20. April 2025

Lokales auch aus der Ferne

Schon seit dem 15. April laufen in Lettland Kommunalwahlen - denn seit diesem Tage ist die Stimmabgabe per Post möglich. Der eigentliche Wahltag wird dann der 7. Juni 2025 sein. Aber auch der Teil des Wahlprozesses, der in Deutschland immer noch gern "Briefwahl" genannt wird, geschieht jetzt auf neue Art und Weise in Lettland: mit elektronischen Hilfsmitteln.

Über das zentrale Portal "Latvija" kann registrierten Bürgerinnen und Bürgern auch im Ausland die Teilnahme an der Wahl bequem ermöglicht werden. Es gibt drei Wege: eID, eIDMobile, oder SmartID. Das Ganze nennt sich dann "Voter Data Management". Seit 2019 gibt es einen elektronischen Identitätsnachweis, die "eID-Karte" (deutsche Info / lettische Info), und es gibt ausführliche Hinweise, wie der eigene PC auf die Nutzung der eID-Karte vorzubereiten ist.

Wählen am Aufenthaltsort

So vorbereitet, kann es dann losgehen: Lettische Wahlberechtigte können nun ihre Wahlunterlagen elektronisch bestellen und selbst ausdrucken. Eben dies ist nun ab dem 15.4. möglich, und sollte rechtzeitig geschehen - denn "Wahlteilnahme per Post" heißt immer noch: entscheidend ist der Brief, der an die lettische Behörde zurückgeschickt wird und bis zum 7.Juni 20:00 Uhr angekommen ist. Ob der oder die Wahlberechtigte seine Wahlentscheidung allein, oder im Beisein anderer trifft, wird hier beim Wählen aus der Ferne nicht mehr kontrolliert.  

Zumindest wird dabei etwas Papier gespart. In Lettland funktioniert der Wahlvorgang so: in Riga zum Beispiel kandidieren 16 verschiedene Wahllisten. In einem Wahllokal bekommt der / die Wahlberechtigen dann alle 16 Listen auf Papier in die Hand gedrückt. Nur die favorisierte Parteiliste wird dabei (unbeobachtet, in der Wahlkabine) zum Wählen genutzt: noch dazu kann bei jedem Kandidat oder jeder Kandidatin Pro oder Contra ausgedrückt werden, und so gewinnt am Ende der/die Kandidatin der gewählten Partei mit der meisten Zustimmung. Und nur dieser eine Wahlzettel (diese eine Parteiliste) wird mit in den Umschlag gelegt - die anderen 15 müssten aber vernichtet werden.

Möglichst automatisch

Auch die Auszählung der Ergebnisse wird diesmal anders: 1078 Scanner wurden von der zentralen Wahlbehörde (CVK) angeschafft, um eine automatische Zählung der Ergebnisse möglich zu machen. Vorher war das Design dieser Wahlzettel noch vereinheitlicht worden (siehe Beitrag). Damit sei auch entschieden, dass dieselbe Art von Wahlzetteln auch bei der kommenden Parlamentswahl 2026 und der Europawahl 2029 verwendet werden wird. Die Stimmenzählung solle so automatisch wie möglich ablaufen, dabei die Arbeit im Wahllokal erleichtert und die Stimmauszählung transparent gestaltet werden, so meint CVK-Chefin Kristīne Saulīte. (lsm)

Mobil oder immobil

Innerhalb Lettlands ist eine Wahlteilnahme per Post nicht möglich. Warum können Lettinnen und Letten, die im Ausland leben, überhaupt an Regionalwahlen teilnehmen - wenn sie doch ganz woanders leben? Bedingung ist ein Mindestalter von 18 Jahren und die lettische Staatsbürgerschaft. Wer mindestens 90 Tage vor dem Wahltag in einem Ort in Lettland registriert ist, oder dort Immobilien besitzt, ist wahlberechtigt. Wer in einem Ort Immobilien besitzt und dort wählen möchte, muss dass frühestens 90 Tage und spätestens 9 Tage vor der Wahl beantragen. (cvk)

Insgesamt stehen bei den Kommunalwahlen in Lettland 5936 Personen auf 340 verschiedenen Parteilisten zur Wahl. 731 Personen werden einen Platz in einem der Kommunalparlamente einnehmen können. Etwa 40 Kandidatinnen und Kandidaten würden gegenwärtig noch überprüft, berichtet "LSM", sie seien in Gerichtsprozesse und Strafverfahren verwickelt. 

13. April 2025

Maximal neutral

Für deutsche Verhältnisse liest sich diese Art der Verkehrskontrolle fast unglaublich: mit Hilfe künstlicher Intelligenz werden durch Videoüberwachung nicht nur Autokennzeichen erfasst, sondern auch Daten zur Registrierung des Fahrzeugs, dazu Angaben zum verwendeten Brennstoff - um dann bezogen auf die gemessene Fahrtgeschwindigkeit mit Hilfe einer Berechnungsformel die Menge schädlicher Emissionen, also der Luftverschutzung, aufzuzeigen. 

Schmutzfahrzeuge

Wo passiert das? In Liepāja, der lettischen Hafenstadt. Denn die Stadt hat sich eine Reduzierung der CO²-Emissionen bis 2030 um 80% zum Ziel gesetzt (verglichen mit dem Jahr 2006). Und Liepāja hat sich bereits seit 2012 einem "globalen Bürgermeisterpakt" angeschlossen ("Global Covenant of Mayors for Climate & Energy", lettisch "Pilsētu mēru pakts" genannt). Mit dabei sind allerdings in Lettland noch 23 weitere Städte (in Deutschland 91, in Litauen 17. in Estland 8). Bis spätestens 2050 wollen alle diese Städte klimaneutral sein.

