14. September 2025

Abends ohne

Seit August 2025 gilt in Lettland eine neue Regelung für den Verkauf von Alkohol. Das lettische Gesundheitsministerium (VM) betont, dass neue zeitliche Beschränkungen ein wirksames Mittel zur Eindämmung des Alkoholkonsums seien. An Werktagen ist jetzt der Verkauf von alkoholhaltigen Getränken ab 20 Uhr verboten, sonntags bereits ab 18 Uhr (Alkoholverkauf nachts ist schon seit 2002 verboten). 

Schon wenige Tage nach Einführung der neuen Regelung startete eine Unterschriftensammlung auf dem Portal "Meine Stimme" ("manabalss") zur Aufhebung der neuen Bestimmungen. Aber: gleichzeitig sind dort auch Initiativen zu finden, Alkohol nur an Menschen ab 21 Jahren zu verkaufen, und auch einen Aufruf zum Verbot aller Alkoholwerbung in der Öffentlichkeit. Die Parlamentabgeordnete und Ex-Gesundheitsministerin  Ingrīda Circene („Jaunā Vienotība“) wies darauf hin, dass sich die Saeima im Herbst erneut mit diesem Thema befassen und noch strengere Vorschriften einführen könnte (lsm). Ein umstrittenes Thema?

Der Geist aus der Flasche 

Auch Sozialanthropologin Aivita Putniņa hält das Thema für "sehr sensitiv". Es gäbe in Lettland eine starke Lobby für den Alkoholverkauf, meint sie (lsm) In Lettland liegt der Alkoholkonsum pro Einwohner/in, einschließlich der Tourist/innen allerdings, bei statistisch über 12 Litern pro Person, wobei dies besonders durch einen großen Anteil an Spirituosen erreicht wird. Pēteris Apinis, Arzt, Ex-Gesundheitsminister und langjähriger Vorsitzender der lettischen Ärztvereinigung weist auf mehrere Misstände in Lettland hin: wenn das Sozialamt sich in zunehmender Zahl um Kinder kümmern müsse, deren Eltern nicht mehr dazu in der Lage seien, dann sei in 90% der Fälle Alkoholkonsum der Grund (delfi). Und auch bei den Todesfällen durch Ertrinken sei zu 60-80% Alkohol im Spiel (arstubiedriba / SPKC)

Seit 2020 läuft ein Projekt der Weltgesundheitsorganisation WHO mit speziellem Fokus auf die drei baltischen Staaten; hiermit sollen die gesundheitlichen Auswirkungen von Alkoholkonsum (u.a. geringere Lebenserwartung) untersucht werden. Auch hier ist von "eingeschränkter Zugänglichkeit" die Rede. Und davon, dass es in Litauen gelang, den Konsum von Alkohol etwas zu verringern - nun liegt Lettland an der europäischen Spitze (lsm)

siehe auch: SPKC

Gewohnheiten 

Sind schon Auswirkungen der neuen Regeln zu erkennen? Liegt es jetzt vielleicht nahe, Wodka, Branntwein und Konsorten einfach online im Internet zu kaufen? "Superalko" liefert per Kurier fünf Tage die Woche, montags bis freitags. "Alcoma" nimmt nur bis 17 Uhr Aufträge an, liefert aber bis 22 Uhr aus und liefert ab Bestellwert von 30 Euro kostenfrei.
"Drinksdrinks" sichert zu, abends auch noch bis 19:30 Uhr zu liefern, allerdings nur an Kunden mit Mindestalter 20 Jahre. Die "Vynoteka" allerdings macht ihre Läden nur noch bis 17 Uhr auf, während auf der Webseite von "Alkolats" immer noch Öffnungszeiten bis 22 Uhr angekündigt sind. 

Das Wetter und die Hamster 

In den großen Supermärkten sei der Verkauf von Alkohol nur leicht zurückgegangen, berichten Vertreterinnen der Ladenketten "Rimi", "Elvi" und "Maxima" im lettischen Fernsehen (lsm). Vermutet wird aber auch, dass der relativ kühle Sommer den Getränkekonsum nicht gerade gefördert hat. Ein Vergleich mit dem August des vergangenen Jahres habe ergeben, dass der Verkauf von nichtalkoholischen Geränken tatsächlich um 24% gestiegen sei. Allerdings sei auch zu beobachten, dass Kunden nun offenbar "Vorräte" anlegen, und dadurch auch der Verkauf von Alkohol im August in manchen Läden sogar leicht gestiegen sei. 

Arzt Pēteris Apinis jedenfalls gehen die Änderungen beim Alkoholverkauf nicht weit genug - er hält auch eine Angleichung der Besteuerung mit den Nachbarländern, einschließlich Polen und Finnland für nötig. Und auch der Verkauf an Tankstellen sollte (wie es auch in Litauen der Fall ist) ganz untersagt werden (delfi).

Landleben und Landläden 

"Auf dem Lande sind die Verhältnisse für die Ladenbesitzer anders," berichtet  Raimonds Okmanis, Vorsitzender und Miteigentümer eines Netzwerks kleinerer Läden, die unter dem Label "LaTS" als GmbH betrieben werden. 270 kleinere Unternehmen mit über 700 Läden haben sich hier zwecks gemeinsamem Marketing und durchaus auch Kostenersparnis zusammengeschlossen - die meisten dieser Läden befinden sich in Lettland auf dem Lande. Täglich würden in solchen Geschäften 120 bis 200 Einkäufe getätigt, jeder im Durchschnitt im Wert von acht Euro, und ein Drittel des Umsatzes entfalle auf den Verkauf von Alkohol, erzählt Okmanis. "Von allen, die Alkohol kaufen, tätigen 40 % ihre Einkäufe direkt am Abend nach 18 Uhr, und das sind dann meist Männer, wenn sie aus der Stadt von der Arbeit nach Hause kommen". Bei verkürzten Verkaufszeiten würden diese dann ihren Einkauf wohl schon in der Stadt erledigen, vermutet Okmanis. Und noch etwas: "Nutznießer werden dann wohl die Tankstellen sein", meint er. (IR)

Das lettische Gesundheitsministerium beabsichtigt, bis zum 31. Oktober 2026 die Auswirkungen der neuen Beschränkungen zu evaluieren und dem Parlament zu berichten.

