25. Mai 2009

Das, was sie nicht lassen können

„Die Berufung ist etwas, was ich nicht lassen kann. Ich, zum Beispiel, wurde Pfarrerin, weil ich nicht anderes konnte. Und, wenn ich auch auch zurzeit diesen Beruf nicht ausüben kann, geben mir die ungenutzten Talente keine Ruhe. Das Feuer im Herzen, die Überzeugung und der Idealismus sind hinter einer schweren Tür weggeschlossen – wie der Taler und das polierte Herz, die im Schrank warten. Und wie mein Herz, das bereit ist, zu leben und in der Berufung aufzugehen,“ so beschreibt die evangelische Pfarrerin Zilgme Eglite ihre berufliche Situation in Lettland in dem Buch „Marias – Lettische Theologinnen melden sich zu Wort“.

Ich liege vielleicht auch nicht falsch, wenn ich sagen würde - so fühlen sich bestimmt einige Frauen in Lettland, die Pastorinnen werden wollten, aber in Lettland nicht zu Pfarrerinnen ordiniert wurden und diesem Beruf nachgehen konnten. „Kein Sakrament aus Frauenhand“ – das war auch das Thema der Podiumsdiskussion, die im Rahmen des 32. Deutschen Evangelischen Kirchentages in Bremen 2009 stattfand.

Lettland ist eines von wenigen europäischen Ländern, in denen Frauen in der evangelischen Kirche nicht zu Pastorinnen ordiniert werden. Das Besondere an der lettischen Situation ist, das 1975 – 1983 unter Erzbischof Janis Matulis und von 1989 bis 1992 (Erzbischof Karlis Gailitis) die Frauenordination durchgeführt, aber mit den neuen Erzbischöfen wieder abgeschafft wurde. In den vergangenen siebzehn Jahren (Erbischoff Janis Vanags) wurde deshalb keine Frau mehr in Lettland zur Pastorin ordiniert. Für die lettischen Frauen mit Berufswunsch Pastorin bleibt nur der Weg in der Lettischen Evangelischen Kirche im Ausland zur Pfarrerin ordiniert zu werden.

Die Frage der Frauenordination ist nur eine der Uneinigkeiten zwischen der evangelischen Kirche in Lettland und der Lettischen Evangelischen Kirche im Ausland. 1992, nach der Unabhängigkeitserklärung Lettlands, misslang der Versuch beide Kirchen zusammenzuführen. Zu groß waren die in den Trennungszeiten nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen Unterschiede.

Zurzeit arbeiten in Lettland nur drei Frauen als Pfarrerinnen, die bei den früheren Erzbischöfen ordiniert wurden. Für andere im Ausland ordinierte Theologinnen bleiben nur weniger attraktive Möglichkeiten – entweder im Ausland zu arbeiten, als Evangelistin in Lettland tätig zu sein (und dem männlichen Pfarrer zu unterstehen) oder einen anderen Beruf zu wählen.

Mehr dazu hören Sie in unserer Radiosendung „Baltische Stunde“ am 9. Juni um 19:05

Marijas – Lettische Theologinnen melden sich zu Wort

21. Mai 2009

Herzlichen Glückwunsch!

Wenn jemand Ihnen am Freitag, dem 22. Mai, in Lettland einen Blumenstrauß schenkt und dabei „Daudz laimes vārda dienā“ wünscht, dann wundern Sie sich nicht. Denn nach dem lettischen Namenstagkalender haben Sie heute Namenstag: „Alles Gute zum Namenstag“.

Auch wenn Sie schon mal von lettischen Namenstagen etwas gehört haben, würden Sie sagen, dass es gar nicht sein kann, dass heute Ihr Namenstag ist, weil Sie kein Lette sind. Außerdem werden nur die Namenstage gefeiert, die auch im lettischen Kalender stehen. Und überhaupt haben Sie einen deutschen Namen, den die Letten gar nicht aussprechen können (z. B. Jörn). Aber die wichtigste Frage lautet: Wie kann ich als Fremder überhaupt wissen wie Sie heißen, um so etwas zu behaupten?

