15. April 2021

Sind Lettinnen und Letten glücklich?

Sicher hat jede und jeder schon mal vom sogenannten "Glücksindex" gehört. Mal stehen da die Däninnen und Dänen ganz oben, neuerdings auch die Finninnen und Finnen. Deutschland wird in diesen Ranglisten meist im oberen Mittelfeld vermutet - einerseits schon allein wegen der zuverlässig guten Wirtschaftslage, andererseits auch wegen der vermuteten typisch deutschen Kleinkariertheit und Ordnungsliebe. Lettland dagegen wird meist irgendwo "weiter unten" vermutet: schließlich hat die Wirtschaftskrise 2008/09 das Land hart getroffen, viele standen auch privat vor dem Bankrott, und Zehntausende mussten außerhalb ihres Heimatlandes nach angemessen bezahlter Arbeit suchen. 

Da überrascht uns ein anderer "Laimes index", in dem Lettland ganz oben stehen soll: bei der emotionalen Seite des Glücks. Keine Sorge: die Ergebnisse wurden schon vor der Corona-Krise ermittelt. Demnach nehmen Lettinnen und Letten das emotionale Glück (23%) sogar häufiger als wichtig als das wirtschaftlichen Wohlergehen (20%). Auf dieser Rangliste sehen wir die Deutschen ganz am Ende: ganze 18% sollen demnach emotionales Glück in Deutschland wertschätzen. 

Die Ergebnisse dieser Umfrage scheinen noch ein Stückchen weiter in Richtung "typisch lettisches" Glücksgefühl zu gehen: als andere Quellen des persönlichen Glücks werden hier von Lettinnen und Letten "Wohnort und dessen Umfeld", Familie, Gesundheit und Freund/innen genannt. 

Nun ja, verschiedene lettische Medien gaben diese Umfrageergebnisse ganz im Stil eines journalistischen Beitrags wieder (Latvijas Avize, IR, dievite, ). Andere Medien zitieren ähnliche Umfragen, verbunden mit der Schlagzeile "Glücksindex in Lettland auf einem historischen Höchststand" (lsm) Und nicht nur das: es wird fast schon neidisch auf Litauen verwiesen, wo die Stadt Kaunas kürzlich einen eigenen "Tag des Glücks" ausgerufen haben soll (lsm). 

Sind Lettinnen und Letten wirklich eher über den Weg der Gefühle glücklich zu machen? Ein Blick auf die Auftraggeber des neuen "Laimes indeks" raubt uns schnell die Illusionen: Autor der Studie ist Andris Šuvajevs, von Beruf "Wirtschaftsethnologe" - offenbar eine Wissenschaft, die davon ausgeht, dass Wirtschaft immer kulturell eingebettet von statten gehe. Und Auftraggeber ist "Bonava", Projektentwickler im Haus- und Wohnungsbau - da liegt es nahe, Lettinnen und Letten erzählen zu wollen, wie sie angeblich "kulturell eingebettet" glücklich zu machen sind. (siehe auch: Bonava Deutschland). 

deutsche Umfrageergebnisse aus der in Lettland so häufig zitierten Studie

Logischerweise zieht Bonava Lettland auch eigene Schlüsse beim "Glücksindex": Lettinnen und Letten seien besonders zufrieden, wenn sie im eigenen Haus wohnen. Na, so ein Zufall aber auch! (= das können wir euch bauen, wenn ihr uns dafür bezahlt ...). 

Interessant wird nun die Tatsache, dass dieselbe Untersuchung auch Befragungen in Deutschland beinhaltete. Und, siehe da, auch deutsche Medien berichteten darüber. So zum Beispiel schreibt die "Welt" (ganz im Sinne der von Bonava bezahlten Statistiken): Deutsche sind am glücklichsten angeblich in Einfamilienhäusern. Und nun soll doch in Hamburg der Zuwachs des Flächenverbrauchs solcher Baupläne gar verboten werden! Deutsches Glück, unvereinbar mit dem Umweltschutz? Da befinden wir uns dann wohl schon mitten drin im deutschen Wahlkampf. (von Lettland schreibt die WELT in diesem Beitrag übrigens gar nichts).

Statistik-Auswertungen ergeben
Klischees - oder genau anders herum?

Ja, aus deutscher Sicht wird doch ziemlich anders über die "Glückssuche" (hier auch "Happy Quest"  genannt / presseportal) berichtet. 

Zitieren wir abschließend noch Ivars Austers, Professor für Sozialpsyhologie an der Universität Lettlands, mit einer Antwort auf die Frage, ob die Lettinnen und Letten denn wenigestens "nach der Pandemie" glücklich sein werden. "Die Menschen glauben sie werden dann glücklich sein, die Wissenschaft sagt etwas anderes - so zeigt sich nur der menschliche Fokus auf die Illusion." (IR)

Na gut, dann schauen wir in Zukunft eben doch wieder auf die klassischen "Glücks-Index-Tabellen" der UNO, sehen dort die Dän/innen und Finn/innen vorn, wie gewohnt - und betrachten das ganz ohne Illusionen (IR)

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