Neue Rakete
Ja, es gab einmal einen Ernests Gulbis - um genau zu sein, es gibt ihn noch. Aber Tennis galt dennoch bisher noch nicht als ein Sport, in dem Sportler aus Lettland viel Aufsehen erregen - zu "Raketen" werden, der lettische Ausdruck für erfolgreiche Sportler/innen. Insgesamt nur 2900 Tennis-Spieler/innen gibt es in Lettland (Statistik Lettischer Tennisbund 2011) - der Deutsche Tennisbund hat ungefähr 1,4 Millionen Mitglieder. Während Gulbis inzwischen auf der Tennis-Weltrangliste nur noch auf Platz 230 zu finden ist (spox), hat eine neue Generation junger lettischer Frauen die Bühne betreten. Erstmals hat in diese Woche in Paris eine Tennisspielerin aus Lettland das Halbfinale und sogar dann das Finale eines Grand-Slam-Turniers erreicht: die erst 19-jährige Jeļena Ostapenko.Geboren am 8. Juni 1997 in Riga, ist die junge Lettin jemand, die weder die dunklen sowjetischen Zeiten noch kennt, und für die auch der internationale Austausch und die Zusammenarbeit eine Selbstverständlichkeit darstellen - genauso wie mehrsprachige Schulbildung. Im Pass steht zwar der Vorname Jeļena - doch von allen die sie gut kennen wird sie Aļona gerufen (gesprochen "Aljona"). Wie es dazu kam, erklärte sie einmal selbst in einem lettischen Fernsehstudio: "Als meine Eltern den Namen festlegten, da gab es im lettischen Kalender keine Aļona. Daher steht im Pass Jeļena - im realen Leben heiße ich Aļona." (sporto) Interessant ihr Vergleich: "Jeder kennt ja auch Steffi Graf - in ihrem Pass stand ja Stefanie". Eine nette Umschreibung bürokratischer Hürden für russischsprachige Familien in Lettland.
Die Namensverwirrung bewegt auch lettische Sportfans. Inzwischen ist es soweit, dass internationale Kommentaren den neuen Tennisstar "Jelena" nennen, während die lettische Presse durchweg "Aļona" sagt und schreibt (Kas jauns).Sogar bei Wikipedia existieren mehrere Einträge (lettischer Text: Aļona / klickt man auf deutsche Fassung, erscheint Jeļena). Tennisspielen ist bei Ostapenko's ein Familienunternehmen: trainiert wird die lettische "Rakete" bisher von ihrer Mutter Jeļena Jakovļeva, Vater Jevgeņijs Ostapenko ist ihr Fitnesscoach.Erst seit kurzem kommen auch andere Trainerinnen hinzu.
Ostapenko, seit 2012 Profi und erst seit Herbst 2015 unter den weltbesten 100 Tennisspielerinnen zu finden, ist gegenwärtig auf Platz 47 angekommen. 2014 war sie Lettlands Nachwuchs-Sportlerin des Jahres, und nennt die langjährige Weltranglistenerste Serena Williams ihr größtes Vorbild. Im Kreise ihrer internationalen Kolleginnen war sie allerdings oft umstritten: weder ihr Verhalten nach Niederlagen, noch Gegnerinnen gegenüber gilt als besonders damenhaft. Allerdings gelang es der jungen Lettin immer, bei den Turnieren auch die Schulbücher mitzunehmen und trotz häufiger Abwesenheit alles für die Schule zu tun - ständiger Begleiter ist die Hündin "Džuljeta" (=Julia, ein Yorkshire Terrier, siehe Fernsehauftritt).
Eigentlich galt bisher Anastasija Sevastova, eine weitere junge Lettin mit Tennis-Ambitionen und bereits auf Weltranglistenplatz 19 angekommen, als Lettlands Nr. 1 im Frauentennis. In der lettischen Tennisgeschichte bisher weltrangbeste war Larisa Neilande, die 1988 mal kurzzeitig Nr 13 war. Und es gibt auch noch Laura Gulbe, eine Halbschwester von Ernsts Gulbis, allerdings befindet sie sich derzeit noch jenseits der besten 1000 Tennisspielerinnen der Welt.
Zweimal Geburtstag, dann: Überraschungssieg!
Ostapenko schlug die Schweizerin Timea Bacsinszky mit 7:6, 3:6 und 6:3. Und, wer hätte das gedacht! "Da ist das Ding!" - Ostapenko schlägt im Endspiel sogar noch Simona Halep und wird sogar zur ersten Tennis Grand-Slam-Turniersiegerin!
Was schreibt die lettische Presse?
"Ostapenko erschüttert die Tenniswelt!" (Diena), "Ostapenko schreibt lettische Tennis-Geschichte" (Latvijas Avize), "KasJauns" jubelt: "Aljona ist ein Wunder!", und der öffentlich-rechtliche Kanal LSM sieht sich zu einem englischsprachige Beitrag veranlasst: "Who is Jeļena Ostapenko?"
Nur anfangs manchmal gewählte Online-Schlagzeilen wie "Der größte sportliche individuelle Erfolg in der lettischen Sportgeschichte" geriet in den Internetforen schnell wieder in Kritik - denn immerhin gibt es da ja noch etliche olympische Goldmedaillen in anderen Sportarten.
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