Wenn Lettinnen und Letten "lettisch" kaufen möchten - ausgenommen das, was direkt bei den Bauern oder auf Märkten bezogen werden kann - dann heißt es zumeist: gehen wir zu RIMI! Denn jeder weiss schließlich, dass die Supermarktkette MAXIMA litauische Eigentümer hat - erkenntlich auch am Warenangebot. Nun steht hinter der RIMI-Kette allerdings der schwedische ICA-Konzern, und der scheint in Lettland, einem der Länder mit den durchschnittlich ärmsten Menschen in Europa, gute Geschäfte zu machen: in den vergangenen drei Jahren allein 63 Millionen Euro, 55 Millionen Euro wurden den Eigentümern als Dividende ausgezahlt.
Der Erfolg von RIMI hat mehrere Gründe: saubere und frisch renovierte Läden, produktivere Arbeitsprozesse, und billige Arbeitskräfte - so beschreiben es Inga Spriņģe und Sanita Jemberga vom "Zentrum für investigativen Journalismus RE:Baltica" ("IR"/ TVNet). In Schweden bekommen Kassiererinnen und Kassierer dreimal so hohen Lohn wie in Lettland (nach lettischem Preisniveau berechnet), in Estland liegt das Lohnniveau noch um 100 Euro monatlich höher. Der härteste Konkurrent in Lettland, MAXIMA, zahlt allerdings seinen Angestellten in etwa dasselbe. Gibt es da Absprachen?
Verglichen mit dem, was ansonsten an Arbeitsplätzen in Lettland zu finden ist, scheint es bei RIMI noch ganz gut auszusehen: Lohn wird nicht heimlich "im Umschlag", sondern ganz legal versteuert auf Konto überwiesen. Es gibt Aufstiegsmöglichkeiten, Krankenversicherung, Weiterbildung. In den Firmen des lettischen Verbands für Lebensmittelhandel (Latvijas Pārtikas tirgotāju asociācijā), zu dem neben RIMI und MAXIMA noch NARVESEN gehört, wird zu 19% Mindestlohn gezahlt - in anderen Läden sind es 33%. Journalistin Spriņģe verweist auf eine Untersuchung der lettischen Hochschule für Wirtschaft, der zufolge gerade in den kleinen Läden der größte Anteil an "Schattenwirtschaft" (Schwarzarbeit) zu finden ist, an der Spitze liege hier das Bauwesen. RIMI war 2015 mit 5731 Angestellten der drittgrößte Arbeitsgeber in Lettland, nach der lettischen Eisenbahn mit 7173 und MAXIMA mit 9150 Mitarbeitern (db). Aber ihr Lohnniveau macht nur 67% des statistischen mittleren Lohnes in Lettland aus: 2015 lag dieses Mittel bei 550 Euro brutto; Supermarktkassierer bekammen im Schnitt nur 470 Euro.
Nun ja, die Gewerkschaften gelten in Lettland als eher schwach. Und in Estland ist das Lohnniveau beim Schwesterunternehmen vielleicht deshalb höher, weil auch gering Qualifizierte leicht nach Finnland abwandern können.
Auch eine Erhöhung des Mindestlohnniveaus wird momentan diskutiert; nach gegenwärtig gültigen Regelungen würde der Mindestlohn 2018 dann in Estland 470 Euro betragen (in Litauen und Lettland etwa 380 Euro - niedriger ist der Mindestlohn in der EU nur in Bulgarien, Rumänien und Ungarn). Zudem liegen die Steuerabgaben in Lettland mit 40% des Lohnes sogar noch höher als in Estland, wo es nur 34% sind. RIMI begründet die Zurückhaltung gegenüber Lohnerhöhungen momentan mit dem bevorstehenden Bau eines großen Logistikzentrums in Riga, und Investitionen in Höhe von 75 Millionen Euro ("IR"). Zudem ist die Grenze für steuerfreien Mindestverdienst in Estland höher
als in Lettland (170 Euro gegenüber nur 100 Euro in Lettland). Erst 2020 wird dieses steuerfreie Minimum auch in Lettland bis 160 Euro steigen.
RIMI verweist unter anderem auf eine Auszeichnung aus dem Jahr 2015 als "bester Arbeitgeber Lettlands". Der Preis wird allerdings nicht etwa von den Gewerkschaften, sondern vom Arbeitgeberverband (Latvijas Darba devēju konfederācija LDDK) verliehen, Antragsteller müssen lediglich einen Katalog von 15 Fragen beantworten - eine Frage zum Lohnniveau ist nicht dabei. Die LDDK hat sich mehrfach gegen eine Erhöhung des Mindestlohnniveaus in Lettland ausgesprochen - ebenso das lettische Finanzministerium und die lettische Zentralbank. Eines der Gegenargumente ist auch die Rechnung, dass bei einer Erhöhung des lettischen Mindestlohns auf - beispielsweise - 410 Euro schon 70% aller Arbeitnehmer/innen in Latgale nur den Mindestlohn verdienen würden (und auch überall sonst, außer in Riga und Umgebung, wären es über 50%). Natürlich könnten die Argumente hinzugefügt werden, die auch in Deutschland von Arbeitgeberseite gewöhnlich oft benutzt werden - aber was hilft das alles, wenn ein Arbeitslohn kein normales Auskommen bietet? Die Lebensmittelkette RIMI ist dafür nur ein Beispiel. Welche Kosten jeder Konsument in Lettland zu bestreiten hat - und wie wenig sich das Preisniveau von dem in wohlhabenderen EU-Ländern unterscheidet - auch das lässt sich allerdings leicht ebenfalls den bunten RIMI-Katalogen entnehmen.
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