13. Dezember 2017

Händel am Hagensberg

So warb bisher der Markt im Rigaer Stadtteil
Āgenskalns: "Einkaufen ohne den Stress
der Großstadt"
Das Gebäude des Hagensberg-(Āgenskalns-)Marktes gilt als hervorragendes Beispiel der Jugendstil-Architektur - "rationaler Jugendstil", wie es die Selbstdarstellung der Rigaer Märkte bezeichnet (RCT). Gebaut aus roten Ziegelsteinen, abgesetzt mit weißem Gips, bietet sich hier heute eine Marktfläche auf 8300 qm. Im Frühling, Sommer und Herbst standen hier bis vor kurzem 219 einzelne Handelsplätze bereit. Doch zum 1. Januar 2018 soll der Markt in Āgenskalns nun geschlossen werden und sieht einer unsicheren Zukunft entgegen.

Der Platz hat eine lange Tradition: geht man zurück bis ins 17. Jahrhundert, so gab es damals jenseits der Daugava (Düna) nur fünf sogenannte "Höfchen", darunter der Hagenshof und das Gravesche Höfchen. 1669 erwirkte Heinrich von Hagen für sich auch das Recht, einen Krug betreiben und Bier brauen zu dürfen, aber Handel zu treiben war bis 1797 das Vorrecht der Kaufleute in der Stadt auf der anderen Seite der Daugava gewesen. Nun erwarb auch der aus Danzig stammende Kaufmann Friedrich Wilhelm Seuberlich mehrere Grundstücke hier in Pārdaugava und wurde so zum Vorreiter der Handeltreibenden in diesem langsam wachsenden Teil der Stadt. 

So soll der "Sētas krogs" in Āgenskalns ausgesehen
haben (Gebäude links), in dessen Hof das Markttreiben
begann (Bildquelle: Rigaer Museum für Stadtgeschichte
und Schifffahrt
)
Die Anfänge des Markttreibens von Āgenskalns (deutsch "Hagensberg") lagen eigentlich an der Stelle wo die Straßen Lielo Nometņu, Tirgus und Puķu iela zusammenlaufen; hier befand sich damals eine Schänke, der "Sētas krogs" ("Zaun Krug", auch "Caunes Krogs" genannt), in dessen Hinterhof die ersten Marktstände platziert waren. Die heutige "Sētas iela" hat noch ihren Namen davon - an der Stelle der Schänke stehen heute schmucklose, mehrstöckige Gebäude der Technischen Universität Riga (RTU).

Ansonsten fand das Marktgeschehen damals einfach auf der Straße statt. 1895 beschloss eine speziell eingerichtete Kommission des Rigaer Stadtrats die Verlegung des Marktes auf ein großes, bis dahin unbebautes Grundstück - zwischen die heutigen Straßen Nometņu, Zeļļu und Bāriņa iela. Die Stadt erwarb das Grundstück für 15.000 Rubel, der Markt wurde 1898 eingeweiht. Hier hatte einst das Gravesche Höfchen gestanden - lettisch wurde der neue Markt im Volksmund auch "Grāvmuižas tirgus" genannt; der Begriff "Āgenskalns tirgus" setzte sich erst einige Zeit später durch.
Einige Händler blieben dennoch an der alten Marktstelle, alles fand weiterhin unter freiem Himmel statt. Durch den Bau von Straßenbahnlinien wurden die neuen Marktflächen teilweise wieder eingeschränkt. Die Händlerzahl war bis 1914 auf über 600 angewachsen, auch sanitäre Einrichtungen gab es bis dahin nicht; die Behörden sahen die Notwendigkeit den "Basar" zu ordnen und einheitlichen Regelungen zu unterwerfen.

Die Anfänge des Marktgeschehens in Āgenskalns
(Bildquelle: Rigaer Museum für Stadtgeschichte
und Schifffahrt
)
Begonnen wurde der Bau eines Marktpavillons bereits 1911, das musste aber zunächst wegen des Krieges unterbrochen werden. Die Fertigstelluing erfolgte dann 1923-25. Damals war dieses Marktgebäude noch um einiges moderner als die Marktstellen auf der anderen Seite der Daugava - mit Zentralheizung, ausgebautem Keller und einer Galerie im 1.Stock. Der Entwurf stammte noch von Reinhold Georg Schmaeling, der bis zum 1.Weltkrieg Stadtarchitekt in Riga war - eines seiner letzten Projekte, er wurde 1915 pensioniert und starb 1917.

Auch ein Kühlhaus sollte geschaffen werden, was aber vorerst aus Mangel an Finanzen aufgegeben wurde. Weitere Umbauten geschahen in den 20iger und 30iger Jahren nach Plänen von Architekt A.Grīnbergs, ein neuer Eingangsbereich, wo auch zunächst ein Restaurant geplant war. In den 1930iger Jahren entstand rund um das Marktgelände ein Metallzaun, gehalten von Betonstäben, und ein Wärterhäuschen.