Die Antwort ist ganz einfach: am 22. Mai feiern in Lettland alle, die Emilija heißen Namenstag – und alle, deren Name gar nicht im Namenstagskalender steht. Und genau so ist es auch im Kalender geschrieben.

Namenstage sind in Lettland genauso wichtig wie Geburtstage und sie werden genauso gefeiert. Dabei wird ein Blumenstrauß und/oder ein kleines (noch besser - ein großes) Präsent überreicht, oder ... mindestens die Hand geschüttelt und „Apsveicu vārda dienā“ gesagt.

Und wenn doch keiner Ihnen an diesem wichtigen Tag gratuliert, seinen Sie nicht traurig und kaufen Sie sich die Blumen selbst - weil Sie und Ihr Name etwas Besonderes sind.

12. Mai 2009

Die Letten und die Krise

Das Thema “Wirtschaftskrise” ist schon seit Monaten das wichtigste Thema der lettischen und ausländischen Medien. Obwohl die Krise Lettland besonders hart getroffen hat, verlieren die Letten auch nicht in den schwierigen Zeiten ihren Mut, Humor und Kreativität und schöpfen neue Kräfte in ihrer eigenen Kultur und Sprache.
Sie fangen mit dem symbolischen Träger der Krise an – mit der Sprache – und verwandeln das Fremdwort “Krīze” (Deutsch “Krise”, gr.-lat. Herkunft), das in vielen Sprachen ähnlich klingt, in ein neues lettisches Wort: dižķibele. Obwohl das Neuwort am Anfang mit Skepsis angenommen wurde, ist es jetzt in aller Munde. Ins deutsche übersetzt bedeutet dižķibele “Großpech”, dabei ist “dižs“ ein erhabenes Wort für „groß“ das normalerweise in der Poesie verwendet wird.

8. Mai 2009

Zum Muttertag

„Siebenundsiebzig Prozent der fünfunddreisigtausend lettischen Volkslieder sind von Frauen verfaßt, und mehrere hundert singen von der Liebe, die Mutter und Kinder, besonders aber Mutter und Tochter verbindet. Der Vater wird viel seltener erwähnt, und sein Tod ist leichter zu verschmerzen als der Verlust der Mutter – der Untergang einer nie mehr aufgehenden Sonne. Die Mutter wärmt wie die helle reine Flamme des Birkenholzes, das duftend, ohne zu rauchen, verbrennt. Sie ist es, die Schmerz in Freude, Dunkelheit in Licht verwandelt:

Den Span entzund’, die Kerze auch,
in der Kammer – Dunkelheit.
Kommt mein Mütterchen herein,
hell wird die Stube sogleich.*“


Zenta Mauriņa**, Über Liebe und Tod, Memmingen, 1960.

*Das zitierte lettische Volkslied ist von Fritz Bajorat übersetzt.

** Zenta Mauriņa (1897-1978) ist Lettisch-Deutsche Schriftstellerin und Philosophin.

3. Mai 2009

Verbieten - was?

Die Stadt Riga hat beschlossen, am 9. Mai die Versammlung der Veteranen des Zweiten Weltkrieges am Befreiungsdenkmal zuzulassen, nicht jedoch einen Umzug vom Denkmal der roten Schützen zum Veranstaltungsort.

Das Ende der 80er Jahre errichtete Denkmal der Befreiung befindet sich etwa einen Kilometer hinter der Brücke über die Daugava in einem Park. Es wurde zum Gedenken der Befreiung vom Faschismus errichtet. Hier treffen sich Veteranen des Zweiten Weltkrieges alljährlich am 9. Mai, dem Tag, an dem die Russen des Kriegsendes gedenken. Das Denkmal der roten Schützen befindet sich am Rande der Altstadt gleich jenseits derselben Brücke. Es wurde in den 60er Jahren zur Erinnerung an die Einheiten lettischer Nationalität errichtet, die sich während der Oktoberrevolution auf die Seite der Bolschewisten gestellt hatten.

