17. August 2017

Alles in Butter?

Lettland importiert Deutsches

Aus Sicht der deutschen Wirtschaft ist es offenbar ganz einfach: "Konsumwachstum steigert Importbedarf", so formuliert es die GTAI (Germany Trade and Invest) in ihrer aktuellen Analyse zur Wirtschaftslage in Lettland. Gemeint ist damit allerdings nicht nur privater Konsum, sondern vor allem Wachstum in Industrie und Bauwesen. 2016 stiegen die Warenlieferungen deutscher Unternehmen nach Lettland gegenüber dem Vorjahr um 6,7%; dazu werden auch noch die Erneuerung der Flugzeugflotte beim nationalen Carrier kommen, so die Prognose. Durch Fachkräftemangel sei ein relativ starker Anstieg des Reallohnwachstums von 2,7% ausgelöst (nach der Slowakei das höchste in der EU) - so sehen es die deutschen Wirtschaftsvertreter. Die realen Zahlen sagen aber auch, dass der rein statistisches "Durchschnittslohn" in Lettland weiterhin bei nur etwa 850 Euro liegt, bei einem gesetzlichen Mindestlohn von 380 Euro (= 2,25 € pro Stunde).

Dennoch stellen mit 11,3% die Lebensmittel die zweitgrößte Gruppe der Einfuhrgüter dar (GTAI Wirtschaftsdaten). Aus deutscher Sicht: größte Warengruppen aus Deutschland eingeführt nach Lettland sind Holz 15%, Rohstoffe 14,7%, Nahrungsmittel 9,3%,Kfz und -Teile 7,3%, Textilien und Bekleidung 6,4%. Deutschland ist mit 12,% Anteil (insgesamt) das zweitwichtigste Lieferland - aber nur 6,9% der lettischen Exporte gehen nach Deutschland.


Regionale Produkte? Ja gerne, aber wo?

In ihrem Bestreben, möglichst einheimische, regionale Produkte zu kaufen, sahen sich die lettischen Verbraucher den vergangenen Jahren vor allem drei Varianten: entweder Läden der Kette RIMI - manche stufen sie als "lettisch" ein, dahinter steht jedoch der schwedische ICA-Konzern. MAXIMA, der Konkurrent, ist in litauischem Besitz. Die dritte Einkaufsmöglichkeit ist die Nutzung von Märkten - der größte davon nahe des Hauptbahnhofs in Riga. Für die meisten lettischen Verbraucher ist die Situation also genauso wie in Deutschland: die EU-Regelungen zur Milchproduktion sowie die Rahmenbedingungen der großen, international vernetzten Lebensmitteldiscounterbestimmen den Markt. Als Resultat steht ein Absurdum: im Land der niedrigsten Löhne regiert die höchste Preisniveau.

Die lettische Kette RIMI bietet das günstigste Päckchen Butter derzeit für 8,28€ pro kg an, also 2,07€ pro 250g = 28Cent über dem Preis, den die Deutschen in Deutschland als "viel zu hoch" empfinden - und dabei ist noch nicht gesagt, wo diese Butter eigentlich herkommt. Nimmt man eine der qualititiv guten lettischen Marken wie etwa "Cesvaines", so muss der RIMI-Kunde hier sogar 3,04€ hinblättern (250g).Litauische Butter ("Annele") liegt mit 2,99€ nur knapp darunter. Der Konkurrent, die (litauische) Kette MAXIMA bietet in Lettland litauische Billigbutter der Marke "Farmmilk" kurzfristig sogar für 1,79€ an. "Annele" liegt hier bei 2,49€, "Cesvaines" bei 2,99€. Zusammenfassend kann man wohl sagen: wer einfach im nächsten Laden in Lettland Butter kauft, wird 2-3 Euro pro 250g-Päckchen auf den Tisch legen müssen. Man könnte auch sagen: Lettinnen und Letten müssen für ein Päckchen Butter oft schon eine Stunde (Mindestlohn) oder 25 Minuten (Durchschnitt) arbeiten. Jetzt kann sich zum Vergleich bitte jede/r Deutsche den Vergleich selbst ausrechnen.

