Lettland wählt im Herbst nach nur drei Jahren wieder ein neues Parlament. Eigentich dauert eine Legislaturperiode vier Jahre, doch die 11. Saeima durfte nur drei Jahre arbeiten, weil es 2011 eine außerordentliche Wahlgegeben hatte nach der Parlamentsauflösung durch den damaligen Präsidenten Valdis Zatlers. Nach der lettischen Verfassung ist dann der neu gewählte Volksvertreter nur so lange im Amt, wie die Amtszeit des aufgelösten Parlamentes gedauert hätte.
Die lettische Politik war während der vergangenen 20 Jahre immer eher unübersichtlich. Allein schon weil der Gesetzgeber die Listenverbindungen von Kleinstparteien nie untersagt hat, gab es in der 10. Saeima von 2010 unter fünf Fraktion nicht weniger als 18 Parteien. Dabei ist typisch für Lettland auch, die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der Neugründung von Parteien befriedigen zu wollen. So suchen sich alle Bekannte aus der Politik und Quereinsteiger immer neue Wege.
Vor dem nun anstehenden Urnengang dürften sich die Parteien von Ministerspräsidentin Laimdota Straujuma (Einigkeit), die schon lange existierende Union aus Bauern und Grünen wie auch die vowiegend von der russischen Bevölkerung bevorzugte Partei Harmoniezentrum etabliert haben. Daß die Nationalkonservativen der mehrfach fusionierten Parteien aus der Unabhängigkeitsbewegung, Für Vaterland und Freiheit und „Alles für Lettland!“ ebenfalls den Sprung ins Parlament schaffen werden, scheint sicher. Neben dem Harmoniezentrum als ewiger Opposition und letztmalig zweitgrößter Partei im Parlament, bilden die genannten Parteien auch die derzeitige Regierung.
Wie gut sie bei den nächsten Wahlen abschneiden werden, bleibt offen.
Umfragen in Lettland befördern meistens die Unentschlossenen zur größten Fraktion. Hinweis könnte allein der Erfolg der Einigkeit bei den Europawahlen im Frühjahr sein, als sie überraschend gut abschnitt und mit dem vergangenes Jahr wegen eines Supermatkeinsturzes zurückgetretenen ehemaligen Ministerpräsidenten Valdis Dombrovskis erneut ins Europaparlament brachte, wo er bereits vor seiner Amtszeit als Regierungschef in Riga gesessen hatte.
Konkurrenz kommt allerdings von verschiedenen Seiten.
Für das nächste Parlament kandidieren auch „Einig für Lettland“, „Von Herzen für Lettland“, „Vereinigt für Lettland“ und „Für die Entwicklung Lettlands“. Das sind bei einer Parlamentswahl der vergangenen 20 Jahre mehr denn je Neugründungen, während die wesentliche Neugründung vor der letzten Wahl, die Reformpartei, verschwindet. Der frühere Präsident Valdis Zatlers hatte diese Partei nach seiner Nichtbestätigung im Amt gegründet und war mit kompetenten Kandidaten in den Wahlkampf gegangen. Doch erstens spalteten sich gleich nach der Konstitutierung des Parlamentes 2011 mehrere Abgeordnete ab, und zweitens traten wichtige Politiker und derzeitige Regierungsvertreter zur Einigkeit über, darunter der Außenminister Edgars Rinkēvičs und Innenminister Raimonds Kozlovskis.
Bemerkenswert unter den Neugründungen ist „Einig für Lettland“, die mit Ivars Godmanis und Aigars Kalvītis zwei ehemalige Ministerpräsidenten vereint mit dem Gründer des Harmoniezentrums, Jānis Jurkāns, dem ehemaligen Mitglied der erzkonservativen „Für Vaterland und Freiheit“, Jānis Straume sowie dem schillernden früheren Verkehrsminister Ainārs Šlesers, der während der 2000 Jahre gleich zwei politische Parteien gegründet hatte, zu den wichtigsten Oligarchen gezählt wird und sich schon einmal in einem Wahlkampf selbst den Spitznamen Bulldozer eingefangen hat. Schöne Reden solle man von Dichtern verlangen, Politisches Handeln aber von Bulldozern. Mit Edgars Zalāns gesellt sich ein eher farbloser Politiker hinzu, der als Bürgermeister von Kuldīga seine Karriere begann und für die heute nicht mehr existierende Volkspartei von Ex-Premier Kalvītis im Kabinett saß. Ivars Godmanis, der nach fünf Jahren im Europäischen Parlament nach Brüssel nicht wiedergwählt worden war, gab der Zeitung Neatkarīgā (Die Unabhängige), die als Organ eines zweiten Oligarchen in Lettland gilt, nämlich dem Bürgermeister der Hafenstadt Ventspils, Aivars Lembergs, ein langes Interview. Das Zusammengehen dieser sehr verschiedenen Personen rechtfertigte er damit, daß alle erfahren und durch dick und dünn gegangen sei, und daß man eben im Interesse Lettlands gemeinsame Ziele verfolge. In seinem Gespräch wurde er sehr konkret betreffend Steuer-, Bildungs- und Gesundheitspolitik, so daß sich die Frage stellt, warum die erwähnten Politiker seinerzeit im Amt diese Ideen nicht umgesetzt haben.
