22. Dezember 2024

Sitzen bleiben, bitte!

Im lettischen Parlament (der Saeima) gelten strenge Regeln. Natürlich gibt es Regeln für die Parlamentsarbeit, und die sind in der Parlamentsordnung festgelegt - erstmals beschlossen 1994, zuletzt geändert 2019. "Die Saeima besteht aus einhundert Volksvertreter/innen", so finden wir es beispielsweise dort formuliert. Jedes Parlamentsmitglied muss vor Amtsantritt durch einen Schwur (in lettischer Sprache) versichern, Lettland gegenüber loyal zu sein, seine Souveränität und die lettische Sprache als einzige Amtssprache zu stärken, Lettland als unabhängiges Land und den demokratischen Staat zu verteidigen und die Verfassung und die Gesetze Lettlands einzuhalten.

Gewählt um dabei zu sein

Jedes Mitglied der Saeima ist aber auch verpflichtet, sich an der Arbeit der Saeima zu beteiligen - für den Fall unangekündigten Nichterscheinens drohen Geldstrafen oder Gehaltsabzug. Wer es dem Parlamentspräsidium vorher mitteilt, darf auch mal eine Woche fehlen. Dabei werden Transportkosten extra vergütet. Im Gegenzug wird die Anwesenheit von Parlamentsmitgliedern bei den Sitzungen gleich mehrfach kontrolliert: nicht nur bei Beginn, sondern eigentlich bei jeder Abstimmung, wo die Beschlussfähigkeit eines Gremiums festgestellt werden muss. 

Parlament aus der Ferne

Dennoch gibt es offenbar in den seitenlangen Vorschriften noch Lücken. Die pandemischen (Corona-)Zeiten brachten es mit sich, dass viele ihre Arbeit im "Homeoffice" (lett. "attālināti", aus der Entfernung) erledigen mussten oder wollten. Schon 2015 beschloss das lettische Parlament Änderungen im Gemeindeverwaltungsgesetz, die eine Teilnahme an Ausschußsitzungen auch per Videokonferenz möglich machte - damals sicher als "modernes Zugeständnis" an den Trend zur Digitalisierung gedacht (saeima)

Gegenwärtig aber wirken online Zugeschaltete wohl eher als "teilweise Abwesende". Besonders negativ fällt auf, wenn die Qualität der Ton- und Bildübertragungen zu wünschen übrig ließen, und im Ergebnis dann einzelne Meinungsäußerungen und Wortmeldungen nur schlecht oder gar nicht zu verstehen waren. Einige lettische Medien und Internetportale haben Aufzeichnungen solcher Ausschußsitzungen veröffentlicht, wo per Internet zugeschaltete Teilnehmer/innen fast gar nicht zu verstehen waren, und die jeweiligen Ausschußvorsitzenden dann froh waren, wenigstens das Abstimmungsergebnis korrekt wiedergeben zu können (de facto). 

Regionale Termine gegen zentrale Sitzungen?

Nun haben aber einige Abgeordnete schon sehr oft nur "online" an Sitzungen teilgenommen; wer zum Beispiel im Küstenort Liepāja wohnt gibt gern als Argument an, für eine einzelne Sitzung 2x drei Stunden Autofahrt in Kauf nehmen zu müssen. Bei einer Sitzung des Ausschusses für Europafragen im November sollen gleich neun von 14 Personen nur "zugeschaltet" anwesend gewesen sein. Die Beschlußfähigkeit hat das bisher nicht beeinträchtigt, und einige Abgeordnete argumentieren auch, auf diese Weise "mehr Zeit für den Kontakt zur Wählerschaft vor Ort" zu haben.

Wer sich aber bemüht, bei Sitzungen auch persönlich dabeizusitzen,  könnte sich auch benachteiligt fühlen, wenn Kolleginnen und Kollegen sich entscheiden lieber nur online präsent zu sein - und es sich zu Hause "bequem machen", oder sich sogar aus dem Auto zuschalten lassen. Es entstehen auch rechtliche Fragen: laut Gesetz soll immer gleichzeitig abgestimmt werden; wenn aber zwischen einer Abstimmung vor Ort und der Feststellung des übrigen Abstimmungsergebnisses Zeit vergeht besteht auch die Gefahr, dass das eine das andere beeinflussen kann. So haben dann einige Gremien beschlossen: aus der Ferne teilnehmen geht, aber abstimmen kann nur, wer vor Ort anwesend ist. Schließlich könne ja niemand wissen, was abseits des Bildschirmausschnitts vor Ort bei jemand vorgeht (sitzt vielleicht jemand daneben mit einer Pistole?) (defacto)

Regel oder Ausnahme?

Gegenwärtig werden Gesetzesänderungen vorbereitet, die eine Teilnahme online an Sitzungen nur noch in Ausnahmefällen oder Krisensituationen erlaubt. Denn die Begründungen, warum einzelne Abgeordnete teilweise mehr als 10x innerhalb von zwei Monaten nur "aus der Ferne" teilgenommen haben, fallen bisher recht simpel aus: "Es ist einfacher", oder auch: "Ich habe noch andere Termine". Das erinnere doch an Lügen in der Schule, meint Verfassungsrechtler Edgars Pastars. "Herr Lehrer, mein Hund hat mein Aufgabenheft gefressen - so an diese Art Entschuldigungen erinnert es doch," meint er. (TVNet) Immerhin bekämen die einfachen Parlamentsmitglieder in Lettland gegenwärtig 4220 Euro netto - und das sei auch für entstehende anfallende Kosten am Sitzungsort gedacht, heißt es. (lsm)

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