Mit Hilfe eines eigenen Labels (mit dem
Löffelchen) versuchen lettische Lebensmittel-
hersteller, die lettischen Kund/innen zum Kauf
einheimischer Produkte zu bewegen
Laut Auskunft der Vereinigung der Händler Lettlands (Latvijas Tirgotāju asociācijas - LTA) und ist der Butterpreis in Lettland im Mittel von 8,35€ im Jahr 2016 auf gegenwärtig 13,10€ pro Kilo gestiegen (+53%) (siehe Delfi). Eines ist offenbar: Lettland kann sich nicht abkoppeln von der europäischen Preisentwicklung, auch wenn manch stolzer Lette gerne darauf verweist, dass schon in den 1930iger Jahren Butter aus Lettland als eines der hochwertigsten Produkte der ganzen Branche galt, so dass damals manch teures Hotel in Berlin mit der Verwendung von "lettischer Butter" warb. Auf dem internationalen Markt ist "lettische Butter" bisher kein eigenständiges Label, und auf dem lettischen Markt möchten ja gerade die Milchbauern nicht auf dringend nötige Einkünfte verzichten.

Dace Ozola, Sprecherin der lettischen Milchbauernvereinigung (Piensaimnieku asociācija), nennt außer der gesunkenen Milchproduktion in der EU auch noch zwei andere Gründe für die Situation: einerseits liege es in der USA im Trend, doch wieder Butter als Naturprodukt zu verwenden, und andererseits sei jetzt auch der chinesische Markt geöffnet (lsm). Jedenfalls seien auch für die lettischen Herstellerfirmen die Zeiten vorbei, wo sie noch um Exportmärkte im Ausland kämpfen mussten. Produkte aus Cesvaine zum Beispiel gehen nach Skandinavien, aber auch nach Isreal, Großbritannien und Australien. Um aber den einheimischen Bedarf zu decken bzw. stabil zu halten, geben einzelne Hersteller zu, wird Butterfett im Ausland eingekauft um dann damit "lettische Butter" zu produzieren.

Neue Marktteilnehmer, neue Ängste

"Demokrātiskāk" nennt der Lette einen Preis, den er akzeptabel findet - wörtlich übersetzt: "demokratischer". Ausgerechnet jetzt möchte auch die deutsche Lidl-Kette den lettischen Markt erobern. Die lettischen Verbraucher erwarten davon offenbar einen Art von "Zwang zum Kauf von schlechter Qualität aus dem Ausland" - viele Kommentare in den Internetforen gehen in diese Richtung. Nachdem LIDL schon einmal, vor zehn Jahren, einen Markteinstieg versuchte und damals daran scheiterte, dass einfach alle günstigen Flächen schon an andere Nutzer vergeben waren, steht diesmal der Einstieg eines zusätzlichen Mitbewerbers unter den Discountern in Lettland unmittelbar bevor.

Als am 2.Juni 2016 die ersten LIDL-Läden in Litauen eröffneten, gab es lange Schlangen und einen riesiegen Medienhype. LIDL wirbt in Litauen damit, dass etwa die Hälfte aller angebotenen Artikel aus Litauen stammen sollen.
Eine Reporterin der lettischen Zeitung "Latvijas Avize" ist schon mal in Litauen gewesen und hat sich in den dortigen neuen Lidl-Läden umgesehen. Butter sei dort für 7,75€ und 8,33€ pro kg zu haben gewesen (= 1,94€ / 2,08€ pro 250g). Am günstigsten sei aber die Butter der Marke "Pilos" gewesen (5,83€ / 1,46€), ein Label unter dem LIDL Litauen Produkte aus Litauen vermarktet. Allerdings fand die lettische Journalistin auch bei "Aibe", einem Konkurrenten von LIDL in Litauen, mit Preisen um 2,20€ (250g) vergleichsweise günstige Butter (für lettische Verhältnisse).