„Einig für Lettland“ dürfte bei der Wahl ohne Bedeutung sein, weil ihr bisheriger Chef, Wirtschaftsminister Vjačeslavs Dombrovskis, es vorzieht, ebenfalls für die Einigkeit zu kandidieren.
Dagegen ist „Für die Entwicklung Lettlands“ ist der Versuch von Einārs Repše, in die lettische Politik zurückzukehren. Repše war während der Unabhängigkeit Nationalbankchef und wegen des künstlich stark gehaltenen Wechselkurses des Lats beliebt. Er ging 2002 mit der Anti-Korruptionspartei „Neue Zeit“ ins Rennen und gewann den Sessel des Regierungschefs, auf dem er wegen andauernder Querelen mit den Partnern und in der eigenen Partei aber weniger als ein Jahr saß. Es ist nicht zu erwarten, daß die Wähler seinen erneuten politischen Start ernst nehmen werden.
Anders verhält es sich dagegen mit „Vom Herzen für Lettland“ der ehemaligen Chefin des Rechnungshofes, Inguna Sudraba. Die eloquente Dame wurde durch ihr forsches Auftreten auch in den Medien beleibt und über den Schritt in die Politik lange spekuliert. Unstimmigkeiten zwischen ihr und ihren Partnern in der neuen Bewegung lassen jedoch Zweifel aufkommen, ob sie den Sprung über die fünf Prozenthürde schafft.
Bleibt die „Regionale Allianz“, eine Verbidung von politischen Kräften aus den Regionen und Kreisen, vergleichbar vielleicht mit den Freien Wählern in Deutschland. Die auf nationaler Ebene in Lettland agierenden Parteien sind auf kommunaler Ebene nur schwach verwurzelt. Vielerorts werden die Kommunen von lokalen Vereinigungen regiert, die mit keiner Partei in direkter Verbidung stehen. Der Versuch einer Zusammenarbeit dieser politischen Kräfte ist für Lettland neu, und es wird sich erweisen, welchen Erfolg sie haben werden.
Unter dem Strich steht der großen Zahl an jungen politischen Kräften, die in diesem Herbst bei der Wahl zur 12. Saeima ihr Glück versuchen, großer Zweifel gegenüber, ob es auch nur eine dieser Kräfte wirklich schafft, landesweit 5% zu erlangen.
Am Ende könnte eine Parlamentszusammensetzung herauskommen, welche sich von der derzeitigen bestefalls durch einige Kräfteverschiebungen zwischen den bestehenden Fraktionen auszeichnet. Damit stünde auch zu Debatte, ob Laimdota Straujuma, die im Januar als Nachfolgerin des zurückgetretenen Valdis Dombrovskis erst nach zähem Ringen ins Amt kam, eventuell ihr Amt fortsetzen kann. Sie gilt als eher moderierend und zurückhaltende und wird in Lettland natürlich gerne mit Angela Merkel verglichen. Gleichzeitig könnten Kozlovskis und Rinkēvičs in ihren Ämtern verbleiben wollen. Die ebenso als potentielle Kandidatin gerechnete ehemalige Sozialministerin Ilze Viņķele mußte bei der Koalitionsneubildung im Januar dem neuen Partner der Union aus Bauern und Grünen weichen. Der frühere Verteidigungsminister Artis Pabriks, der noch im Januar von seiner Partei, der Einigkeit, dem Präsidenten gleich zwei mal als Ministerpräsident vorgeschlagen und abgelehnt worden war, wurde im Frühjahr ins Europaparlament gewählt. So lange Andris Bērziņš bis nächstes Frühjahr Präsident ist, ist mit seiner Nominierung ebenfalls nicht zu rechnen.
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