1. September 2025

Russischer Transfer

Neueste Statistiken sagen aus, dass 300.085 in Lettland lebende ethnische Russinnen und Russen (69,1%) auch die lettische Staatsbürgerschaft besitzen. Weitere 165.871 Menschen, nicht nur Russen, sind registrierte Einwohner/innen Lettlands, haben aber den Pass als Nicht-Staatsbürger/in (8,9% aller Einwohner/innen). 
Im Jahr 2024 gab es nur noch 934 Neugeborene mit russischer Staatsbürgerschaft in Lettland - wenn die Eltern unbedingt darauf bestehen, ist es noch möglich, aber die Annahme einer lettischen Staatsbürgerschaft zu verweigern ist inzwischen die absolute Ausnahme. (Statistikamt Lettland)

Gemäß dem Statistikamt gibt es 30.906 Personen in Lettland mit Staatsbürgerschaft Russlands. Die staatliche lettische Sozialversicherungsanstalt (Valsts sociālās apdrošināšanas aģentūra VSAA) hat vom russischen Renten- und Sozialversicherungsfonds die aktualisierten Listen der Rentenempfänger/innen für die Auszahlung russischer Renten an 9400 in Lettland lebende Personen erhalten, und gemäß diesen Listen werden die Renten bis zum 10. September ausgezahlt, teilte SSSA-Pressesprecherin Iveta Daine mit. (jauns)

Der Wechselkurs für russische Renten ist der von russischer Seite am 22. August festgelegte Kurs von 93,50490 Rubel pro Euro. Der Gesamtbetrag für die Zahlung der russischen Renten beläuft sich auf 12.995.587 Euro. Die VSAA zahlt russische Renten an Personen mit Wohnsitz in Lettland, denen Renten gemäß dem Abkommen über die Zusammenarbeit im Bereich der sozialen Sicherheit zwischen der Republik Lettland und der Russischen Föderation gewährt wurden. Das Abkommen ist seit dem 19. Januar 2011 in Kraft. (VSAA)

In den vergangenen Monaten hatten sich Menschen mit russischer Staatsbürgerschaft an lettische Behörden um Hilfe gewandt, denn sie hatten mehrere Monate lang keine Rentenzahlungen aus Russland bekommen. In Riga bekamen 104 Personen Unterstützung durch lettische Stellen, in Liepāja 90, und in Daugavpils waren es 30. Seit März hatten lettische Behörden in Kontakt mit Russland versucht, Gründe für die Verzögerungen zu erfahren. Russland hatte zunächst behauptet, dass dies wegen der europäischen Sanktionen gegen Russland geschehe. Allerdings waren die Zahlungen auch zuvor über eine österreichische Bank abgewickelt worden, die nicht von Sanktionen betroffen war (lsm). 

30. August 2025

Septemberväter

Jeder hat den besten Vater - 
wenigstens am Vatertag ...
Warum wird in Lettland eigentlich der "Vatertag" im September begangen? Jeweils der zweite Sonntag im September wird zum "Tēva diena", wie es auf Lettisch heißt (siehe Gesetzestext). Dahinter steht zunächst mal das "Familienportal" "Mammamuntetiem.lv" (einfach übersetzt: "für Mama und Papa") und der Verlag "Rīgas Viļņi", der stolz darauf verweist, schon seit 1957 eine Radio- und Fernsehzeitung herausgegeben zu haben, die 1997 einen Neuanfang feierte. Mit Titeln wie "Was der Arzt Dir nicht erzählt", "Patiesā Dzīve" (Das wahre Leben"), oder dem Männermagazin "9VĪRI" ist der Verlag inzwischen in der Welt der lettischen "Yellow-Press" fest verankert. 
Dazu kommt auch noch, dass "Mammamuntetiem" inzwischen auch eine eigene Organisation gegründet hat. Sie nennt sich “Vecāku organizācija mammām un tētiem” (Elternverein für Mamas und Väter) und Inga Akmentiņa-Smildziņa ist die Vorsitzende: Mutter dreier Kinder - allein dadurch offenbar schon "Familienexpertin". Man wolle "anderen Familien zu Glück und Harmonie verhelfen", heißt es. Gleich drei Mitglieder im Vorstand tragen den Nachnamen "Smildziņš" - also auch hier gilt offenbar ein gewisses "Familienprinzip".

Harmonie als oberstes Ziel

Dieses "Papafestival", mit Hilfe eines Schnurrbarts als Logo, hat sich inzwischen zu einem Event mit zumindest einigen Hundert Besucherinnen und Besuchern entwickelt. Auch beim "Vatertag" am 14. September 2025 wird es wieder einen festlichem Umzug, ein Musikfestival und einer Vielzahl von Spielen im Park unter freiem Himmel geben - bei freiem Eintritt. Unter dem Motto "Ich bin stolz ein Vater zu sein" wird der Tag in Riga bereits zum 12.Mal in größerem Umfang gefeiert. Und dieses Jahr verschenkt die staatliche Forstbehörde an 100 Väter je einen kleinen Eichenbaum. 

Vorher wird auch diskutiert: bei der "Tēvu sapulce" ("Väterversammlung"), die auch online im Internet mitzuverfolgen ist, geht es um die Rolle der Väter bei der Kindererziehung, die Arbeitsteilung in der Familie und bei der Hausarbeit, und um ähnliche Themen. Als "Experten" holen sich die Organisatoren bekannte Väter aufs Podium: Sportler, Schauspieler, Musiker, aber auch Psychiater und Sozialarbeiter.

Auch Resultate von Umfragen werden in die Diskussion einbezogen. So gaben 31% der befragten Väter an, sich jeden Tag auch mit Hausarbeit zu beschäftigen. 59% gaben zu, weniger als die Mutter damit zu tun zu haben. Wenig verwunderlich vielleicht, dass "zu Hause etwas reparieren" bei 88% die beliebteste Beschäftigung ist. 85% bringen die Mülltonne raus, 73% räumen die Spülmaschine ein, und immerhin fast die Hälfte der befragten lettischen Väter kann auch kochen. Allerdings: wird das Kind krank, bleibt meist doch die Mama zu Hause (medicine.lv). 

Paar-Strategie 

Unter genauer Beobachtung der Väter und Mütter ist offenbar alles, was in den staatlichen Schulen geschieht. Viele kleine Schulen in Lettland müssen geschlossen werden, das Lehrpersonal verlangt bessere Bezahlung. Und für den Sommer wünsche man sich mehr Festivals, an denen auch Familien mit Kindern ohne Bedenken teilnehmen können. 

Auch von "Geburtenstrategie" ist bei "Mammamuntetiem" die Rede, am liebsten gleich für "ganz Lettland". Dabei wird zunächst anerkannt, dass sich das Rollenverständnis von Frauen wie Männern, ebenso wie das Verständnis von Paarbeziehungen in Lettland geändert haben: in Umfragen sehen nur noch 21% der Männer die eigene Rolle vor allen darin, dass "es der Familie nicht an Geld fehlt". Nicht alle Frauen wollen Mutter werden, und Männer nehmen verstärkt die eigene Verantwortung für die Kindererziehung wahr - aber in 97% aller Familien kümmert sich vor allem die Frau um die Kinder. Die in der "Strategie" erwähnten "Lösungsvorschläge" wirken eher wie ein bunter Blumenstrauß: von Steuererleichterungen für Familien über mehr Kindergartenplätze bis zur Vier-Tage-Arbeitswoche. 

Dem guten Vater

Den Vatertag in Lettland im September zu feiern, das wird der Initiative von Baptistenpfarrer Ainars Baštiks aus dem Jahr 2009 zugeschrieben, als er auch als Minister für Kinder und Familien zuständig war (dzirkstele / youtube). 
Aber gewalttätige Ehemänner und solche, die sich nicht um ihre Familie kümmern, müsse man ja nicht auch noch feiern - so die Gegenargumente zunächst. Daher wird der Tag inzwischen als Einladung verstanden, die fürsorglichen Väter zu sehen und denen zu danken, die sich um ihre Kinder kümmern und an ihrer persönlichen Entwicklung teilhaben. Baštiks Argumentation berief sich allerdings auch auf eine "gottgegebene Ordnung", der zufolge an die eine Hand eines Kindes die Mutter, an die andere der Vater gehöre. 

