7. Oktober 2018

Neu gewürfelt: sieben auf einen Streich

Dem vorläufigen Wahlergebnis zufolge sieht das Ergebnis der Wahlen zur lettischen Saeima (Parlament) vom 5.10. wiefolgt aus:

Liste 9 - "Saskaņa" - Sozialdemokratische Partei "Harmonie" - 19,8% (23 Sitze)
Liste 15 - "Kam pieder valsts" KPV LV ("Wem gehört der Staat") - 14,25% (16 Sitze)
Liste 2 - Jaunā konservatīvā partija - Neue Konservative Partei - 13,59% (16 Sitze)
Liste 10 - Attīstībai/Par! - Entwicklung / Dafür - 12,04% (13 Sitze)
Liste 4 - Nacionālā apvienība "Visu Latvijai!"-"Tēvzemei un Brīvībai/LNNK" - Nationale Vereinigung - 11,1% (13 Sitze)
Liste 16 - Zaļo un Zemnieku savienībaListe d. Grünen u. der Bauernpartei ZZS - 9,91% (11 Sitze)
Liste 13 - Jaunā VIENOTĪBA - Neue Einigkeit - 6,69% (8 Sitze)

buntes Bild: Zusammensetzung der
frisch gewählten Saeima

Das neue lettische Parlament bilden also Vertreter/innen von sieben verschiedenen Parteien. Drei andere ambitionierte Gruppierungen blieben unter der 5%-Grenze: Latvijas Reģionu Apvienība 4,14% (Verband der Regionen, ehemals 8, momentan noch 7 Sitze im Parlament), "Latvijas Krievu savienība" 3,2%, (Vereinigung der Russen Lettlands), beim vorigen Mal mit 1,58% noch deutlicher abgeschlagen, und die neu gegründeten "Progressiven" mit 2,61%.(Detaillierte Zahlen siehe CVK)

Unentschieden bis zurückhaltend

Auffällig war diesmal, dass jeder Dritte sogar bei der Nachwahlbefragung nicht verraten wollte, welche Partei er / sie gewählt hatte - und so blieben am gestrigen Samstag abend alle Kommentare ohne sicher Grundlage. Wenig aufheiternd auch die niedrige Wahlgeteiligung von insgesamt nur 54,6%.

Eines scheint klar zu sein: niemand kann sich als alleiniger Gewinner fühlen. Einen realistischen Anspruch auf eine Regierungsbeteiligung hätten die Möchtegern-Sozialdemokraten der "Saskaņa" sicher nur bei einer Prozentzahl nahe der 30% gehabt - statt dessen gegenüber 2014 ein Rückgang um 3,2%, trotz aller großformatiger Werbung mit Bürgermeister Ušakovs.

Regierungschef mit reduzierter
Gefolgschaft: "Helden der
Arbeit"?
Die Nationale Liste (Rückgang -5,5%, 13 statt 17 Sitze), Bauern und Grüne (Rückgang -9,6%, 11 statt 21 Sitze) und die "Neue Einigigkeit", die 2014 noch als "Einigkeit" antrat und damals 15,18% und 15 Sitze mehr errangen - alle drei können froh sein im Parlament vertreten zu sein und damit sich potentiell an einer neuen Regierung beteiligen zu können.

Für Veränderungen - aber in welche Richtung?

Die beiden neu (aus den Resten anderer Parteien) gebildeten Gruppierungen "Neue Konservative" und "Entwicklung / dafür" sehen sich in der Situation, lediglich in etwa gleichauf mit ihren heftig bekämpften Konkurrenten gelandet zu sein. Beide wären sicher gern mehr richtungsbestimmend gewesen: die einen beim Thema Anti-Korruption, aber mit sehr traditionellen Werten, die anderen offen liberal mit dem Willen, aus der Enge des moralinsauren Konservatismus entfliehen zu wollen.

