12. Juni 2025

Vorwiegend männlich, im Zweifel lettisch

Die Kommunalwahlen in Lettland brachten, den Kommentaren in der Presse zufolge, nur wenige Überraschungen. 

Aufsehen erregte aber der Stadtrat in der lettischen Hafenstadt Liepāja. Das dortige Stadtparlament hat 15 Sitze zu vergeben, und gewählt wurden: Gunārs, Jānis, Uldis, Pāvels, Raivis, Artis, Uldis, Salvis, Uldis, Edvīns, Helvijs, Vilmārs, Jānis, Vilnis und noch ein Jānis - also ausnahmslos alles Männer! (lsm) Dieses Ergebnis überraschte offenbar, denn irgendwelche Kampagnen der Art "Frauen können das nicht" oder "überlasst es besser uns" hatte es nicht gegeben. Die meisten Abgeordneten stellt nun die "Liepājas partija" mit 9 Abgeordneten, gewählt auf einer Liste mit insgesamt 18 Kandidat/innen. Vier Frauen waren auf dieser Liste, sie landeten auf Platz 14, 15, 16 und 18. 

Das spornte nun die Presse natürlich dazu an, nüchtern weiter aufzuzählen: Stadt Ventspils: eine Frau von 13. Mārupe: 1 Frau von 19. Aizkraukle:  1 Frau von 15. (lsm) Sehr viele weitere Stadträte wurden aufgezählt, wo nur zwei oder drei Frauen vertreten sind. Es gibt drei auffällige Ausnahmen: der Bezirk Valka, an der Grenze zu Estland gelegen, mit 8 Frauen und 7 Männern, Kuldiga in Kurland, mit demselben Zahlenverhältnis, und Daugavpils (die sich Hauptstadt von Latgale nennt), mit ebenfalls 8 zu 7. Bei Daugavpils fällt außerdem auf: gleich 14 der 15 Sitze wurden von einer einzigen Partei gewonnen, die sich, ähnlich Fangesängen im Sport, "Sarauj Latgale!" (abgeleitet von "saraut" = zerreißen, sich ins Zeug legen) nennt, erst 2024 gegründet wurde, und sich vor allem an der Führungsfigur von Andrejs Elksniņš orientiert, dem amtierenden Bürgermeister von Daugavpils

Weniger Harmonie 

Die Figur von Elksniņš könnte auch symbolisch für einen anderen Trend stehen. Früher war die Partei "Saskaņa" einmal sehr prägend für die lettische Parteienlandschaft. Bei vielen Wahlen hieß es immer, genau diese Partei stünde für die "Interessen der russischsprachigen Minderheit". Noch 2018 kommentierte die deutschsprachige Presse lettische Wahlergebnisse so: "Trotz Politikverdrossenheit reicht es nicht für prorussischen Premier", und im Text war von einer 'russlandfreundlichen Partei 'Harmonie' " die Rede (so wurde das lettische Wort "Saskaņa" übersetzt / Tageblatt). Die "Süddeutsche" titelte damals: "Harmonie soll nicht im Spiel sein." - Dann kam der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Bei den Parlamentswahlen 2022 stürzte die "Saskaņa" auf 4,81% ab. Zwar wurden bei den Europawahlen 2024 noch 7,13% erreicht, das lag aber wohl am langjähigen Rigaer Bürgermeister und Spitzenkandidaten Nils Ušakovs, der nun als einer von neun lettischen Abgeordneten im Europaparlament sitzt. Es folgte nun aktuell wieder eine Niederlage in Riga: mit 3,45% erneut unter der 5%-Hürde. Manche Analysten schrieben diesen Absturz der Tatsache zu - abgesehen von vielen Personalquerelen nach dem Abgang von Ušakovs - dass sich führende Saskaņa-Mitglieder klar geäußert hatten und Russlands Vorgehen in der Ukraine klar verurteilt hatten. "Die Saskaņa wird europäischer, oder gar nicht mehr sein", schrieb Ušakovs im Dezember 2022 (lsm). Die früher so klare Fraktion der "Russischsprachigen" hat sich jetzt also auf mehrere andere Parteien aufgeplittert. 

Auch Andrejs Elksniņš war lange Jahre Mitglied der "Saskaņa". Sein Argument beim Austritt: eine führende Elite im Staat ignoriere die regionalen Interessen in Latgale (delfi). Sein Erdrutschsieg ist also irgendwie auch eine Aussage, besonders in einer Stadt mit einem starken Übergewicht russischsprechender Einwohner/innen: alles, nur nicht "Harmonie". Von Elksniņš sind keinerlei Aussagen zugunsten der Ukraine bekannt. Die pro-russische Seite reklamiert für sich, dass in Daugavpils 95% der Einwohner/innen fließend Russisch sprechen. Offiziellen lettischen Statistiken zufolge macht der Anteil der Russen in Daugavpils nur 46% aus (dazu 21% Lettinnen und Letten). Warum? Es werden auch noch 13% Polnischsprechende gezählt. 

Riga zuerst

Nicht sehr erfreulich entwickelte sich die Wahlbeteiligung in der lettischen Hauptstadt:  nur 52,91% der wahlberechtigten Einwohnerinnen und Einwohner beteiligten sich. Das ist in etwa dasselbe Niveau wie bei den Kommunalwahlen des Jahres 2001 (52,87%), aber weniger als bei allen Wahlen seitdem (2001 = 60,85%, 2009 = 58,93%, 2013 = 55,55%, 2017 = 58,72%). Nur im Jahr 2020, als in Riga vorgezogene Wahlen stattfanden, waren nur 40,58% dabei. Den Wahlkampf hatte vor allem "Lettland zuerst" ("Latvija pirmajā vietā") mit provozierenden Aussagen dominiert, ebenfalls mit einer in vielen politischen Farben schillernden männlichen "Führerfigur": Ainārs Šlesers. Während dieser es offen ließ, ob er mit den beiden zumindest teilweise Putin-freundlichen und eher antieuropäischen Parteien "Stabilitātei" ("für Stabilität") und "Suverēna vara, apvienība Jaunlatvieši" ("Souveräne Macht, Vereinigung Jungletten") zusammenarbeiten wolle, haben sich inzwischen die vier Parteien im Rigaer Stadtradt zusammengetan, die sich für "an lettischen Interessen orientiert" halten. 

Inzwischen verhandelt Viesturs Kleinbergs, Bürgermeisterkandidat der "Progressiven" ("Progresīvie", 11 Sitze im Stadtrat), mit drei anderen Parteien über eine Koalitionsbildungmit "Jauna Vienotība", die Partei von Ministerpräsidentin Evika Siliņa, mit 9 der insgesamt 60 Sitze im Stadtrat, der "Vereinigten Liste" ("Apvienotais saraksts", bestehend aus Grüner Partei, Regionalpartei und Liepaja Partei) mit 4 Sitzen, und die "Nationale Vereinigung" ("Nacionālā apvienība 'Visu Latvijai!'/ 'Tēvzemei un Brīvībai/LNNK'") mit 10 Sitzen. Aber unter diesen Parteien gibt es leicht sichtbare ideologische Gegensätze, nicht selten werden zum Beispiel die eher links orientieren "Progressiven" von den "Nationalen" als "Neo-Kommunisten" bezeichnet. Und schon als Ergebnis der Kommunalwahlen 2020 wurde mit Martiņš Staķis ein Vertreter der Progressiven (damals in gemeinsamer Liste mit "Attīstībai/Par!" und einem Wahlergebnis von 26,14% und 18 Sitzen) zum Bürgermeister Rigas gewählt; er trat im Juli 2023 nach internen Streitigkeiten der regierenden Koalition zurück. Da lautet das aktuelle Motto für das potentielle Viererbündnis: Lieber nicht zurück schauen. 

Rücktrittswelle 

In Lettland stehen nun zunächst einmal die Mitsommerfeiern an - vorher wird es ganz gewiss noch keinen neuen Bürgermeister in Riga geben. Und gleich mehrfache Nachwirkungen hatten noch die peinlichen elektronischen Pannen am Wahlabend: es gab mehrere Rücktritte. Schon am 9. Juni wurde Jorens Liopa, bisher Chef der staatlichen Agentur für digitale Entwicklung (Valsts digitālās attīstības aģentūras VDAA) entlassen (lsm). Dann zog zwei Tage später die zuständige Ministerin Inga Bērziņa die Konsequenzen und trat ebenfalls zurück. (lsm) Und auch Landeswahlleiterin Kristīne Saulīte entschloss sich zum Rücktritt. (lsm) Interessante Wahlen also dennoch - wo viele danach strebten gewählt zu werden, und diejenigen, die es organisieren sollten, am Ende ohne Vertrauensbeweis dastehen. 

