5. April 2024

Strassen-Rochaden

Wer in einer deutschen Großstadt wohnt, wird vielleicht so manche Diskussion um Straßennamen mitbekommen haben; da gibt es doch einige, die an gar nicht so heldenhafte Persönlichkeiten erinnern. Aber Umbenennung ist schwierig. So scheiterte im westfälischen Bünde die Umbenennung einer "Lettow-Vorbeck-Straße", in Berlin blieb ein Versuch die "Mohrenstraße" umzubenennen ebenfalls erfolglos - so berichtete "Die Zeit". 

Da gibt es immer die Argumente, eine Umbenennung habe "erhebliche Folgen für Anlieger". Früher hat man auch gern argumentiert, es müssten dann ja alle Anwohner neues Briefpapier oder Visitenkarten drucken - das hat sich heute allerdings, dank Digitalisierung, wohl erübrigt. Na gut, dort wo noch gedruckte Passdokumente verwendet werden, muss wohl auch ein neues mit geänderter Adresse ausgestellt werden.

Hier ist nicht Moskau

In Riga liegt die Sache offenbar einfacher. Seit Putin in die Ukraine einfiel, haben diejenigen Zulauf, die "reinen Tisch" mit jeglicher Art von möglicherweise ehrender Erinnerung an Sowjetisches machen wollen. Dazu zählt dann auch einiges, was zur Sowjetzeit "russifiziert" wurde. Mitte Februar beschloss also ein Ausschuss des Rigaer Stadtrats die Umbenennung gleich mehrer Straßen. Das Argument: die Persönlichkeiten, deren Namen getilgt werden sollen, hätten keinerlei Bezug zu Lettland, hätten dort nie gearbeitet oder auch nur Lettland in einem ihrer Werke genannt. (riga.lv)

Künftig sollen die Straßen die Namen örtlicher Persönlichkeiten tragen - wie den des Linguisten Kārlis Mīlenbahs, des Schriftstellers Jānis Klīdzējs, und einer der ersten Wissenschaftlerinnen aus Latgale, Valērija Seile. Auch Landschaftsmaler Vilhelms Purvītis und Publizistin Emīlija Benjamiņa werden nun zum Vorbild für Straßennamen. 

Zunächst musste also die bisherige "Latgales iela" zur "Jāņa Klīdzēja iela" umbenannt werden, damit dann die bisherige "Maskavas iela" größtenteils zur "Latgales iela" werden konnte, ein Anfangsabschnitt heißt nun "Lastādijas iela". Die "Puškina iela" wurde zur "Kārļa Mīlenbaha iela", die "Turgeņeva iela" zur "Vilhelma Purvīša iela", die "Ļermontova iela" zur "Viļa Plūdoņa ielua", die "Gogoļa iela" zur "Emīlijas Benjamiņas iela" und die "Lomonosova iela" wurde zur "Valērijas Seiles iela".

Also: kein Moskau mehr, kein Lomonosov, Puschkin, Gogol, Lermontov und Turgenjew - statt dessen gibt es nun viel mehr Latgale in Riga (riga.lv). Und sogar die Umbenennung der scheinbar "unschuldigen" "Tipogrāfijas iela" (Straße der Typograhie) hat einen Hintergrund. Den Namen bekam die nur 159 Meter lange Straße im Jahr 1950 in Erinnerung daran verpasst, da hier das kommunistische Untergrundblatt "Cīņa" ("Kampf") in den 1930iger Jahren eine Zeitlang hergestellt wurde. Jetzt heißt die Straße "Augusta Spariņa iela", benannt nach einem der Helden des lettischen Unabhängigkeitskampfs 1918-20. (jauns).

Beschleunigte Symbolik

Und in Riga geht so eine Umbenennung offenbar ganz ohne bürokratisches Verfahren. Schon am 27. März meldete die Stadtverwaltung Vollzug, was die neue Straßenschilder der "Benjamiņas" und "Lastādijas iela" angeht. Die Verwaltung, an der Spitze Bürgermeister Vilnis Ķirsis rückte an, um die neuen Schilder zu verteilen. Laut Ķirsis sei ja die Bezeichnung "Lastādijas iela" mit Bezug zum "historischen Namen dieses Viertels" gewählt worden. Gleichzeitig wurde auch die Bezeichnung einer ganzen Reihe von Bus- und Straßenbahnhaltestellen geändert (riga.lv / rigassatiksme)

Nehmen wir mal an, wir kennen also alle Personen, die nun zur Ehre eines neuen Straßennamens kamen. Bleibt die Frage: „Wo ist Lastādija? Wer oder was ist das?“ 

Traditionell, aber unbekannt? 

Noch 2019 schrieb Journalistin : "Lastādija? Bei dieser Frage zuckt vielleicht selbst der hartgesotteste Einwohner Rigas unwissend mit den Schultern, einige werden sogar widersprechen und behaupten, dass es in Riga keinen solchen Ort gibt." (TVnet) Nun meinte Lazdina allerdings, die Frage mit einem simplen Verweis auf "Wikipedia" klären zu können - ins Deutsche übersetzt heiße der Name "Lastadie". Leider verweist Wikipedia bei diesem Begriff nur auf eine Bezeichnung für einen Verladeplatz in Lübeck, Königsberg, Rostock, Stralsund oder Stettin. "Lastadie" ist also auf jeden Fall nichts, was es nur in Riga gab. Aber so einen "Ladeplatz" hatte wohl jede Hafenstadt (siehe auch: mittelniederdeutsches Handwoerterbuch). In alten Büchern ist auch nachzulesen, es habe hier nahe der Daugava sogar den Versuch gegeben, eine Werft zu errichten - aber Schiffe seien an dieser Stelle, wohl auch wegen dem häufigen Eisgang der Daugava, nie gebaut worden. "Eine Siedlung von Schiffern, Flößern und Kaufleuten; später auch ein Sägewerk, Scheunen und Holzhäuser", schreibt Lauma Lazdiņa.

Auch die (deutschsprachige) Infoseite der "Dzirciema Aptieka" kommt unserer Wissbegier entgegen - dort finden wir etwas über eine "Lastadie-Apotheke". Hier steht zu lesen, eine "Lastadie" sei in Riga zum ersten Mal im Jahr 1348 erwähnt worden. Außerhalb des Stadtwalls, am Daugavaufer. Zitat: "Am Anfang der jetzigen Moskauerstraße".  Na, ab sofort dann wohl: nicht mehr "jetzig". 

Mit einer modernen Variante von "Lastādija" soll es aber schon 2013 in Riga losgegangen sein. "Lastādija ist ein selbstorganisiertes subkulturelles und soziales Kreativviertel" (Capitel R) Einige Aktivist/innen gründeten damals "Free Riga" um kreative Lösungen für die vielen leerstehenden Gebäude in Riga zu finden. "Unser Rezept: sich einmischen, damit die von der Gesellschaft gewünschten Veränderungen erreicht werden!" Inzwischen hat man bereits für 40.000 m2 leerstehende Räumlichkeiten neue Nutzungen gefunden. Und die Projekte vom "Free-Riga"-Vorsitzenden Mārcis Rubenis zeigen, dass ein Teil dieser Ideen vielleicht auch im Austausch mit Berlin oder sogar Chemnitz entstanden sind (Goethe-Institut / urbact). 

Also: ob nun alte Traditionen, oder neue Inspirationen - die Idee, einen Teil der "Moskauer Straße" nun zur "Lastādijas iela" zu machen, erhofft sich vielleicht auch eine ideele Anbindung an die junge Rigaer Startup-Szene.

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