Letten - ahnungslos beim Bierbrauen?
Erstens. Bier brauen in Lettland - alles wird nach Lettland importiert, weil die Letten keine Ahnung haben? Das erzeugt Staunen. Nun ja, mag bei "Valmiermuiža" ja so sein - die Selbstdarstellung der Firma nennt die Hopfensorten Hallertauer und Tettnanger. 4 Millionen Liter Bier wurden 2016 produziert, nach Estland, Schweden und in die Schweiz wird sogar exportiert. Aber offenbar mussten nicht die Letten, sondern der badische Zugereiste erst eine lange probieren, bis sein Bier Liebhaber fand: im Interview mit der "Badischen Zeitung" (10.9.2016) gibt Saile zu, Bier mehrfach "für die Tierfütterung verwendet" zu haben, wenn Braugänge nicht gelungen waren. Offenbar stellte die Firma "Biertester" ein, oder hat Bier probeweise ausgeschenkt: nur wenn 70 von 100 Testern ihr ok gaben, wurde weiter gebraut, so Saile.Im Getreideanbau sind die lettischen Bauern allerdings sehr erfolgreich - auch unter modernen Maßstäben. Warum also sollte nicht mindestens das Malz aus lettischer Produktion sein? Und schon die Chronik Heinrichs des Letten wußte vom Gebrauch von Bier bei den einheimischen Stämmen rund um Riga zu berichten.
Ein Beitrag aus der lettischen Regionalportal "Burtnieku novads" aus dem Jahr 2009 dokumentiert, dass bei "Valmiermiuža" von Zeit zu Zeit "öffentliches Probieren" bei den Kunden ausgerufen wurde: die Sorte mit der höchsten Stimmenzahl sollte bestehen bleiben, so das Versprechen. Allerdings wurde - diesem Artikel zufolge - fürs Abstimmen weitgehend das Internet genutzt: die eigentliche Kundenreaktion blieb also im Dunkeln (Klicks im Internet zu erzielen - eher eine Marketing- als eine Geschmacksprobe). Und, gab es eine Variante mit anderem Hopfen? Mit lettischen Ausgangsstoffen? Offenbar nie. Zitiert wird Miteigentümer Aigars Ruņģis mit den Worten: "Unser Braumeister hat vier Rezepte aus Deutschland mitgebracht." Ob er vorher wenigstens lettisches Bier mal probiert hat, dazu wird leider nichts gesagt.
Hopfen und Malz aus Lettland - nicht gut genug?
Zweitens. Lettische Braugeschichte. Gut, zugegeben, die ersten Brauereien in Lettland wurden vielfach von Deutschstämmigen gegründet - davon zeugen Namen wie "Waldschlößchen" oder "Tannhäuser Bier". Aber derselbe Aigars Ruņģis, der gegenüber deutschen Medien noch behauptete froh zu sein, dass lettischen Bier deutschen Touristen schmecken kann, zeigt in einer Marktuntersuchung der Hochschule Ventspils weit mehr Selbstbewußtsein: "Lettland hat Tradition im Bier brauen und genießen, und lettisches Bier ist in der Welt genauso wie, sagen wir mal, französischer Wein."1590 wurde in Cēsis in alten Schriften zum ersten Mal das Bierbrauen erwähnt - "Cēsu alus" ist das Bier mit der ältesten Tradition in Lettland. In Riga eröffnete 1850 die Brauerei "P.R. Kymmel", 1863 "Ilgezeem" (Iļģuciems), und 1870 gleich gegenüber "Tannhäuser" (mit deutlichem Bezug zum Opernkomponisten, der wenige Jahre zuvor in Riga tätig war, gegründet vom jüdischen Unternehmer Puls). Später zunächst noch als "Tanheizers" weitergeführt, 1937 dann mit "Aldaris" (zwangs-)vereinigt.
Und mit Joachim Dauder war es ein echter Bayer, der 1865 die "Waldschlößchen-Brauerei" in Riga gründete, die in der Zwischenkriegszeit noch "lettisiert" als "Valdšleschens" weiterlebte, was später ebenfalls aufging in "Aldaris", die dann 2008 vom Carlsberg-Konzern übernommen wurde (Einzelheiten dazu sind leider momentan fast nur noch in den Notizen von Bieretiketten-Sammlern nachzulesen). Immerhin habe es Mitte der 1930iger Jahre in Lettland 30 verschiedene Brauereien gegeben, erinnert Kārlis Tomsons in einem Beitrag für das Portal "Laukos". Aber selbst diese offiziellen Zahlen zweifelt er an: er hält sie für höher.
Zu Sowjetzeiten - Bierbrauen verboten?
Viele alte lettische Bieretiketten sind z.B. bei "Laikmetazimes" zu sehen |
Einige lettische Brauer würden mehr vom Marketing als vom Brauen verstehen, meint Gastbraumeister Matthias Saile. Sein lettischer Arbeitgeber jedenfalls arbeitet nicht nur mit einem deutschen Rezeptetüftler, sondern gleich mit zwei Unternehmens-Beteiligungsgesellschaften zu sammen: die "Industrieliegenschaftenvervaltungs AG (ILAG)" aus Österreich, und die erst 2012 gegründete "Thinkflink" (mit Adresse "Waldweg 21" am Starnberger See - anfangs war es mit "Alcor" eine zweite Firma aus Österreich). Offenbar wirklich eine gute deutsche Geldanlage.
Touristen staunen nicht mehr: sie wissen und genießen!
In der lettischen Tourismuswerbung finden wir den Hinweis, dass auch bei Valmiermuiža einheimische Handwerksmeister die Fässer bauen - aber wie wär's mit Hopfenanbau, mit gemälztem Getreide? Beim ebenfalls unter Lettinnen und Letten sehr beliebten "Užavas" heißt es: "ar latvju tautas rokām ražoto produktu" (ein mit den Händen des lettischen Volkes gefertigtes Produkt).Andere nutzen regionale Produkte nicht nur in Form der Arbeitskräfte. Beispiele? Jeder zweite lettische Biertrinker wird "Tērvetes" empfehlen oder zumindest als gutes Bier bezeichnen - und kann im Vergleich zu anderen Bieren darauf vertrauen, dass diese Getränke mit einheimischen Ausgangsstoffen gebraut sind. Die Marke gibt es immerhin auch bereits seit 1971, entstanden aus einer Kolchosen-Produktion. Auch "Tērvetes" erzählt in seiner Firmengeschichte von "Erfahrungsaustausch mit Brauereien in Westdeutschland" - ohne sich allerdings in der Folge selbst zu Importempfängern zu machen. Drei eigene Mälz-Verfahren hat man entwickelt: hell, karamellisiert, und gebrannt - so die Selbstdarstellung. Seit 2016 wird bei "Tērvetes" auch Mineralwasser produziert, als zweites kommerzielles Standbein.
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