17. September 2005

Warten auf Merkel
Am Tage vor der Bundestagswahl in Deutschland gibt es f�r die lettische Presse nur einen Aufmacher: Merkel ist bereit zum Regieren. "Mit dem Wechsel in der deutschen Regierung wird es eine neue deutsche Aussenpolitik geben", so titelt die Tageszeitung DIENA am 17.September. Im gleichen Beitrag werden Aussagen der BBC zitiert, nachdem ungleich zur letzten Wahl, als die aussenpolitischen Programme der beiden gro�en Parteien weitgehend gleich gewesen seien, k�nne sich diesmal Deutschlands Rolle in der Welt �ndern. Vor allem in den Beziehungen Deutschlands zu Russland, zu den USA und zur T�rkei erwartet die lettische Presse �nderungen.

"Wir werden gr��ere Aufmerksamkeit auch auf die Interessen der kleineren Staaten in Europa legen", so wird Wolfgang Sch�uble, in Merkels Schattenkabinett zust�ndig f�r Aussenpolitik, aus einem Interview in "DIE WELT" zitiert. Ebenfalls Sch�uble werden Aussagen zugeschrieben, nach denen er die Pl�ne Russlands und Deutschlands zum Bau einer Gaspipeline kritisiert, denn die baltischen Staaten und Polen seien �bergangen worden.

DIENA zitiert ausserdem drei Stimmen zur Wahl in Deutschland.
"Schr�der ist mehr orientiert an den Gespr�chen zwischen den Gro�m�chten, um ein Gegengewicht zu den USA zu schaffen. Merkel dagegen will auch die kleinen Staaten einbeziehen. Aus der lettischen Perspektive gesehen, w�re ein Sieg Merkels positiv. In den Beziehungen zu Russland wird Merkel auch die schwierigen Fragen, wie zum Beispiel zum Thema Tschetschenien, mit ansprechen. Nach Merkels Sieg wird man nicht mehr von der Achse Deutschland-Frankreich sprechen k�nnen, welche die Weiterentwicklung Europas aufh�lt. Sie respektiert mehr den europ�ischen Stabilit�tspakt. W�hrend Schr�ders innenpolitische Reformen mehr kosmetischer Art waren, wird Merkel es grundlegender angehen." Toms Rostoks, Politologe

"Alles wird davon abh�ngig sein, ob der Sieg Merkels ein �berzeugender Sieg sein wird. Wenn wir uns die Aussenpolitik unter Kohl oder unter Schr�der ansehen, gab es meiner Ansicht keinen gro�en Bruch. Es k�nnte nun nat�rlich eine Verbesserung des Verh�ltnisses zu den USA geben, und Merkel k�nnte enge Beziehungen zu dem vielleicht kommenden Pr�sidenten in Frankreich aufbauen, Nikolas Sarkozy aufbauen. Es k�nnte auch sein, dass beide die Rolle Frankreichs und Deutschlands im zuk�nftigen Europa neu definieren. Merkel k�nnte auch bestrebt sein, die gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik der EU wieder zu beleben. Die Beziehungen zu Russland k�nnten sich ver�ndern, und k�nftig w�rde nicht mehr, so wie bei Schr�der, �ber die K�pfe der Polen hinweg entschieden." Ojars Skudra, Doktor der Geschichte und Universit�tsdozent.

"Von Deutschland ist auch der Erfolg Eurropas abh�ngig, und Merkels Angebote scheinen besser. Jedoch zweifle ich daran, ob es nach der Wahl gro�e Ver�nderungen gibt. Positiv zu werten ist nat�rlich der Wunsch von Merkel, die Interessen Osteuropas ernster zu nehmen. Sie will auch die Beziehungen mit Russland ver�ndern - das zeigt auch das k�rzliche Treffen mit Putin, als sie das Gespr�ch zun�chst in Russisch f�hrte. F�r Merkel wird die Europapolitik wichtiger sein, als sie es f�r Schr�der war. Meiner Meinung nach wird man sich in Deutschland mehr der klassischen Werte bewu�t werden, mit denen die gegenw�rtige Regierung gebrochen hat. Dennoch wird sich wohl in den Beziehungen zwischen Deutschland und Lettland nichts wesentliches �ndern."
Andris Gobins, Pr�sident der lettischen europ�ischen Bewegung.

Mein Kommentar:
Auf den ersten Blick scheinen sich in Lettland viele Menschen von einer Kanzlerin Merkel einiges zu versprechen. Aber ist dies nicht eher der fehlenden Deutschlandkenntnis der lettischen Journalisten zuzuschreiben, wie auch einer gewissen grunds�tzlichen Sympathie mit den Konservativen? Die f�hrende lettische Machtelite ist stolz auf die guten Beziehungen zu den USA, die ihnen erst k�rzlich im Mai 2005 mit dem exklusiven Besuch des US-Pr�sidenten Bush den R�cken gegen�ber russischen Anspr�chen st�rkte. Also: Meines Freundes Freundin ist auch meine bevorzugte Gespr�chspartnerin, k�nnte das Motto lauten.
Ausser der DIENA �ussern sich andere lettischen Zeitungen, wie etwa "Neatkariga Rita", auch zur�ckhaltender. Und in manchen Zeitungen, wie die "Latvijas Avize", scheint die Wahl in Deutschland gar keine so gro�e Rolle zu spielen. Allerdings wird ein nicht unbedeutender Faktor nahezu von allen lettischen Kommentatoren vergessen: Pr�gend f�r die Aussenpolitik unter Kohl war vor allem immer ein FDP-Aussenminister. Und was die so im Parteiprogramm f�r die aussenpolitische Zukunft stehen haben, das hat sich wohl niemand richtig angesehen. Ob die Versprechungen von Merkel und Sch�uble gegen�ber den "kleineren Staaten" in Europa wohl �berhaupt zum Tragen kommen, wenn sich letztendlich doch das "Business as usual" der Wirtschafts- und Neoliberalen durchsetzt? Denn wie wir es gewohnt sind, regiert dort auch eher der Grundsatz: Nur es nicht verderben mit denjenigen, mit denen man Gesch�fte machen kann. Also w�re dann auch mit einer CDU-FDP-Regierung wieder "alles beim Alten", und die Balten, die selbst h�chstens als Bauland f�r westlich dominierte Supermarktketten taugen, aussen vor.

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