Deutschlands "Spaß" am Kalten Krieg
Soviel muss glaube ich vorausgeschickt werden, wenn es um die heutige Stimmungslage geht. Noch ist es offen, ob die sogenannte "Ukraine-Krise" Europa wieder in eine Aggressionsspirale treiben wird, auch wenn der estnische Premier Rõivas in einem SPIEGEL-Interview so tut, als ob Deutschland am "Kalten Krieg" richtig Spaß hatte, Zitat: "Wir brauchen eine klare Abschreckungswirkung. Gerade Deutschland als ehemaliger Frontline-Staat dürfte dafür Verständnis haben." Lieber Herr Rõivas! Vielleicht waren Sie damals noch nicht geboren, aber ganz Deutschland hat jahrelang dafür gekämpft, dass sich die Großmächte NICHT mit immer größer werdendem und teurem Waffenarsenal gegenseitig bedrohen!
Bevor also jemand noch Träume von "Truppen an den Außengrenzen" als "Eingehen auf die Wünsche der Balten" rechtfertigt, lohnt es sich erstmal genauer hinzuschauen. "Die Angst geht um in Osteuropa" schreibt "die Welt" (15.7.) und tut fast so als ob es sonst noch niemand gemerkt habe. Wie gesagt: eigentlich kennen Letten die russische "Seele", russische Innenpolitik und aufkommende Sowjet-Romantik sehr gut - nur ein verantwortungsvoller Umgang damit wurde ihnen bisher vom Westen nicht zugetraut. Wenn jetzt also auch im Westen ankommt, dass Lettland Angst vor zu viel russischem Einfluß hat, muss das Ergebnis dann ein erneutes Wettrüsten sein?
Meßlatte bei 2%
Die russische Aggression in der Ukraine habe die Einstellung des Westens gegenüber militärischer Verteidigung verändert - meint Aivars Ozoliņš in der lettischen Zeitschrift "IR". Alle NATO-Länder zusammen hätten in den vergangenen fünf Jahren ihre Verteidigungsausgaben um 20% verringert, rechnet Ozoliņš vor. In der gleichen Zeit seien Russlands Rüstungsausgaben um 20% angestiegen und würden nach Berechnungen der Weltbank inzwischen 4,5% des Bruttosozialprodukts ausmachen. 723 Milliarden Dollar wolle Russland bis 2020 in die Modernisierung des Militärs investieren.
Ein Helikopter vom Typ "MI-17" mit fünf Mann Besatzung in ständiger Bereitschaft für den Rettungseinsatz - das ist die bisherige lettische Verwendung des neuen Flugplatzes Lielvārde |
Nur zwei der 28 NATO-Mitglieder halten momentan die häufig diskutierte Richtlinie ein, 2% des BRP für Verteidigung auszugeben: Großbritannien, USA, Griechenland und Estland. Nahe dran sind Frankreich mit 1,9% und Polen sowie Türkei mit 1,8%. Verglichen mit 1995 war damals die Situation so: nur bei zwei Staaten, Spanien und Luxemburg, lagen die Militärausgaben unter 2%. Bei allen anderen lagen sie durchschnittlich bei 3,4%. In aboluten Zahlen gerechnet sichern drei Staaten zusammen etwa die Hälfte des Verteidigungsbudgets: Frankreich, Großbritannien und Deutschland.
Angeblich haben sich die Vertreter der NATO-Staaten für ihr nächstes Treffen im September eine Erhöhung der Budgets auf 2% vorgenommen.
Vejonis legt nach
Lettland hat im Jahr 2013 0,91% des BSP für Verteidigung ausgegeben, Litauen 0,8%. Beide Regierungen haben inzwischen Beschlüsse vom Parlement absegnen lassen, diese Etats bis 2020 auf 2% zu erhöhen. Dennoch konnte sich das vom "grün-Bauern" Vejonis geführte Verteidigungsministerium nicht durchsetzen, für jedes Jahr konkrete Maßnahmen und Zahlen festzulegen - somit steht diese Absichtserklärung eigentlich noch unter Haushaltsvorbehalt.
Übung von Freiwilligen der Zemessardzes (Foto: Mežals) |
Die tatsächlichen Ausgaben Lettlands im Jahr 2013 bezogen sich zu 51,6% auf Personalausgaben (ca. 5000 Militärangestellte insgesamt). In mehreren anderen Ländern ist ebenfalls die Tendenz steigender Personalausgaben zu beobachten: in Belgien (77%), Rumänien (75%), Slowakei und Portugal (je 74%). Dem gegenüber liegen Personalausgaben in Großbritannien und den USA nur knapp über einem Drittel (35% / 36,5%). Journalist Ozoliņš hat auch für Deutschland mal nachgerechnet: in der BRD standen während des "Kalten Kriegs" noch 545.000 Soldaten in Bereitschaft, gegenwärtig liegt die Zielvorgabe bei 180.000 (die damaligen DDR-Truppen hat er offenbar nicht mitgerechnet - und die in Deutschland jetzt abgeschaffte Wehrpflicht erwähnt er gar nicht). In Frankreich liegen die Zahlen bei 548.000 im Jahr 1990 und 213.000 heute. Dennoch mobilisiert rein zahlenmäßig die NATO immer noch das meiste Militärpersonal der Welt: insgesamt 3,37 Millionen (in China 2,3 Millionen, Russland 766.000).
Spaß an der Rüstung?
Baltisches Militärjugendlager im Juni 2014 - finanziert von NATO, US-Botschaft, und u.a. auch der deutschen Konrad-Adenauer-Stiftung (Foto: Rekrutēšanas un Jaunsardzes centrs) |
Mutter und Söhne - als Besucher eines Volksfestes in Riga, auf dem auch militärisches Gerät demonstriert wurde (Foto: Caspari) |
Bleibt zu hoffen, dass vieles der momentanen "baltischen" Rhetorik eben auch nur Wahlkampfgetöse ist, und die lettischen, estnischen und litauischen Minister sich weiter sehr gut überlegen, wo sie ihre Länder hinführen.
Ganz im Sinne der momentanen Stimmungslage im Lande ist ein neuer Film der beiden Filmemacher Māris Putniņš und Jānis Cimmermanis in den lettischen Kinos zu sehen: in "Džimlai rūdi rallalā!" beschließt ein ganzes Altenheim dem langweiligen Beschäftigungsprogramm der Anstalt zu entgehen und - auch im Sinne der Rettung der Staatsfinanzen - sich freiwillig zur Armee zu melden. Anzumerken dabei: die Macher bezeichnen den Film als "Tragigkomödie".
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