Die gegenwärtige lettische Regierung versucht sich momentan als eifriger Unterstützer georgischer Interessen zu profilieren. Ob es die politische Freundschaft mit vermeindlich unverzichtbaren US-Militärs sichern soll, oder in der europäischen Politik Vorteile bringt, wird sich erweisen müssen. Georgier sind sicherlich ein sympathisches Völkchen - aber wer wollte sagen, dass Nord- oder Süd-Osseten (wer kennt sich hier wirklich aus?) oder Abchasen das nicht wären?
Auffällig ist weiterhin die versuchte Frontstellung: wenn ich mal davon ausgehe, dass in einer durch Waffenfans auf beiden Seiten verschärften Situation - die einige Tage lang ja als Krieg bezeichnet werden musste - fast nie nur einseitige Schuldzuschreibung weiterhilft (wenn man nicht nur "Recht" behalten, sondern den Frieden will!), dann macht auch Lettland-Freunden dieser neue Eifer, mit dem Europa "baltisiert" werden soll, Angst.
Der Grund ist einfach: was die lettische Regierung hier versucht, ist eben nicht nur der Versuch, die Situation in Georgien möglichst zu beruhigen im Sinne der Menschen, die dort leben, und den bisher betroffenen Opfern zu helfen (bei allem Verständnis dafür, dass die Letten die Menschen in Georgien eben besser kennen als die in Süd-Ossetien, und so auch persönlich mit ihnen mitleiden). Nein, plötzlich kommt auch die so ungeliebte "baltische Allianz" wieder zustande, die offenbar in Zeiten von Freiheit und selbst erkämpfter Demokratie so niederrangig verwaltet wurde (siehe Auseinandersetzungen unter dem baltischen Staaten um Ölraffinerien, Fischereifelder, Grenzverlauf, Marktöffnung für die jeweils anderen, fehlende gemeinsame Konzepte bei großen Kulturveranstaltungen - um nur ein paar Beispiele zu nennen).
Schon lange hatte es Letten, Esten und Litauer geärgert, dass Westeuropa ihrer Meinung nach Russland unterschätzt. Das mag ja seine Berechtigung haben. Aber die gegenwärtige scheinbar so starke Allianz (mit einem sehr konservativen polnischen Präsidenten an der Seite, der vielleicht seine letzte Chance sucht, um doch noch in seinem Sinne etwas zu bewegen) ist nur eine Momentaufnahme. Lettland muss sich fragen lassen, ob wirklich das Ziel sein kann, dass alle EU-Mitgliedsstaaten nun eine Kampagne starten "bestraft Russland".
Investitionen in die Zukunft
Besorgniserregend sind vor allem die möglichen Rückwirkungen für die lettische Innenpolitik. Wird nun über Bord geworfen, was mühsam im Laufe der Jahre wenigstens als Entwicklung hin zur Chancengleichheit aller Volksgruppen aufgebaut wurde?
Vieles wurde in den vergangenen Jahren getan, mit Recht mit Blick auf die 50 Jahre Okkupation. Die Folgen dieses Zustands müssen erstmal ökonomisch, sozialpsychologisch, demokratisch diskursiv beseitigt werden - damit die Menschen in Lettland sich nicht nur rein grundrechtlich als frei fühlen, sondern auch im Sinne einer individuell freien Wahl verschiedener Chancen und Möglichkeiten diese auch für sich selbst begreifen können. "Demokratie ist, wenn wir es selbst gestalten" - das ist ein schwer zu realisierbarer Spruch. Und Russland dazu zu bringen, endlich auch die geschichtliche Perspektive und die damit zusammenhängenden Fakten offiziell anzuerkennen (d.h. das, was in Lettland Okkupation heisst), ist zugegeben eine Jahrhundertaufgabe.
