7. Februar 2009

Politikvakuum in Lettland

Lettland ist wirtschaftlich von der Krise gezeichnet und die politische Elite am Ende ihres Lateins: Es herrscht ein Politikvakuum.

Im Falle eines Machtvakuums wäre unklar, wer regiert. Dies aber ist nicht der Fall. Die Regierung unter Ministerpräsident Godmanis verfügt auch nach dem Austritt einiger Abgerdneter aus den vier die Koalition stützenden Fraktionen über eine Mehrheit im Parlament. Das zeigte sich bei der Vertrauensabstimmung auf Antrag der Neuen Zeit am vergangenen Donnerstag.

Diese Mehrheit war nach der letzten Wahl im Herbst 2006 in der Regierungszeit von Aigars Kalvītis noch etwas größer. Auch er war nicht parlamentarisch gestürzt worden, sondern aufgrund des politischen Drucks selbst zurückgetreten.

Ein Politikvakuum besteht nun, weil Unklarheit über Politikinhalte besteht, ja mehr noch, eine Politik eigentlich nicht mehr stattfindet.

Lettland nicht regiert, sondern dirigiert
Natürlich ist die tiefe wirtschaftliche Krise, in der die Hilfe von IWF und der Europäischen Union die Zahlungsunfähigkeit Lettlands verhindern, ein wichtiger Grund, warum derzeit weniger in Riga als an anderen Orten entschieden wird.

Der politische Beobachter gewinnt aber darüber hinaus derzeit den Eindruck, daß die Regierung ohnehin nur noch aus einer Person besteht: dem Regierungschef selbst. So wichtige Amtspersonen wie der Finanz- und der Wirtschaftsminister, die jeweils anderen Parteien angehören, tauchen in der Öffentlichkeit gar nicht mehr auf.

Der dem vierten Koalitionspartner angehörende Landwirtschaftsminister ist angesichts der Bauernproteste dieser Tage von seinem Amt zurückgetreten. Damit stellt er eine Ausnahme dar.

So wenig die Koalitionspartner den die zweitkleinsten Regierungspartei vertretenden Ministerpräsidenten lieben mögen, niemand erklärt derzeit seine Bereitschaft, an dessen Stelle zu treten. Dieser müßte dann außerdem erst von Präsident Valdis Zatlers benannt werden. Über eine solche Machtposition verfügt aber derzeit kein Politiker. Während Godmanis am vergangenen Sonntag im Fernsehen verkündete, er habe nicht die Absicht zurückzutreten und die Regierung arbeite weiter, stellt sich die Frage, welche Alternative es überhaupt gäbe.

Die Koalitionspartner, die teilweise ihren Regierungschef in den letzten Tagen und Wochen kritisiert haben, beeilten sich vor der Abstimmung am Donnerstag zu erklären, daß sie nicht gegen die Regieung stimmen würden. Darunter auch die an mangelndem inneren Zusammenhalt leidende Union der Grünen und Bauern, deren Fraktionsvorsitzender einen parteilosen Nachfolger für den zurückgetretenen Landwirtschaftsminister vorgeschlagen hat.

Präsident Zatlers hat derweil an die Partizipationsbereitschaft der Bevölkerung appelliert und die Intellektuellen aufgerufen, doch bitte in die Politik zu gehen, neue Parteien zu gründen oder in bestehende einzutreten. Der Hintergrund? Zatlers kann die Parlamentsauflösung anregen und wüde im anschließenden obligatorischen Referendum Umfragen zu Folge eine Zustimmung von zwei Dritteln des Wahlvolkes erhalten. Doch wen sollen die Wahlbürger an die Stelle der jetztigen abgewirtschafteten politischen Elite wählen? Zatlers hat sich also mit seinem, den Geist der Verfassung überschreitenden Ultimatum an die Parlamentariern, selbst ein Bein gestellt.

Wurde Lettland regiert?
Ein Politikvakuum, werden Kritiker behaupten, gab es bereits zuvor. Und tatsächlich, die oligarchischen Parteien haben, wie ihnen die Bürger vorwerfen, während der vergangenen Jahre auf die Wünsche und Bedürfnisse der Bevölkerung keine oder wenig Rücksicht genommen und dienten statt dessen oftmals ihrem eigenen Vorteil. Die lettische Politik war zwar nicht mafiös, aber im Rahmen des weitgehend Legalen wurde stand good governance nicht im Mittelpunkt des Bemühens.

Das müssen sich auch nicht politische andere Amtspersonen vorwerfen lassen. Denn ein günstiger Zeitpunkt wie auch eine günstige Alternative der Ausrichtung einer Neuwahl wurden nicht genutzt.

Bereits kurz nach der Wahl 2006 hatten die Behörden festgestellt, daß gleich mehrere Parteien – eben jene, die derzeit die regierende Koalition bilden – im Wahlkampf gegen die Gesetze über die Wahlkampfausgaben verstoßen hatten. Die Zusammensetzung des Parlamentes, so kommentierten bereits damals Juristen, Politologen und Journalisten, gründe sich auf illegale Handlungen. Doch nichts geschah.

Was nun?
In einem Machtvakuum könnte es aus Ärger der Bürger zu revolutionären Zuständen kommen. Dafür aber fehlt in Lettland die Mentalität. Ebenso könnte jemand versucht sein, ein autoritäres Regime zu errichten. Dafür aber fehlt die entsprechende Figur. Außerdem sind sich alle Vertreter der politischen und wirtschaftlichen Elite bewußt, welche Folgen dies innerhalb von NATO und EU hätte und folglich den Lebensstandard der Bevölkerung betreffend eher zu einer drastischen Verschlechterung führte.

Wenn aber die Intellektuellen des Landes nun nicht endlich bereit sind, sich für ihren Staat zu engagieren, droht nach einer allfälligen Neuwahl ein Parlament zusammengesetz bestenfalls aus der dritten und vierten Garde des sozialen Kapitals, der nach dem Abtreten der Oligarchen dann auch noch die politische Erfahrung fehlt. Damit würde Lettlands Position als Mezzogiorno der EU auf Dauer gefestigt.

Aber dabei ist immer die Rede von Neuwahlen. So lange der Gesetzentwurf des Präsidenten, die Verfassung zu Gunsten eines Volksrechtes zur Entlassung des Parlamentes zu ändern, ebenso wenig den Weg durch die parlamentarische Beratung findet wie es eine Mehrheit für den Vorschlag der Volkspartei gibt, die Verfassung durch ein Selbstauflösungsrecht der Saeima zu ergänzen, bliebt dieses Parlament auf Gedeih und Ververb erhalten. Und mit jedem Monat rückt der reguläre Wahltermin im Herbst 2010 näher.

Bliebe als Ausweg ein Rücktritt der Regierung Godmanis und die Bereitschaft etwa der Chefin des Rechnungshofes, Inguna Sudraba, als Parteilose eine Regierung zu bilden. Derzeit verfügen die oppositionelle Neue Zeit gemeinsam mit dem pro-russischen Harmoniezentrum und den Abgeordneten, die ihre alten Fraktion verlassen haben, über so viele Stimmen, daß sie mit der Partei von Godmanis knapp die absolute Mehrheit im Parlament verfehlen. Bliebe die Erwartung eines Zerbrechens Union der Grünen und Bauern.

Und hier gibt es wieder wilde Spekulationen: Die Oligarchen haben verstanden, daß ihre Zeit vorbei ist un sorge unter einem Premier Godmanis noch schnell dafür, ihre Pfründe zu sichern, um dann das Feld zu räumen.

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