8. Juni 2025

Kommunale Nicht-Automaten

Eigentlich sollten ja bei den lettischen Kommunalwahlen am 7. Juni die neuen, einheitlich gestalteten Stimmzettel eine automatische Auszählung ermöglichen (siehe Beitrag) - aber das stellte sich als schwierig heraus. Schon am Wahlabend, kurz nach Schließung der Wahllokale, traten technische Schwierigkeiten auf und es musste vielfach zur Zählung per Hand übergegangen werden. Die lettische zenrale Wahlkommission (Centrālā vēlēšanu komisija CVK), musste zu einer eiligen Sondersitzung zusammenkommen. "Wir arbeiten jetzt nach Plan B", gab die neue CVK-Chefin Kristīne Saulīte zu (lsm)

Eigentlich sollte die neu geschaffene "Agentur zur digitalen Entwicklung" (Valsts digitālās attīstības aģentūra VDAA) die automatische Auszählung gewährleisten. Das Ergebnis aber war, dass in einzelnen Wahlbezirken die Wahlhelferinnen und Wahlhelfer schon nach Hause geschickt wurden, weil einfach die Scanner nicht funktionierten. Es dauerte eine Zeitlang bis entschieden wurde, den Auszählungszeitraum auf den Sonntagmorgen zu erweitern. Und VDAA-Chef Jorens Liopa, der für Journalisten nur mühsam telefonisch erreichbar war, musste zugeben, dass "Test und Anwendungspraxis sich offenbar unterscheiden". 

"Leider sind CVK und VDAA an der Organisation dieses Prozesses gescheitert", kommentierte Staatspräsident Rinkēvičs den Vorgang und kündigte an, auch der nationale Sicherheitsrat (Nacionāla drošības padome") werde sich auf seiner kommenden Sitzung mit dem Thema befassen. (LA)

6. Juni 2025

Rote Früchtchen

Lettlands Erdbeerhauptstadt 

Frühjahrszeit - Erdbeerzeit! Auch in Lettland sind Erdbeeren beliebt. Inzwischen gibt es 377 Betriebe, die auf insgesamt 365 ha Erdbeeren anbauen (andere Quellen sprechen auch von bis zu 5oo ha). Ein Drittel der Erdbeerbauern haben nur bis zu einem Hektar Fläche, die drei größten sind "Sprogas" in Alūksne, "Ūziņi" in Dobele, und vor allem "Mālpils ZemeNes" (IR)

"Erdbeeranbau - keine Arbeit, sondern unsere Lebensart" behauptet ausgerechnet "Mālpils ZemeNesder größte "Erdbeergigant" in Mālpils, einem Städtchen mit nur knapp 2.000 Einwohner/innen und stark rückläufiger Bevölkerungszahl. Der Ort bemüht sich offenbar um die Pflege von Mythen und Sagen. Zur Herkunft des Ortsnamens gibt es zwei Lager: die einen leiten es von der früheren deutschen Bezeichnung her: Lemburg (Lehm = māl, Burg = pils). Andere erkennen eher den Namen eines Stammeshäutlings der in alter Zeit hier siedelnden Liven: "Lembit" + "urga" (= "virsaiša upīte", "Flüsschen des Häuptlings"). 

Aufgefrischte Vergangenheit 

Der ehemalige Gutsherr Gustav Wilhelm von Taube (1715-1775) soll hier am Ort sehr streng mit den leibeigenen Bauern umgegangen sein (geschildert in der Lokalzeitung "Mālpils Vēstis"): um Teiche auszuheben, mussten alle, auch Frauen mit kleinen Kindern, mitarbeiten - und der Gutsherr habe mit einsatzbereiter Peitsche immer daneben gestanden. Da solche Verhältnisse manche an Sträflingsarbeit in Sibirien erinnerten, seien die Gutsgewässer auch "sibirische Teiche" genannt worden. Das Ergebnis wird heute von "Latvia Travel" als "romantischer Schlosspark im Barock-Stil mit Spazierwegen" beworben. 

Nachdem das eigentliche Gutshaus 1905 niedergebrannt worden war (nur einige Mauern blieben erhalten), wurde es im klassizistischen Stil nach Plänen des bekannten Architekten Wilhelm Bockslaff umgestaltet und wieder aufgebaut. Heute findet sich hier ein 2008 neu eingeweihtes und für 3 Millionen Euro zum Hotel ausgebautes Gutshaus ("Mālpils muiža"), das E-Bikes und Boote verleiht und sich anbietet, Hochzeiten und andere Familienfeiern dort auszurichten (building). Millionär Aldis Plaude schenkte das fertige Hotel 2008 seiner Tochter - die gleichzeitig Angestellte in Papas Immobilenunternehmen "Vestabalt" ist. "50km von Riga entfernt - das ist nah genug um hier mal für ein fantastisches Abendessen hinzufahren", hoffte die neue Chefin bei der Eröffnung (apollo). Von ursprünglich einmal 38 zum Gutshof gehörenden Gebäuden sind heute noch 18 erhalten. 

Erdbeer-Fest in Mālpils

Auch Käse wird in Mālpils hergestellt (Mālpils siers). Aber die  Mālpils-Erdbeerbauern steigen in den Wettbewerb um das "schönste Haus am Platze" ein und ernennen sich jetzt selbst zum "Zemeņu muiža" ("Erdbeerhof"). "Alles rund um die Erdbeere ist uns heilig", heißt es auf der Webseite. 

Anbauflächen wachsen 

Denn die Aussichten sind gut. Ginta und Andris Apsītis, Eigentümer von "Mālpils ZemeNes", arbeiten jetzt schon 30 Jahre mit Erdbeeren. Am Anfang habe man auch Getreide und Schweinezucht ausprobiert, heißt es, aber "Früchte bringen den meisten Gewinn" ("IR"). Nun wurde ein altes Schulgebäude im Ortsteil Sidgunda zum "Erdbeerzentrum" gemacht (ok, auch Quitten werden noch geerntet), und die Anbaufläche ist auf über 25ha angewachsen. Alle Erdbeeren wachsen auf offenem Feld - das macht es manchmal schwierig, mit Konkurrenzprodukten vor allem aus Polen und Griechenland mitzuhalten, berichten die Betreiber. Für 2025 zum Beispiel hieß es, viel Niederschlag habe einige Felder der Erdbeerbauern überschwemmt, so berichtet Agronom Guntars Dzērve der lettischen Presse (LA).

In Mālpils werden die ersten eigenen Erdbeeren rund um den 15. Juni erwartet. 150-200 Tonnen erntet der Betrieb des Ehepaars Apsītis pro Jahr. Erdbeeren werden in Lettland meist frisch gekauft, berichten sie. Erdbeer-Marmelade werde seltener gekauft, eher würden Verbraucher/innen die Beeren für den Winter einfrieren. "Letten sind große Erdbeerliebhaber!" freut sich der Firmenchef - die Nachfrage sei viel größer als das Angebot, daher werde auch so viel importiert. Die Pflanzen werden auch aus Deutschland gekauft, die meist angebauten Sorten seien Āzija, Sonsation oder Malvīne. 

Fehlende Arbeitskraft 

Eine immer wiederkehrende Schwierigkeit ist offenbar die Anwerbung von genügend Erntehelfern und anderen Mitarbeiter/innen - denn die Ernte dauere nur zwei Monate, aber alle suchen natürlich nach stabilen Einkünften das ganze Jahr über. Daher habe man auch schon in der Ukraine und in Kasachstan um Arbeitskräfte geworben. Gegenwärtig seien etwa die Hälfte der Arbeiter/innen Einheimische, die andere - dafür wird der Begriff verwendet, der in Deutschland inzwischen nur noch ungern angewandt wird: "viesstrādnieki" (Gastarbeiter). 

Bei "Augusta Zemenes", ebenfalls mit Sitz in Lettlands "Erdbeerhauptstadt" Mālpils, wird vor allem auf Werbung auf digitalem Wege gesetzt - mit selbstgedrehten Videos regelmäßig via "Facebook" und "Tiktok". (IR) Guntars Dzērve und seine Frau Iveta können inzwischen auf acht Jahre Erfahrung mit Erdbeeranbau zurückblicken. Beide haben auch ein Theraapiezentrum mit Pferden aufgebaut (Zirgu asistētas mācīšanās un terapijas centrs). Und so kommt es, dass sogar Touren "mit Pferden und Erdbeeren" angeboten werden. Dauer: 90 Minuten. "Wir lernen die Sprache der Pferde", heißt es hier, und als Zugabe gibt es "Geheimnisse der Erdbeerschule". 

Tagsüber um die 20 Grad, aber nachts nicht unter 10 Grad - dass seien ideale Bedingungen für den Erdbeeranbau in Lettland, so Guntars Dzērve. Er baut gerne die Sorten Favori, Murano und Aurora Karima an, die Setzlinge kommen immer im Frühjahr aus Deutschland und den Niederlanden. "Die Pflanzen überwintern hier nicht, das funktioniert nicht", meint er. 