Da müssen wir vielleicht kurz an die lettische Verfassung denken, wo eine Ehe als Gemeinschaft zwischen Mann und Frau festgeschrieben ist. Aber bei diesem lettischen "Papa-Feiertag" ist ja darüber nicht mal etwas gesagt: ein Vater ist ein Vater, und hoffentlich ein guter Vater. Ob er verheiratet sein muss, darüber wird an diesem Tag nirgendwo etwas gesagt.  

Viele naheliegender scheint zu sein, den Anlass kommerziell ausnutzen zu wollen: was schenke ich bloß Papa oder Opapa? (lieliskadavana / goody / Douglas / kruzes) Wir erinnern uns an das "Festtagsprogramm": Papa schenkt uns einen gemeinsamen Spaziergang, und einen vergnüglichen Tag im Stadtpark. So läufts zumindest in Riga (lsm).

12. August 2025

Schneckentempo

Abseits der wirklich wichtigen Fragen dieser Welt tauchte in diesem Sommer in der lettischen Presse ein Thema auf, das auch schon in den vergangenen Jahren aufkam. Von "Kampf" ist die Rede - diesmal ist nicht Militärisches gemeint. "Lettland kämpft mit vereinten Kräften!" (LVPortals) Objekt des Bemühens ist das Auftauchen von "Spānijas kailgliemezi" - der "spanischen Nacktschnecke", die eigentlich gar nicht aus Spanien kommt - deutsch als Wegschnecke oder Kapuzinerschnecke bekannt (Arion vulgaris). 

Die lettische Presse berichtet über "erhebliche Schäden" in Lettlands Grünanlagen. Und es hat sich sogar schon ein Verein "Bewegung gegen die spanische Nacktschnecke" gegründet. 

Immer die Spanierinnen ! 

Aber wie sollen nun lettische Gartenfreunde tun? Die Schnecken-Feinde organisieren Sammelaktionen: Gummistiefel, -handschuhe und Eimer - und los geht's! Auch eine Taschenlampe ist wichtig - denn die Schnecken sind meist nachts unterwegs. Und schon werden die sozialen digitalen Netzwerke mit Fotos geflutet, ergänzt mit der Frage: "Kann das weg?" Auch Krähen, Elstern, Amseln, Enten oder Igel könnten ja Schnecken fressen - aber die suchen sich lieber etwas Schmackhafteres, wissen die Schneckenvernichter. "Sie verstecken sich immer unter dem Rhabarber!", berichtet Gartenbesitzerin Valda (lsm)

Auch die lokalen Medien berichten. In Limbaži war eine Gruppe von einigen Dutzend Menschen unterwegs, auch Familien mit Kindern, Rentner und junge Leute, um das Areal rund um die Freilichtbühne zu säubern. "Die Eimer füllten sich schnell", so wird berichtet, und die Teilnehmer/innen seien über die Menge der vorgefundenen Schnecken doch sehr erstaunt gewesen (lsm). Und manche Schneckensucher schwören offenbar darauf, die Schnecken nach dem Einsammeln mit Salz zu bestreuen: "damit sie nicht entkommen können!"

Gefräßig und erfolgreich 

Im Jahr 2009 soll die schleimige Spanierin zum ersten Mal in Lettland gesichtet worden sein. Die Ausbreitung bringen manche damit in Verbindung, dass vermehrt Pflanzensetzlinge aus anderen Ländern eingeführt worden seien. Eigentlich kommt in Lettland auch noch die rote Nackschnecke (Arion rufus) vor, jedoch zeigen Erfahrungen aus anderen Ländern, dass die "Spanierin" alle anderen Arten verdrängt (und sogar Weinbergschnecken angreifen und fressen).   

Homo sapiens im Schneckentempo

Sammelleidenschaft 

Krista Kušnere, bei der Gemeinde Saulkrasti für Natur und Umwelt zuständig, lädt Bürgerinnen und Bürger ein, der Gemeinde Schneckenvorkommen zu melden. "Bisher setzen wir Kalk ein, der Eisenphosphat enthält - schädlich für die Schnecke, aber im Boden wird es zu Nährstoffen umgewandelt." (lsm) Und Gemeinden wie Kuldiga stellen Behälter bereit, wo tote Schnecken "entsorgt" werden können. Kleinere Mengen könnten auch einfach dem Kompost zugegeben werden, heißt es - Hauptsache, sie wurden mit heißem Wasser übergossen, so dass auch die Eier abgetötet werden. Eine andere Biologin überrascht mit dem Vorschlag, die "humanste" Art, Schnecken zu töten, sei das einfrieren. (lsm)

Einige andere Gemeinden verwenden auch "Ferramol" (Schneckenkorn) - was aber dann auch andere Schneckenarten treffen kann. Unklar ist noch, ob die Spanische Nacktschnecke in Zukunft offiziell in Lettland als invasive Art eingestuft werden wird - das würde aber bedeuten, dass Landbesitzer/innen die Schnecken unbedingt vernichten müssten, andernfalls könnten Strafen verhängt werden.

Und wie sind die Aussichten? Die Nachkommen der Schnecke schlüpfen im Herbst, sind zunächst klein und winzig, überwintern - und freuen sich dann auf die schmackhaften Sachen im Frühling. 

31. Juli 2025

Bingo auf dem Lande

Ob in Lettland eigentlich das traditonelle Bingo gespielt wird, ist in diesem Fall vielleicht Nebensache. Aber eine ganz neue Aktion wurde jetzt 2025 zum ersten Mal durchgeführt: Erbsen-Bingo! 

Wie funktioniert das? Goldstücke oder Perlen in Erbsenschoten?  Immerhin: es geht tatsächlich um die Ernte von Erbsen. 

Ernte mit Lächeln 

"Fahr zu einem unserer Ernteplätze, nimm einen Korb mit, und plücke Dir so viel Du essen kannst" - das war bis zum 31. Juli das Angebot lettischer Landwirte. 

"Die Zeit, in der die Erbsen grün, saftig, süß und voller Sommeraroma sind, dauert etwa eine Woche", erläutert Valters Zelčs, Vorsitzender des lettischen Vereins "für nachhaltige Landwirtschaft und ländliche Umwelt" ("Apvienība par ilgtspējīgu lauksaimniecību un lauku vidi"). Die Kampagne "Tausche Erbsen gegen ein Lächeln" sei aber nicht nur Gelegenheit, Produkte der lettischen Landwirte kostenlos zu genießen. Auch das Bewusstsein für die Bedeutung einer nachhaltigen und gesunden Lebensmittelproduktion in Lettland solle geschärft werden. "Erbsen sind eine wertvolle Kultur in der Fruchtfolge und binden durch ihre Eigenschaften atmosphärischen Stickstoff im Boden, wodurch der Bedarf an Stickstoffdünger entfällt", so die Aktivist/innen des Vereins. (LVportal)

Vorzugsweise Erbsen-Selfie 

Über eine Internetseite, oder per Facebook und Instagram konnten die insgesamt fünf Ernteplätze ausfindig gemacht werden. Um an der Verlosung von Preisen teilnehmen zu können, sollten die glücklichen "Erntehelfer" ein Foto von sich selbst mit dem vollen Erbsenkorb posten. Allerdings gab es auch Regeln: nicht weiter als 20m in das Feld hineingehen (also nicht alles zertrampeln, nur vom Rand ernten), und nicht mehr als zum eigenen persönlichen Verbrauch nötig mitnehmen. Natürlich auch keinen Müll auf dem Feld hinterlassen. 

