8. August 2014

Die kleine Merkel und die 13 Wege zur Macht

Nachdem eine Reihe bisher bekannter lettischer Politiker sich "nach Europa verabschiedet" haben stellt sich die lettische Politik jetzt neu für die Parlamentswahlen am 4. Oktober auf.
Einerseits wirkte der Wahlsieg der "Vienotība", die vier der insgesamt acht EU-Mandate holte, sehr überzeugend. Andererseits ist die Regierung Straujuma, von einigen lettischen Journalisten ironisch als "kleine Merkel" belächelt, nur durch die Rochaden des Ex-Ministerpräsidenten und wohl zukünftigen EU-Kommissars Dombrovskis in Amt und Funktion gehoben. Und: trotz der kurzen Amtszeit gaben mit Justizministerin Baiba Broka und Gesundheitsministerin Ingrida Circene schon zwei Frauen ihre Ministerposten auf. Die politischen Rochaden haben also schon begonnen.

Sternmarsch auf Riga
Wer die nächste Legislaturperiode mitregieren will, muss sich jetzt positionieren. 13 politische Parteien und Listenvereinigungen haben ihre Kandidatenlisten beim Wahlamt eingereicht, und da es fünf Wahlbezirke gibt (Kurzeme, Vidzeme, Zemgale, Latgale, Riga), werden dort auch überall Spitzenkandidaten gesucht.
Drei Monate vor dem Wahltermin stellt die staatliche Wahlkommission (CVK) die Grundlagen fest: 1.551.440 Wahlberechtigte waren am 4.Juni in Lettland registriert. Davon verteilen sich 495.890 Wählerinnen und Wähler auf Riga (inklusive der im Ausland registrierten), 402.615 auf Vidzeme, 226.966 auf Latgale, 226.430 auf Zemgale und 199.539 auf Kurzeme. Dem entsprechend werden aus Riga 32, aus Vidzeme 26, aus Latgale 15, Zemgale 14 und Kurzeme 13 Abgeordnete ins Parlament zu wählen sein.

Wieder einmal sind auch neue Parteien dabei, mit sehr kreativen Namensgebungen. Wer sollte entscheiden, ob "Souveränität", "Gleichklang", "Einheit", "Wachstum", "von Herzen", "Geeint", "Entwicklung", oder "frei von Ängsten, Hass und Ärger" das beste für Lettland sind, - oder welche eigentlichen Ziele solche Parteien überhaupt haben? Nur bei "Konservativen", "Bauern", "Grünen", "russischer Vereinigung", "alles für Lettland" oder "Allianz der Regionen" könnte man schon vom Namen ahnen, was gemeint ist - zumindest bei denen, die sich einer dieser Interessengruppen "verwandt" fühlen.

Alle 13 Listen müssen also möglichst 5 Spitzenkandidatinnen oder -kandidaten aufstellen. Bei der regierenden ""Vienotība" sind diese Außenminister Edgars Rinkēvičs (eigentlich in Jūrmala lebend, startet aber in Riga als "Lokomotive"; Parlamentspräsidentin Solvita Āboltiņa für Kurzeme (sie lebt in Riga); Ministerpräsidentin Laimdota Straujuma in Vidzeme (lebt in Riga), in Latgale Verkehrsminister Anrijs Matīss, (der in Carnikava bei Riga wohnt) und für Zemgale startet an der Spitze Jānis Reirs, der tatsächlich auch in Dobele wohnt und eigenen Angaben zufolge gern Motorroller fährt.

Die voraussichtlich stimmenstärkste der bisherigen Oppositionsparteien "Saskaņa" stellt in Riga wieder einmal den Absolventen der Landwirtschaftshochschule Jānis Urbanovičs auf, der im Gegensatz zu seinem Parteikollegen und Bürgermeister Nils Ušakovs bisher noch nie ausreichend Unterstützung für ein höheres Amt erhielt - aber selbst als Steigbügelhalter gilt. Für Vidzeme ist es der Wirtschaftsökonom Ivars Zariņš, der seinen Wohnsitz in Jēkabpils hat; für Latgale führt Andrejs Elksniņš aus Daugavpils die Liste an, und in Kurland ist Valērijs Agešins, ein Historiker, Dozent und Jurist die Nr. 1 (der ebenfalls in Riga lebt).

Hoffen aus Plus und Minus
Im Gegensatz zum deutschen Wahlsystem ist in Lettland noch nicht alles mit der Reihenfolge der Kandidatenaufstellung vorbestimmt. Die Wählerinnen und Wähler können zusätzlich zur Wahl einer der 13 Listen diese mit "plus" oder "minus" versehen und so die Prioritäten ändern - so kam es schon vor, dass Minister durchfielen oder hintere Listenplätze nach vorn rutschten.

