30. Dezember 2015

Gebändigte, Dressierte und Entrüstete

Ungewöhnliche Aktivitäten ereignen sich in letzter Zeit vor dem Eingang einer sehr traditionsreichen Kultureinrichtung in Riga: der Zirkus, der in einem inzwischen (seit 2003) unter Denkmalschutz stehenden Gebäude unweit des heutigen Hauptbahnhofs zu finden ist. Schon am 29. Dezember 1888 wurde dort die allererste Vorstellung angeboten - der Zirkus ist also noch glatte 30 Jahre älter als der Staat Lettland. Zirkusdirektor und Ex-Kunstreiter Alberts Salamonskis (auch sein Vater, Wilhelm Salamonskis, und seine Mutter Julia waren schon Zirkusleute gewesen), der auch in Berlin, Odessa und in Moskau einen Zirkus betrieb, baute ihn damals in Riga auf; der Architekt Jānis Fridrihs Baumanis gestaltete das Gebäude ungewöhnlicherweise aus Eisenbahnschienen. Bis zur Eröffnung mussten einige Diskussionen mit der zuständigen Bauverwaltung überstanden werden, die Sorge um die Sicherheit der Nachbarn des Zirkus hatte.

Rigaer Zirkusgeschichte:
mit Albert Salamonskis Pferde-
dressur fing es einst an
Mit Pferdedressur, Akrobaten, Seiltänzern und Clowns fing es an, mit Beleutung durch Gaslampen, mit eigener Plattform für ein Orchester und bequemen Sitzen fürs Publikum. Salamonskis hatte Geschäftssinn, und er versprach seinem Publikum immer die neuesten Wunder der sich schnell wandelnden modern Welt zu präsentieren. Konzerte fanden im Gebäude an der Merkela iela statt, Kinovorführungen, aber auch spezielle Programme für Kinder. "Zirkus ist der Ort, wo es ein wenig erlaubt ist, öffentlich zu lachen," soll Salamonskis gesagt haben. Der Zirkus machte sein Publikum aber auch mit Vorstellung von Ringkämpfen im griechisch-römischen Stil und Gewichtheben bekannt.

Der Zirkusgründer starb 1913, seinen Namen trug das Haus noch bis 1941, als er verstaatlicht und in „Staatlicher Zirkus der Lettischen Sozialistischen Sowjetrepublik“ umbenannt wurde. Auch Erinnerungen an das Riga der 1930iger Jahre erwähnen den Zirkus meist als einer der beliebtesten Orte zur Unterhaltung der Rigenser.
Heute beträgt die Kapazität 1000 Zuschauer, und von September bis Mai ist Saison mit vier bis sechs Vorstellungen pro Woche.

Jedes Jahr wird ein neues Programm vorbereitet - doch zuletzt gab es andere Schlagzeilen um den Zirkus. Der Verein Dzīvnieku brīvība ("Tierfreiheit") organisierte schon mehrere Protestaktionen gegen angebliche Tierquälerei im Zirkus. Der Verein setzt sich gegen jede Nutzung von Tieren im Zirkus ein, spricht sich dafür aus Veganer zu werden und auch auf die Pelztierzucht zu verzichten. Viele Ziele in einem Topf, könnte man sagen - in sofern hat auch die Protestparole "Für einen menschlichen Zirkus" zumindest doppelte Bedeutung: sollen die Menschen sich nur noch an menschlichen Kunstücken und Kapriolen erfreuen dürfen? In der Vorweihnachtszeit schreckten Schlagzeilen wie "Lettische Intelligenz für Tierverzicht im Zirkus" die Besucher auf; tatsächlich ließen sich einige lettische "VIP's" wie die Schriftsteller Inga Ābele und Pauls Bankovskis, sowie Ex-Präsidentschaftskandidat Egils Levits für die Kampagne einspannen. Auslöser der Proteste war 2014 ein Gastspiel des Elephantendresseurs Lars Hölscher (Ex-Gründer Zirkus Fliegenpilz), gegen den bereits Protestkampagnen auch in anderen Ländern liefen (siehe PETA).
Im gleichen Jahr geriet auch eine Löwendressur in Riga in starke öffentliche Kritik (fokus.lv).

Protestaktionen vor dem Gebäude des Zirkus in Riga
Die Rigaer Zirkusdirektion versucht sich zu wehren (in Deutschland gibt es ja inzwischen auch die Kampagne "Tiere gehören zum Zirkus"). Eines der häufig gehörten Argumente ist sicherlich, dass vor allem Kinder die Tiervorführungen lieben. Höhepunkte sind auch regelmäßig Kinder- und Jugendzirkusfestivals in Riga - ganz ohne Inanspruchnahme von Tieren. Der Zirkus führte Befragungen der Besucher durch, denen zufolge sich 95% zugunsten der Tierdressuren aussprachen. Zirkusdirektorin Lolita Lipinska betont, alle Regularien des Tierschutzes einzuhalten, die europaweit inzwischen üblich seien. Am meisten gelitten haben die Tiere des Rigaer Zirkus am 19.März 2015, als in einer der Künstlergarderoben im 2.Stock des Hauses ein Brand ausbrach und alles evakuiert werden musste; zwar mußten umfangreiche Renovierungen vorgenommen werden, aber Kuppel und Manege blieben weitgehend unbeschädigt. Noch kurz vor Weihnachten wurde im Rahmen einer Presseerklärung bekräftigt, dass alle Sicherheitsbestimmungen weiterhin eingehalten seien. Das zuständige Kulturministerium bewilligte aber Geld für weitere notwendige Arbeiten an der Außenfassade des Gebäudes, die auch die Verankerung von Fahrdrähten für den Öffentlichen Nahverkehr betreffen.

Der Rigaer Zirkus ist weiterhin der einzige in den baltischen Staaten (Salamonsky hatte damals auch in Tallinn einen Zirkus gegründet, doch der brannte bald darauf ab). Im Januar 2016 steht zum fünften Mal das Festival "Zelta Kārlis" (Goldener Karl) an, zu dem bisher vor allem Gäste aus Frankreich, der Ukraine und Russland zu erwarten waren. Der Titel des laufenden aktuellen Zirkusprogramms kommt dabei schon ganz ohne Tierisches aus: von "drei wundersamen Wassertropfen" ("Trīs burvju ūdens lāses") ist da die Rede, von Effekten mit Licht und Wasser, plus Autritt des "Ziemassvētku vecītis" (Weihnachtsmann, ganz traditionell). Als tierische Akteure ist in der aktuellen Liste der Mitwirkenden noch von Tauben, Katzen und Hunden - Tierarten, deren artgerechte Haltung und "Dressur" sicher auch in vielen Privathaushalten (Stichwort: "Verhätschelung") in Frage stehen könnte. Die Protestaktivisten wollen weitermachen und erreichen, dass in Rigas Zirkus zukünftig auf Tierdressuren ganz verzichtet wird.

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