Wenn der lettische Präsident Andris Bērziņš in dieser Woche (am 25.3.) zu einem kurzen Staatsbesuch in Berlin erwartet wird, so könnte die Kürze seiner Gespräche mit Bundespräsident Joachim Gauck, Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundestagspräsident Norbert Lammert vielleicht dazu verleiten, nach dem Sinn der kurzen Stippvisite zu fragen. "Man kennt sich schließlich" unter den EU-Mitgliedern, zumindest Merkel und Schäuble sind dieser Tage manchmal mehr in Europa unterwegs als im Bundestag präsent.
Andris Bērziņš kommt, wie zu erwarten ist, mit einem kaum weniger konkreteren Anliegen auf den gläsernen Berg nach Berlin als Antiņš im Schauspiel des Nationaldichters Rainis. Wie es aussieht, hätten die lettischen Staatsspitzen wohl gern etwas taktische Rückendeckung von den Deutschen bei einem offensiven Umgang mit dem Thema eines lettischen Euro-Beitritts.
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Nun, meine Herren, wie bringe ich es Angela am besten bei? Staatschef Bērziņšmit Außenminister Rinkēvičs und Beratern beim Vorbereitungstreff zum Deutschland-Besuch |
"Ich bin nicht wie meine Brüder, ich komme aus gutem Herzen" - dass könnte Antiņš sagen; was Bērziņš sagen wird wissen wir noch nicht. Aber eine Variante wäre kaum vorstellbar: Lettland will den Euro-Beitritt und keiner nimmt Notiz davon. Lettische Oppositionsparteien haben die Möglichkeit einer Volksabstimmung über den Euro-Beitritt wieder ins Gespräch gebracht - damit wäre europaweites Aufsehen auch garantiert - aber die Regierung Dombrovskis unternimmt gegenwärtig alles, um die politische Ernte besser einfahren zu können als der litauische Nachbar: dort wurde das Spar-Regiment unter Regierungschef Kubilius gerade deutlich abgewählt. Wahrscheinlich ist es dem nachwirkenden Effekt der Parlamentswahlen von 2011 zu verdanken, dass Lettland auch heute nicht laut zur Abwahl der Regierung ruft: 2010 hatte der damalige Präsident Zatlers gleich das ganze Parlament entlassen und neu wählen lassen. Nun hat man doch mit vielfach schmerzlichen Einschnitten gespart und gekürzt - und nun sind laut neuesten Umfragen nur noch 13% der Einwohner Lettlands Befürworter einer Euro-Einführung zum Jahr 2014. Noch auffälliger: 53% der lettischen Unternehmer sind gegen eine Euro-Einführung, 37% sind dafür - WENN ES NICHT schon 2014 geschieht (
siehe DELFI). Da steht auch für die politisch Verantwortlichen, eher konservativ gesinnten "Merkelisten" in Lettland einiges auf dem Spiel. Eine weitere Umfrage zeigte außerdem, was die Lettinnen und Letten vor allem erwarten für den Fall einer Euro-Einführung: Preissteigerungen. Lohnsteigerungen dagegen erwarten nur 8% - kein Wunder, wer erleben musste dass die eigene Regierung für den Fall einer Krise das Lohnniveau kurzfristig kurzerhand um 20-25% kappt, der ist gewarnt. Wer nicht mehr auskommt mit dem lettischen Lohnniveau - der wandert aus.
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So sieht es Ēriks Ošs, Karikaturist der "Latvijas Avīze": Hast du nicht am 20.September 2003 schon PRO EURO abgestimmt? Ja oder nein? |
Also: ob nun Merkel wieder das grüne Kostüm vom Griechenland-Besuch aus dem Schrank holt, oder vielleicht Lettisch-Rot auflegt - Bērziņš braucht dringend positive Schlagzeilen. Erst kürzlich waren sowohl Außenminister Westerwelle wie auch Ruprecht Polenz, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages, zu Arbeitsbesuchen in Lettland. Aber im eigenen Lande entwickeln Aussagen wie "Seht, Deutschland lobt und unterstützt uns" nur begrenzte Strahlkraft (zumal: wer kennt in Lettland Westerwelle oder Polenz?). Und wer die Aussagen der zuständigen lettischen Minister in der lettischen Presse genau liest, der muss feststellen dass dort immerhin ein Punkt angedeutet wird wo Lettland noch verhandeln möchte: wer so vorbildlich spart, dem sollte doch Aufschub möglich sein bei der Beteiligung am Euro-Rettungsschirm. Denn warum sollen Letten dafür bluten, damit in Griechenland ein viel höheres Lohnniveau möglich bleibt? Staatschef Bērziņš wird also vermutlich in Berlin um "Rabatt für Musterschüler" bitten (siehe auch
Vorab-Presseerklärung).
Aber Staatschef Dombrovskis weiß offenbar, wo in Deutschland die ganz großen Schlagzeilen produziert werden, und flankierte die anstehende Berlin-Visite des Staatspräsidenten mit einem Interview in der
BILD: "Darum wollen wir unbedingt den Euro haben!"
Es ist anzunehmen, dass in Lettland wohl die Leserkommentare der BILD-Online-Ausgabe eher verschwiegen werden: "Na klar, die wollen an unsere Geldtöpfe" und "Dieser fast-pleite Staat fehlt noch auf der EURO Empfängerliste" ist dort zu lesen, oder auch: "Ob wir unser Geld nach Griechenland, Spanien oder nach Lettland
schicken, ist doch völlig egal - bei allen Fällen ist es einfach weg."
Volksseele trifft Volksseele (Antiņš trifft seine Brüder?). Wo die einen den Deutschen nicht zutrauen, wirklich lettische Interessen zu unterstützen, halten die anderen die Letten wohl für sowas wie unverdiente Schmarotzer. Für diese platte Erkenntnis hätte es keiner BILD-Schaumschlägerei bedurft. Auch
Spiegel Online zieht nach und präsentiert Wirtschaftsminister
Pavluts. Soviel lettische Minister waren noch nie (gleichzeitig!) für
Deutschland-Werbung im Einsatz!
Aber keine Angst: die staatstragenden Interviews für die großen konservativen Zeitungen wird dann Andris Bērziņš geben, in ähnlichem Grundton vermutlich (wie Dombrovskis auch schon in der
WELT). Abends vor dem Rückflug dann schnell noch ein Stündchen "tikšanās ar tautiešiem" (Treffen mit Volksgenossen) in der lettischen Botschaft, wohl um den dort versammelten handverlesenen Arbeitsemigranten erneut zu verdeutlichen dass ihre wahre Heimat Lettland sei.
Wer den lettischen Funktionsträgern nicht glaubt, wird sich das Zitat von Rainis zu Herzen nehmen (oder übersetzen lassen) müssen: "Ņems, kas atdos, veiks, kas zaudēs, pastāvēs, kas pārvērtīsies."
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