Und, hat das funktioniert? "Wir hatten vielleicht mit ein paar Hundert Menschen gerechnet, die teilnehmen," erzählt Valters Zelčs, "aber es wurden Tausende, wenn nicht sogar Zehntausend. Und es gibt unglaublich viele Reaktionen in den sozialen Netzwerken und Dankschreiben". (lsm / Youtube)

glückliche Erbsenkollekte
Hat es auch Probleme gegeben? Meistens seien die Leute umsichtig und verständig gewesen; in einem Fall hätte die Menschen begonnen, auch auf einem Nachbarfeld zu ernten, das gar nicht dazu gehörte - das habe man aber stoppen können. Juris Sirko, der sein Erbsenfeld in Sigulda für die Aktion zur Verfügung stellte erzählt, bis zu 30 Autos seien an seinem Feld gestanden. Aber in der Regel seien die Menschen höflich und freundlich gewesen, und er habe sich sogar mit ihnen über die Praxis der Arbeite auf dem Lande unterhalten können. "Mir hat es Spaß gemacht. Als ich neulich abends mit meinem Hund spazieren ging, kam ein kleiner Kerl angerannt und bedankte sich für die leckeren Erbsen. Die Leute sind immer lächelnd und entgegenkommend", so der Erbsenbauer.

Fortsetzung folgt - nächstes Jahr

"Vielleicht müssen wir die Felder, wo es erlaubt ist zu ernten, noch etwas genauer beschreiben," so das Resumee. Schließlich sei die Aktion dieses Jahr zum ersten Mal gelaufen. Es hätten aber bereits weitere Landwirte Interesse gezeigt, im nächsten Jahr mitzumachen (lsm

 

 

 

10. Juli 2025

Šī taka - dieser Weg

Der Mensch fragt sich vielleicht oft in seinem Leben: ist dieser Weg, den ich gehe, der richtige? Manchmal sind keine breiten Straßen vorhanden, nur schmale Pfade. Aber für Andris Vjaks und drei Generationen seiner Familie ist "šī taka" nicht einfach ein Weg, sondern auch eine Lebensart. In diesem Fall ist "Shitake" gemeint, der Pilz, der vor allem in Japan und China schon seit langem bekannt ist. In Ostasien gilt Shitake als der am meisten kultiviert (gezüchtete) Pilz überhaupt. 

Im Internet präsentieren verschiedene Anbieter kleine Portionen Shitake zum Selbstzüchten. Aber statt es sich zum Hobby zu machen, hat Familie Vjaks auf ihrem Hof  "Garīkas", zwischen Skrunda und Kazdanga gelegen, ganz "pilztauglich" eingerichtet - als erster Betrieb in Lettland, wo sich alles um Shitake dreht. Gleich neben einer alten Lindenallee wird der Pilz hier auf Holzstämmen gezüchtet - das Ergebnis sei auf diese Art bis zu 8x wertvoller und geschmacklich anders als bei auf Substrat angebauten Pilzen. Zu beachten: auch von Shitaki gibt es viele unterschiedliche Pilzarten. 

Pilzernte auf "Garīkas"

Immer nur mit Rinde 

"Wir haben versucht, den Anbauprozess zu vereinfachen und zu mechanisieren", erzählt Gustavs Riekstiņš, einer der jüngeren Familienmitglieder auf "Garīkas", in einem Interview für die Zeitschrift "IR". "Es ist unter anderem wichtig, dass die Rinde nicht vom Baum abfällt. Ohne Rinde gibts keine Pilze." 

Das Frühjahr 2025 verlief für die Shitake-Züchter in Lettland etwas anders: erst sehr viel Regen, dann eine Woche Wärme, und dann wieder Temperaturrückgang führte im Ergebnis dazu, dass Shitake-Pilze schon im April geerntet werden konnten - zwei Monate früher als sonst. Außer auf "Garīkas" gibt es in Lettland noch zwei weitere Betriebe in Aloja und Eleja, die Shitake in größeren Mengen anbauen (jauns / jelgava). Betriebsleiter Imants Urpens in Aloja bezieht sein Pilzmyzel aus Polen, und verwendet außer Eiche sogar Holz von Faulbaum oder Haselnuß. Auf "Garīkas" kommt das Mycel aus Österreich, und als Holzart werden auch Erlen verwendet - ähnlich wie es auch Jānis Volksons auf "Trubenieki" in Lielplatone bei Eloja praktiziert (Diena). 

Gastfreundlich 

Schon seit 30 Jahren begann Andris Vjaks auf "Garīkas" Shitake zu produzieren - seit einigen Jahren ist inzwischen auch Enkel Gustavs, nur wenig älter als 20 Jahre alt, dabei. "Er hat hier schon als kleines Kind mit am Tisch gesessen, wenn mit dem Messerchen Pilze gesäubert wurden", verrät Oma Valda Vjaksa. ("IR") Inzwischen bietet sich der Hof auch als Gästehaus an, inklusive Verkostung von Shitake-Pilzsuppe und -soße. Und wer später online mal etwas (nach-)bestellen möchte, der findet getrocknete Shitake oder Pilzpulver im Angebot.  

Was die Barone zurückließen 

Das Gelände des "Garīkas"-Hofes gehörte bis 1939 zum Besitz des Barons von Firks. Sein Sohn, der bei der Umsiedlung der Deutschbalten 1939 18 Jahre alt gewesen sein soll, habe versucht den Hof als Eigentum zurückzubekommen, heißt es.  Aber zum einen hatte Andris Vjaks bis 1949, als das Gelände dann zur Sovchose gemacht wurde, schon Anzahlungen zum Erwerb geleistet. Und zum anderen hätte eben die Familie von Firks, ebenso wie viele andere Deutschbalten, sowohl eine Kompensation vom lettischen Staat erhalten, wie auch unterschrieben keine weiteren Eigentumsansprüche an Lettland zu haben. ("IR")

Damit die Shitake-Pilze wachsen, werden zunächst Löcher in die Holstämme gebohrt, und dann dort mit Myzel infizierte Holzstifte hineingesteckt. Fast zwei Jahre lang müssen die Holzstämme in Ruhe gelassen - aber ständig feucht gehalten werden - bis geerntet werden kann. 

Bisher arbeiten auf "Garīkas" nur Familienmitglieder. Wenn zu Mittsommer alle auch mit ihren Kindern kommen, können da schon mal mehr als 20 Menschen zusammenkommen. Oma Valda verrät gerne, wie sie sich das Rezept für eine Shitake-Suppe ausgedacht hat: einerseits muss es zunächst den Geschmack der lettischen Gäste treffen (also nein, lieber keine Sojasoße dazu), andererseits entstand das Rezept nach dem Prinzip "nimm, was im eigenen Garten gerade reif ist". "Shitake-Höfe" - also durchaus spezielle Orte für den nächsten Lettland- oder Kurland-Besuch!  