Anfang November 2017 kündigte Ivars Jakovels, Vorstandsmitglied der Aktiengesellschaft "Rigaer Zentralmarkt" (“Rīgas Centrāltirgus” - RCT) die Schließung des Marktgebäudes in Āgenskalns an ("Laukos"). Der Zustand des Gebäudes ließe keine Alternative zu, hieß es. Nötig sei eine umfassende Renovierung. Eine technische Untersuchung war dem Schritt vorausgegangen. Aber ist auch genug Geld bereitgestellt, um das Haus zu renovieren? 100% der Aktien des RCT trägt die Stadt Riga - also eine Frage letztendlich an Bürgermeister Ušakovs.
Rettet den Āgenskalns-Markt! Eine Initiativgruppe
sammelt bereits Unterschriften und demonstriert
vor dem Rathaus
Ob die Stadt aber wirklich Interesse am Erhalt aller bisherigen Markthallen hat, daran bestehen Zweifel. Auch der "Vidzemes"-Markt im Norden der Stadt ist schon lange in beklagenswertem Zustand, das Gelände teilweise nur noch als Auto-Parkplatz genutzt. Vertreter des Stadtrats sagen nun gegenüber der Presse, der bisherige Betreiber (SIA “Roveks") sei für den beständigen Rückgang bei Umsatz und Gewinn in Āgenskalns verantwortlich zu machen (Latvijas Avize). Wie diesen Zahlen zu entnehmen ist, machte der Umsatz hier nie mehr als 5% aller Märkte in Riga aus. Liegt also die Kalkulation nahe, die Kunden würden schon den Zentralmarkt nutzen, wenn das Angebot im Vorort Āgenskalns wegfallen würde?

Jevgeņija Šeleņina, Direktorin der Betreiberfirma "Roveks" wiederum, beklagt sich über eine angebliche Weigerung der städtischen Behörden, über das Kulturministerium und die EU Gelder zum Erhalt des denkmalgeschützten Hauses beantragen zu wollen. "Die machen das nicht, wenn es über private Firmen abgewickelt wird," so Šeleņina (Latvijas Avize).

Oļegs Burovs, Vorsitzender des Rigaer Kommittees für städtisches Eigentum (Rīgas domes Pilsētas īpašuma komiteja), stellt die Situation anders dar. Jahr für Jahr habe man dem bisherigen Betreiber einen Vertrag gegeben, und immer habe dieser aufs Neue versprochen, auch etwas für den Erhalt des Gebäudes zu tun - und bisher sei nichts geschehen. Burovs stellt eine Entscheidung des RCT-Vorstands für den 15. Januar 2018 in Aussicht, wie es nun weitergehen soll. Dabei sei nicht ausgeschlossen, die Nutzung des Gebäudes auch längerfristig an einen Vertragsnehmer für 30 Jahre zu vergeben - die Fraktionen des Stadtrats seien sich aber einig, dass im bisherigen Gebäude jedenfalls nichts anders als einen Markt sein solle.

Der Markt von Āgenskalns - so, wie er momentan bekannt ist. Ein
markantes Gebäude, für viele Menschen ein beliebter
Treffpunkt - ob außen oder innen
Von Bürgermeister Nils Ušakovs ist eine Aussage bekannt, der zufolge er die Gesamtkosten der notwendigen Investitionssumme für den traditionsreichen Markt in Āgenskalns auf 10 Millionen Euro schätze.
Eine Protestinitiative aus Marktangestellten und Bürgern sammelte bereits Hunderte Unterschriften gegen eine Marktschließung und ruft zu Protestaktionen am Rathaus auf. Dabei ist es offenbar nicht einfach, politisch den Überblick zu behalten: wer steht da auf welcher Seite? Der bisherigen Betreiberfirma "Roveks" wird vorgeworfen, politisch der Bürgermeisterpartei "Saskaņa" nahezustehen und das Gebäude zu einem extraniedrigen Mietpreis genutzt zu haben. Bei den Protestierenden wiederum sind ebenfalls politisch unschwer Vorlieben auszumachen: hinter einer der Initiativen steht offenbar vor allem die im Stadtrat oppositionelle "Regionalpartei" ("Latvijas Reģionu apvienība/Latvijas attīstībai"). In den Internetportalen sind bereits Vermutungen zu lesen, vielleicht hätten Investoren wie die LIDL-Kette ja ein Auge auf das Gebäude geworfen.
Auch Architektin Zaiga Gaile, ihrerseits bekannt durch mehrere erfolgreiche Gebäudesanierungen in Pārdaugava, meldet sich zu Wort. "Ich lebe nun schon 20 Jahre auf Ķīpsalā, und gehe gern auf dem Markt in Āgenskalns einkaufen", sagt sie. "Ich kenne dort alle Händler, das ist der Markt meiner Kindheit!" - Sie weist auch auf zwei andere kleine Marktstellen hin, die sich in den letzten Jahren außerhalb der Markthallen etabliert haben: im "Berga bazars" (unter anderem mit Öko-Landwirten), und in der Kalnciema iela (mit vielen regionalen Produkten).

Könnte es solche neue Ideen auch für die Markthalle in Āgenskalns geben? Ein Thema mit Emotionen. Da kann man den Verantwortlichen und den anderen Akteuren nur viel Glück und ein glückliches Händchen wünschen.

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