In Deutschland engagiert sich zum Beispiel die Stadt Heidelberg besonders für dieses Netzwerk: der Heidelberger Bürgermeister Würzner firmiert als "regionaler Botschafter" für die Idee. Verantwortlich in Liepāja ist Kārlis Beihmanis, der dann Ende 2024 die Eröffnung von "Klima-Monitoringzonen" in seiner Stadt verkündete. (lsm) In Liepāja seien 27.000 PKWs registriert, heißt es, die für 46% aller CO2-Emissionen in der Stadt stünden. "Der Transportsektor in Lettland macht 30% unserer gesamten Treibhausgasemissionen aus. Der Anteil ist in Europa ähnlich, 96,6% dieser Emissionen stammen aus dem Straßenverkehr", sagt Madara Merle, Managerin für Klimaprogramme bei der lettischen Sektion des "World Wide Fund for Nature" (WWF).

Besser messen

"GaiaHub" nennt sich die Firma, die in Kooperation mit der Stadt Liepāja das Monitoring durchführt. Ein Unternehmen, dominiert, wie es scheint, von "Frauenpower" (mit estnischen Wurzeln). "Messung von Luftverschmutzung in Echtzeit" ist hier angesagt, die mit Hilfe von 5G-Netzen auf zwei Portalen bereitgestellt wird: auf einem "City Dashboard" und dazu auch auf einer öffentliche Plattform, als einfach zugängliche Luftqualitätsinformationen für Bürgerinnen und Bürger. 

Liepāja bezieht sich bei seinen Bemühungen auf die Ankündigung der Europäischen Komission aus dem Jahr 2022, in 100 europäischen Städten schon bis 2030 Klimaneutralität erreichen zu wollen. 377 Städte bewarben sich, aus Lettland wurden zwei aufgenommen: Riga und Liepāja. Ziel: diese 100 Städte (darunter 31 aus Mittel- und Osteuropa) zu Modellstädten für das zu machen, was alle europäischen Städte dann bis 2050 ebenfalls erreichen sollen. 

Alles grün?

Dass nach den Präsidentschaftswahlen in den USA auch in Lettland eine Diskussion eingesetzt hat, ob die Ziele des "Green Deals" in der EU noch wichtig für Lettland seien, sieht Kārlis Beihmanis in Liepāja mit Sorge. Auch einen Plan zur Umsetzung weiterer Maßnahmen von Klimaschutz und Energie habe seine Stadt schon vorbereitet, meint er, und auch 65km an Radwegen stehen in Liepāja bereits zur Verfügung.
Man habe zwar wahrgenommen, dass zum Beispiel in Berlin Umweltzonen eingerichtet worden seien, die PKWs nur mit spezieller grüner Plakette befahren dürfen. Aber Entscheidungen einer Stadt sollten doch besser auf konkreten Daten basieren, meint Beihmanis - daher habe man sich für die "schlauen Videokameras" entschieden. Das Projekt habe 40.000 Euro gekostet - die von der EU übernommen worden sind. (IR)

31. März 2025

Schaum im Mund

Zucker, Eischnee, Fruchtmus und Gelantine - was ist das? Mäusepeck? Krembo? Marshmellow? (Wikipedia) Oder sollten wir uns erst einmal darum kümmern, wie eigentlich der "echte Eibisch" aussieht? Diese Malvenart kommt jedenfalls in Lettland so gut wie gar nicht vor (Latvijasdaba)

Süße Kindheit

Was Lettland betrifft, geht es hier um "Zefīrs". Nein, Kefir ist hier nicht gemeint. "Zefīrs, das sind süße Kindheitserinnerungen!" schwärmt das Portal "Padegas". "Ein Genuss, in Lettland geschaffen!" meint die Supermarktkette RIMI und führt an, die Rezepte und die Herstellungsverfahren seien in den 1970iger Jahren in Lettland entwickelt worden. 

Auffällig wäre vielleicht zunächst der hohe Zuckergehalt. Aber "Zefīr-Fans" ("zefīrmīļi") gibt es offenbar viele. Ein Beitrag in der NRA versucht es so darzustellen, dass sogar die lettische Vereinigung der Diatärzte Zefīrs als "wertigen Snack" empfehlen würde. "Immerhin enthalte es kein Fett", heißt es. Ähnliches behauptet die Firma "Laima", einer der Hersteller, in der eigenen Produktwerbung. Als Quelle für diese Behauptung muss vielleicht eine sehr allgemeine Aussage in der Zeitschrift "Uztura ieteikumi" ("Ernährungsberatung", ein Blatt finanziert von der Diätärztevereinigung) herhalten; hier werden Ratschläge für in Behandlung befindliche Tumorpatienten gegeben (die Patienten benötigen dann zusätzliche Energie und Eiweiß). 

Es gibt aber auch Warnungen vor Zefīrs. Anna Junga, Autorin des Blogs "Nutrition", weist vor allem darauf hin, dass 100g Zefīrs meist 70g Zucker enthalten ("ein völlig ungesunder Snack"). 

Pektin, Agar, oder was?

"Den Zefīrs, den wir in Lettland kennen, anderswo auf der Welt zu finden, ist fast unmöglich" (Zitat RIMI). Hier werden die Inhaltstoffe einfach in anderer Reihenfolge beschrieben: vor allem "30% Apfelmus" sei enthalten. Das ist tatsächlich, bei dieser Variante, ein kleiner Unterschied in der Herstellung: das im Apfelmus enthaltene Pektin bringt die mit Eischnee und Zucker geschlagene Masse tatsächlich auch ohne Zugabe von Gelantine in eine einigermaßen feste Form. 

Die Zeitung "Dienas bizness" bot im Jahr 2013 einen Besuch in einer "Zefīr-Fabrik". Hier wird als Bestandteil nicht Gelantine, sondern Agar angegeben, das aus Algen gewonnen wird. Hier ist nachzulesen, dass in Lettland jedes Jahr 500-600 Tonnen Zefīrs hergestellt wird, davon 200 Tonnen für den Export! Rita Vornokova verkündet dabei für den Marktführer "Laima", dass die Zefīr-Produktion sich eigentlich immer nur erhöht habe, und allein in Estland pro Halbjahr 46 Tonnen Zefīr-Leckereien vernascht würden, und sogar in Deutschland hätten pro Halbjahr 37 Tonnen Zefīr-Spezialitäten die Leckermäuler erreicht. "Laima", seit 2015 zum norwegischen Konzern "Orkla" gehörend, begann in den 1970iger Jahren, Zefīrs zu produzieren. Ein nicht ganz lettisches Produkt in diesem Fall, denn den für die Herstellung notwendigen Agar importiert "Laima" aus Estland. 

