Nun also ist geschehen, was seit Tagen und Wochen vorhergesagt wurde: in Lettland muß wieder eine neue Regierung gebildet werden. Ivars Godmanis ist am Freitag zurückgetreten.
Die vergleichsweise kurzen Meldungen der deutschen Presse vermerken, die Regierung sei an der Finanzkrise gescheitert. Aber so einfach ist die Erklärung nicht. In Zeiten der Finanzkrise ist die Koalition zerbrochen. Und das war allerdings nicht nur schon länger absehbar, sondern die Frage nach dem prognbostizierbaren Verbleiben im Amt war zum Amtsantritt dieser Regierung im Dezember 2007 bereits berechtigt. Godmanis hat es auf den üblichen Durchschnitt der Lebensdauer von lettischen Regierungen geschafft.
Jetzt kursieren zahlreiche Vermutungen und Spekulationen, warum die Regierung scheiterte, warum gerade jetzt und wer ihr folgen wird.
Die Regierung Godmanis ist mit der Belastung gestartet, daß der Regierungschef selbst nach der Regenschirmrevolution nur ein Kompromißkandidat war, den die Vertreter der größeren Parteien Grüne und Bauern sowie Volkspartei vorschoben, nachdem Vorgänger Aigars Kalvītis das Vertrauen der Bevölkerung verloren hatte.
Da alle in der Koalition befindlichen Parteien unter einem Vertrauensschwund leiden, aber im Juni Kommunal- und Europawahlen anstehen, ist die Positionierung derzeit wichtig und zwar auch wichtiger als die Verwaltung der Krise und die Bekämpfung ihrer negativen Folgen. So murrte auch nur Godmanis selbst, die Parteien hätten sich vor ihrem Schritt überlegen sollen, was die Abwesenheit einer handlungsfähigen Exekutive bedeutet.
Volkspartei und die Union aus Grünen und Bauern geben sich einstweilen optimistisch und kündigten eine zügige Regierungsbildung an. Noch diese Woche soll dem Parlament ein neues Kabinett zur Vertrauensabstimmung vorgestellt werden.
Da die Regierung noch zwei Wochen vor diesem Rücktritt mit den gleichen Abgeordneten einen Mißtrauensantrag der Opposition überstanden hatte, läßt vermuten, daß hinter den Kulissen bereits Vereinbarungen getroffen wurden.
Hierbei ist die Rolle des Präsidenten undeutlich, der als Kandidat der Volkspartei gehandelt werden kann. Während der letzten wurden Kabinettssitzungen und Fraktionsrunden de facto bereits in der Rigaer Burg, dem Sitz des Präsidenten abgehalten, ja im Grunde einberufen, denn Präsident Zatlers fühlte sich immer häufiger gemüßigt, von seinem Vertrauen in konkrete Personen zu sprechen, isnbesondere den Regierungschef. Noch am Montag wurde aus diesem Grunde der jetzt zurückgetretene an den Burgplatz zitiert. Dies sieht die Verfassung nicht vor.
Der einzige vom Präsidenten der Verfassung entsprechend verlangte Vertrauensbeweis ist die Nominierung eines Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten. Nicht mehr, allerdings auch nicht weniger. Folglich gibt erst der Rücktritt Godmanis’ nun dem Präsidenten wieder die Möglichkeit, die Parteienchemie zu beeinflussen.
Während die Volkspartei mit Außenminister Märis Riekstiņš und dem Minister für Kommunale Angelegenheiten, Edgars Zalāns, gleich zwei Namen nannte, erklärte die Union aus Grünen und Bauern, sie habe keine Veranlassung, sich von Kandidat Aivars Lembergs zu distanzieren, den sie auch 2006 plakatiert hatten. Da der Bürgermeister von Ventspils derzeit vor Gericht steht, heißt dies mit anderen Worten, diese Partei verzichtet auf den Posten.
Eine Regierungsbildung, die nicht wieder dieselben Partner zusammenführt, kann nur unter Einbeziehung des als pro-russisch gelteneden Harmoniezentrums oder der Neuen Zeit gebildet werden. Erstere haben bisher alle Parteien als Partner gemieden, während letztere im Frühjahr 2006 aus einer Koalition mit eben den an der Macht befindlichen Parteien unter Protest verlassen hatte. Was also sollte diese Partei zur Rückkehr in dieselbe Koalitionsarithmetik veranlassen.
Mit dem Europaabgeordneten Valdis Dombrovskis steht der Partei seit langem außerdem ein eigener potentieller Kandidat für das Amt des Regierungschefs zur Verfügung. Aber auch wenn die Union aus Grünen und Bauern sich einen Regierungschef der Neue Zeit angeblich vorstellen kann, ist die Bereitschaft der Volkspartei zur Akzeptanz einer neuerlichen Führung durch eine kleinere Partei fraglich.
Die Neue Zeit fordert darum konsequent einen parteilosen Regierungschef. Namen kursieren bereits. Die Chefin des Rechnungshofes, Inguna Sudraba, hat allerdings beispielsweise öffentlich bislang die Übernahme dieser Aufgabe abgelehnt, die Parteien sein nicht wirklich bereit zu arbeiten.
Diese Woche wird nun zeigen, ob sich die Parteien tatsächlich bereits auf etwas geeinigt haben. Anderenfalls wird wohl kaum schon in dieser Woche ein neues Kabinett bestätigt.
Was könnten sich Volkspartei und die Union aus Grüne und Bauern erhoffen? Darüber existieren im wesentlichen zwei Spekulationen. Entweder die Volkspartei will in einer Koalition mit der Neuen Zeit diese und ihr Saubermannimage entzaubern, um bei den Wahlen selbst bessere Aussichten zu haben. Ein weiterer positiver Aspekt läge in der Trennung der Neuen Zeit von den neugegründeten Parteien Bürgerliche Union und Andere Politik, die jeweils Aspaltungen von den beiden erstgenannten Parteien sind und als Dreierbund mit einer oppositionellen Neuen Zeit bei allfälligen Wahlen in Kürze realistische Ambitionen auf ein gutes Ergebnis geltend machen könnten.
Wenn die Neue Zeit sich aber an einer Regierung nicht beteiligt, bliebe noch die Variante, mit dem Harmoniezentrum zusammenzuarbeiten. Inwiefern Volkspartei und Grüne und Bauern damit ihr Beliebtheit steigern könnten, steht jedoch ebenso in Frage wie eine Verweigerung der Neuen Zeit.
Dies ist wiederum alles in Abhängigkeit von der weiteren Vorgehensweise des Präsidenten zu sehen. Wird er sich als Kandidat der Volkspartei am 31. März an sein Ultimatum erinnern? Wird er Gründe finden, die Parlamentsauflösung anzuregen oder sich mit wiederum welchen anderen Erklärungen von seiner Ankündigung distanzieren.
Insofern versuchen die Parteien wohl, sich für Wahlen bereits in diesem Herbst zu positionieren, während die Oligarchen vielleicht auch auf eine Gnadenfrist bis zum Herbst 2010 spekulieren.
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