5. August 2022

Jetzt wird geholzt!

Angesichts der kurzfristigen Notwendigkeit, ganz dem Gas aus Russland zu entsagen, beschloss nun die lettische Regierung den Holzeinschlag in den lettischen Wäldern zu erhöhen. Das lettische Landwirtschaftsministerium arbeitet an Vorschlägen, die von einem Mehreinschlag (des "grünen Goldes") von einer Million Kubikmetern ausgehen - das würde eine Steigerung um gut 10% ausmachen.

Die lettische Forstverwaltung dagegen ("Valsts meža dienesta" VMD) betont immer wieder das Bestreben, die Wälder nachhaltig zu sichern - es entsteht aber die Frage, für wen das gesichert werden soll: für den Erhalt der Natur? Oder nur für die Sicherstelllung der weiteren Nutzung? Im März hatte der Verein der lettischen Waldbesitzer (Latvijas Meža īpašnieku biedrība LMIB) eine Pressemeldung herausgegeben, in der es heißt: "Die Forstwirtschaft kann die vollständige Unabhängigkeit der Wärmeversorgung von russischem Gas sicherstellen!" (derselbe Verband beteiligte sich auch an einer Kampagne für die Nutzung von Atomenergie in Lettland).

Auch die lettischen Staatsforsten (“Latvijas valsts meži” LVM) scheinen schon bei der Auswahl des Vorsitzenden auf Imagegewinn zu setzen: Pēters Putniņš (was übersetzt Peter Vögelchen heißen würde) wurde kürzlich zum Chef der Lettischen Staatsforsten  gewählt. Die LVM bewirtschaftet 1,62 Millionen Hektar Land in der Republik Lettland. Getragen wird die LVM vom lettischen Ministerium für Land- und Forstwirtschaft, von der „Lettischen Industrie- und Handelskammer“, vom Baltisches Institut für Corporate Governance und dem Verband der Waldbesitzer. 

Bisher war die Regel, dass ein Beschluss einen Baum zu fällen dann erfolgen kann, indem der Durchmesser des Stammes in 1,30m Höhe gemessen wird. Bei Espen geschieht das in der Regel nach mindestens 41 Jahren, bei Schwarzerle und Birke nach 71 Jahren, Fichten nach 81 und Kiefern nach 101 Jahren. Die Gesetzesänderung besagt jetzt, dass auch Bäume geschlagen werden können wenn sie das angegebene Alter noch nicht erreicht haben. Jetzt können auch dünnere Bäume gefällt werden: der Durchmesser wird bei Birken auf 25 cm, bei Fichten auf 26 cm und Kiefern auf 30 cm reduziert. Dabei weist das Ministerium darauf hin, dass es diese Bestimmungen zum Durchmesser in Schweden und Finnland gar nicht gäbe, und in Estland sogar noch dünnere Bäume gefällt werden könnten (IR). 

Bei bisherigen Änderungen an diesen Regeln, zuletzt 2019, hatte noch das lettische Umweltministerium Einspruch erhoben - und empfahl eine genaue Kartierung ökologisch wertvoller Lebensräume. Diese Kartierung wurde auch gemacht - aber jetzt bewußt beiseite geschoben, so etwa nach dem Motto: wir haben Krieg, wir brauchen Holz! 

Als Lösung für die gegenwärtigen Auswirkungen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine auf Lettland schlug Landwirtschaftsminister Kaspars Gerhards jetzt die Erhöhung des Holzeinschlags vor (siehe: mk.gov.lv) - ohne Rücksprache mit Naturschutzverbänden. Das Ministerium rechnete vor, aufgrund der Änderungen 20% mehr Holzhackschnitzel zu produzieren und deren Preis zu senken - Umweltschützer aber kritisieren, dass diese ja sowieso meist in den Export nach Skandinavien gehen würden, die lettischen Verbraucher hätten also nichts davon. 

Ein neuer Film der lettischen
ornithologischen Gesellschaft
soll den Wert des Waldes als
Lebensraum verdeutlichen

Steigt also der Grad der Abholzungen lettischer Wälder sogar um bis zu 20%, wie es manche voraussagen?

Viesturs Ķerus erinnert sich in einem Beitrag für die lettische ornithologische Gesellschaft (Latvijas Ornitoloģijas biedrība, deren Vorsitzender er ist) an eine ähnliche Diskussion im Jahr 2009; damals habe Kristaps Klauss, Vertreter der lettischen Holzindustrie (Latvijas Kokrūpniecības federācija) gesagt: "Wir brauchen 11 Millionen Kubikmeter Holz im Jahr". "Dieser Satz ist mir in Erinnerung geblieben," meint Ķerus, "denn er bedeutet ja: wir brauchen, also muss der Wald liefern" (LOB).Sich nicht damit zu befassen, was der Wald liefern kann, sei eines der großen Probleme der lettischen Waldwirtschaft, meint Ķerus, und inzwischen sei der Holzeinschlag nun auch schon auf 13 Mill. m³ gestiegen. Seine Voraussage: wenn die nächste Krise kommt, wird es dem Wald weiter an den Kragen gehen. 

Gleichfalls interessant ist zur der Beurteilung der Situation ein Blick auf die Besitzer großer Waldflächen. Klar ist, dass sehr viele lettische Waldbesitzer weniger als 5 ha ihr Eigentum nennen. Ein Blick auf die 20 größten Unternehmen, die in Lettland Wald bewirtschaften, zeigt aber, dass diese 20 Firmen insgesamt über 300.000 ha verfügen (lursoft-blog). Dominierend dabei sind die Schweden: von den 20 größten gehören 5 zur schwedischen "Södra"-Gruppe (die erst 2018 noch einmal viel Wald aufkaufte), und weitere sechs stützen sich auf Kapitalanteile aus Schweden. Drei weitere große Unternehmen kommen aus den Niederlanden, und je eines aus Dänemark und Luxemburg.

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