Sanfte Winde, schöne Blumen

Der Name "Zephir" sei von dem gleichnamigen griechischen Gottheit entlehnt worden, heißt es. Ein Gott des "milden" Westwindes, und die entsprechend "luftige" Süßigkeit werde "in Ländern der ehemaligen Sowjetunion produziert", so ist es bei Wikipedia nachzulesen. Also wird Ähnliches wohl auch in der Ukraine oder Russland zu finden sein - in Litauen heißt das Produkt "Zefyras", aber als Produktionsort wird meist "Lettland" angegeben. 

Wo wurde der erste "Zefīrs" hergestellt? Spuren führen zum russischen "Pastila" - charakterisiert als "effiziente Verwendung überschüssiger Apfelernte" (Wikipedia), und wegen eines entsprechenden "Pastila-Museums" eng mit der Stadt Kolomna verknüpft. Eine andere Spur führt zum "Pestil", und zu ganz anderen Ländern: Armenien, Anatolien, Iran, Libanon oder Syrien. Wieder andere weisen auch auf "Vogelmilch"-Produkte aus Polen hin (in Lettland "putna piens" genannt).
In Sigulda können Interessierte für 3 Stunde und 45 Euro an einer "Zefīr-Meisterklasse" teilnehmen (siehe auch: Siguldas zefīrs). Wer Zefīrs online bestellen möchte, findet ein eigenes lettisches Zefīrs-Bestellportal.

Und auch Rezepte zum "Zefīrs-Selbermachen" gibt es immer wieder, wie auch erst kürzlich beim lettischen Fernsehen LSM. "Wie die Zefīrs-Meisterin Anita in Daugavpils essbare Rosen, Tulpen und Peonien herstellt", so die Schlagzeile. Jahrelang habe sie an dem besten Rezept herumprobiert, so heißt es hier, um als Endprodukt schöne Blumen formen zu können. Und sie sei auf dem Weg, Zefīrs auch mal ganz ohne Zucker herstellen zu wollen, sagt die Meisterin. Es könne viel schief gehen, warnt Anita: die Masse könne anbrennen, zu fest werden, oder falsche Farbtöne annehmen. Aber ob selbst gemacht, oder aus der Fabrik: aktuell ist in Lettland der "Zefīrs" nicht aus den Süßwarenregalen wegzudenken.

19. März 2025

Mein Elend, dein Elend

Die lettische Hauptstadt Riga ist bekannt für ihren Bestand an Häusern aus sehr unterschiedlichen Bauperioden: sowohl das 19. Jahrhundert, der Jugendstil, die 1920iger und -30iger Jahre der lettischen Unabhängigkeit, wie auch sowjetische Nachkriegsbauten sind im Rigaer Stadtbild vertreten. Manches reicht noch bis zum Klassizismus zurück, es gibt einen großen Anteil an Holzbauten, und nach 1990 ist einiges, wie Lettinnen und Letten vielleicht gerne sagen würden, "wie Pilze aus dem Boden gewachsen". Parallel zu den vielen Veränderungen im Stadtbild hat sich der Charakter vieler Stadtteile stark verändert, manch Möchtegern-Prunkvolles wirkt wie gewaltsam eingefügt, und Einkaufstempel wie Konzernzenralen heischen um Aufmerksamkeit und Dominanz. 

Schönheit kommt von außen

Die Stadtverwaltung hat nun eine neue Parole herausgegeben, die, deutsch übersetzt, in etwa so lautet: "Lasst uns die heruntergekommenen und umweltschädigenden Gebäude sanieren, um Riga schöner zu machen!" Gleichzeitig taucht ein neuer Begriff der Klassifizierung auf: "grausti". (grausti.riga) Wer das zu übersetzen versucht, landet im englischsprachigen Bereich bei "Slum" - aber sind hier wirklich "verwahrloste Elendsviertel" gemeint? 

Benutzt wird die neue Klassifizierung von einer "Komission zur Qualitätssicherung und -entwicklung der städtischen Umwelt" in Riga, wo Mitglieder des Stadtrats und der Verwaltung vertreten sind. 2018 erstmals einberufen, stellt man sich hier zur Aufgabe, Gebäude zu klassifizieren, die "nicht regelgemäß erhalten" werden. Inzwischen sind 1285 Gebäude in Riga auf einer Liste der "Grausti" gelandet, was für die Eigentümer auch einen erhöhten Satz von Immobiliensteuer bedeutet - gezahlt werden muss 3% (statt 1,5%) entsprechend dem Katasterwert der Immobilie.  

Faceliftung - am Haus

Notwendige Arbeiten: lettische Baufirmen freuen
sich über Aufträge (hier: "Bergafasades")
"Fassadenfieber" nennt es Journalistin Ieva Jakone in einem Beitrag für die Zeitschrift "IR". Hunderte Hauseigentümer seien kürzlich aufgefordert worden, zumindest die Hausfassade zu verschönern bzw. in Ordnung zu bringen. Die Steuersumme für sein Haus habe sich von einem Monat auf den anderen verfünffacht, erzählt Hauseigentümer Kristaps Epners. Aber amtliche Verwarnungen habe es sogar schon vor der Pandemie gegeben, gibt er zu - wenn auch, seiner Beschreibung nach, in "typischer Bürokratensprache". Zwar habe er schon einige andere Arbeiten am Haus in Auftrag geben müssen, so etwa die Erneuerung der Wasserrohre oder die Ausbesserung des Schornsteins. Nun zeige es sich, dass eine vernachlässigte Fassade "am meisten kostet". ("IR")

Für 977 Häuser sei bis Dezember 2024 ein erhöhter Steuersatz eingefordert worden, berichtet Ieva Jakone. Zu 255 Objekten habe die Komission Fragen an den Eigentümer gestellt - und dabei sei es eben nicht darum gegangen, ob ein Haus etwa einsturzgefährdet sei, sondern es gehe um das "Outfit" des Gebäudes. Verblasste Farbe oder Risse im Putz können da schon für eine Herabstuftung ausreichen. 