Plan A, B und C 

Von 25 Arbeiterinnen und Arbeitern beim Erdbeerbauern "Lubeco" in Ārlava (zwischen Roja und Talsi) stammen 90% aus dem Ausland, aus Usbekistan und sogar aus Indien (IR) Und auch hier sind als zweite Frucht Quitten (lettisch "Cidonija") zu finden. Eigentlich wollten die Eigentümer auch hier nur einheimische Kräfte beschäftigen. "Aber dann hatten wir 4 ha, alles rot, und keinen der es erntet", berichten sie. (IR) Rumba, Sonata, Falco, Parlando und Opera sind hier die bevorzugten Erdbeersorten. Wie bei vielen anderen Betrieben auch, wird inzwischen nicht mehr auf offenen Feldern, sondern unter Plastikfolien angebaut (Tunnel). So können schon Ende Mai die ersten lettischen Erdbeeren verkauft werden. 2024 habe man die ersten eigenen Erdbeeren für 10 Euro pro Kilo verkaufen können. "Lubeco"-Dhef Dzintars Silgals konnte seine Erdbeeren auch schon in den lettischen Läden der "Lidl"-Kette platzieren. Er hatte es erst in der Forstwirtschaft, dann als IT-Spezialist bei "Samsung Baltic" versucht. Der Erdbeerbetrieb biete ihm aber nun die Möglichkeit, immer mit der Familie zusammen zu sein, meint er. 

"Und man braucht immer auch Plan B und Plan C für dieses Business," sagt er. Auch die Produktion von Säften und Sirup wird ins Auge gefasst, und auf abgeernteten Erdbeerfeldern wachsen hier Wassermelonen. "Wir werden dann sehen, was sich am meisten auszahlt", meint er. Seit 2020 hat sich in Lettland der durchschnittliche Verkaufspreis für das Kilo Erdbeeren fast verdoppelt. 

29. Mai 2025

Kein Zweifel

Das Team des Architekturbüros Zaiga Gaile
präsentiert das Modell ihres Projektes, so wie es
jetzt in Venedig ausgestellt wurde
"No Doubt About It" sang "Hot Chocolate" in den 1980igern. In dem Lied ist von anderen Lebensformen und einer Wolke aus weissen und grünen fliegenden Schiffen die Rede. - Ganz aktuell gibt es die "Zweifelsfreien" diesmal am Rande der 19. Architekturbiennale in Venedig als Diskussionsveranstaltung und Ausstellung: unter dem Titel "No doubt about it" stellt Kurator Vladimir Belogolovsky in der Magazzino Gallerie vom 8.Mai bis 23. November 2025 Architekturprojekte aus Armenien, Georgien, Polen, China, Deutschland und Lettland vor ("IR").

In Venedig mit dabei ist auch die lettische Architektin Zaiga Gaile - sie stellt ihre Entwürfe zur Restaurierung des früheren Haus der "Gesellschaft der Musse" in Riga vor, zuletzt bekannt als "Wagner-Saal" (vagneriga). An ihrer Seite - wie fast immer - Ex-Ministerpräsident Māris Gailis (youtube), der auch geschäftsführender Vorsitzender der "Richard-Wagner-Gesellschaft Riga" ist, vorgestellt als "erfahrener Immobilienentwickler und Unternehmer". (vagneriga, siehe auch: "Wagner-Dämmerung")

"Musse" ist kein Müßiggang 

Zu Zeiten Wagners gab es in dem Haus, das jetzt in der "Riharda-Vāgnera-iela" liegt, eine Bibliothek und einen Lesesaal, einen Tanzsaal, ein Damenlokal, einen Herrenclub und mehrere geräumige Salons.

Die Richard-Wagner-Gesellschaft Riga (RWGR) und das Architekturbüro Zaiga Gaile betonen, dass mit der Präsentation des Projekts in Venedig ein symbolischer Bogen gespannt wird – von Riga über Bayreuth nach Venedig und zurück. In Riga wirkte Richard Wagner 1837 bis 1839 als Kapellmeister am ersten Stadttheater. In Bayreuth baute Wagner 1876 sein eigenes Opernhaus, das die in Riga entwickelten Prinzipien umsetzte und bis heute jedes Jahr das renommierte Bayreuther Festspielhaus beherbergt. Und Venedig war der Ort, wo Wagner 1883 starb. - 2020 hatte die staatliche Immobilienverwaltung das historische Gebäude auf die Richard-Wagner-Gesellschaft Riga übertragen (NMZ). Im Mai 2023 konnte der Grundstein für das Projekt eines neuen "Wagner-Theaters" gelegt werden (richard-wagner.org

Ein Schicksalsschiff 

Im neu gestalteten Haus soll sogar ein Modell des Schiffs "Thetis" zu sehen sein, mit dem Wagner im Sommer 1839 von Pillau aus über Norwegen nach England floh - inklusive eines schweren Sturmes, der Wagner angeblich zu seiner Oper "der fliegende Holländer" inspirierte (siehe auch: Bayrischer Rundfunk). 

Es sei nicht ganz einfach gewesen, das Modell des Projektes nach Venedig zu transportieren, berichtet Zaiga Gaile. Schon aus dem eigenen Architekturbüro in Riga musste es auf dem Fenster mit Seilwinden nach draußen gehoben werden. In Venedig kam das Ehepaar Gaile mit der kostbaren Fracht per Schiff an - allerdings nicht ohne Verluste. Alles war sorgsam in Luftpolsterfolie eingepackt worden, aber das winzige Modell der "Thetis" wurde, in Folie verborgen, beim Auspacken von einem Arbeiter versehentlich weggeworfen. "Armer fliegender Holländer!" kommentiert Māris Gailis, der ja selbst mit seiner Yacht "Milda" auch schon eine Weltumseglung unternommen hatte. (filmas / Dienas bizness)

20 Millionen Euro sollen bisher an Spenden gesammelt worden sein, um das Projekt des neuen "Wagner-Konzerthauses" fertigzustellen. Fünf Millionen Euro kommen von deutscher Seite dazu (siehe Beitrag). Allerdings werden die Gesamtkosten inzwischen nicht mehr auf 40, sondern bereits auf 47 Millionen Euro veranschlagt - mehr, als die kürzlich fertiggestellte Modernisierung des Gebäudes für das Neue Rigaer Theater (Jaunais Rīgas teātris). Es ist vorgesehen, dass nach Fertigstellung auch das Orchester der Kremerata Baltica hier beheimatet sein soll. ("IR"). Bisher ist eine Fertigstellung innerhalb von 10 Jahren vertraglich festgelegt, wird das nicht erreicht, könnte das Haus wieder für andere Zwecke vorgesehen werden. "Aber im schlimmsten Fall, wenn es dann auch nicht ganz fertig sein sollte - es wird dann so aussehen, dass niemand es so leicht zu einem Casino oder Hotel umwandeln kann!" Davon ist das Ehepaar Gailis überzeugt. Bisher ist eine Eröffnung für 2028 vorgesehen - ein künstlerischer Leiter / eine Leiterin wird noch gesucht.  

12. Mai 2025

Baumaschinen oder Fahrradwege?

Die Kommunalwahlen in Lettland stehen Anfang Juni bevor, und wie immer wird mit besonderem Interesse verfolgt, welches Ergebnis wohl in der lettischen Hauptstadt zu erwarten ist. 

Rote Linien 

Die Berichterstattung der lettischen Presse betont die Abgrenzungen im Wahlkampf: welche Partei möchte mit wem zusammenarbeiten, und mit wem lieber nicht. "Jaunā Vienotība" (JV), die Partei von Ministerpräsidentin Siliņa, nennt zwei durchaus sehr unterschiedliche mögliche Partner für den künftigen Stadtrat von Riga: entweder die "Nationale Vereinigung" (NA), oder die "Progressiven" (Progresīvie). "Wir müssen Riga vor den Kreml-Propagandisten schützen" meint der amtierende Bürgermeister Vilnis Ķirsis (lsm). 

Fast jedem eine eigene Partei

Die gegenwärtig im Stadtrat Riga (60 Sitze) regierende Koalition wird aus ziemlich vielen Einzelgruppierungen gebildet: außer der JV sind das die Gruppe "Kods Rīgai", die Parteien "Gods kalpot Rīgai", "Latvijas attīstībai", und "Latvijas Reģionu apvienība", letztere bildet mit der NA eine Fraktion im Stadtrat. Dazu Einzelpersonen, die vorher mit ihrer Gruppierung "Kustība "Par!" eine Fraktion mit den Progressiven bildeten, nun aber mit der Regierungskoalition stimmen.

Mal eine ganz neue Art von Demo in Riga:
der Bürgermeister zieht mit Parteifreund/innen
durch die Altstadt und preist seine eigenen
vermeintlichen Errungenschaften
Da fällt es sicher vielen Wählerinnen und Wählern nicht leicht, überhaupt nachzuvollziehen, welche Person gerade zu welcher Partei gehört. Vize-Bürgermeisterin Linda Ozola zum Beispiel war bei den Wahlen 2020 Spitzenkandidatin der Neuen Konservativen Partei (tvnet), trat dort 2023 aus (delfi), schloss sich der Fraktion "Kods Rigai" an, und startet nun 2025 aber auf der Liste der "Jauna Vienotība". 