Bisher deutete jedoch wenig darauf hin, dass sich die lettische Regierung weiter diesen Aufgaben stellen will. Momentan - am Tag des EU-Sondergipfels zu Georgien - lässt das lettische Regierungskabinett Meldungen unwidersprochen, die "speziellen Sonderministerien" sollten bald ganz aufgelöst werden (damit gäbe es dann auch keinen Minister für Integration mehr). Bisher sind es immer kleine Minderheiten gewesen, die eine "Rückführung" aller ethnischen Russen aus Lettland nach Russland fordern. Und auch in westlichen Medien ist immer häufiger zu lesen, dass "die starken russischen Minderheiten in Estland und im benachbarten Lettland wenig Interesse an 'Schutz' oder gar 'Befreiung' durch die Großmacht Russland zeigen" (z.B. FTD 30.8.08)
(Foto: Baugrube der entstehenden "ZTowers") |
Lettlands ehemalige Aussenminiserin Sandra Kalniete dagegen meint zu erkennen, dass die lettische Integrationspolitik gescheitert sei. Warum? Ja, weil in Lettland lebende Russen die Auseinandersetzungen in Georgien und Süd-Ossetien nicht genauso beurteilen wie die lettische Regierung (siehe Bericht lettisches Zentrum f. Menschenrechte). Merkwürdig, gerade Kalniete gründete ja kürzlich eine eigene politische Gruppierung, weil sie nicht mit der Politik der herrschenden Regierung einverstanden war ... Und die andere - naheliegende - Konsequenz wäre dann auch, dass es "Gesinnungs-TÜV" auch für Letten geben müsste (falls sie außenpolitisch andere Ansichten als ihre Regierung äußern).
Angst vor der WirtschaftsflauteGegenwärtig ist eigentlich die Angst vor einem Abflauen des Wirtschaftsaufschwungs der beherrschende Faktor der politischen Szene in Riga gewesen. Wenn bei einer beständigen Inflationsrate von über 15% das Wachstum unter 10% sinkt, in einer Situation wo die bisher großzügig vergebenen Kredite der Banken bereits weggefallen sind, dann könnte es für die Einwohner Lettland bald noch härtere Zeiten geben. Die Immobilienpreise sind bereits im freien Fall, als eines der aktuellen und Aufsehen erregenden Bauprojekte sind noch die nahe dem Hansabank-Hochhaus im Bau befindlichen Zwillingstürme der "Z-Towers" übrig geblieben. Infos über diesen neuen Büro- und Hotelkomlex direkt am Daugavaufer kann man sogar dem "Deutschen Baublatt" entnehmen, denn die "Strabag AG" führt den 24-stöckigen Bau im Auftrag russischer Investoren aus, und die "Kafril GmbH" aus Leipzig übernahm den Aushub der 14 Meter tiefen Baugrube zur Tiefgarage.
Im Endergebnis soll das Luxushotel Sheraton hier mit entstehen ("mit atemberaubenden Blick auf Riga" - so die Eigenwerbung), sowie Büros und Geschäftsräume der gehobenen Klasse, inklusive Hubschrauberlandeplatz auf dem Dach. Raitis Nešpors, Direktor der beteiligten Firma “Re&Solution” (eine Leasing-Agentur), versprach bei "Baltic Business News" auch schon mal ein "Business Metropolis".
Mit den örtlichen Baubehörden haben die Projektverantwortlichen schon mal andere Schwierigkeiten, wie der lettischen Presse leicht zu entnehmen ist (z.B. DIENA 9.5.08).
Soviel nur ein Beispiel, dass es im normalen Geschäftsleben eine Reihe von Investitionen gibt, die von russischer Seite finanziert oder mitfinanziert werden. Ich bin mal gespannt, ob die lettische Politik Derartiges demnächst unter den Vorbehalt politisch-populistischer Slogans in Frage stellen will.
1 Kommentar:
Nichts für ungut. Wer ist schon für Krieg? Aber mit Pazifismus wurde der deutsche Faschismus auch nicht besiegt. Der Konflikt im Kaukasus war ein eingefrohrener, und mir wird gerade in der deutschen Diskussion mit einigen, wie ich finde, zynischen Kommentaren(etwa Kai Ehlers:http://www.eurasischesmagazin.de/artikel/?artikelID=20080813) (hierzu mein Beitrag: http://axelreetz.blogspot.com/2008/09/lokale-und-global-risiken-und-chancen.html) zu wenig berücksichtigt, daß erstens Rußland als jahrhundertelange Kolonialmacht für die Wurzeln des Übels einen großen Teil der Verantwortung trägt und in den letzten 16 jahren aus eigenem – strategischen - Interesse eine Lösung hinausgeschoben hat. Die Frage ist darum berechtigt, ob der Waffengang so einfach verhindert hätte werden können und die Frage nicht nur war, wann er stattfindet. Mit Lettland und dem Baltikum hat das nur am Rande etwas zu tun, als die konsequentere Haltung im Konzert mit den diplomatischeren Tönen aus Berlin und Paris einstweilen, wie ich finde, auf dem richtigen Weg sind.
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