Weniger Menschen, mehr Steuer

Während die Einwohnerzahl Rigas weiterhin von Jahr zu Jahr sinkt, steigen die Einnahmen aus der Immobiliensteuer: 2021 waren das insgesamt 111 Millionen Euro, 2025 werden es wohl noch 5 Millionen mehr werden. Die wegen Fassadenmängeln erhobene erhöhte Steuersumme machte 2015 noch 825.000 Euro aus, inzwischen stieg die Summe auf 3,3 Millionen Euro. "Das dürfte aber kaum für einen der Hauseigentüber überraschend gekommen sein," meint Vladimirs Ozoliņš, Chef der städtischen Immobilienbehörde. Erste Warnungen würden immer schon ein Jahr im voraus verschickt, und die Stadt sei immer offen für jegliche sachliche Vorschläge die Verbesserungen bringen könnten, auch in solchen Fällen, wo am Haus erst noch andere Arbeiten nötig seien. Außerdem gäbe es aber schon seit 2017 ein Angebot der Co-Finanzierung von Fassadenarbeiten durch die Stadt Riga. 2024 habe man so insgesamt 97 Projekte von insgesamt 2 Millionen Euro unterstützen können. 

Die Liste der "Grausti" in Riga - vielleicht besser mit "heruntergekommene" oder "schlecht erhaltene" Gebäude zu übersetzen - wird aber nicht kürzer, meint Ozoliņš. 2023 wurden 151 Objekte restauriert, 2022 wurde an 161 Objekten etwas getan. Aber die Erhaltungsmaßnahmen dauern eben meist immer etwas länger. ("IR") Beim Blick zurück zeigt sich, dass im Jahr 2011 nur 16 Gebäude in ganz Riga wieder in guten Zustand gebracht werden konnten, 2018 waren es schon 207 (lps)

Langzeitpatienten

Eines der bekanntesten Beispiele für ein sehr vernachlässigtes Gebäude ist das Haus Marijas iela 6, das schon seit Wiedererlangung der lettischen Unabhängigkeit auf ein "Facelifting", oder besser noch eine Komplettsanierung wartet. Geschaffen wurde das 1904 erbaute Haus in Bahnhofsnähe von einem der bekanntesten lettischen Architekten: Konstantīns Pēkšēns. Die Eigentümer wurden 1941 mit der gesamten Familie nach Sibirien verbannt, das Gebäude verstaatlicht; als eine Tochter schließlich 1993 nach Riga zurückkehrte, konnte sie das Eigentum zwar zurückerhalten, musste aber feststellen dass eine Renovierung riesige Geldsummen verschlingen würde. Inzwischen gibt es zwei verschiedene Eigentümer, aber erst 2015 wurde das nun seit 30 Jahren nicht mehr bewohnte Haus von der Stadt Riga in die Kathegorie der "vernachlässigten" (Grausti-)Häuser aufgenommen. Bis dahin wurde nur 488 Euro Immobiliensteuer pro Jahr verlangt. Seit Riga nun die abgestufte Verschärfung eingeführt hat, fallen immerhin mehr als 17.000 Euro pro Jahr an (TVnet / Dienas bizness). 

Im März 2024 brach in der Pētersalas ielā in Riga ein Haus zusammen, dass nach einem Brand drei Jahre lang unverändert gelassen wurde. (NRA) Um verlassene Häuser in Riga kümmert sich auch die Initiative "grauzti", wie zum Beispiel im Fall des Gebäudes Kalnciema iela 2b (Kas Jauns / TVnet)

6. März 2025

Dänisch einkaufen

Vor einiger Zeit schien sich der Wettbewerb der Lebensmittel-Ketten in Lettland vor allem bei der Wahl zwischen "Rimi" oder "Maxima" zu entscheiden. “Maxima Latvija” gibt es schon seit dem Jahr 2000, und ist im Besitz der litauischen Unternehmergruppe “Vilniaus prekyba” - die Werbung lautet hier: eine Million m² Verkaufsfläche, 2500 Läden in sechs Ländern (gegenwärtig 173 in Lettland), 7,8 Milliarden Euro Gesamtumsatz. Und auch das litauische "Aibė", 1999 gegrünet, hat inzwischen über 500 Läden in Lettland eröffnet. 

Ketten und Netzwerke

"LaTS", die Bezeichnung angelehnt  an die ehemalige lettische Währung, ist lettisch organisiert - von der lettischen Händlervereinigung ("Latvijas tirgotāju savienība"), die seit 2007 besteht. Wer hier die Marken-Nutzungsrechte von "Lats" erwirbt, wird gleichzeitig Mitglied der Händervereinigung. Hier sind gegenwärtig 270 Firmen mit insgesamt 700 Handelsplätzen zusammengeschlossen - das kann auch ein Café, eine Tankstelle oder ein Stand auf dem Wochenmarkt sein.
Und es gibt auch noch "Citro", erst 2019 gegründet, eine kleine Kette geführt von der lettischen "SIA Latvian Retail Management", mit 70 Läden.

"Lidl Latvija” gibt es seit 2016, nachdem einige Versuche auf dem lettischen Einzelhandelsmarkt Fuß zu fassen zuvor gescheitert waren. Schnelles Wachstum wurde u.a. auch durch die Pandemiefolgen gebremst, gegenwärtig unterhält "Lidl" in Lettland 34 Läden (18 davon in Riga).