Der Vielversprecher

Aus vielen Parteiprogrammen lassen sich kaum konkrete Ziele für Riga herauslesen. Bei der NA vielleicht eine bevorzugte Bereitstellung von Wohnungen für Familien mit Kindern. Das ist bei Ainārs Šlesers durchaus anders. Früher einmal "Bulldozer" genannt, ist sein momentanes Parteienprojekt zwar nicht sein erstes - mit seiner "Ersten Partei" bestimmte er schon zwischen 2007 und 2011 die politischen Schlagzeilen, 1998 war er Mitgründer der "Neuen Partei", die sich 2001 zunächst in "Neue Christliche Partei" und dann in "Erste Partei" ("Pirma Partija") umbenannte. Sein momentanes Ego-Projekt ist "Lettland zuerst" ("Latvija pirmajā vietā" LPV), wurde 2021 gegründet, stellt wieder einmal seine eigene Person in den Mittelpunkt und trat gleich mal als entschiedene Impfgegner und Verteidiger "wahrer Familien" in Erscheinung. 

Eines habe die genannten Parteien gemeinsam: es ist immer irgendwie von „Šlesers Partei“ die Rede. Geboren als Ainārs Leščinskis nahm der mehrfache Parteiführer 1992 den Nachnamen seiner Frau an (Inese Šlesere, 1991 "Miss Lettland"). Als Geschäftsmann öffnete Šlesers einst norwegischen Firmen den Zugang zum lettischen Markt und wurde dafür sicherlich reichlich entlohnt - heute ist er Millionär, niemand fragt mehr danach wie er sein Geld verdient hat. Er war auch an der Entwicklung verschiedener Einkaufszentren und Hotels in Riga beteiligt. Als Verkehrsminister war er einst in den Korruptionsskandal um "Jūrmalgate" verwickelt (jauns / IR / ), und 2011 beantragte Präsident Valdis Zatlers beim Verfassungsgericht die Auflösung des Parlaments, da dieses sich geweigert hatte die Immunität des Abgeordneten Ainārs Šlesers aufzuheben, gegen den wegen Korruption ermittelt werden sollte. Resultat: Neuwahlen, bei denen der "Oligarchenblock" (Latvijas Pirma Partija / Latvijas Celš LPP/LC) mit 2,42% weit unter der 5%-Grenze blieb - obwohl Šlesers seine Partei schnell noch in "Šlesera Reformu partija" (Šlesers Reform Partei) umbenannt hatte.

Der größte Ärger: die Fahrradwege? 

Das kleinmütige Riga kann kaum je so groß
werden, wie Meister Šlesers selber, scheint
dieser Wahlslogan zu sagen
Aber auch in der - gefühlt - fünfundzwanzigsten Auflage verkündet Šlesers wie gewohnt "Wohltaten". Bei der LPV wird gleich ein ganzes Füllhorn von Versprechungen ausgeschüttet, und für jede und jeden scheint etwas dabei zu sein: "Gedeiht Riga, so gedeiht auch Lettland" (zu übersetzen wohl als "Ökonomie, Ökonomie, Investoren"), für den Bau eines neuen Konzertsaals und eines Museums für moderne Kunst, 200 Euro für alle als Unterstützung für Medikamente, 2000 Euro für jedes neugeborene Kind, und sogar für kostenlosen öffentlichen Nahverkehr in Riga (das war vor einign Jahren nur von den "Progressiven" zu hören). Darüber hinaus auch kostenlose Mittagessen in den Schulen bis zur 9.Klasse, Verringerung der Beamtenzahl um 30%, Steuererleichterungen für Immobilienbesitzer, Sitzbänke für Rentner und Spielplätze für Kinder. Renovierung aller Brücken und, erstaunlich: alle Fahrradwege sollen abgeschafft werden mit dem Argument, diese abgegrenzten Streifen würde ja im Winter sowieso nicht gebraucht. 

Demgegenüber klingen die Sprüche der anderen Parteien fast langweilig: "Sicherheit, Verantwortung, Ordnung" (JV). "Sicherer und menschenfreundlicher Stadtverkehr" (Progressive) Dem entsprechend ist es vielleicht kein Wunder, dass Šlesers mit seiner LPV inzwischen die Umfragen anführt - allerdings mit einer Zustimmung von 8,6% der Befragten auf einem sehr niedrigen Niveau. Auch wenige Wochen vor der Wahl wissen noch 33,1% nicht, was sie wählen sollen, und zusätzliche 14,5% sagen gar nicht teilnehmen zu wollen. (lsm)

Aufsuchende Urnenmobilität

Auf dem Lande herrscht offenbar größere Unsicherheit über die Wahlbeteiligung - bei den vorangegangenen Wahlen sollen sich in einigen Wahlbezirken weniger als 100 Menschen beteiligt haben. Zum ersten Mal wird es "fahrende Wahllokale" geben - es werden Busse mit Wahlurnen eingesetzt, und zwar voraussichtlich in Alūksne, Dobele, Jelgava, Olaine, Smiltene und in Rēzekne. Es werde zu bestimmten Zeiten Haltepunkte an Supermärkten, an Bahnhöfen oder Schulen geben, heißt es. (lsm)

20. April 2025

Lokales auch aus der Ferne

Schon seit dem 15. April laufen in Lettland Kommunalwahlen - denn seit diesem Tage ist die Stimmabgabe per Post möglich. Der eigentliche Wahltag wird dann der 7. Juni 2025 sein. Aber auch der Teil des Wahlprozesses, der in Deutschland immer noch gern "Briefwahl" genannt wird, geschieht jetzt auf neue Art und Weise in Lettland: mit elektronischen Hilfsmitteln.

Über das zentrale Portal "Latvija" kann registrierten Bürgerinnen und Bürgern auch im Ausland die Teilnahme an der Wahl bequem ermöglicht werden. Es gibt drei Wege: eID, eIDMobile, oder SmartID. Das Ganze nennt sich dann "Voter Data Management". Seit 2019 gibt es einen elektronischen Identitätsnachweis, die "eID-Karte" (deutsche Info / lettische Info), und es gibt ausführliche Hinweise, wie der eigene PC auf die Nutzung der eID-Karte vorzubereiten ist.

Wählen am Aufenthaltsort

So vorbereitet, kann es dann losgehen: Lettische Wahlberechtigte können nun ihre Wahlunterlagen elektronisch bestellen und selbst ausdrucken. Eben dies ist nun ab dem 15.4. möglich, und sollte rechtzeitig geschehen - denn "Wahlteilnahme per Post" heißt immer noch: entscheidend ist der Brief, der an die lettische Behörde zurückgeschickt wird und bis zum 7.Juni 20:00 Uhr angekommen ist. Ob der oder die Wahlberechtigte seine Wahlentscheidung allein, oder im Beisein anderer trifft, wird hier beim Wählen aus der Ferne nicht mehr kontrolliert.  

Zumindest wird dabei etwas Papier gespart. In Lettland funktioniert der Wahlvorgang so: in Riga zum Beispiel kandidieren 16 verschiedene Wahllisten. In einem Wahllokal bekommt der / die Wahlberechtigen dann alle 16 Listen auf Papier in die Hand gedrückt. Nur die favorisierte Parteiliste wird dabei (unbeobachtet, in der Wahlkabine) zum Wählen genutzt: noch dazu kann bei jedem Kandidat oder jeder Kandidatin Pro oder Contra ausgedrückt werden, und so gewinnt am Ende der/die Kandidatin der gewählten Partei mit der meisten Zustimmung. Und nur dieser eine Wahlzettel (diese eine Parteiliste) wird mit in den Umschlag gelegt - die anderen 15 müssten aber vernichtet werden.

