine gespendet werden.Es gibt natürlich auch Spendenmöglichkeiten. Eines der bekanntesten Konten ist wahrscheinlich das von "ziedot.lv". Die dortigen Spenden sollen in Form von "Treibstoff und Erste-Hlfe-Gütern" in Richtung Ukraine gehen. Vom lettischen Verteidigungsministerium werden aber auch andere Hilfsmöglichkeiten angeboten. Neben der Option für Geldspenden zugunsten der ukrainischen Armee über ein Konto der Ukrainischen Nationalbank zählt dazu auch die Möglichkeit für lettische Staatsbürger/innen, sich zum Wehrdienst in der Auslandslegion der ukrainischen Armee anzuschließen (per Gesetz hatte das lettische Parlament den Weg dafür frei gemacht). Die Zeitschrift "Sargs" ("Wächter") publiziert auch die finanzielle Seite solcher Möglichkeiten: 1700 Dollar pro Monat. Inzwischen soll mit Juris Jurašs sogar schon ein Mitglied des lettischen Parlaments genau diesen Schritt vollzogen haben (während ukrainische Seite allerdings nur bestätigt, Jurašs befinde sich als "Sicherheitsberater" im Lande) (lsm).
wilde Entschlossenheit, oder pure Verzeiflung? Telefonaktion in Lettland und Litauen: ruf jemand in Russland an und erzähle, was in der Ukraine passiert ... (siehe "Call Russia") |
Māris Verpakovskis, Ex-Fußballnationalspieler Lettlands, der in seiner Karriere auch vier Jahre bei Dynamo Kiew spielte, warnt währenddessen davor gegenseitig Hass in der Bevölkerung Lettlands zu schüren. Verpakovskis, der heute als Generaldirektor beim aktuellen lettischen Meister RFS Riga tätig ist, sprach sich gegen pauschale Schuldzuweisungen gegenüber allen Russen aus - und sieht dabei Sportlerkollegen wie Tennisspieler Ernests Gulbis und Fünfkämpfer Deniss Čerkovskis an seiner Seite.
Derweil sticht auch Tatjana Ždanoka mal wieder heraus, selbsternannte Verteidigerin der russischen Interessen in Lettland, ehemalige Führungsfigur der lettischen "Interfront", die bis 1990 noch aktiv die heraufziehende Unabhängigkeit Lettlands bekämpfte. Heute ist sie Vorsitzende der Partei "Latvijas Krievu Savienība" (Vereinigung der Russen Lettlands LKS) und immer noch Mitglied im Europaparlament. Dort befürworteten am 1. März 637 Abgeordnete eine Resolution, die aufgrund des russischen Angriffskriegs härtere Sanktionen forderte - es gab 13 Gegenstimmen, eine davon von Ždanoka. (lsm) 2014 hatte sie noch Kundgebungen in Riga organisiert, auf denen die russische Besetzung der Krim als gerechtfertigt bezeichnet wurde - so wird sie, und eine Handvoll Funktionäre. die ebenfalls im "russischen Interesse" zu handeln vorgeben, zu Belastung für ebendiese.
Auf der Webseite der LKS sind - wie zu erwarten war - keinerlei Aufrufe zur Unterstützung der Ukraine zu finden. Dort findet sich ein Aufruf "in dieser angespannten Situation" keine Denkmäler zu beschädigen, die an den "Großen Vaterländischen Krieg" erinnern. Denkmäler seien "keine Instrumente um seine Gefühle auszuschütten", sondern eine Erinnerung daran, dass "wir Schulter an Schulter gegen die Nazis gekämpft haben, Russen, Ukrainer, Letten und viele andere". Tja, da liegen Rückfragen nahe, und werden in Lettland wohl häufig gestellt - aber wahrnehmen und gelten lassen will sie bei diesen Gruppen offenbar niemand: ... warum lässt Putin dann, teilweise unter dem verlogenen Vorwand, nun wieder gegen Nazis zu kämpfen, das Nachbarland Ukraine brutal mit Gewalt überfallen? Wer beschmutzt hier welches Andenken?
In welchem Zustand wird Lettland sein, wenn die militärische Gewalt in der Ukraine, wenn Putins Krieg ein Ende hat?
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