31. Oktober 2018

Merkele kundze geht. Na und?

Eine eigene Straße wird wohl nicht nach ihr benannt werden in Lettland - so wie nach dem Aufklärer und Gutsherren-Kritiker Garlieb Merkel. Aber nach dem Russland nicht nur freundlich gesonnenen, sondern sogar persönlichen Profit dabei nicht scheuenden Kanzler Schröder atmeten viele 2005 in Lettland erstmal auf: vieles an Kanzlerin Merkel erschien sympatischer als bei ihren Vorgängern. Sie versteht und spricht selbst Russisch, kann also die schwierigen Diskussionslagen gegenüber Russland im einzelnen nachvollziehen. Sie ist geboren als Kind der DDR, kann also auch die ex-sowjetischen Zwangslagen und Umstellungsschwierigkeiten Lettlands gut verstehen. Und sie hat in der Zeit ihrer Kanzlerschaft die Kommunikationslage zwischen Berlin und den baltischen Staaten wesentlich verbessert - steht heute ein Besuch des russischen Präsidenten in Deutschland, oder ein deutscher Staatsbesuch in Russland an, kann man davon ausgehen, dass kurz vorher die Regierungen der baltischen Staaten über die deutschen Absichten informiert wurden und ein Meinungsaustausch stattfand - an Ähnliches war noch zur Statthalterzeit Helmut Kohls nie auch nur zu denken gewesen (siehe auch: "Latvijas Vēstnesis", Blogbeitrag 2014).

Kam den Lettinnen und Letten schon immer eher
verdächtig vor: die Logik der Merkel-Vergleiche
(hier rechts gemeint: Laimdota Straujuma,
lettische Regierungschefin 2014-16)
Aber auch für die baltischen Staaten war das Entgegenkommen der Regierung Merkel gegenüber den Flüchtlingsströmen irritierend: seitdem haben sich die rechtskonservativen Frontleute stärker profilieren können. Nun heißt es manchmal generell: ist denn überhaupt alles, was aus dem Westen kommt, gut für uns? Und, obwohl die Mehrheiten pro EU-Mitgliedschaft und Euro auch in Lettland bisher unumstößlich erscheinen: nun wird an einer Front mit einer Anti-Flüchtlingshaltung auch Anti-Abtreibung, die Gegnerschaft zu gleichgeschlechtlichen Ehen, ja sogar eine Nichtbeteiligung an Wahlen hoffähig (mit dem Argument, Wahlen bestätigten ja sowieso nur die gegenwärtigen Machthaber).

Wie sehen die Reaktionen  auf den angekündigten Abgang Angela Merkels in Lettland aus? Einige Tage lang - (eisiges?) Schweigen. Merkel-Lob scheint gerade nicht populär zu sein. Es dominiert der relativierende Blick auf Europa. Das "Baltic News Network" (bnn) zitiert John Henley vom britischen "The Guardian", der die Stabillität Europas gefährdet sieht. Paula Justoviča und Ina Strazdiņa betiteln ihren Beitrag zum angekündigten Merkel-Abgang mit dem Begriff "Stabiltät" (lsm). Reaktionen der europäischen Presse zusammenfassend schreiben sie, Merkel sei bisher eine Führungsfigur in Europa gewesen, die Europa auf einem einheitlichen Kurs gehalten habe. Was sie selbst dazu sagen? Fehlanzeige. Macron, Juncker, Rutte - sogar das Weiße Haus und der Kreml werden zitiert (die sich beide eines Kommentars zu Merkel enthalten) - aber kein einziges Zitat von lettischer Seite.

Nun ja, Lettland befindet sich mitten in einer schwierigen Regierungsbildung. Nicht umsonst heißt es: "auch das übrige Europa erlebt einen Stimmenrückgang für traditionelle Parteien" (lsm). Im neu gewählten Parlament kämpfen jetzt sieben Parteien um eine Beteiligung an der Macht - Ausgang offen.

Varianten der Berichterstattung zur Merkel-Nachfolge erlaubt sich die "Latvijas Avize", in kleinen Details: hier wird neben den Namen Kramp-Karrenbauer, Merz und Spahn auch "Christian von Stetten" vorgestellt, ein - Zitat - scharfer Kritiker von Merkels Griechenland-Rettungspolitik und der Grenzöffnung für eine Million Flüchtlinge" (LA). Seltsam nur, dass auf von Stettens eigener Webseite von einer evtl. Kandidatur nichts zu finden ist. In deutschen Medien (FAZ, Welt) ist lediglich zu lesen, dass sich von Stetten frühzeitig für eine Kandidatur von Friedrich Merz ausgesprochen habe - also kein Zeichen guter Deutschlandkenntnisse bei der lettischen Presse, an dieser Stelle. Oder ist es gar noch mehr "lettisches Wunschdenken", falls hier Christian mit seinem Vater Wolfgang verwechselt wurde, dem langjährigen Vorsitzenden der Deutsch-Baltischen Parlamentariergruppe im Bundestag?

Andere Kommentare gibt es vereinzelt in den "sozialen Netzwerken". "Merkel war auch KGB-Agentin und glaubte immer noch an dieselben Ideologien wie in ihrer Kindheit," schreibt ein 'Gregory' auf "Delfi.lv". "Deshalb hat sie auch die illegalen Einwanderer nach Europa reingelassen. Außerdem geht sie für 'Nordstream2' auch über Leichen". - "Gut, sie unterstützt 'Nordstream2", stimmt 'Uldis' zu, "und das Flüchtlingsproblem wird nicht so schnell verschwinden. Aber 'Nordstream2' wird auch mit einem anderen Kanzler gebaut. Ob aber die Sanktionen gegenüber Russland aufrecht erhalten werden, das betrifft doch Lettland am meisten", meint er. "Es wurde auch Zeit für Merkel", meint 'Driks'. "Es bedarf jemand der mit frischem Blick die Probleme in Deutschland anpackt."

Schließlich wagt auch Juris Paiders von der "Neatkarīga" einen Kommentar: "Das Ende des Merkelreichs naht." Innenpolitisch habe Merkel das Image einer "eisernen Lady" gehabt, meint er, aber ihr Stern sei seid 2015 doch arg gesunken. Als Deutschland 2015 beschlossen habe, die "Dublin Konvention" zu ignorieren, habe dies in der Realität zur Folge gehabt, dass jeder illegale Einwanderer nach Deutschland, sofern er es nur geschafft habe als syrischer Flüchtling anerkannt zu werden, großzügig aufgenommen und auch noch finanziell belohnt werde. Also hätten sich alle Flüchtlinge auf den Weg nach Deutschland gemacht, und in den deutschen Großstädten habe sich das Kriminalitätsniveau seitdem erheblich erhöht, meint Paiders. Seiner Meinung nach sei die Unterstützung für Flüchtlinge in Deutschland manchmal größer gewesen als für ortsansässige Rentner oder arme Leute. Paiders zufolge habe das die Unterstützung für die größeren regierenden Parteien in Deutschland erheblich vermindert, und andere Kräfte erstarken lassen.

Paiders wagt sogar einen Vergleich der lettischen mit der deutschen Politik - allerdings nicht auf Flüchtlinge bezogen. Auch die Führungsfiguren der lettische Liste der "Bauern und Grünen" (ZZS) habe zu lange an die Richtigkeit von Reformen geglaubt, während sich die Wählerinnen und Wähler und die eigenen Mitglieder bereits abgewandt hätten. "Hier enden aber auch die Gemeinsamkeiten," schreibt Paiders. "In Lettland stammen sowohl der Präsident wie auch der bisherige Regierungschef aus den Reihen der ZZS. Niemand in der Führung der ZZS hat aber so gehandelt wie die deutsche Kanzlerin. Im Gegenteil. Schließen wir unsere Reihen fester, versuchen es jedem Recht zu machen, auf dass wir nur irgendwie wieder zwei Ministerien bekommen, und dann werden wir sehen ..."

Für "Diena" kommentiert Andis Sedlenieks dann am 31.10. Er sieht wachsende Radikalisierung und innenpolitische Gegensätze in Deutschland, sonst aber wenig Änderungen. Ein "Abgang in Ehren", aber auch ein unklares neues Zeitalter. Interessant auch ein Leserkommentar dazu. "Ach, das ist ja eine Aufregung ähnlich damals, als Breschnew starb; da heulten unsere kommunistischen Hunde auch beinahe schon einen heraufziehenden neuen Krieg herbei - aber sein Platz blieb ja nicht lange leer. Nirgendwo in der Welt wird die Pensionierung einer einzelnen Frau größere Löcher verursachen."

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