Möglichst automatisch

Auch die Auszählung der Ergebnisse wird diesmal anders: 1078 Scanner wurden von der zentralen Wahlbehörde (CVK) angeschafft, um eine automatische Zählung der Ergebnisse möglich zu machen. Vorher war das Design dieser Wahlzettel noch vereinheitlicht worden (siehe Beitrag). Damit sei auch entschieden, dass dieselbe Art von Wahlzetteln auch bei der kommenden Parlamentswahl 2026 und der Europawahl 2029 verwendet werden wird. Die Stimmenzählung solle so automatisch wie möglich ablaufen, dabei die Arbeit im Wahllokal erleichtert und die Stimmauszählung transparent gestaltet werden, so meint CVK-Chefin Kristīne Saulīte. (lsm)

Mobil oder immobil

Innerhalb Lettlands ist eine Wahlteilnahme per Post nicht möglich. Warum können Lettinnen und Letten, die im Ausland leben, überhaupt an Regionalwahlen teilnehmen - wenn sie doch ganz woanders leben? Bedingung ist ein Mindestalter von 18 Jahren und die lettische Staatsbürgerschaft. Wer mindestens 90 Tage vor dem Wahltag in einem Ort in Lettland registriert ist, oder dort Immobilien besitzt, ist wahlberechtigt. Wer in einem Ort Immobilien besitzt und dort wählen möchte, muss dass frühestens 90 Tage und spätestens 9 Tage vor der Wahl beantragen. (cvk)

Insgesamt stehen bei den Kommunalwahlen in Lettland 5936 Personen auf 340 verschiedenen Parteilisten zur Wahl. 731 Personen werden einen Platz in einem der Kommunalparlamente einnehmen können. Etwa 40 Kandidatinnen und Kandidaten würden gegenwärtig noch überprüft, berichtet "LSM", sie seien in Gerichtsprozesse und Strafverfahren verwickelt. 

13. April 2025

Maximal neutral

Für deutsche Verhältnisse liest sich diese Art der Verkehrskontrolle fast unglaublich: mit Hilfe künstlicher Intelligenz werden durch Videoüberwachung nicht nur Autokennzeichen erfasst, sondern auch Daten zur Registrierung des Fahrzeugs, dazu Angaben zum verwendeten Brennstoff - um dann bezogen auf die gemessene Fahrtgeschwindigkeit mit Hilfe einer Berechnungsformel die Menge schädlicher Emissionen, also der Luftverschutzung, aufzuzeigen. 

Schmutzfahrzeuge

Wo passiert das? In Liepāja, der lettischen Hafenstadt. Denn die Stadt hat sich eine Reduzierung der CO²-Emissionen bis 2030 um 80% zum Ziel gesetzt (verglichen mit dem Jahr 2006). Und Liepāja hat sich bereits seit 2012 einem "globalen Bürgermeisterpakt" angeschlossen ("Global Covenant of Mayors for Climate & Energy", lettisch "Pilsētu mēru pakts" genannt). Mit dabei sind allerdings in Lettland noch 23 weitere Städte (in Deutschland 91, in Litauen 17. in Estland 8). Bis spätestens 2050 wollen alle diese Städte klimaneutral sein.

In Deutschland engagiert sich zum Beispiel die Stadt Heidelberg besonders für dieses Netzwerk: der Heidelberger Bürgermeister Würzner firmiert als "regionaler Botschafter" für die Idee. Verantwortlich in Liepāja ist Kārlis Beihmanis, der dann Ende 2024 die Eröffnung von "Klima-Monitoringzonen" in seiner Stadt verkündete. (lsm) In Liepāja seien 27.000 PKWs registriert, heißt es, die für 46% aller CO2-Emissionen in der Stadt stünden. "Der Transportsektor in Lettland macht 30% unserer gesamten Treibhausgasemissionen aus. Der Anteil ist in Europa ähnlich, 96,6% dieser Emissionen stammen aus dem Straßenverkehr", sagt Madara Merle, Managerin für Klimaprogramme bei der lettischen Sektion des "World Wide Fund for Nature" (WWF).

Besser messen

"GaiaHub" nennt sich die Firma, die in Kooperation mit der Stadt Liepāja das Monitoring durchführt. Ein Unternehmen, dominiert, wie es scheint, von "Frauenpower" (mit estnischen Wurzeln). "Messung von Luftverschmutzung in Echtzeit" ist hier angesagt, die mit Hilfe von 5G-Netzen auf zwei Portalen bereitgestellt wird: auf einem "City Dashboard" und dazu auch auf einer öffentliche Plattform, als einfach zugängliche Luftqualitätsinformationen für Bürgerinnen und Bürger. 

Liepāja bezieht sich bei seinen Bemühungen auf die Ankündigung der Europäischen Komission aus dem Jahr 2022, in 100 europäischen Städten schon bis 2030 Klimaneutralität erreichen zu wollen. 377 Städte bewarben sich, aus Lettland wurden zwei aufgenommen: Riga und Liepāja. Ziel: diese 100 Städte (darunter 31 aus Mittel- und Osteuropa) zu Modellstädten für das zu machen, was alle europäischen Städte dann bis 2050 ebenfalls erreichen sollen. 

Alles grün?

Dass nach den Präsidentschaftswahlen in den USA auch in Lettland eine Diskussion eingesetzt hat, ob die Ziele des "Green Deals" in der EU noch wichtig für Lettland seien, sieht Kārlis Beihmanis in Liepāja mit Sorge. Auch einen Plan zur Umsetzung weiterer Maßnahmen von Klimaschutz und Energie habe seine Stadt schon vorbereitet, meint er, und auch 65km an Radwegen stehen in Liepāja bereits zur Verfügung.
Man habe zwar wahrgenommen, dass zum Beispiel in Berlin Umweltzonen eingerichtet worden seien, die PKWs nur mit spezieller grüner Plakette befahren dürfen. Aber Entscheidungen einer Stadt sollten doch besser auf konkreten Daten basieren, meint Beihmanis - daher habe man sich für die "schlauen Videokameras" entschieden. Das Projekt habe 40.000 Euro gekostet - die von der EU übernommen worden sind. (IR)

31. März 2025

Schaum im Mund

Zucker, Eischnee, Fruchtmus und Gelantine - was ist das? Mäusepeck? Krembo? Marshmellow? (Wikipedia) Oder sollten wir uns erst einmal darum kümmern, wie eigentlich der "echte Eibisch" aussieht? Diese Malvenart kommt jedenfalls in Lettland so gut wie gar nicht vor (Latvijasdaba)

Süße Kindheit

Was Lettland betrifft, geht es hier um "Zefīrs". Nein, Kefir ist hier nicht gemeint. "Zefīrs, das sind süße Kindheitserinnerungen!" schwärmt das Portal "Padegas". "Ein Genuss, in Lettland geschaffen!" meint die Supermarktkette RIMI und führt an, die Rezepte und die Herstellungsverfahren seien in den 1970iger Jahren in Lettland entwickelt worden. 

Auffällig wäre vielleicht zunächst der hohe Zuckergehalt. Aber "Zefīr-Fans" ("zefīrmīļi") gibt es offenbar viele. Ein Beitrag in der NRA versucht es so darzustellen, dass sogar die lettische Vereinigung der Diatärzte Zefīrs als "wertigen Snack" empfehlen würde. "Immerhin enthalte es kein Fett", heißt es. Ähnliches behauptet die Firma "Laima", einer der Hersteller, in der eigenen Produktwerbung. Als Quelle für diese Behauptung muss vielleicht eine sehr allgemeine Aussage in der Zeitschrift "Uztura ieteikumi" ("Ernährungsberatung", ein Blatt finanziert von der Diätärztevereinigung) herhalten; hier werden Ratschläge für in Behandlung befindliche Tumorpatienten gegeben (die Patienten benötigen dann zusätzliche Energie und Eiweiß). 

Es gibt aber auch Warnungen vor Zefīrs. Anna Junga, Autorin des Blogs "Nutrition", weist vor allem darauf hin, dass 100g Zefīrs meist 70g Zucker enthalten ("ein völlig ungesunder Snack"). 

Pektin, Agar, oder was?

"Den Zefīrs, den wir in Lettland kennen, anderswo auf der Welt zu finden, ist fast unmöglich" (Zitat RIMI). Hier werden die Inhaltstoffe einfach in anderer Reihenfolge beschrieben: vor allem "30% Apfelmus" sei enthalten. Das ist tatsächlich, bei dieser Variante, ein kleiner Unterschied in der Herstellung: das im Apfelmus enthaltene Pektin bringt die mit Eischnee und Zucker geschlagene Masse tatsächlich auch ohne Zugabe von Gelantine in eine einigermaßen feste Form. 

Die Zeitung "Dienas bizness" bot im Jahr 2013 einen Besuch in einer "Zefīr-Fabrik". Hier wird als Bestandteil nicht Gelantine, sondern Agar angegeben, das aus Algen gewonnen wird. Hier ist nachzulesen, dass in Lettland jedes Jahr 500-600 Tonnen Zefīrs hergestellt wird, davon 200 Tonnen für den Export! Rita Vornokova verkündet dabei für den Marktführer "Laima", dass die Zefīr-Produktion sich eigentlich immer nur erhöht habe, und allein in Estland pro Halbjahr 46 Tonnen Zefīr-Leckereien vernascht würden, und sogar in Deutschland hätten pro Halbjahr 37 Tonnen Zefīr-Spezialitäten die Leckermäuler erreicht. "Laima", seit 2015 zum norwegischen Konzern "Orkla" gehörend, begann in den 1970iger Jahren, Zefīrs zu produzieren. Ein nicht ganz lettisches Produkt in diesem Fall, denn den für die Herstellung notwendigen Agar importiert "Laima" aus Estland. 