Und auch die niederländische "Spar" hat die Fühler längst nach Lettland ausgestreckt: “SPAR Latvija”, oft nach dem Franchise-Prinzip  arbeitend, ist seit 2021 im Besitz einer lettischen Lizenz. Als im August 2022 der erste lettische "Spar-Markt" in Saldus eröffnet wurde, verkündete die Firmenleitung, innerhalb von fünf Jahren 500 Läden in Lettland betreiben zu wollen - inzwischen gibt es 25 (sieben davon in Riga). 2023 waren 23 Läden zu "Spar" gewechselt, die zuvor “ELVI Latvija” angeschlossen waren. Aber auch "Elvi", im Jahr 2000 als Franchise-Unternehmen gegründet, unterhält derzeit noch 80 Läden in Lettland (nur 7 davon in Riga) und wirbt mit besonderer "lettischer Atmosphäre".  (Liste aller Supermarktketten)

Flaggenwechsel 

Wie gesagt: es gab mal Zeiten, da waren vor allem "Rimi" und "Maxima" überall in Lettland präsent. Aber wer dann glaubte, wenn ich "nicht bei Maxima" kaufe, dann kaufe ich "lettisch", lag schon immer falsch. 1997 eröffnete der erste "Rimi" in Lettland, aber schon seit 2007 war die schwedische "ICA-Gruppe" alleiniger Besitzer von "Rimi Latvija". - Seit Anfang März 2025 nun aber nicht mehr: ICA verkauft sein gesamtes "baltisches" Segment für 1,3 Milliarden Euro an die dänische "Salling Group" - und fällt durch exklusive Wortwahl auf: nun wird nicht mehr "investiert", sondern "divestiert". Da schlagen wir besser nicht im Wörterbuch nach (denn dort steht "divest" auch für etwas rauben oder stehlen), sondern im Handbuch für Betriebswirtschaftslehre (= Kapitalfreisetzung durch Veräußerung von Vermögensgegenständen). Laut Wikipedia auch „Beendigung oder Aufhebung einer Investition“. (lsm)

Man wolle sich nun mehr auf den schwedischen Markt konzentrieren, so eine ICA-Pressemitteilung. "Rimi Baltic" hatte zuletzt 11.000 Angestellte und 314 Läden in allen drei baltischen Staaten (135 in Lettland). Im Gegensatz zum bisherigen schwedischen Besitzer betonen die neuen dänischen Eigentümer, ihr Unternehmen konzentriere sich schon lange auch auf das Geschäft außerhalb des eigenen Landes Dänemark. Zu "Salling" (bis 2018 noch "Dansk Supermarked A/S") gehören unter anderem auch "Starbucks" und der Discounter "Netto" (seit 1990 auch in Deutschland). 2019 hatte die Salling-Gruppe ihrerseits verkündet, sich aus Schweden zurückzuziehen (Lebensmittelzeitung). 

Wird es günstiger? 

Bei Lebensmitteln sei längst "europäisches Niveau" erreicht, stellte Ende 2024 eine Analyse des lettischen Radio fest, und fragte nach Gründen für teilweise "astronomisch hohe" Lebenmittelpreise (lsm). Die Redaktion hatte einen Einkaufskorb für Vergleichskäufe zusammengestellt, bestehend aus Mehl, Toastbrot, Milch, Zucker, Hühnerfilet, Eier, Äpfel, Kartoffeln und Orangensaft.

"Rimi" selbst schreibt: "71% der Käuferinnen und Käufer nutzen beim Einkauf Sonderangebote" - ein bekannter Markenname oder das Design der Verpackung dagegen seinen weniger wichtig. Sogar ob ein Produkt aus Lettland stamme oder nicht, sei von geringer Bedeutung. In einer anderen Umfrage sagen 40%, wenn es um Einsparungen gehe, würden sie es zuerst beim Lebensmitteleinkauf versuchen. 

"Latvijas Radio" verglich die Preise bei "Rimi", "Maxima" und "Lidl", und befragte zudem auch Lettinnen und Letten in verschiedenen anderen EU-Ländern. Es wird auch darauf hingeweisen, dass Menschen in drei EU-Ländern 20-25% ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben: Bulgarien, Rumänien und auch Lettland (in anderen EU-Ländern unter 15%). 

Beim Blick auf die Kassenzettel der drei getesteten Anbieter muss vielleicht hinzugefeügt werden, dass für das Jahr 2024 "Maxima" wie auch "Rimi" Gewinne bilanzierten, während "Lidl Latvia" 14,8 Millionen Euro Verluste verbuchte. Die langfristige Strategie von "Lidl" sei es, den niedrigsten Preis mit der besten Qualität für einen täglichen Warenkorb an Lebensmitteln zu bieten, heißt es. Eine Sprecherin von "Rimi" wies darauf hin, dass dort 700 Produkte unter dem Label "wahrscheinlich den niedrigsten Preis auf dem Markt" angeboten würden, eine Preislage, die jede Woche neu überprüft werde. (lsm)

Für Deutschland wurde zwar festgestellt, dass für den festgesetzten Warenkorb etwas mehr Geld bezahlt werden muss - aber der durchschnittliche Einkommensunterschied beider Länder sei auch enorm: wer mit Mindestlohn arbeiten muss, verdiene in Deutschland etwa 2000 Euro monatlich, in Lettland aber nur 700 Euro, so heißt es. 

Regionale Verhältnisse

Eine Kommission des lettischen Parlament macht sich derweil Sorgen um den Anteil einheimischer, also lettischer Produkte im Lebensmittelsortiment.  Eine Studie des lettischen Wirtschaftsministeriums weist für Brot einen (lettischen) Eigenanteil von 80% und bei Fleisch von 60% aus. Bei "Rimi" liege der Anteil lokaler Produkte bei insgesamt 30-40%, bei "Maxima" allerdings nur bei 20-30%. Jānis Šolks vom Verband der lettischen Milcherzeuger weist darauf hin, dass bei einem so einfachen Produkt wie pasteurisierter Milch der Eigenanteil von Milch aus Lettland nur bei 50% liege - die andere Hälfte stamme aus Estland und Litauen. (lsm)

Iveta Liniņa, Professorin an der Hochule Turiba in Riga, weist darauf hin, dass die geopolitische Lage wohl die "ICA-Gruppe" dazu bewegt habe, "Rimi" zu verkaufen. Schließlich habe auch die schwedische "Södra" erst kürzlich beschlossen, ihren gesamten Besitz an lettischen Waldflächen zu veräußern. ("IR") "So wie es aussieht, wollen sich die Schweden vielleicht auch auf Distanz zur östlichen Grenze der EU bringen", vermutet die Ökonomin. Es sei aber auch ein Kaufkraftrückgang in Lettland zu beobachten. (lsm)