Eine ganz besondere Neuschöpfung stellt die Partei "Einig für Lettland" dar, die mit Ivars Godmanis, Aigars Kalvītis, Jānis Jurkāns, Jānis Straume, Edgars Zalāns und "Bulldozzer" Ainārs Šlesers gleich zwei Ex-Ministerpräsidenten und vier Ex-Minister aus ehemals vier verschiedenen politischen Strömungen auf seinen Spitzenpositionen aufweist. Die eigentliche Absicht dürfte aber darin bestehen, bei den Wählern in Ungnade gefallene, aber mit genügend Finanzen und Wirtschaftsmacht ausgestatteten Figuren wieder zu politischem Einfluss zu verhelfen. Die Liste bietet einen "bunten Strauss" von ehemals anderswo Aktiven: von Priestern einer Sektenbewegung bis hin zu ehemaligen der unseligen "Ziegerist-Partei".

Eine andere Besonderheit ist dann noch die "Reformpartei". 2011 als "Zatlers Reformpartei" gegründet - also von Unterstützern der Entscheidung des damaligen Präsidenten Zatlers, durch die Entlassung des Parlaments und Ausrufung von Neuwahlen den Einfluss von den sogenannten "Oligarchen" zu begrenzen. Bei den dann angesetzten Neuwahlen 2011 erlangte die Partei zunächst 20% der Wählerstimmen und 22 Parlamentssitze.
Aber schon Zatlers Versuch, die Oppositionspartei "Saskaņa" in eine Koalition mit Lettlands rechter Mitte einzubinden, brachte ihm (und seiner Partei, laut Umfragen) viel Gegenwind. Kurz danach bezeichneten sich 6 der auf der Reformpartei-Liste Gewählten als "unabhängig" und distanzierten sich somit von der Partei. Zatlers selbst ist nun wegen eigener gesundheitlicher Probleme nicht mehr politisch aktiv, es war absehbar dass die Reformpartei in diesem Jahr nicht wieder antreten würde - im Mai empfahl der Parteivorstand seinen Spitzenleuten, es für die Zukunft mit einer Karriere beim momentanen Koalitionspartner "Vienotība" zu versuchen.
Der bisherige Parteichef, Vjačeslavs Dombrovskis, aktuell noch als Wirtschaftsminister im Amt, steht nun als Nr.3 auf der "Vienotība"-Liste in Zemgale. Ex-Parteichef Edmunds Demiters fasste den Niedergang der Partei kürzlich so zusammen: "Wir können ja nicht die Gesellschaft im Mithilfe bitten, wenn wir selbst nicht in der Lage sind im Team zu arbeiten."

Einige weitere bekannte Namen verbergen sich hinter neugeschaffenen Parteibezeichnungen: Ex-Premier Einars Repše versucht es jetzt mit "Für Lettlands Entwicklung" ("Latvijas attīstībai"), Ex-Rechnungshof-Chefin Inguna Sudraba bildete den eigentlichen Kern zur Schaffung von "von Herzen für Lettland", und Mārtiņš Bondars, Ex-Kanzleichef des Präsidenten und auch schon mal von der Reformpartei umworben, steht nun als "Gesicht" für die "Regionale Allianz" zur Verfügung.

Alles klar?

Ritvars Eglājs, Mitglied der zentralen Wahlkommission Lettlands (CVK) äusserte kürzlich die Vermutung, dass es gerade in den ländlichen Gebieten noch viele Menschen gibt, die eigentlich im Ausland leben und arbeiten, dies den Behörden aber (noch) nicht angezeigt haben (Latvijas Avize). Für die einen, die eher im Ausland leben, wird nun durch ein neues Papier der Regierung die Zusammenarbeit mit der sogenannten "Diaspora", also außerhalb Lettlands lebenden Letten, vielleicht zum Wahlkampfthema. Mit der Rückwanderung "nach Hause" als Ziel.
Für die anderen, die mit den lettischen Verhältnissen klarzukommen versuchen, werden die Parteien versuchen die Krise in der Ukraine und die Folgen der schlechter werdender Beziehungen zu Russland zu eigenem Nutzen zu wenden. Und darüber hinaus ist offensichtlich: die meisten möchten gern damit werben, am besten neue Arbeitsplätze schaffen zu können - nicht zufällig sehen gleich zwei Parteisymbole fast wie Kennzeichen lettischer Arbeitsämter aus.

Rein (wahl)-rechtlich bleibt jedenfalls bis Oktober alles beim Alten. Es gab einige Überlegungen, das lettische Wahlsystem zu reformieren: von Vorschlägen entweder die Mandate nur nach Zahl der tatsächlich abgegebenen Stimmen aufzuteilen ist da zu lesen, wie auch ganz Lettland als einheitlichen Wahlbezirk auszuzählen (s.d.). Aber vorerst bleibt alles wie bisher: fünf Bezirkslisten und insgesamt 1156 Kandidatinnen und Kandidaten wollen Teil der nächsten, der 12.Saeima werden.

Übersicht der Wahlkommission CVK

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