Sanfte Winde, schöne Blumen

Der Name "Zephir" sei von dem gleichnamigen griechischen Gottheit entlehnt worden, heißt es. Ein Gott des "milden" Westwindes, und die entsprechend "luftige" Süßigkeit werde "in Ländern der ehemaligen Sowjetunion produziert", so ist es bei Wikipedia nachzulesen. Also wird Ähnliches wohl auch in der Ukraine oder Russland zu finden sein - in Litauen heißt das Produkt "Zefyras", aber als Produktionsort wird meist "Lettland" angegeben. 

Wo wurde der erste "Zefīrs" hergestellt? Spuren führen zum russischen "Pastila" - charakterisiert als "effiziente Verwendung überschüssiger Apfelernte" (Wikipedia), und wegen eines entsprechenden "Pastila-Museums" eng mit der Stadt Kolomna verknüpft. Eine andere Spur führt zum "Pestil", und zu ganz anderen Ländern: Armenien, Anatolien, Iran, Libanon oder Syrien. Wieder andere weisen auch auf "Vogelmilch"-Produkte aus Polen hin (in Lettland "putna piens" genannt).
In Sigulda können Interessierte für 3 Stunde und 45 Euro an einer "Zefīr-Meisterklasse" teilnehmen (siehe auch: Siguldas zefīrs). Wer Zefīrs online bestellen möchte, findet ein eigenes lettisches Zefīrs-Bestellportal.

Und auch Rezepte zum "Zefīrs-Selbermachen" gibt es immer wieder, wie auch erst kürzlich beim lettischen Fernsehen LSM. "Wie die Zefīrs-Meisterin Anita in Daugavpils essbare Rosen, Tulpen und Peonien herstellt", so die Schlagzeile. Jahrelang habe sie an dem besten Rezept herumprobiert, so heißt es hier, um als Endprodukt schöne Blumen formen zu können. Und sie sei auf dem Weg, Zefīrs auch mal ganz ohne Zucker herstellen zu wollen, sagt die Meisterin. Es könne viel schief gehen, warnt Anita: die Masse könne anbrennen, zu fest werden, oder falsche Farbtöne annehmen. Aber ob selbst gemacht, oder aus der Fabrik: aktuell ist in Lettland der "Zefīrs" nicht aus den Süßwarenregalen wegzudenken.

19. März 2025

Mein Elend, dein Elend

Die lettische Hauptstadt Riga ist bekannt für ihren Bestand an Häusern aus sehr unterschiedlichen Bauperioden: sowohl das 19. Jahrhundert, der Jugendstil, die 1920iger und -30iger Jahre der lettischen Unabhängigkeit, wie auch sowjetische Nachkriegsbauten sind im Rigaer Stadtbild vertreten. Manches reicht noch bis zum Klassizismus zurück, es gibt einen großen Anteil an Holzbauten, und nach 1990 ist einiges, wie Lettinnen und Letten vielleicht gerne sagen würden, "wie Pilze aus dem Boden gewachsen". Parallel zu den vielen Veränderungen im Stadtbild hat sich der Charakter vieler Stadtteile stark verändert, manch Möchtegern-Prunkvolles wirkt wie gewaltsam eingefügt, und Einkaufstempel wie Konzernzenralen heischen um Aufmerksamkeit und Dominanz. 

Schönheit kommt von außen

Die Stadtverwaltung hat nun eine neue Parole herausgegeben, die, deutsch übersetzt, in etwa so lautet: "Lasst uns die heruntergekommenen und umweltschädigenden Gebäude sanieren, um Riga schöner zu machen!" Gleichzeitig taucht ein neuer Begriff der Klassifizierung auf: "grausti". (grausti.riga) Wer das zu übersetzen versucht, landet im englischsprachigen Bereich bei "Slum" - aber sind hier wirklich "verwahrloste Elendsviertel" gemeint? 

Benutzt wird die neue Klassifizierung von einer "Komission zur Qualitätssicherung und -entwicklung der städtischen Umwelt" in Riga, wo Mitglieder des Stadtrats und der Verwaltung vertreten sind. 2018 erstmals einberufen, stellt man sich hier zur Aufgabe, Gebäude zu klassifizieren, die "nicht regelgemäß erhalten" werden. Inzwischen sind 1285 Gebäude in Riga auf einer Liste der "Grausti" gelandet, was für die Eigentümer auch einen erhöhten Satz von Immobiliensteuer bedeutet - gezahlt werden muss 3% (statt 1,5%) entsprechend dem Katasterwert der Immobilie.  

Faceliftung - am Haus

Notwendige Arbeiten: lettische Baufirmen freuen
sich über Aufträge (hier: "Bergafasades")
"Fassadenfieber" nennt es Journalistin Ieva Jakone in einem Beitrag für die Zeitschrift "IR". Hunderte Hauseigentümer seien kürzlich aufgefordert worden, zumindest die Hausfassade zu verschönern bzw. in Ordnung zu bringen. Die Steuersumme für sein Haus habe sich von einem Monat auf den anderen verfünffacht, erzählt Hauseigentümer Kristaps Epners. Aber amtliche Verwarnungen habe es sogar schon vor der Pandemie gegeben, gibt er zu - wenn auch, seiner Beschreibung nach, in "typischer Bürokratensprache". Zwar habe er schon einige andere Arbeiten am Haus in Auftrag geben müssen, so etwa die Erneuerung der Wasserrohre oder die Ausbesserung des Schornsteins. Nun zeige es sich, dass eine vernachlässigte Fassade "am meisten kostet". ("IR")

Für 977 Häuser sei bis Dezember 2024 ein erhöhter Steuersatz eingefordert worden, berichtet Ieva Jakone. Zu 255 Objekten habe die Komission Fragen an den Eigentümer gestellt - und dabei sei es eben nicht darum gegangen, ob ein Haus etwa einsturzgefährdet sei, sondern es gehe um das "Outfit" des Gebäudes. Verblasste Farbe oder Risse im Putz können da schon für eine Herabstuftung ausreichen. 

Weniger Menschen, mehr Steuer

Während die Einwohnerzahl Rigas weiterhin von Jahr zu Jahr sinkt, steigen die Einnahmen aus der Immobiliensteuer: 2021 waren das insgesamt 111 Millionen Euro, 2025 werden es wohl noch 5 Millionen mehr werden. Die wegen Fassadenmängeln erhobene erhöhte Steuersumme machte 2015 noch 825.000 Euro aus, inzwischen stieg die Summe auf 3,3 Millionen Euro. "Das dürfte aber kaum für einen der Hauseigentüber überraschend gekommen sein," meint Vladimirs Ozoliņš, Chef der städtischen Immobilienbehörde. Erste Warnungen würden immer schon ein Jahr im voraus verschickt, und die Stadt sei immer offen für jegliche sachliche Vorschläge die Verbesserungen bringen könnten, auch in solchen Fällen, wo am Haus erst noch andere Arbeiten nötig seien. Außerdem gäbe es aber schon seit 2017 ein Angebot der Co-Finanzierung von Fassadenarbeiten durch die Stadt Riga. 2024 habe man so insgesamt 97 Projekte von insgesamt 2 Millionen Euro unterstützen können. 

Die Liste der "Grausti" in Riga - vielleicht besser mit "heruntergekommene" oder "schlecht erhaltene" Gebäude zu übersetzen - wird aber nicht kürzer, meint Ozoliņš. 2023 wurden 151 Objekte restauriert, 2022 wurde an 161 Objekten etwas getan. Aber die Erhaltungsmaßnahmen dauern eben meist immer etwas länger. ("IR") Beim Blick zurück zeigt sich, dass im Jahr 2011 nur 16 Gebäude in ganz Riga wieder in guten Zustand gebracht werden konnten, 2018 waren es schon 207 (lps)

Langzeitpatienten

Eines der bekanntesten Beispiele für ein sehr vernachlässigtes Gebäude ist das Haus Marijas iela 6, das schon seit Wiedererlangung der lettischen Unabhängigkeit auf ein "Facelifting", oder besser noch eine Komplettsanierung wartet. Geschaffen wurde das 1904 erbaute Haus in Bahnhofsnähe von einem der bekanntesten lettischen Architekten: Konstantīns Pēkšēns. Die Eigentümer wurden 1941 mit der gesamten Familie nach Sibirien verbannt, das Gebäude verstaatlicht; als eine Tochter schließlich 1993 nach Riga zurückkehrte, konnte sie das Eigentum zwar zurückerhalten, musste aber feststellen dass eine Renovierung riesige Geldsummen verschlingen würde. Inzwischen gibt es zwei verschiedene Eigentümer, aber erst 2015 wurde das nun seit 30 Jahren nicht mehr bewohnte Haus von der Stadt Riga in die Kathegorie der "vernachlässigten" (Grausti-)Häuser aufgenommen. Bis dahin wurde nur 488 Euro Immobiliensteuer pro Jahr verlangt. Seit Riga nun die abgestufte Verschärfung eingeführt hat, fallen immerhin mehr als 17.000 Euro pro Jahr an (TVnet / Dienas bizness). 