Zudem habe sich die Hoffnung auf ein starkes Wirtschaftswachstum in den baltischen Staaten vorerst zerschlagen, meint Henriks Danusēvičs, Präsident der lettischen Händlervereinigung. Zudem habe der Markteinstieg von "Lidl" einen Teil des Marktes weggenommen. Dass aber insgesamt die schwedischen Investitionen in Lettland nicht zurückgegangen sind, bestätigt auch Laura Štrovalde, Chefin der lettischen Investitionsagengtur (Latvijas Investīciju un attīstības aģentūras LIAA): "Von insgesamt 25,8 Milliarden Euro an Investitionen halten schwedische Unternehmen gegenwärtig einen Anteil von 30,5%", berichtet sie. (lsm)

17. Februar 2025

Bienenfrei

Ein Land wo Milch und Honig fließt - eigentlich keine große Utopie. Kühe und Bienen - dort, wo die Landschaft noch nicht komplett gewinnbringend und Ressourcen verbrauchend durchgetaktet ist, eigentlich keine besondere Erwähnung wert.
Gut, heutzutage haben sich einige Menschen ausgedacht, keine Milch mehr konsumieren zu wollen - und ob jeder Haushalt ein Glas Honig im Regal stehen hat, ist vielleicht auch unsicher. Bei der Nützlichkeit der Bienen dagegen scheinen sich die meisten einig zu sein. 

Nun kam in den vergangenen Monaten auch in Lettland die Frage auf, ob das denn überhaupt Honig ist, was in den Supermarktregalen zum Verkauf steht. 20 Honigproben wurden getestet, davon erreichten weniger als ein Drittel (nur 14 von 20) die allgemeinen Qualitätsstandards. "Was dort auf den Verpackungen als Inhalt ausgewiesen wird, ist das überhaupt Honig?" fragt sich auch Baiba Tikuma vom lettischen Imkerverband (Latvijas Biškopības biedrība LBB). 3300 Imkerinnen und Imker haben sich im 1994 neu gegründeten LBB vereinigt, laut Selbstaussage sind das zwei Drittel aller Imkerbetriebe in Lettland. ("IR")

Der Imkerverband beruft sich auf Kontrollen des lettischen Lebensmittel- und Veterinärdienstes ("Pārtikas un veterinārais dienests"), ausgelöst durch neue Untersuchungsmethoden des estnischen Labors "Celvia" (siehe auch: ZM). Die zuständige lettische Behörde versucht sich hier an einer grundlegenden Definition: "Honig ist eine natürliche, süße Substanz, die von Bienen (Apis mellifera) aus dem Nektar von Pflanzen gewonnen wird." Viel Aufsehen erregte eine Untersuchung von Honig in deutschen Supermärkten, wo ebenfalls die meisten Proben als "nicht echt" eingestuft wurden (Bienenjournal, NDR, ZDF, SWR, Verbraucherzentrale)

Honig nicht gleich Honig? 

Schon 2023 waren Studien im Auftrag der Europäischen Kommission veröffentlicht worden, denen zufolge der Verdacht aufkam, vielen Honigsorten werde unzulässigerweise einfach Sirup beigemischt. Grundlage der neuerlichen Tests war offenbar das Interesse des estnischen Honivermarkters "Nordmel", Honig nach Japan zu exportieren. "Celvia" hatte in Zusammenarbeit mit Hunderten von freiwilligen estnischen Imker/innen eine Datenbank für estnischem Honig erstellt.

 „Die DNA-Analyse erkennt alle Arten von Pflanzen, Bakterien, Pilzen und Insekten, mit denen Honigbienen und Honig in Kontakt kommen", erklärt "Celvia"-Repräsentant Kaarel Krjutškov. "Die DNA -Sequenzen von Hunderten und Tausenden von Arten beschreiben die Zusammensetzung von Nektarpflanzen und ermöglichen unter anderem die Überwachung von Bienenpathogenen und Parasiten. Gleichzeitig hilft das DNA-Profil dabei, die Authentizität und den Ursprung des Produkts zu identifizieren, da die Pflanzen den geografischen Bereich der Biene zeigen“.  

Unlauterer Wettbewerb?

Lettische Imkerinnen und Imker fordern nun eine einheitliche Regelung für alle Länder der Europäischen Union: erstens die Anerkennung der DNA-Testmethode, und zweitens soll alles, was dort als nicht natürlich identifiziert ist, nur noch als "künstlicher Honig" verkauft werden dürfen (PVD).  

Allerdings gibt es auch auf dem lettischen Honigmarkt Tendenzen, die ungewöhnlich wirken. In Lettland gibt es fast 5000 Honigerzeuger (siehe LBB), da möchten manche gern durch besondere Angebote auffallen: Honig mit Johannnisbeer- oder Himbeer-Zugabe, oder "Schokoladenhonig" sind da nur Beispiele. Ein Beerenanteil von 30% pro Glasinhalt scheint ziemlich üblich - und sogar Beeren vom Schneeballstrauch oder vom Chinesischen Limonenbaum (lettisch "Citronliāna") können sich im Honigglas wiederfinden (z.B. meduspils). Zwar gilt wohl das Argument "alles auf Grundlage des Naturprodukts", aber dem könnte zum Beispiel entgegen gehalten werden, dass zum Beispiel Schokolade ja nicht mit in Lettland hergestellten Rohstoffen hergestellt wird. 

Stolz auf die eigene Ernte

Der Imkerverband empfiehlt die Kennzeichnung regionaler (lettischer) Produkte mit “Ievākts Latvijā” (sinngemäß: "geerntet in Lettland"). Damit sei garantiert, dass keine Zweitvermarkter am Werk waren, es sich nicht um ein Mischprodukt handle, und der Honig "nicht aus der Ukraine, China, oder anderen Ländern" komme. (Meduspils)

Gemäß Umfragen der Agentur SKDS geben 68% der Verbraucherinnen und Verbraucher in Lettland an, Honig als Zusatz zu Getränken wie Tee, Kaffee, Wasser etc. zu verwenden. 26% nutzen Honig als Bestandteil der Essenszubereitung, so dieselbe Umfrage. 