12. Juni 2025

Vorwiegend männlich, im Zweifel lettisch

Die Kommunalwahlen in Lettland brachten, den Kommentaren in der Presse zufolge, nur wenige Überraschungen. 

Aufsehen erregte aber der Stadtrat in der lettischen Hafenstadt Liepāja. Das dortige Stadtparlament hat 15 Sitze zu vergeben, und gewählt wurden: Gunārs, Jānis, Uldis, Pāvels, Raivis, Artis, Uldis, Salvis, Uldis, Edvīns, Helvijs, Vilmārs, Jānis, Vilnis und noch ein Jānis - also ausnahmslos alles Männer! (lsm) Dieses Ergebnis überraschte offenbar, denn irgendwelche Kampagnen der Art "Frauen können das nicht" oder "überlasst es besser uns" hatte es nicht gegeben. Die meisten Abgeordneten stellt nun die "Liepājas partija" mit 9 Abgeordneten, gewählt auf einer Liste mit insgesamt 18 Kandidat/innen. Vier Frauen waren auf dieser Liste, sie landeten auf Platz 14, 15, 16 und 18. 

Das spornte nun die Presse natürlich dazu an, nüchtern weiter aufzuzählen: Stadt Ventspils: eine Frau von 13. Mārupe: 1 Frau von 19. Aizkraukle:  1 Frau von 15. (lsm) Sehr viele weitere Stadträte wurden aufgezählt, wo nur zwei oder drei Frauen vertreten sind. Es gibt drei auffällige Ausnahmen: der Bezirk Valka, an der Grenze zu Estland gelegen, mit 8 Frauen und 7 Männern, Kuldiga in Kurland, mit demselben Zahlenverhältnis, und Daugavpils (die sich Hauptstadt von Latgale nennt), mit ebenfalls 8 zu 7. Bei Daugavpils fällt außerdem auf: gleich 14 der 15 Sitze wurden von einer einzigen Partei gewonnen, die sich, ähnlich Fangesängen im Sport, "Sarauj Latgale!" (abgeleitet von "saraut" = zerreißen, sich ins Zeug legen) nennt, erst 2024 gegründet wurde, und sich vor allem an der Führungsfigur von Andrejs Elksniņš orientiert, dem amtierenden Bürgermeister von Daugavpils

Weniger Harmonie 

Die Figur von Elksniņš könnte auch symbolisch für einen anderen Trend stehen. Früher war die Partei "Saskaņa" einmal sehr prägend für die lettische Parteienlandschaft. Bei vielen Wahlen hieß es immer, genau diese Partei stünde für die "Interessen der russischsprachigen Minderheit". Noch 2018 kommentierte die deutschsprachige Presse lettische Wahlergebnisse so: "Trotz Politikverdrossenheit reicht es nicht für prorussischen Premier", und im Text war von einer 'russlandfreundlichen Partei 'Harmonie' " die Rede (so wurde das lettische Wort "Saskaņa" übersetzt / Tageblatt). Die "Süddeutsche" titelte damals: "Harmonie soll nicht im Spiel sein." - Dann kam der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Bei den Parlamentswahlen 2022 stürzte die "Saskaņa" auf 4,81% ab. Zwar wurden bei den Europawahlen 2024 noch 7,13% erreicht, das lag aber wohl am langjähigen Rigaer Bürgermeister und Spitzenkandidaten Nils Ušakovs, der nun als einer von neun lettischen Abgeordneten im Europaparlament sitzt. Es folgte nun aktuell wieder eine Niederlage in Riga: mit 3,45% erneut unter der 5%-Hürde. Manche Analysten schrieben diesen Absturz der Tatsache zu - abgesehen von vielen Personalquerelen nach dem Abgang von Ušakovs - dass sich führende Saskaņa-Mitglieder klar geäußert hatten und Russlands Vorgehen in der Ukraine klar verurteilt hatten. "Die Saskaņa wird europäischer, oder gar nicht mehr sein", schrieb Ušakovs im Dezember 2022 (lsm). Die früher so klare Fraktion der "Russischsprachigen" hat sich jetzt also auf mehrere andere Parteien aufgeplittert. 

Auch Andrejs Elksniņš war lange Jahre Mitglied der "Saskaņa". Sein Argument beim Austritt: eine führende Elite im Staat ignoriere die regionalen Interessen in Latgale (delfi). Sein Erdrutschsieg ist also irgendwie auch eine Aussage, besonders in einer Stadt mit einem starken Übergewicht russischsprechender Einwohner/innen: alles, nur nicht "Harmonie". Von Elksniņš sind keinerlei Aussagen zugunsten der Ukraine bekannt. Die pro-russische Seite reklamiert für sich, dass in Daugavpils 95% der Einwohner/innen fließend Russisch sprechen. Offiziellen lettischen Statistiken zufolge macht der Anteil der Russen in Daugavpils nur 46% aus (dazu 21% Lettinnen und Letten). Warum? Es werden auch noch 13% Polnischsprechende gezählt. 

Riga zuerst

Nicht sehr erfreulich entwickelte sich die Wahlbeteiligung in der lettischen Hauptstadt:  nur 52,91% der wahlberechtigten Einwohnerinnen und Einwohner beteiligten sich. Das ist in etwa dasselbe Niveau wie bei den Kommunalwahlen des Jahres 2001 (52,87%), aber weniger als bei allen Wahlen seitdem (2001 = 60,85%, 2009 = 58,93%, 2013 = 55,55%, 2017 = 58,72%). Nur im Jahr 2020, als in Riga vorgezogene Wahlen stattfanden, waren nur 40,58% dabei. Den Wahlkampf hatte vor allem "Lettland zuerst" ("Latvija pirmajā vietā") mit provozierenden Aussagen dominiert, ebenfalls mit einer in vielen politischen Farben schillernden männlichen "Führerfigur": Ainārs Šlesers. Während dieser es offen ließ, ob er mit den beiden zumindest teilweise Putin-freundlichen und eher antieuropäischen Parteien "Stabilitātei" ("für Stabilität") und "Suverēna vara, apvienība Jaunlatvieši" ("Souveräne Macht, Vereinigung Jungletten") zusammenarbeiten wolle, haben sich inzwischen die vier Parteien im Rigaer Stadtradt zusammengetan, die sich für "an lettischen Interessen orientiert" halten. 

Inzwischen verhandelt Viesturs Kleinbergs, Bürgermeisterkandidat der "Progressiven" ("Progresīvie", 11 Sitze im Stadtrat), mit drei anderen Parteien über eine Koalitionsbildungmit "Jauna Vienotība", die Partei von Ministerpräsidentin Evika Siliņa, mit 9 der insgesamt 60 Sitze im Stadtrat, der "Vereinigten Liste" ("Apvienotais saraksts", bestehend aus Grüner Partei, Regionalpartei und Liepaja Partei) mit 4 Sitzen, und die "Nationale Vereinigung" ("Nacionālā apvienība 'Visu Latvijai!'/ 'Tēvzemei un Brīvībai/LNNK'") mit 10 Sitzen. Aber unter diesen Parteien gibt es leicht sichtbare ideologische Gegensätze, nicht selten werden zum Beispiel die eher links orientieren "Progressiven" von den "Nationalen" als "Neo-Kommunisten" bezeichnet. Und schon als Ergebnis der Kommunalwahlen 2020 wurde mit Martiņš Staķis ein Vertreter der Progressiven (damals in gemeinsamer Liste mit "Attīstībai/Par!" und einem Wahlergebnis von 26,14% und 18 Sitzen) zum Bürgermeister Rigas gewählt; er trat im Juli 2023 nach internen Streitigkeiten der regierenden Koalition zurück. Da lautet das aktuelle Motto für das potentielle Viererbündnis: Lieber nicht zurück schauen. 