Im März 2024 brach in der Pētersalas ielā in Riga ein Haus zusammen, dass nach einem Brand drei Jahre lang unverändert gelassen wurde. (NRA) Um verlassene Häuser in Riga kümmert sich auch die Initiative "grauzti", wie zum Beispiel im Fall des Gebäudes Kalnciema iela 2b (Kas Jauns / TVnet)

6. März 2025

Dänisch einkaufen

Vor einiger Zeit schien sich der Wettbewerb der Lebensmittel-Ketten in Lettland vor allem bei der Wahl zwischen "Rimi" oder "Maxima" zu entscheiden. “Maxima Latvija” gibt es schon seit dem Jahr 2000, und ist im Besitz der litauischen Unternehmergruppe “Vilniaus prekyba” - die Werbung lautet hier: eine Million m² Verkaufsfläche, 2500 Läden in sechs Ländern (gegenwärtig 173 in Lettland), 7,8 Milliarden Euro Gesamtumsatz. Und auch das litauische "Aibė", 1999 gegrünet, hat inzwischen über 500 Läden in Lettland eröffnet. 

Ketten und Netzwerke

"LaTS", die Bezeichnung angelehnt  an die ehemalige lettische Währung, ist lettisch organisiert - von der lettischen Händlervereinigung ("Latvijas tirgotāju savienība"), die seit 2007 besteht. Wer hier die Marken-Nutzungsrechte von "Lats" erwirbt, wird gleichzeitig Mitglied der Händervereinigung. Hier sind gegenwärtig 270 Firmen mit insgesamt 700 Handelsplätzen zusammengeschlossen - das kann auch ein Café, eine Tankstelle oder ein Stand auf dem Wochenmarkt sein.
Und es gibt auch noch "Citro", erst 2019 gegründet, eine kleine Kette geführt von der lettischen "SIA Latvian Retail Management", mit 70 Läden.

"Lidl Latvija” gibt es seit 2016, nachdem einige Versuche auf dem lettischen Einzelhandelsmarkt Fuß zu fassen zuvor gescheitert waren. Schnelles Wachstum wurde u.a. auch durch die Pandemiefolgen gebremst, gegenwärtig unterhält "Lidl" in Lettland 34 Läden (18 davon in Riga).

Und auch die niederländische "Spar" hat die Fühler längst nach Lettland ausgestreckt: “SPAR Latvija”, oft nach dem Franchise-Prinzip  arbeitend, ist seit 2021 im Besitz einer lettischen Lizenz. Als im August 2022 der erste lettische "Spar-Markt" in Saldus eröffnet wurde, verkündete die Firmenleitung, innerhalb von fünf Jahren 500 Läden in Lettland betreiben zu wollen - inzwischen gibt es 25 (sieben davon in Riga). 2023 waren 23 Läden zu "Spar" gewechselt, die zuvor “ELVI Latvija” angeschlossen waren. Aber auch "Elvi", im Jahr 2000 als Franchise-Unternehmen gegründet, unterhält derzeit noch 80 Läden in Lettland (nur 7 davon in Riga) und wirbt mit besonderer "lettischer Atmosphäre".  (Liste aller Supermarktketten)

Flaggenwechsel 

Wie gesagt: es gab mal Zeiten, da waren vor allem "Rimi" und "Maxima" überall in Lettland präsent. Aber wer dann glaubte, wenn ich "nicht bei Maxima" kaufe, dann kaufe ich "lettisch", lag schon immer falsch. 1997 eröffnete der erste "Rimi" in Lettland, aber schon seit 2007 war die schwedische "ICA-Gruppe" alleiniger Besitzer von "Rimi Latvija". - Seit Anfang März 2025 nun aber nicht mehr: ICA verkauft sein gesamtes "baltisches" Segment für 1,3 Milliarden Euro an die dänische "Salling Group" - und fällt durch exklusive Wortwahl auf: nun wird nicht mehr "investiert", sondern "divestiert". Da schlagen wir besser nicht im Wörterbuch nach (denn dort steht "divest" auch für etwas rauben oder stehlen), sondern im Handbuch für Betriebswirtschaftslehre (= Kapitalfreisetzung durch Veräußerung von Vermögensgegenständen). Laut Wikipedia auch „Beendigung oder Aufhebung einer Investition“. (lsm)

Man wolle sich nun mehr auf den schwedischen Markt konzentrieren, so eine ICA-Pressemitteilung. "Rimi Baltic" hatte zuletzt 11.000 Angestellte und 314 Läden in allen drei baltischen Staaten (135 in Lettland). Im Gegensatz zum bisherigen schwedischen Besitzer betonen die neuen dänischen Eigentümer, ihr Unternehmen konzentriere sich schon lange auch auf das Geschäft außerhalb des eigenen Landes Dänemark. Zu "Salling" (bis 2018 noch "Dansk Supermarked A/S") gehören unter anderem auch "Starbucks" und der Discounter "Netto" (seit 1990 auch in Deutschland). 2019 hatte die Salling-Gruppe ihrerseits verkündet, sich aus Schweden zurückzuziehen (Lebensmittelzeitung). 

Wird es günstiger? 

Bei Lebensmitteln sei längst "europäisches Niveau" erreicht, stellte Ende 2024 eine Analyse des lettischen Radio fest, und fragte nach Gründen für teilweise "astronomisch hohe" Lebenmittelpreise (lsm). Die Redaktion hatte einen Einkaufskorb für Vergleichskäufe zusammengestellt, bestehend aus Mehl, Toastbrot, Milch, Zucker, Hühnerfilet, Eier, Äpfel, Kartoffeln und Orangensaft.

"Rimi" selbst schreibt: "71% der Käuferinnen und Käufer nutzen beim Einkauf Sonderangebote" - ein bekannter Markenname oder das Design der Verpackung dagegen seinen weniger wichtig. Sogar ob ein Produkt aus Lettland stamme oder nicht, sei von geringer Bedeutung. In einer anderen Umfrage sagen 40%, wenn es um Einsparungen gehe, würden sie es zuerst beim Lebensmitteleinkauf versuchen. 

"Latvijas Radio" verglich die Preise bei "Rimi", "Maxima" und "Lidl", und befragte zudem auch Lettinnen und Letten in verschiedenen anderen EU-Ländern. Es wird auch darauf hingeweisen, dass Menschen in drei EU-Ländern 20-25% ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben: Bulgarien, Rumänien und auch Lettland (in anderen EU-Ländern unter 15%). 

Beim Blick auf die Kassenzettel der drei getesteten Anbieter muss vielleicht hinzugefeügt werden, dass für das Jahr 2024 "Maxima" wie auch "Rimi" Gewinne bilanzierten, während "Lidl Latvia" 14,8 Millionen Euro Verluste verbuchte. Die langfristige Strategie von "Lidl" sei es, den niedrigsten Preis mit der besten Qualität für einen täglichen Warenkorb an Lebensmitteln zu bieten, heißt es. Eine Sprecherin von "Rimi" wies darauf hin, dass dort 700 Produkte unter dem Label "wahrscheinlich den niedrigsten Preis auf dem Markt" angeboten würden, eine Preislage, die jede Woche neu überprüft werde. (lsm)

Für Deutschland wurde zwar festgestellt, dass für den festgesetzten Warenkorb etwas mehr Geld bezahlt werden muss - aber der durchschnittliche Einkommensunterschied beider Länder sei auch enorm: wer mit Mindestlohn arbeiten muss, verdiene in Deutschland etwa 2000 Euro monatlich, in Lettland aber nur 700 Euro, so heißt es. 