Heute noch ein Stück Grün zwischen tristen
Wohnblocks, morgen schon "Lidl-Land"?
Baugelände im Nordosten Rigas
Willkommen also, LIDL in Lettland? Vorteil oder Nachteil für die heimischen Produkte? Einige Kommentare weisen auch darauf hin, dass die Mehrwertsteuer auf Butter in Deutschland 7%, in Lettland aber auf 21% angesetzt sei. Laila Vārtukapteine von der Lebensmittelkette "ELVI Latvija", die hauptsächlich nach dem Franchising-Prinzip arbeitet, sieht in LIDL nicht nur neue Konkurrenz, sondern auch einen "massenweisen Import von Billigprodukten aus dem Ausland" (delfi). ELVI wirbt mit dem Slogan "Wir sind national gesinnte Kleinhändler mit lettischem Herzen".

Aber es gibt auch andere Probleme vor dem LIDL-Start. Auf dem Grundstück der Dzelzavas ielā 75b in Riga, wo LIDL den Start in der lettischen Hauptstadt plant, müssten für einen Neubau viele Bäume gefällt werden. Das Grundstück ist kürzlich von der "MMS Property" erworben worden, einer Tochterfirma der deutschen "CE - Beteiligungs GmbH". Da gibt es auch Anmerkungen, dass schon zu Sowjetzeiten versucht wurde, dieses Stück Grün zuzuplanen - damals wurde es von den Anwohnern verhindert, heute wird es LIDL erlaubt. Da hilft es auch wenig, wenn der - bisher nicht als Umweltschützer bekannte - Bürgermeister Užakovs verspricht sich dafür einzusetzen dass möglichst viele Bäume stehen bleiben können. Das zuständige städtische Komittee hatte die Fällung bereits abgenickt, und zwar von (und hier wurde von Naturfreunden, zusammen mit dem Stadtrat, genau gezählt) 6 Ahornbäume, 12 Linden, 3 Fichten, 1 Rosskastanie, 5 Birken, 1 Trauerweide, 1 Eberesche und 1 Ulme.

Die Protestierenden haben sich unter der Facebook-Gruppe "Stop Lidl" zusammengeschlossen. Dort werden unter anderem LIDL-Werbeanzeigen aus Deutschland und aus Litauen verglichen: identische Produkte, höhere Preise (in Litauen). Andere Kritiker weisen darauf hin, dass nur durch günstige Kredite der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) LIDL überhaupt in der Lage sei, den osteuropäischen Markt zu erschließen (pietiek.com). "Mehr Investitionen, gut und schön", schreibt Juristin Laima Lancmane, "aber wo zunächst ein paar neue, mit EU-Geldern gebaute Gebäude ein paar Euro mehr kommunale Steuern einbringen werden, dürfte auch klar sein, dass andere vom Markt verdrängt werden. Damit geht der Effekt dann gegen Null."

Immer fein nach Art der alten Rittersleut' - so sieht es
Karikaturist Gatis Šļūka
Tatsache ist: noch mehr Werbung braucht LIDL in Lettland gegenwärtig nicht. Wie auch die Journalisten der "Latvijas Avize" bei einem Besuch im grenznahen Šiauliai (Litauen) feststellten, spricht schon jeder dritte Kunde im dortigen LIDL lettisch. Die meisten Kundinnen und Kunden warten offenbar nur darauf, dass die Anfahrtswege kürzer werden.

Da bleibt nur zu hoffen, dass es weiterhin "demokratischer" zugeht in Lettland. Die deutschen LIDL-Manager werden vielleicht bald die Feinheiten der lettischen Sprichwörter kennenlernen, die sich um die Butter drehen: "Dzīvē iet kā pa sviestu” (das Leben geht wie auf Butter = alles geht glatt) ist dabei etwas völlig anderes als „kas tas par sviestu!” (was ist das für Butter! = Unsinn / Durcheinander).

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