Um Honig im öffentlichen Bewußtsein präsent zu halten, baut das lettische Honig-Marketing unter anderem auf das "Honigfrühstück" ("Eiropas medus brokastis") - eine Kamapgne, die 2007 in Slowenien zuerst durchgeführt wurde. Seit 2013 besuchen auch in Lettland Imkerinnen und Imker Schulen und verteilen Honig-Kostproben (Sala, Talsi, Vecsaule, Daugavpils, Taurupe, Valmiera, Priekule, Staļģene, und viele andere). In Deutschland berichtete zwar das "Bienenjournal", mitmachende Schulen gab es jedoch bisher nicht. 

Eine andere lettische Inititave versucht, bestimmte Orte zu "Bienenbotschaften"("Bišu vēstniecības") zu erklären. Diesem Konzept hat sich das Hotel "Janne" in Riga angeschlossen. Ein kleines 3-Sterne-Hotel im Ortsteil Āgenskalns, das auf dem Dach eigene Bienenstöcke ("Bienenhäuser") betreibt. "In Āgenskalns sind Linden weit verbreitet, die die Hauptnektarquelle für Jannes-Bienen darstellen", heißt es hier.

Kundenfragen und Zunftsvisionen

Um aber mit billigen Massenprodukten konkurrieren zu können, zählt auch die Ästhetik. "Manchmal bildet sich etwas weißer Schaum auf dem Honig im Glas", gibt Imkerin Baiba Tikuma zu, "und in Internetforen wird dann gefragt: Ist das gefährlich?" Verbraucherinnen und Verbraucher mögen es eben gern transparent und sauber. ("IR") In diesem Fall sind es aber nur Luftbläschen - die sich vor allem dann bilden, wenn wenig Wasser im Honig vorhanden ist – also eher ein Qualitätsmerkmal.

Laut lettischem Amt für Statistik ist die Honigproduktion in Lettland stark angestiegen: waren es 2013 noch 1555 Tonnen, so waren es 2023 schon 2319 Tonnen. Der Verbrauch jedoch geht zurück: gegenwärtig sind es pro Jahr und Einwohner/in noch 710 Gramm - fast 100g weniger als vier Jahre zuvor ("IR"). In Deutschland dagegen deckt heimischer Honig nur 30% des Bedarfs. Imkerin Baiba Tikuma hat einen interessanten Vorschlag für die Zukunft in Lettland: "Bei uns hat doch jeder seinen eigenen Zahnarzt, jeder und jede den eigenen Friseur. Warum nicht auch den eigenen Imker oder Imkerin? Das ist doch genauso eine Frage der Gesundheit!" ("IR")

19. Januar 2025

Alles für die Katz

Wird 2025 ein gutes Jahr für Lettland? Schon am fünften Tag des neuen Jahres waren viele überzeugt: ja, ganz bestimmt! An diesem Tag wurden die "Golden Globes" verliehen, und als Ergebnis könnte man ausrufen: "Alles im Flow!". 300 in Hollywood akkreditierte ausländischen Pressejournalistinnen und -journalisten aus etwa 80 Ländern stimmten ab über die Filme des Jahres 2024. (lsm)

"Flow" ist der Titel eines Animationsfilms, ein Produkt belgisch-französisch-lettischer Produktion: das Studio "Dream Well" in Lettland (extra für diesen Film gegründet), "Sacrebleu Productions" aus Frankreich und "Take Five" aus Belgien. Der lettische Titel "Straume" ("Strom / Strömung") weist auf das Grundthema hin: Tiere fliehen vor einer riesigen Flutwelle. (Trailer). Nun also auch mit dem "Golden Globe" prämiert, als erster Film aus Lettland überhaupt. 

Kein Stubentiger

Regisseure und Produzenten, von links: der Franzose
Ron Dyens, Gints Zilbalodis und Matīss Kaža
Für "Straume" steht vor allem Gints Zilbalodis: Regisseur, Drehbuchschreiber (zusammen mit Matīss Kaža) und Co-Produzent (zusammen mit Matīss Kaža, Ron Dyens, Gregory Zalcman). Und zusammen mit Rihards Zaļupe stammt auch die Musik von ihm. Das belgische Studio „Take Five“ war für einen Teil der Postproduktion von „Flow“ verantwortlich. "Vielen Dank, dass Sie sich für unseren kleinen Katzenfilm entschieden haben", so wird Regisseur Zilbalodis nach der Preisverleihung zitiert (fold).

"Flow" feierte in Cannes seine Weltpremiere und hatte als Deutschlandpremiere die 66. Nordischen Filmtage Lübeck eröffnet. Von lettischer Seite wird gerne auch die vermeintliche "Moral" der Filmgeschichte, die ganz ohne Dialoge und Sprache auskommt, betont: Tiere nutzen ihre Fähigkeiten und kooperieren - eine tierische Schicksals-Gemeinschaft trotzt auf einer Arche der Sintflut. Auch die belgische Seite betont ihren Anteil am Erfolg: "Da der Film keine Dialoge enthält, ist die Intensität des Klangs sehr entscheidend für das Endergebnis und die Wirkung auf den Zuschauer." (vrt)

Lettisches Produkt in schwierigen Zeiten

48 weitere Preise habe der Film zwischen der Premiere in Cannes und dem "Golden Globe" bereits eingesammelt, so die lettische Presse - und inzwischen sei es Tradition beim Filmteam, nach jeder Preisverleihung einen ordentlichen "Burger" zu essen (IR / Facebook). Schon im November 2024 wurde Gints Zilbalodis zum "Rigenser (Einwohner Rigas) des Jahres" ernannt. (tv3) Im Dezember kam auch noch der Titel als "Europäer des Jahres" (verliehen von der Europabewegung Lettlands) hinzu.