Rücktrittswelle 

In Lettland stehen nun zunächst einmal die Mitsommerfeiern an - vorher wird es ganz gewiss noch keinen neuen Bürgermeister in Riga geben. Und gleich mehrfache Nachwirkungen hatten noch die peinlichen elektronischen Pannen am Wahlabend: es gab mehrere Rücktritte. Schon am 9. Juni wurde Jorens Liopa, bisher Chef der staatlichen Agentur für digitale Entwicklung (Valsts digitālās attīstības aģentūras VDAA) entlassen (lsm). Dann zog zwei Tage später die zuständige Ministerin Inga Bērziņa die Konsequenzen und trat ebenfalls zurück. (lsm) Und auch Landeswahlleiterin Kristīne Saulīte entschloss sich zum Rücktritt. (lsm) Interessante Wahlen also dennoch - wo viele danach strebten gewählt zu werden, und diejenigen, die es organisieren sollten, am Ende ohne Vertrauensbeweis dastehen. 

8. Juni 2025

Kommunale Nicht-Automaten

Eigentlich sollten ja bei den lettischen Kommunalwahlen am 7. Juni die neuen, einheitlich gestalteten Stimmzettel eine automatische Auszählung ermöglichen (siehe Beitrag) - aber das stellte sich als schwierig heraus. Schon am Wahlabend, kurz nach Schließung der Wahllokale, traten technische Schwierigkeiten auf und es musste vielfach zur Zählung per Hand übergegangen werden. Die lettische zentrale Wahlkommission (Centrālā vēlēšanu komisija CVK), musste zu einer eiligen Sondersitzung zusammenkommen. "Wir arbeiten jetzt nach Plan B", gab die neue CVK-Chefin Kristīne Saulīte zu (lsm)

Eigentlich sollte die neu geschaffene "Agentur zur digitalen Entwicklung" (Valsts digitālās attīstības aģentūra VDAA) die automatische Auszählung gewährleisten. Das Ergebnis aber war, dass in einzelnen Wahlbezirken die Wahlhelferinnen und Wahlhelfer schon nach Hause geschickt wurden, weil einfach die Scanner nicht funktionierten. Es dauerte eine Zeitlang bis entschieden wurde, den Auszählungszeitraum auf den Sonntagmorgen zu erweitern. Und VDAA-Chef Jorens Liopa, der für Journalisten nur mühsam telefonisch erreichbar war, musste zugeben, dass "Test und Anwendungspraxis sich offenbar unterscheiden". 

"Leider sind CVK und VDAA an der Organisation dieses Prozesses gescheitert", kommentierte Staatspräsident Rinkēvičs den Vorgang und kündigte an, auch der nationale Sicherheitsrat (Nacionāla drošības padome") werde sich auf seiner kommenden Sitzung mit dem Thema befassen. (LA)

6. Juni 2025

Rote Früchtchen

Lettlands Erdbeerhauptstadt 

Frühjahrszeit - Erdbeerzeit! Auch in Lettland sind Erdbeeren beliebt. Inzwischen gibt es 377 Betriebe, die auf insgesamt 365 ha Erdbeeren anbauen (andere Quellen sprechen auch von bis zu 5oo ha). Ein Drittel der Erdbeerbauern haben nur bis zu einem Hektar Fläche, die drei größten sind "Sprogas" in Alūksne, "Ūziņi" in Dobele, und vor allem "Mālpils ZemeNes" (IR)

"Erdbeeranbau - keine Arbeit, sondern unsere Lebensart" behauptet ausgerechnet "Mālpils ZemeNesder größte "Erdbeergigant" in Mālpils, einem Städtchen mit nur knapp 2.000 Einwohner/innen und stark rückläufiger Bevölkerungszahl. Der Ort bemüht sich offenbar um die Pflege von Mythen und Sagen. Zur Herkunft des Ortsnamens gibt es zwei Lager: die einen leiten es von der früheren deutschen Bezeichnung her: Lemburg (Lehm = māl, Burg = pils). Andere erkennen eher den Namen eines Stammeshäutlings der in alter Zeit hier siedelnden Liven: "Lembit" + "urga" (= "virsaiša upīte", "Flüsschen des Häuptlings"). 

Aufgefrischte Vergangenheit 

Der ehemalige Gutsherr Gustav Wilhelm von Taube (1715-1775) soll hier am Ort sehr streng mit den leibeigenen Bauern umgegangen sein (geschildert in der Lokalzeitung "Mālpils Vēstis"): um Teiche auszuheben, mussten alle, auch Frauen mit kleinen Kindern, mitarbeiten - und der Gutsherr habe mit einsatzbereiter Peitsche immer daneben gestanden. Da solche Verhältnisse manche an Sträflingsarbeit in Sibirien erinnerten, seien die Gutsgewässer auch "sibirische Teiche" genannt worden. Das Ergebnis wird heute von "Latvia Travel" als "romantischer Schlosspark im Barock-Stil mit Spazierwegen" beworben. 

Nachdem das eigentliche Gutshaus 1905 niedergebrannt worden war (nur einige Mauern blieben erhalten), wurde es im klassizistischen Stil nach Plänen des bekannten Architekten Wilhelm Bockslaff umgestaltet und wieder aufgebaut. Heute findet sich hier ein 2008 neu eingeweihtes und für 3 Millionen Euro zum Hotel ausgebautes Gutshaus ("Mālpils muiža"), das E-Bikes und Boote verleiht und sich anbietet, Hochzeiten und andere Familienfeiern dort auszurichten (building). Millionär Aldis Plaude schenkte das fertige Hotel 2008 seiner Tochter - die gleichzeitig Angestellte in Papas Immobilenunternehmen "Vestabalt" ist. "50km von Riga entfernt - das ist nah genug um hier mal für ein fantastisches Abendessen hinzufahren", hoffte die neue Chefin bei der Eröffnung (apollo). Von ursprünglich einmal 38 zum Gutshof gehörenden Gebäuden sind heute noch 18 erhalten. 

Erdbeer-Fest in Mālpils

Auch Käse wird in Mālpils hergestellt (Mālpils siers). Aber die  Mālpils-Erdbeerbauern steigen in den Wettbewerb um das "schönste Haus am Platze" ein und ernennen sich jetzt selbst zum "Zemeņu muiža" ("Erdbeerhof"). "Alles rund um die Erdbeere ist uns heilig", heißt es auf der Webseite. 