Oberbürgermeister Jānis Birks hätte die Versammlung auch gerne verboten. Es sei ein Leichtes für linksorientierte Provokateure, ähnlich wie am 13. Januar Ausschreitungen zu organisieren.

Riga tut sich, freilich ausgenommen der Sängerfeste, seit langem schwer mit Massenveranstaltungen unter freiem Himmel. Zugegeben, alle anderen Veranstaltungen sind jeweils geeignet, Proteste von Gegnern hervorzurufen.

So ist der 9. Mai für die Letten nicht nur der Tag des Kriegsendes, wie Ex-Präsidentin Vaira Vīķe-Freiberga einmal sagte, sondern selbstverständlich auch Symbol der ein halbes Jahrhundert währenden Okkupation. Der 16. März ist darum so etwas wie der komplementäre Anlaß. An diesem Tag treffen sich die Veteranen der Waffen-SS lettischer Nationalität.

Diese Demonstration wird nicht überraschend vor allem bei deutschen Beobachtern kritisiert. Unter lettischen wie deutschen Historikern ist noch immer nicht unumstritten, wie freiwillig die Beteiligung von ethnischen Letten an der Waffen-SS war. Sicher ist, daß viele Letten den Einmarsch der Wehrmacht 1941 als Befreiung von der sowjetischen Besatzung erlebten. Während diese Letten nach Sibirien deportierten, ermordeten die Nationalsozialisten vorwiegend die Juden. Es ist deshalb wenig verwunderlich, wenn viele junge Männer damals die Nationalsozialisten gegenüber den Sowjets als das kleinere Übel betrachteten.

Aber jenseits dieser Frage erklärt sich die Problematik der Veranstaltung auch durch den Umstand, daß die eigentlichen Veteranen längst verstorben sind und heute vorwiegend jüngere Rechtsextreme an diesem Tag marschieren.

Ein weiterer umstrittener Anlaß ist die Homosexuellenparade Pride, die seit 2005 zwar jährlich, jedoch nicht immer am selben Datum stattfindet. Gemeinsam mit den beiden anderen Gelegenheiten ist ihr der hohe Grad von Ablehnung durch einen Teil der Bevölkerung. Die Parade könnte ohne Polizeischutz nicht stattfinden.

Und weil diese Kundgebungen alle Gegner haben und ein Teil der Bevölkerung sich provoziert fühlt, wird regelmäßig über Verbote diskutiert, wofür es unter Politikern jeweils hinreichend Befürworter gibt. Ministerpräsident Ivars Godmanis hatte im Januar sogar verlangt, daß künftig nicht wieder Demonstrationen in der Altstadt genehmigt werden dürften, da eine Absicherung in den schmalen Altstadtgassen zu schwierig sei.

Die politische Elite Lettlands ist damit ein Spiegel der Gesellschaft. Was nicht gefällt, Auseinandersetzung mit einem Thema verlangte und Anstrengungen zur Garantie der freier Meinungsäußerung wie auch der Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung, dafür wird eben gerne ein Verbot verlangt.

Es ist daher ein Fortschritt, daß trotz aller Widerstände, die bis hin zu richterlichen Verfügungen gingen, alle genannten, umstrittenen Veranstaltungen stattfinden konnten und die Sicherheitsorgane ihre Arbeit weitgehend erfolgreich erledigten. Gewiß, am 13. Januar kam es zu Sachbeschädigungen und ein Alkoholgeschäft von Latvijas Balzams wurde geplündert. Das aber kommt auch in den „besten“ Demokratien vor.

Es ist allerdings nachvollziehbar, daß die SS-Marschierer dieses Jahr nicht zum Freiheitsdenkmal ziehen durften. Dieses Verbot wurde auch vom Gericht nicht aufgehoben. Warum auch sollte eine Demokratie Vertretern einer, zumal radikalen und antidemokratischen politischen Couleur nicht verwehren, ein nationales Symbol für sich zu vereinnahmen?