15. Dezember 2022

Daugavpils und die Kunst

Daugavpils, die zweitgrößte Stadt Lettlands, eröffnete 2013 voller Stolz das "Mark-Rothko-KunstZentrum", und verfügt seitdem endlich über einen kulturellen wie auch touristischen Anziehungspunkt, der auch international funktioniert. Das Daugavpils Mark Rothko Art Center befindet sich im historischen Artillerie-Arsenalgebäude der Festung Daugavpils, das 1833 erbaut wurde. Für viele kulturinteressierte Lettland-Besucher/innen wurden Ausstellungen an diesem Ort zum einzigen Grund, ihre Reiseroute auch in diese Region zu verlegen.

Laut Eigenwerbung ist das Museums "der einzige Ort in Osteuropa, wo es möglich ist, die Werke des in Daugavpils geborenen weltberühmten amerikanischen Künstlers, des Begründers des abstrakten Expressionismus und der Farbfeldmalerei Mark Rothko (1903-1970) in einer erweiterten Ausstellung kennenzulernen."

So weit, so gut. Seit dem 28. Oktober läuft nun im Mark Rothko Center unter anderem eine Ausstellung des estnischen Keramikkünstlers Sander Raudsepp. Der stammt von der estnischen Insel Saaremaa und beschreibt auf seiner Webseite seine Arbeitsweise wiefolgt: "Ich lasse mich inspirieren von unangemessenen Witzen, Verschwörungstheorien, Psychedelika, Missverständnissen aus der Kindheit, Leben und Tod, Religion und zufälligen Duschgedanken."

Auf Druck religiöser Gruppen wurden nun auf Veranlassung der Stadtverwaltung drei Kunstwerke aus der laufenden Ausstellung entfernt. So, wie es in den lettischen Medien formuliert wurde, sei der Stein des Anstosses eine Kombination aus einem "christlichen Kreuz und männlichen Genitalien" (lsm) Die Werke stünden für "Hass gegen das Christentum", so sahen es Jānis Bulis (Kath. Kirche Rēzekne), Einārs Alpe (Ev.-Luth. Kirche Daugavpils) und Andrejs Sokolovs (Orthodoxe Kirche, Vorsitz des Zentralrats der Altgläubigen). (Latvijas Kristigais Radio)

Aber es gibt auch Protest gegen dieses Vorgehen. Die Vereinigung lettischer Museen (Latvijas muzeju biedrība) wandte sich in einem offenen Brief an u.a. Kulturminster Puntulis und den Bürgermeister von Daugavpils und spricht von "Zensur". Verlangt wird auch, dass die drei entnommenen Stücke in die Ausstellung zurückkehren müssten (lsm) Die lettische PEN-Vereinigung zitiert eine Aussage des stellvertretenden Bürgermeister von Daugavpils, Aleksejs Vasiļjevs, mit den Worten: die drei Kunstwerke seien provokativ, und die Gesellschaft von Daugavpils sei nicht bereit dafür. - Wenn das ein Maßstab sei, dann müsse darauf hingewiesen werden, dass zu Zeiten, als die Werke von Mark Rothko enstanden, die Gesellschaft ebenfalls nicht bereit dafür gewesen sei. - Vasiljevs dagegen hatte behauptet, die Entnahme von Kunstwerken aus der Ausstellung sei "keine Initiative des Stadtrats Daugavpils" gewesen, könne also nicht als "Zensur" bezeichnet werden, sondern als "Wunsch der Einwohner." (jauns)

Ab sofort heißt es dann wohl "das Beispiel von Daugavpils mahnt". Nur: vor oder an was? Wo die einen zu großen Einfluß der russisch-orthodoxen Kirche speziell in Daugavpils vermuten, sehen die anderen die Notwendigkeit von Diskussionsveranstaltungen und Bildungsangeboten rund um solche Ausstellungen. Manche sehen auch schlichtweg die "Wiederkehr von Zensurmethoden der Sowjetzeit". Wieder andere befürworten spezielle Ausstellungsräume mit Warnhinweisen vor dem Betreten, oder Ausstellungen, die erst ab 18 Jahren zutrittsberechtigt sein könnten. Den Aussagen von Māris Čačka zufolge, der das Rothko-Zentrum leitet, sei der betroffene Künstler selbst "nicht überrascht" über den Vorgang in Daugavpils gewesen - zwar sei ihm Ähnliches in Estland noch nicht passiert, aber schließlich kenne er ja das Umfeld der baltischen Staaten. (ritakafija)

Jānis Vanags, Bischof der evangelisch-lutherischen Kirche in Lettland, befürwortet eine Diskusion um "Grenzen der Kunst". (lsm) Edgars Raginskis dagegen, Kulturjournalist und Komponist, eigenen Angaben zufolge "cenzūras pētnieks" (Zensurforscher), beruft sich auf die lettischer Verfassung, der zufolge Zensur untersagt sei. "Und zwar unabhängig davon, ob etwas gefällt oder nicht gefällt", meint er. Außerdem seien eben Kirche und Staat per Verfassung getrennt. Die Behauptung „die Gefühle von Gläubigen seien verletzt“, das sei eben auch eine gut aus Russland bekannt Vorgehensweise, die nur zu einem totalitären, kriminellen Regime passe.

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