Und die Schauspielerpartei KPV? Wäre ich Parteichef Artuss Kaimiņš, würde ich erst mal suchen, wo die mich filmende Kamera steht, und den Wählerinnen und Wähler fest in die Augen schauen. Schon am Morgen nach der Wahl meinte ein Vertreter dieser Partei im lettischen Radio auf die Frage, mit welchen anderen Parteien nun wegen einer Koalition gesprochen werden soll: "Es kommt nicht auf die Parteien an, sondern auf die Gesellschaft, auf die Menschen!" Wenn das so ernst gemeint ist, wird die KPV einfach das tun, was ihnen die besten Schlagzeilen bringt, wenn sie nur weiterhin scheinbar irgendwen entlarven können, der dem lettischen Staat angeblich Böses will. In einigen Wahllokalen in Irland haben über 60% die KPV gewählt! Da heißt es sehr laut zu schreien, um die eigenen Wählerinnen und Wähler zu erreichen.

Personalwechsel

Zwei bisherige Minister wurden nicht mehr ins Parlament gewählt: Justizminister Dzintars Rasnačs von der "Nationalen Vereinigung" NA und Innenminister Rihards Kozlovskis (Jauna Vienotiba); auch sein Parteikollege Bildungsminister Kārlis Šadurskis ist wahrscheinlich nicht mehr dabei. Alle drei traten im Wahlbezirk Riga an. Kaspars Gerhards, bisher Minister für Umwelt und Regionalentwicklung (NA), stand nicht mehr zur Wahl (Diena).
Nur in Riga bleibt Nils U. weiterhin der Größte

Zumindest einige Leitfiguren haben ihre Position in ihrer Partei gestärkt - durch das lettische Wahlsystem, bei dem jede/r Wähler/in innerhalb der ausgewählten Liste für jede Person auf der Liste plus und minus verteilen kann, wird Beliebtheit und Wählers Rache auch oft gleich sehr deutlich ausgewiesen. 33940 Pluszeichen konnte Vjačeslavs Dombrovskis ("Saskaņa") sammeln - ganz gut für jemand, der vorher für eine ganz andere Partei schon mal Minister war und erst seit wenigen Monaten Parteimitglied ist. Mit ihm als Spitzenkandidat liegt die als "Russenpartei" verschriehene "Saskaņa" nun in Riga über 30%, in ganz Lettland nur bei 20%. Als "Heimatregion" könnte Daugavpils genannt werden, dort liegt die Partei bei 51%.

Bei der KPV.LV ist es umgekehrt: in Riga liegt die Partei unter 10%, in ganz Lettland bei 14%. Starke Region ist Kurzeme, dort liegt die KPV bei 20%. Dazu kommen 35,67% der Auslandsstimmen.

Mit 11376 Pluszeichen auf seiner Wahlliste muss sich der bisherige Premier Māris Kučinskis trösten - vier Jahre zuvor, als vor den Wahlen niemand ahnte Kučinskis könnte Ministerpräsident werden, waren es noch 2302 Plus-, aber auch 2123 Minuszeichen (cvk). Die lettische Presse rechnete schon eifrig, sowohl die Kučinskis-Partei ZZS wie auch die bisher regierende "Jauna Vienotiba" hätten, gemessen an den veröffentlichten Ausgaben für den Wahlkampf, über 40.000 Euro pro tatsächlich erlangtem Mandat ausgeben müssen - haben, oder nicht haben, ist hier wohl die Frage.

Innen und außen

Noch ein Wort zu den Auslandsletten (der "Diaspora"). In Großbritannien beteiligten sich 10.803 Menschen an der Wahl, in Deutschland 3064, in den USA 2423 und in Schweden 2005. Danach folgt Irland mit 1961 abgegebenen Stimmen, Norwegen mit 1934, Dänemark mit 1118, die Niederlande mit 938 und Australien mit 878 (Diena). Auch die Prozentzahlen fallen im Ausland anders aus: 35,67% für die KPV, 15,26% für "Attīstībai/Par" und 6,07% für die "Progressiven". Dagegen nur 6,45% für "Saskaņa" und nur 2,9% für Bauernpartei und Grüne.

Wie lange nun die Parteien für eine Einigung auf Gemeinsamkeiten für ein Regierungsprogramm brauchen werden, ist völlig offen. Präsident Vejonis hat ja laut Verfassung die Aufgabe einer Kandidatin oder einem Kandidaten, der/dem eine Regierungsbildung zugetraut wird, damit zu beauftragen. Er hat angekündigt, sich dafür zwei Wochen Zeit nehmen zu wollen. Auch diese Frage - wer die nächste Regierung führen wird - ist trotz bereits lange andaurernder Diskussionen darüber noch völlig offen.

Keine Kommentare: