10. Oktober 2018

Die Auserwählten

Der Wahltag ist vergangen, die Regierungsbildung wird vielleicht mehrere Wochen dauern. Dennoch lassen sich aufgrund der Personen, die auf ihren Wahllisten gewählt wurden, einige Rückschlüsse bereits ziehen.

Bei der "Saskaņa" war Bürgermeister Ušakovs, (der
nicht für das Parlament zur Wahl stand) allgegenwärtig.
Ob es zum Stimmenrückgang beigetragen hat?
Viele Frauen
Wenigstens ist klar, welche 100 Frauen und Männer einen Sitz im lettischen Parlament (Saeima) einnehmen werden. Überraschenderweise ist es ein Rekord weiblicher Repräsentanz geworden: 31 von 100 Abgeordneten werden Frauen sein. Seit Wiedererlangung der Unabhängigkeit waren es nie mehr, im bisherigen Parlament waren es 19 Frauen, in der Periode davor 21 Parlamentarierinnen.

Keine Grünen mehr im Parlament
Seit  Edgars Tavars 2011 das Ruder bei der Grünen Partei Lettlands (Zaļa Partija) übernahm (und inzwischen auch mit der Tradition zweier gleichberechtigter Vorsitzender brach), ist deren Mitgliederzahl auf beinahe 900 gewachsen (siehe auch: Blogbeitrag). Doch offenbar wächst damit auch der Gegensatz zwischen Traditionalisten und Karrieristen in der Partei: ein Amt übernehmen, um danach bei den Grünen einzutreten, wird gern genommene Taktik. Während die einen am 1.September zum 30. Mal "Beten für das Meer" (“Lūgšana pie jūras”) zelebrierten (so wie immer), sichern sich die anderen die entscheidenden Posten in der Parteispitze. Anda Čakša und Raimonds Bergmanis, beide bisher Minister und im neuen Parlament jetzt noch als einzige mit einem Parteibuch der "Grünen", stehen beide für den karrierebezogenen Weg. Die Medizinerin Čakša wurde 2016 Gesundheitsministerin, trat im November 2017 bei den "Grünen" ein; Ex-Gewichtheber und "Strongmen"-Kämpfer Bergmanis trat immerhin schon 2014 für die Partei bei Wahlen an. Als dann Raimonds Vejonis, ebenfalls ein Grüner, zum Präsidenten gewählt wurde, rückte Bergmanis als Verteidigungsminister nach. Verblassen also die politischen Erfolge angesichts dieser drei grünen Karrieren? Tavars selbst meint dazu: "Jeder, der neu zu uns kommt, nationalpatriotisch denkt und mit uns erreichen will dass wir nicht vom Osten oder Westen gesteuert werden sondern dass Lettland selbst entscheidet, und für unsere Natur und unser Volk arbeiten möchte, ist bei uns willkommen."(Vides Vestis)

Nicht zum Osten, aber auch nicht zum Westen gehören - ob das die Erfolgsformel ist? Nach ihrem Parteikongress im April waren die Grünen noch zuversichtlich: zusammen mit der Bauernpartei strebe man 30 Mandate an, und wolle gerne auch wieder das Ministerium für Umwelt und Regionales übernehmen (LA 9.4.18). Im Ergebnis sitzt ab sofort nun keiner mit einer langjährigen (nachhaltigen) grünen Überzeugung mehr im Parlament. Aber was soll's? Kritische Stimmen sagen es seit einiger Zeit so: "sie sind grün wie der Dollar, daher werden sie weiter bestehen." (Igors Lukjanovs)

Rigaer Stadtrat rotiert
Für deutsche Lettland-Interessierte vielleicht überraschend ist die Nachricht, dass sich aufgrund der Ergebnisse der lettischen Parlamentswahlen auch die Zusammensetzung der Delegierten im Stadtrat von Riga erheblich ändern wird. Kandidat/innen für politische Ämter versuchen es in Lettland gern mal auf verschiedenen Tickets: klappt es nicht ins Parlament, versuche ich es mal im Stadtrat, und sitze ich schon im Stadtrat, hindert mich nichts es mitten in der Legislaturperiode auch schnell mal ins Europaparlament oder anderswohin zu verabschieden. Nachrücker auf lettischen Wahllisten kommen daher manchmal auch lange nach der eigentlichen Wahl noch zu politischen Ehren.
Öffentlich einsehbar: wie viele Schulden hast Du,
wo liegt Dein Eigentum, welches Auto fährst Du,
Kandidat/in?
Diesmal sind zehn amtierende Stadträte oder Stadträtinnen ins Parlament gewählt worden - das bedeutet, dass ein ganzes Drittel derjenigen, die im Stadttrat gegenwärtig in der Opposition arbeiten, ausgetauscht werden. Bürgermeister Nils Ušakovs wird von einer Koalition seiner Partei "Saskaņa" (Harmonie) mit der Gruppierung "Gods kalpot Rīgai!" ("Es ist eine Ehre Riga zu dienen") gestützt. Von der "Saskaņa" wechselt nur eine Stadträtin ins Parlament, von der Jaunā Konservatīva Partija (Neue Konservative Partei) aber gleich sieben der bisher neun Vertreter/in-nen im Stadtrat ("LA", "Kas Jauns").

Parlament der Autofahrer 
Ebenfalls ungewohnt für deutsche Augen sind die detaillierten Angaben, die jede Kandidatin und jeder Kandidat öffentlich zu seiner Person bekannt geben muss: Grundstücke, Schulden und aufgenommene Darlehen, Details zum Ausbildungsweg und Arbeitsplatz, und sogar die genauen Marken der auf die Kandidatin / den Kandidaten angemelden PKWs sind den Wahlliste präzise zu entnehmen. Und so wissen wir auch jetzt schon, dass von 100 gewählten Parlamentarier/innen genau 30 keine Angaben zu Autos machen (vielleicht fahren sie das ihrer Frau / ihres Mannes?). Unter den übrigen 70 stehen die Besitzer eines Toyota an der Spitze (11), gefolgt von VW (9), BMW (7), dahinter Opel, Mazda, Honda, Mercedes und Volvo (je 5). Ebenfalls 5 bevorzugen ein Motorrad, 3 sogar einen Land Rover. Erstaunlich die Vielfalt der Marken: je ein oder zweimal genannt werden noch Škoda, Saab, Kia, Jeep, Ford, Subaru, Renault, Nissan, Peugeot, Audi, Fiat, Citroen, VAZ/Lada, GAZ, Mitshubihi, Hyundai und Chrysler. Den erstaunlichsten Fuhrpark besitzt der künftige Abgeordnete Ivars Zariņš, der zwischen zwei Wohnung in Sigulda und Riga wechseln kann: gleich drei Motorräder (2x KTM, 1x Honda), zwei Mercedes-PKW und ein "Kvadracikls" (Allrad) nennt er sein eigen. Aber auch Ēriks Pucens aus Kuldiga steht dem nicht viel nach: sein Fuhrpark besteht aus drei Audis, drei VW-Golfs, einem Renault, einem Subaru und zwei Traktoren (die PKWs zumeist etwas älteren Baujahrs).

Wir sehen also: neben dem politischen Ergebnis bietet so eine Parlamentswahl auch immer drumherum genug Gesprächsstoff.

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