Rigas rasante Entwicklung erstaunt manchmal sogar die Lettinnen und Letten selbst. Nicht einmal 15 Jahre ist es her, dass nicht ganz klar schien, ob der Putz außen an den Häusern noch mit frischer Farbe übermalt werden könnte, bevor er ganz herunterfällt, und im Inneren vieler Bauten sah es nicht viel besser aus.Heute ist Riga eine Immobilien-Boomtown - das heißt in erster Linie: es wird in Bauten investiert, Locations werden "besetzt", von Nutzern werden Mieten und Gebühren herausgepresst was nur geht. Wenn heute von einer "Stabilisierung" der Immobilienpreise gesprochen wird, dann ist es schlicht die Hoffnung (der Geldgeber, der Börse), dass die Entwicklung sich nicht überhitzt und wie ein Luftballon zerplatzt. Schon gibt es Diskussionen, ob die Stadtsilhouette nicht zu stark durch neue riesige Bauten verstellt wird, und die Altstadt Rigas so den Status als UNESCO-Weltkulturerbe verlieren könnte.
Als am Dienstag, den 23.Januar 2007 die Diskussion um die neuen Kulturbauten den Rigaer Stadtrat erreichte, geschah das nicht nur unter kulturpolitischen Vorzeichen. Kultur hat einen sehr hohen Stellenwert in Lettland. Und Lettland hat mit der Tautas Partija die maßgebliche Partei der regierenden Vier-Parteien-Koalition, die mit Helena Demakova eine anerkannte Expertin als Kulturministerin aus ihren Reihen stellt.
Doch im Stadtrat von Riga stehen die Vorzeichen anders. Hier steht Bürgermeister Aivars Aksenoks für seine Partei "Jaunais Laiks", die nach den Parlamentswahlen des Herbstes 2006 keine Aufnahme in das regierende lettische Parteienbündnis fand. Die "Tautas Partija" von Regierungschef Aigars Kalvitis dagegen spielt im Rigaer Stadtrat nur eine untergeordnete Rolle, in einem Stadtrat, in dem die regierende Koalition nur eine äusserst knappe Mehrheit von 31 von 60 Sitzen hat. Riga plant den Bau eines neuen Konzertsaals. 20% der Gesamtkosten in Höhe von 63 Millionen Lat (ca. 100 Mill. Euro) für den Bau einer neuen Konzerthalle muss die Stadt Riga selbst tragen. Aber das Kostenargument spielte nur eine geringere Rolle bei der Abstimmung vom Dienstag, bei der nur 26 Abgeordnete ihre Stimme zugunsten des Projekts abgaben. Wie kam es dazu, und wie geht es jetzt weiter? Gegenwärtig werden drei Großprojekte in Riga von der staatlichen Agentur "Jaunie Trīs Brāļi" vorangetrieben: neben dem Neubau einer Nationalbibliothek und der Schaffung eines Museums für moderne Kunst gilt das Konzertsaal-Projekt als das Wichtigste für das lettische Kulturschaffen. Alle drei verlangen riesige Investitionssummen. Für den Konzertsaal wurde, nachdem man sich für den Platz am sogenannten "AB-Damm" direkt an der Daugava entschieden hatte, ein Wettbewerb ausgeschrieben und am 12.Mai 2006 der Sieger verkündet. Seitdem treibt nun der Wettbewerbssieger, das Architekturbüro "Sīlis, Zābers und Kļava", das Projekt voran und hatte zur Präsentation - wie könnte es anders sein - auch schon eine eigene Internetseite eingerichtet.
Auf der "Wasserfläche als Bühne" möchte Rigas Stadtarchitekt Jānis Dripe den neuen Kulturtempel gerne errichtet sehen. 22.000 qm Fläche benötigt das Projekt, 1400 Zuschauern soll es in einem großen und weiteren 375 in einem kleineren Saal Platz bieten. Doch seit am 21.12.2006 Bürgermeister Aksenoks und Kulturministerin Demakova nahezu ergebnislos auseinander gingen, waren nur noch bissige Bemerkungen von beiden Seiten zu hören. "Konzertsaal als Geisel der Politik" Kommentar am 21.12.2006 in der größten Tageszeitung DIENA. , so ein"Ich werde teure Großprojekte nur dann unterstützen, wenn die Regierung die Strukturprobleme der Hauptstadt lösen hilft," konterte der Bürgermeister.
Damit sind zumindest teilweise auch die andauernden Verkehrsprobleme gemeint. Ein Konzertsaal genau an der Nahtstelle zwischen wichtigen Verkehrsströmen über die Daugava wird so als zusätzliche Problemverschärfung angesehen. Und auch andere aktuelle Probleme der Stadt benennt Aksenoks: er möchte lieber mehr Geld für die Kindergärten und den Wohnungsbau zur Verfügung haben als nur für prestigeträchtige Großprojekte. "Alles Fragestellungen, die mit dem geplanten Konzertsaal überhaupt nichts zu tun haben", kontert Demakova.
Stürme, Nordwestwind und hoher Wasserstand erinnerten noch Anfang Januar an ein weiteres Gegenargument der Projektgegner. Ist es denn der richtige Platz? So nahe an der Daugava, wenige Zentimeter über dem Wasserspiegel? Zwar haben Fachgutachten und Aussagen anderer Architekten ergeben, dass eine Sicherung des Baus möglich sei, zum Beispiel durch eine Absicherung mit Hilfe von Dolomitschichten.
Die Situation nach dem vorläufigen Nein des Rigaer Stadtrats wird aber auch unterschiedlich beurteilt. Während Beobachter wie der DIENA-Kommentator Askolds Rodins das Projekt für vorerst nicht durchführbar halten (DIENA 25.1.07), verwickeln sich andere in juristische Spitzfindigkeiten. "Wenn diejenigen Abgeordneten, die eigentlich wegen persönlicher Betroffenheit und eigener Interessen nicht mit abstimmen sollten, auch nicht mitgezählt werden würden, dann wären es nur 49 Stimmen im Stadtrat," rcchnet Artis Stucka, stellvertretender Staatssekretär im Ministerium für Regionalentwicklung vor, "da stellen 26 Stimmen die eindeutige Mehrheit dar." (LETA 24.1.07, TVNET) Eine Argumentation, der Bürgermeister Aksenoks natürlich nicht zustimmen kann.
Das lettische Kulturministerium seinerseits stürzt sich in Aktivität: ein eigenes Gesetz zum Bau des Konzertsaals soll nun schon innerhalb der nächsten Wochen zur Beschlußfassung im lettischen Parlament vorbereitet werden. Das Projekt sei überwiegend eine Sache des ganzen Landes, denn nicht nur in Riga, sondern auch in anderen Städten wie Rezekne, Liepaja oder Ventspils seien weitere neue Konzertsäle geplant. 71% der Bevölkerung befürworten laut einer Umfrage aus dem Frühjahr 2006 das Projekt eines neuen Konzertsaals in Riga, so die Ergebnisse einer Umfrage, die vom Ministerium gerne zitiert wird.
Eines scheint vorerst klar zu sein: Diskutiert wird über dieses Thema nicht nur unter Politiker/innen gern. In den lettische Internetportalen APOLLO, DELFI und TVNET meldeten sich zahlreiche argumentationsfreudige Bürgerinnen und Bürger zu Wort, und die Mehrheitsmeinungen gingen zumindest hier ebenfalls in sehr verschiedene Richtungen.
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