Regionale Verhältnisse

Eine Kommission des lettischen Parlament macht sich derweil Sorgen um den Anteil einheimischer, also lettischer Produkte im Lebensmittelsortiment.  Eine Studie des lettischen Wirtschaftsministeriums weist für Brot einen (lettischen) Eigenanteil von 80% und bei Fleisch von 60% aus. Bei "Rimi" liege der Anteil lokaler Produkte bei insgesamt 30-40%, bei "Maxima" allerdings nur bei 20-30%. Jānis Šolks vom Verband der lettischen Milcherzeuger weist darauf hin, dass bei einem so einfachen Produkt wie pasteurisierter Milch der Eigenanteil von Milch aus Lettland nur bei 50% liege - die andere Hälfte stamme aus Estland und Litauen. (lsm)

Iveta Liniņa, Professorin an der Hochule Turiba in Riga, weist darauf hin, dass die geopolitische Lage wohl die "ICA-Gruppe" dazu bewegt habe, "Rimi" zu verkaufen. Schließlich habe auch die schwedische "Södra" erst kürzlich beschlossen, ihren gesamten Besitz an lettischen Waldflächen zu veräußern. ("IR") "So wie es aussieht, wollen sich die Schweden vielleicht auch auf Distanz zur östlichen Grenze der EU bringen", vermutet die Ökonomin. Es sei aber auch ein Kaufkraftrückgang in Lettland zu beobachten. (lsm)

Zudem habe sich die Hoffnung auf ein starkes Wirtschaftswachstum in den baltischen Staaten vorerst zerschlagen, meint Henriks Danusēvičs, Präsident der lettischen Händlervereinigung. Zudem habe der Markteinstieg von "Lidl" einen Teil des Marktes weggenommen. Dass aber insgesamt die schwedischen Investitionen in Lettland nicht zurückgegangen sind, bestätigt auch Laura Štrovalde, Chefin der lettischen Investitionsagengtur (Latvijas Investīciju un attīstības aģentūras LIAA): "Von insgesamt 25,8 Milliarden Euro an Investitionen halten schwedische Unternehmen gegenwärtig einen Anteil von 30,5%", berichtet sie. (lsm)

17. Februar 2025

Bienenfrei

Ein Land wo Milch und Honig fließt - eigentlich keine große Utopie. Kühe und Bienen - dort, wo die Landschaft noch nicht komplett gewinnbringend und Ressourcen verbrauchend durchgetaktet ist, eigentlich keine besondere Erwähnung wert.
Gut, heutzutage haben sich einige Menschen ausgedacht, keine Milch mehr konsumieren zu wollen - und ob jeder Haushalt ein Glas Honig im Regal stehen hat, ist vielleicht auch unsicher. Bei der Nützlichkeit der Bienen dagegen scheinen sich die meisten einig zu sein. 

Nun kam in den vergangenen Monaten auch in Lettland die Frage auf, ob das denn überhaupt Honig ist, was in den Supermarktregalen zum Verkauf steht. 20 Honigproben wurden getestet, davon erreichten weniger als ein Drittel (nur 14 von 20) die allgemeinen Qualitätsstandards. "Was dort auf den Verpackungen als Inhalt ausgewiesen wird, ist das überhaupt Honig?" fragt sich auch Baiba Tikuma vom lettischen Imkerverband (Latvijas Biškopības biedrība LBB). 3300 Imkerinnen und Imker haben sich im 1994 neu gegründeten LBB vereinigt, laut Selbstaussage sind das zwei Drittel aller Imkerbetriebe in Lettland. ("IR")

Der Imkerverband beruft sich auf Kontrollen des lettischen Lebensmittel- und Veterinärdienstes ("Pārtikas un veterinārais dienests"), ausgelöst durch neue Untersuchungsmethoden des estnischen Labors "Celvia" (siehe auch: ZM). Die zuständige lettische Behörde versucht sich hier an einer grundlegenden Definition: "Honig ist eine natürliche, süße Substanz, die von Bienen (Apis mellifera) aus dem Nektar von Pflanzen gewonnen wird." Viel Aufsehen erregte eine Untersuchung von Honig in deutschen Supermärkten, wo ebenfalls die meisten Proben als "nicht echt" eingestuft wurden (Bienenjournal, NDR, ZDF, SWR, Verbraucherzentrale)

Honig nicht gleich Honig? 

Schon 2023 waren Studien im Auftrag der Europäischen Kommission veröffentlicht worden, denen zufolge der Verdacht aufkam, vielen Honigsorten werde unzulässigerweise einfach Sirup beigemischt. Grundlage der neuerlichen Tests war offenbar das Interesse des estnischen Honivermarkters "Nordmel", Honig nach Japan zu exportieren. "Celvia" hatte in Zusammenarbeit mit Hunderten von freiwilligen estnischen Imker/innen eine Datenbank für estnischem Honig erstellt.

 „Die DNA-Analyse erkennt alle Arten von Pflanzen, Bakterien, Pilzen und Insekten, mit denen Honigbienen und Honig in Kontakt kommen", erklärt "Celvia"-Repräsentant Kaarel Krjutškov. "Die DNA -Sequenzen von Hunderten und Tausenden von Arten beschreiben die Zusammensetzung von Nektarpflanzen und ermöglichen unter anderem die Überwachung von Bienenpathogenen und Parasiten. Gleichzeitig hilft das DNA-Profil dabei, die Authentizität und den Ursprung des Produkts zu identifizieren, da die Pflanzen den geografischen Bereich der Biene zeigen“.  

Unlauterer Wettbewerb?

Lettische Imkerinnen und Imker fordern nun eine einheitliche Regelung für alle Länder der Europäischen Union: erstens die Anerkennung der DNA-Testmethode, und zweitens soll alles, was dort als nicht natürlich identifiziert ist, nur noch als "künstlicher Honig" verkauft werden dürfen (PVD).  

Allerdings gibt es auch auf dem lettischen Honigmarkt Tendenzen, die ungewöhnlich wirken. In Lettland gibt es fast 5000 Honigerzeuger (siehe LBB), da möchten manche gern durch besondere Angebote auffallen: Honig mit Johannnisbeer- oder Himbeer-Zugabe, oder "Schokoladenhonig" sind da nur Beispiele. Ein Beerenanteil von 30% pro Glasinhalt scheint ziemlich üblich - und sogar Beeren vom Schneeballstrauch oder vom Chinesischen Limonenbaum (lettisch "Citronliāna") können sich im Honigglas wiederfinden (z.B. meduspils). Zwar gilt wohl das Argument "alles auf Grundlage des Naturprodukts", aber dem könnte zum Beispiel entgegen gehalten werden, dass zum Beispiel Schokolade ja nicht mit in Lettland hergestellten Rohstoffen hergestellt wird. 

Stolz auf die eigene Ernte

Der Imkerverband empfiehlt die Kennzeichnung regionaler (lettischer) Produkte mit “Ievākts Latvijā” (sinngemäß: "geerntet in Lettland"). Damit sei garantiert, dass keine Zweitvermarkter am Werk waren, es sich nicht um ein Mischprodukt handle, und der Honig "nicht aus der Ukraine, China, oder anderen Ländern" komme. (Meduspils)

Gemäß Umfragen der Agentur SKDS geben 68% der Verbraucherinnen und Verbraucher in Lettland an, Honig als Zusatz zu Getränken wie Tee, Kaffee, Wasser etc. zu verwenden. 26% nutzen Honig als Bestandteil der Essenszubereitung, so dieselbe Umfrage. 

Um Honig im öffentlichen Bewußtsein präsent zu halten, baut das lettische Honig-Marketing unter anderem auf das "Honigfrühstück" ("Eiropas medus brokastis") - eine Kamapgne, die 2007 in Slowenien zuerst durchgeführt wurde. Seit 2013 besuchen auch in Lettland Imkerinnen und Imker Schulen und verteilen Honig-Kostproben (Sala, Talsi, Vecsaule, Daugavpils, Taurupe, Valmiera, Priekule, Staļģene, und viele andere). In Deutschland berichtete zwar das "Bienenjournal", mitmachende Schulen gab es jedoch bisher nicht. 

Eine andere lettische Inititave versucht, bestimmte Orte zu "Bienenbotschaften"("Bišu vēstniecības") zu erklären. Diesem Konzept hat sich das Hotel "Janne" in Riga angeschlossen. Ein kleines 3-Sterne-Hotel im Ortsteil Āgenskalns, das auf dem Dach eigene Bienenstöcke ("Bienenhäuser") betreibt. "In Āgenskalns sind Linden weit verbreitet, die die Hauptnektarquelle für Jannes-Bienen darstellen", heißt es hier.

Kundenfragen und Zunftsvisionen

Um aber mit billigen Massenprodukten konkurrieren zu können, zählt auch die Ästhetik. "Manchmal bildet sich etwas weißer Schaum auf dem Honig im Glas", gibt Imkerin Baiba Tikuma zu, "und in Internetforen wird dann gefragt: Ist das gefährlich?" Verbraucherinnen und Verbraucher mögen es eben gern transparent und sauber. ("IR") In diesem Fall sind es aber nur Luftbläschen - die sich vor allem dann bilden, wenn wenig Wasser im Honig vorhanden ist – also eher ein Qualitätsmerkmal.

Laut lettischem Amt für Statistik ist die Honigproduktion in Lettland stark angestiegen: waren es 2013 noch 1555 Tonnen, so waren es 2023 schon 2319 Tonnen. Der Verbrauch jedoch geht zurück: gegenwärtig sind es pro Jahr und Einwohner/in noch 710 Gramm - fast 100g weniger als vier Jahre zuvor ("IR"). In Deutschland dagegen deckt heimischer Honig nur 30% des Bedarfs. Imkerin Baiba Tikuma hat einen interessanten Vorschlag für die Zukunft in Lettland: "Bei uns hat doch jeder seinen eigenen Zahnarzt, jeder und jede den eigenen Friseur. Warum nicht auch den eigenen Imker oder Imkerin? Das ist doch genauso eine Frage der Gesundheit!" ("IR")