Sehr besonders sei auch, dass der Film mit Software erstellt wurde, die im Prinzip überall kostenlos erhältlich sei, so heißt es. Angebote, in Hollywood zu arbeiten, habe Gints Zilbalodis ablehnt - er arbeite bereits an seinem nächsten Film, möchtet aber nicht nur als "Regisseur von Katzenfilmen" in Erinnerung bleiben, kündigt er an (Jauns). 

auch Karikaturist Gatis Šļūka thematisiert
die neuen lettischen Filmhelden

"Wir haben den Film ja in einer sehr unruhigen Zeit hergestellt,"sagt Produzent Matīss Kaža. "Erst die Covid-Pandemie, und dann der Krieg in der Ukraine." Es sei außerdem eine Zeit beängstigender Veränderungen, die nur mit Hilfe von Empathie, Verständnis und Zusammenarbeit überstanden werden könne. (IR) "Eigentlich schien doch schon die Nominierung für den 'Golden Globe' der größte Erfolg für die lettische Filmindustrie zu sein, gerade neben diesen Multimillionen-Dollar-Giganten", so Kinokritikerin Dita Rietuma; ihr kam die Preisverleihung wie ein ganz besonderes Geschenk vor, denn sie fand genau am Tag ihres Geburtstages statt.

Ganz tierisch

"Was bewegte Sie dazu, diesen Film zu machen?" wird Zilbalodis nach der Preisverleihung gefragt. Antwort: "Meine Katze" (Interview) und er verrät auch: "Alle meine bisherigen Filme waren ohne Dialoge. Und wir haben die Tiere sich wie Tiere verhalten lassen, nicht wie Menschen." (siehe making of) Zilbalodis betont auch, dass aufgrund des engen Finanzrahmens sehr exaktes Arbeiten gefragt war: "Wir haben nichts gedreht, was wir später wieder vernichtet hätten," meint er.


"Wir haben uns bei unserer Story keine Gedanken darüber gemacht, wo denn in dieser Geschichte die Menschen geblieben sein könnten", meint Gints Zilbalodis (Interview). Mit den eigenen Ängsten zu leben, dass lerne seine tierische Hauptfigur im Laufe des Films, meint er. Und die Zuschauer sollen lernen, genau hinzusehen. Erst kurz vor der Premiere in Cannes sei der Film fertig geworden, und es sei dann doch sehr befriedigend gewesen wie das Publikum dort reagiert habe, meint er - und freut sich, dass "Flow" nun wohl der am meisten in der ganzen Welt verbreitete Film aus Lettland sein wird, ganz ohne die Mühe einer Überetzung. 

Symbolik im Trend?

Steht der Erfolg dieses Films auch für andere gesellschaftliche Trends? Für den Kampf fürs Klima und gegen drohende häufige Überschwemmungen? Von lettischer Seite ist dazu nichts zu hören oder lesen. Im Film ist das auch kein Thema. Notwendigkeit zur Zusammenarbeit, Gemeinschaft, Mitgefühl, Liebe - das ja. "Eine großartige emotionale Reise, die in der heutigen zynischen Welt äußerst selten ist", meinte eine lettische Kinokritikerin schon im August 2024, als der Film in die lettischen Kinos kam (IR). Die lettische Zeitschrift "Kinoraksti" fragt sogar nach einem möglichen "Zeitalter der Katzenhaftigkeit", mit Bezug auf die Häufung niedlicher Katzenvideos im Internet - und bemerkt aber auch, das in diesem Film die Katze völlig namenlos bleibt. 

Das Filmteam auf dem Rückflug nach Lettland, unterstützt
auch von der heimischen "Air Baltic"

Bereits viel diskutiert wurde offenbar in den lettischsprachigen sozialen Netzwerken über die Farbe der Katze im Film: schwarz, oder doch eher dunkelgrau? "Eher dunkelgrau", stellt der Schöpfer des Tieres klar (Facebook). Die lettische Presse berichtet indessen begierig über weitere lettische Erfolge: so habe "Straume / Flow" allein in Mexiko innerhalb von nur zwei Wochen schon eine Million Zuschauer gehabt. (LA)

Lettische Sintflut auch für deutsche Kinos?

Was sagt das deutsche Publikum? Erst Anfang März wird "Flow" in den deutschen Kinos zu sehen sein. Einige Kritiken gibt es schon: Joachim Kurz sieht sich für "Kino-Zeit" auf "Augenhöhe mit einer namenlosen Katze" und diese "als Illustration und Umsetzung von Überlegungen über die Erde ohne den Menschen einerseits und über die Folgen des Klimawandels andererseits". Und "Polyfilm" (Österreich) titelt: "Wie die Katze ihre Angst vor dem Wasser verlor."

Nicht so überzeugt wirkt die Schweizerin Viktoria Engler für "What the film".  Zwar outet sie sich als "eingefleischte Animationsfilm-Liebhaberin", Bei knapp 90 Minuten Film konstatiert sie "biblische Ausmaße" - vielleicht wegen dem Boot, das ähnlich einer Arche Tiere vor der Sintflut rettet? Lob gibt es für "das viele Wasser" im Film, das "schwierig zu animieren" sei. Die Handlung jedoch sei stark von der visuellen Atmospähere getragen, weniger von spannendem Verlauf. "Zu seicht" - so hier das Urteil, mit etwas milderem Fazit: "Es gibt zu wenige Werke, die sich auf nicht-Menschliches konzentrieren; mit solchen Filmen kann man eventuell ein grösseres Verständnis für die Natur und ihre Bewohner schaffen."

Der "Goldene Globus" hat - unter Katzenbewachung -
bereits einen Platz im Nationalen Kunstmuseum gefunden

Prädikat "Besonders wertvoll" heißt es bei der "Deutschen Film- und Medienbewertung" (FBW). Die Jury formuliert es so: "eine fesselnde Fabel, die nicht nur durch ihre eindrucksvolle Animation und ihr starkes Sounddesign überzeugt, sondern auch durch ihre tiefgreifenden Themen von Umweltzerstörung, Vergänglichkeit und zwischenmenschlichen Beziehungen." (freigegeben ab 6 Jahren)

Anfang März 2025 wird "Flow" auch in die deutschen Kinos kommen. Der Film ist auch für den "Oscar" nominiert. Zu den vielen Kooperationspartnern gehörte das Nationalen Lettischen Filmzentrum, die Staatlichen Kulturstiftung Lettlands, Eurimages, das Französische Nationale Filmzentrum, Arte, Canal+ sowie verschiedene regionale Stiftungen und Förderprogrammen in Frankreich und Belgien.