Anbauflächen wachsen 

Denn die Aussichten sind gut. Ginta und Andris Apsītis, Eigentümer von "Mālpils ZemeNes", arbeiten jetzt schon 30 Jahre mit Erdbeeren. Am Anfang habe man auch Getreide und Schweinezucht ausprobiert, heißt es, aber "Früchte bringen den meisten Gewinn" ("IR"). Nun wurde ein altes Schulgebäude im Ortsteil Sidgunda zum "Erdbeerzentrum" gemacht (ok, auch Quitten werden noch geerntet), und die Anbaufläche ist auf über 25ha angewachsen. Alle Erdbeeren wachsen auf offenem Feld - das macht es manchmal schwierig, mit Konkurrenzprodukten vor allem aus Polen und Griechenland mitzuhalten, berichten die Betreiber. Für 2025 zum Beispiel hieß es, viel Niederschlag habe einige Felder der Erdbeerbauern überschwemmt, so berichtet Agronom Guntars Dzērve der lettischen Presse (LA).

In Mālpils werden die ersten eigenen Erdbeeren rund um den 15. Juni erwartet. 150-200 Tonnen erntet der Betrieb des Ehepaars Apsītis pro Jahr. Erdbeeren werden in Lettland meist frisch gekauft, berichten sie. Erdbeer-Marmelade werde seltener gekauft, eher würden Verbraucher/innen die Beeren für den Winter einfrieren. "Letten sind große Erdbeerliebhaber!" freut sich der Firmenchef - die Nachfrage sei viel größer als das Angebot, daher werde auch so viel importiert. Die Pflanzen werden auch aus Deutschland gekauft, die meist angebauten Sorten seien Āzija, Sonsation oder Malvīne. 

Fehlende Arbeitskraft 

Eine immer wiederkehrende Schwierigkeit ist offenbar die Anwerbung von genügend Erntehelfern und anderen Mitarbeiter/innen - denn die Ernte dauere nur zwei Monate, aber alle suchen natürlich nach stabilen Einkünften das ganze Jahr über. Daher habe man auch schon in der Ukraine und in Kasachstan um Arbeitskräfte geworben. Gegenwärtig seien etwa die Hälfte der Arbeiter/innen Einheimische, die andere - dafür wird der Begriff verwendet, der in Deutschland inzwischen nur noch ungern angewandt wird: "viesstrādnieki" (Gastarbeiter). 

Bei "Augusta Zemenes", ebenfalls mit Sitz in Lettlands "Erdbeerhauptstadt" Mālpils, wird vor allem auf Werbung auf digitalem Wege gesetzt - mit selbstgedrehten Videos regelmäßig via "Facebook" und "Tiktok". (IR) Guntars Dzērve und seine Frau Iveta können inzwischen auf acht Jahre Erfahrung mit Erdbeeranbau zurückblicken. Beide haben auch ein Theraapiezentrum mit Pferden aufgebaut (Zirgu asistētas mācīšanās un terapijas centrs). Und so kommt es, dass sogar Touren "mit Pferden und Erdbeeren" angeboten werden. Dauer: 90 Minuten. "Wir lernen die Sprache der Pferde", heißt es hier, und als Zugabe gibt es "Geheimnisse der Erdbeerschule". 

Tagsüber um die 20 Grad, aber nachts nicht unter 10 Grad - dass seien ideale Bedingungen für den Erdbeeranbau in Lettland, so Guntars Dzērve. Er baut gerne die Sorten Favori, Murano und Aurora Karima an, die Setzlinge kommen immer im Frühjahr aus Deutschland und den Niederlanden. "Die Pflanzen überwintern hier nicht, das funktioniert nicht", meint er. 

Plan A, B und C 

Von 25 Arbeiterinnen und Arbeitern beim Erdbeerbauern "Lubeco" in Ārlava (zwischen Roja und Talsi) stammen 90% aus dem Ausland, aus Usbekistan und sogar aus Indien (IR) Und auch hier sind als zweite Frucht Quitten (lettisch "Cidonija") zu finden. Eigentlich wollten die Eigentümer auch hier nur einheimische Kräfte beschäftigen. "Aber dann hatten wir 4 ha, alles rot, und keinen der es erntet", berichten sie. (IR) Rumba, Sonata, Falco, Parlando und Opera sind hier die bevorzugten Erdbeersorten. Wie bei vielen anderen Betrieben auch, wird inzwischen nicht mehr auf offenen Feldern, sondern unter Plastikfolien angebaut (Tunnel). So können schon Ende Mai die ersten lettischen Erdbeeren verkauft werden. 2024 habe man die ersten eigenen Erdbeeren für 10 Euro pro Kilo verkaufen können. "Lubeco"-Dhef Dzintars Silgals konnte seine Erdbeeren auch schon in den lettischen Läden der "Lidl"-Kette platzieren. Er hatte es erst in der Forstwirtschaft, dann als IT-Spezialist bei "Samsung Baltic" versucht. Der Erdbeerbetrieb biete ihm aber nun die Möglichkeit, immer mit der Familie zusammen zu sein, meint er. 

"Und man braucht immer auch Plan B und Plan C für dieses Business," sagt er. Auch die Produktion von Säften und Sirup wird ins Auge gefasst, und auf abgeernteten Erdbeerfeldern wachsen hier Wassermelonen. "Wir werden dann sehen, was sich am meisten auszahlt", meint er. Seit 2020 hat sich in Lettland der durchschnittliche Verkaufspreis für das Kilo Erdbeeren fast verdoppelt. 

29. Mai 2025

Kein Zweifel

Das Team des Architekturbüros Zaiga Gaile
präsentiert das Modell ihres Projektes, so wie es
jetzt in Venedig ausgestellt wurde
"No Doubt About It" sang "Hot Chocolate" in den 1980igern. In dem Lied ist von anderen Lebensformen und einer Wolke aus weissen und grünen fliegenden Schiffen die Rede. - Ganz aktuell gibt es die "Zweifelsfreien" diesmal am Rande der 19. Architekturbiennale in Venedig als Diskussionsveranstaltung und Ausstellung: unter dem Titel "No doubt about it" stellt Kurator Vladimir Belogolovsky in der Magazzino Gallerie vom 8.Mai bis 23. November 2025 Architekturprojekte aus Armenien, Georgien, Polen, China, Deutschland und Lettland vor ("IR").

In Venedig mit dabei ist auch die lettische Architektin Zaiga Gaile - sie stellt ihre Entwürfe zur Restaurierung des früheren Haus der "Gesellschaft der Musse" in Riga vor, zuletzt bekannt als "Wagner-Saal" (vagneriga). An ihrer Seite - wie fast immer - Ex-Ministerpräsident Māris Gailis (youtube), der auch geschäftsführender Vorsitzender der "Richard-Wagner-Gesellschaft Riga" ist, vorgestellt als "erfahrener Immobilienentwickler und Unternehmer". (vagneriga, siehe auch: "Wagner-Dämmerung")

"Musse" ist kein Müßiggang 

Zu Zeiten Wagners gab es in dem Haus, das jetzt in der "Riharda-Vāgnera-iela" liegt, eine Bibliothek und einen Lesesaal, einen Tanzsaal, ein Damenlokal, einen Herrenclub und mehrere geräumige Salons.

