Einen Tagestrip immerhin widmete die deutsche Kanzlerin, die gerne als eine der mächtigsten Frauen in Europa bezeichnet wird, Lettland und Riga.
Die Erinnerung an den Hitler-Stalin-Pakt ist daher nicht weit - im Bewusstsein der lettischen Öffentlichkeit jedenfalls. Erst Ende Juli hatte ein Beitrag in der in London erscheinenden "The Independent" behauptet, Merkel habe sich längst mit Putin "heimlich" geeinigt und einen Deal "Land for Gas" (ich gebe Dir die Krim, Du mir günstiges Gas) eingefädelt. Das fand auch in Lettland eifrig Anklang - viele sind in der Öffentlichkeit leicht bereit zu gehaupten, "Deutschland sei nun mal so" - also Großmacht bleibe Großmacht (da müssen sich die Deutschen selbst erst dran gewöhnen, dass sie als Großmacht gesehen werden ...).
Da hilft es auch nicht viel darauf zu verweisen, der "Independent" habe einen russischen Eigentümer, und aus der Ukraine angemerkt wurde, der Versuch Merkels Ruf zu schädigen sei eben darin begründet weil sie die Ukraine unterstütze (Kas Jauns).
Ja, "Deutschen-Bashing" ist in Lettland eigentlich keine schwere Übung. Und wirkliche Deutschland-Kenner, die sich mit der Entwicklung Deutschlands auseinandersetzen und dies nicht nur auf Mauerfall und Merkel-Verehrung reduzieren, sind in Lettland ebenso schwer zu finden. Die 28 lettischen Schriftsteller/innen und Künstler/innen jedenfalls, die sich genötigt sahen vor dem Besuch einen offenen Brief an Merkel zu verfassen, sind es jedenfalls nicht (Text siehe tvnet). Diesen 28 sollte man eigentlich zurückschreiben: gut, man kann versuchen sich einzuschmeicheln bei einer Frau, die selbst in einem Unterdrückerstaat groß geworden ist und meinen, dadurch seien die Probleme Ost- und Mitteleuropas heute besser verständlich. Aber wer behauptet, allein die Sowjetunion habe den Kalten Krieg vom Zaun gebrochen und deren verrückte Ausprägungen zu verantworten - der erinnert aus diesen Zeiten (des Kalten Kriegs) offenbar nur die verrückte Illusion eines im Westen angeblich existierenden Paradieses - als Deutschland-Kenner weist man sich mit solchen Plattitüden keinesfalls aus.
Regierungschefin Straujuma, diesmal bemüht, sich wenigstens in Kleidung und Frisur von Merkel abzugrenzen |
Deutsche Medien betonen fast ausschließlich, Merkel würde wegen aktueller Fragen der Ukraine-Krise nach Lettland gefahren sein - auf die Frage verkürzt, ob sie neuen NATO-Truppen an der EU-Ostgrenze zustimmen würden, ist die Ablehnung bei der Mehrheit der deutschen Öffentlichkeit klar (siehe TAZ, Tagesschau). Und wer in Deutschland als Ergebnis der Gespräche titelt "Merkel verspricht baltischen Staaten NATO-Beistand" (z.B. "Die Welt"), der riskiert eine Flut protestierender Leserzuschriften.
"Wiederholte Besuche der Kanzlerin zeigen, dass Europa Lettland nicht vergessen hat", meint immerhin auch Kommentator Māris Cepurītis. Auf lettischer Seite müht sich die Presse in der Prägung neuer Mythen: so wie man die eigene, politisch immer noch nicht besonders bedeutende Regierungschefin (im Oktober stehen Wahlen an) "kleine Merkel" getauft hat, so war jetzt von "Deutschlands eiserner Lady" die Rede ("Diena"). Nun ja, abseits der lettischen Hoffnung nach einer starken Frau (auch mal eine Variante!), wird das Stichwort "Ribbentrop" in den Köpfen dennoch nicht weit verdrängt sein.
Und die Alltagssorgen ebenfalls nicht. Wenn einige lettische Schriftsteller und Intellektuelle also glauben, die langsam gewachsenen Sympathien für Lettland (in der deutschen Öffentlichkeit, in den deutschen Medien) dadurch aufs Spiel setzen zu können, dass sie - mit einem anstehenden Obama-Besuch im Baltikum im Rücken - fordern zu können: "nur wer Soldaten schickt versteht uns!" - der könnte genau diese Sympathien auch schnell wieder aufs Spiel setzen. Alternativvorschlag: Vielleicht endlich mal die eigenen Werke ins Deutsche übersetzen lassen - das würde mehr deutsch-lettisches Verständnis fördern!
Stichwort Alltagssorgen - Schlagzeile vom selben Tag: Lettland steht auf der Rangliste der sozialen Ungleichheiten weit vorn - als 48. unter 187 Ländern (nach Human Development Report). Unter den hochentwickelten Ländern nimmt die Ungleichheit in Lettland eine Spitzenposition ein (siehe DIENA).
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