Die Richard-Wagner-Gesellschaft Riga (RWGR) und das Architekturbüro Zaiga Gaile betonen, dass mit der Präsentation des Projekts in Venedig ein symbolischer Bogen gespannt wird – von Riga über Bayreuth nach Venedig und zurück. In Riga wirkte Richard Wagner 1837 bis 1839 als Kapellmeister am ersten Stadttheater. In Bayreuth baute Wagner 1876 sein eigenes Opernhaus, das die in Riga entwickelten Prinzipien umsetzte und bis heute jedes Jahr das renommierte Bayreuther Festspielhaus beherbergt. Und Venedig war der Ort, wo Wagner 1883 starb. - 2020 hatte die staatliche Immobilienverwaltung das historische Gebäude auf die Richard-Wagner-Gesellschaft Riga übertragen (NMZ). Im Mai 2023 konnte der Grundstein für das Projekt eines neuen "Wagner-Theaters" gelegt werden (richard-wagner.org

Ein Schicksalsschiff 

Im neu gestalteten Haus soll sogar ein Modell des Schiffs "Thetis" zu sehen sein, mit dem Wagner im Sommer 1839 von Pillau aus über Norwegen nach England floh - inklusive eines schweren Sturmes, der Wagner angeblich zu seiner Oper "der fliegende Holländer" inspirierte (siehe auch: Bayrischer Rundfunk). 

Es sei nicht ganz einfach gewesen, das Modell des Projektes nach Venedig zu transportieren, berichtet Zaiga Gaile. Schon aus dem eigenen Architekturbüro in Riga musste es auf dem Fenster mit Seilwinden nach draußen gehoben werden. In Venedig kam das Ehepaar Gaile mit der kostbaren Fracht per Schiff an - allerdings nicht ohne Verluste. Alles war sorgsam in Luftpolsterfolie eingepackt worden, aber das winzige Modell der "Thetis" wurde, in Folie verborgen, beim Auspacken von einem Arbeiter versehentlich weggeworfen. "Armer fliegender Holländer!" kommentiert Māris Gailis, der ja selbst mit seiner Yacht "Milda" auch schon eine Weltumseglung unternommen hatte. (filmas / Dienas bizness)

20 Millionen Euro sollen bisher an Spenden gesammelt worden sein, um das Projekt des neuen "Wagner-Konzerthauses" fertigzustellen. Fünf Millionen Euro kommen von deutscher Seite dazu (siehe Beitrag). Allerdings werden die Gesamtkosten inzwischen nicht mehr auf 40, sondern bereits auf 47 Millionen Euro veranschlagt - mehr, als die kürzlich fertiggestellte Modernisierung des Gebäudes für das Neue Rigaer Theater (Jaunais Rīgas teātris). Es ist vorgesehen, dass nach Fertigstellung auch das Orchester der Kremerata Baltica hier beheimatet sein soll. ("IR"). Bisher ist eine Fertigstellung innerhalb von 10 Jahren vertraglich festgelegt, wird das nicht erreicht, könnte das Haus wieder für andere Zwecke vorgesehen werden. "Aber im schlimmsten Fall, wenn es dann auch nicht ganz fertig sein sollte - es wird dann so aussehen, dass niemand es so leicht zu einem Casino oder Hotel umwandeln kann!" Davon ist das Ehepaar Gailis überzeugt. Bisher ist eine Eröffnung für 2028 vorgesehen - ein künstlerischer Leiter / eine Leiterin wird noch gesucht.  

12. Mai 2025

Baumaschinen oder Fahrradwege?

Die Kommunalwahlen in Lettland stehen Anfang Juni bevor, und wie immer wird mit besonderem Interesse verfolgt, welches Ergebnis wohl in der lettischen Hauptstadt zu erwarten ist. 

Rote Linien 

Die Berichterstattung der lettischen Presse betont die Abgrenzungen im Wahlkampf: welche Partei möchte mit wem zusammenarbeiten, und mit wem lieber nicht. "Jaunā Vienotība" (JV), die Partei von Ministerpräsidentin Siliņa, nennt zwei durchaus sehr unterschiedliche mögliche Partner für den künftigen Stadtrat von Riga: entweder die "Nationale Vereinigung" (NA), oder die "Progressiven" (Progresīvie). "Wir müssen Riga vor den Kreml-Propagandisten schützen" meint der amtierende Bürgermeister Vilnis Ķirsis (lsm). 

Fast jedem eine eigene Partei

Die gegenwärtig im Stadtrat Riga (60 Sitze) regierende Koalition wird aus ziemlich vielen Einzelgruppierungen gebildet: außer der JV sind das die Gruppe "Kods Rīgai", die Parteien "Gods kalpot Rīgai", "Latvijas attīstībai", und "Latvijas Reģionu apvienība", letztere bildet mit der NA eine Fraktion im Stadtrat. Dazu Einzelpersonen, die vorher mit ihrer Gruppierung "Kustība "Par!" eine Fraktion mit den Progressiven bildeten, nun aber mit der Regierungskoalition stimmen.

Mal eine ganz neue Art von Demo in Riga:
der Bürgermeister zieht mit Parteifreund/innen
durch die Altstadt und preist seine eigenen
vermeintlichen Errungenschaften
Da fällt es sicher vielen Wählerinnen und Wählern nicht leicht, überhaupt nachzuvollziehen, welche Person gerade zu welcher Partei gehört. Vize-Bürgermeisterin Linda Ozola zum Beispiel war bei den Wahlen 2020 Spitzenkandidatin der Neuen Konservativen Partei (tvnet), trat dort 2023 aus (delfi), schloss sich der Fraktion "Kods Rigai" an, und startet nun 2025 aber auf der Liste der "Jauna Vienotība". 

Der Vielversprecher

Aus vielen Parteiprogrammen lassen sich kaum konkrete Ziele für Riga herauslesen. Bei der NA vielleicht eine bevorzugte Bereitstellung von Wohnungen für Familien mit Kindern. Das ist bei Ainārs Šlesers durchaus anders. Früher einmal "Bulldozer" genannt, ist sein momentanes Parteienprojekt zwar nicht sein erstes - mit seiner "Ersten Partei" bestimmte er schon zwischen 2007 und 2011 die politischen Schlagzeilen, 1998 war er Mitgründer der "Neuen Partei", die sich 2001 zunächst in "Neue Christliche Partei" und dann in "Erste Partei" ("Pirma Partija") umbenannte. Sein momentanes Ego-Projekt ist "Lettland zuerst" ("Latvija pirmajā vietā" LPV), wurde 2021 gegründet, stellt wieder einmal seine eigene Person in den Mittelpunkt und trat gleich mal als entschiedene Impfgegner und Verteidiger "wahrer Familien" in Erscheinung. 

Eines habe die genannten Parteien gemeinsam: es ist immer irgendwie von „Šlesers Partei“ die Rede. Geboren als Ainārs Leščinskis nahm der mehrfache Parteiführer 1992 den Nachnamen seiner Frau an (Inese Šlesere, 1991 "Miss Lettland"). Als Geschäftsmann öffnete Šlesers einst norwegischen Firmen den Zugang zum lettischen Markt und wurde dafür sicherlich reichlich entlohnt - heute ist er Millionär, niemand fragt mehr danach wie er sein Geld verdient hat. Er war auch an der Entwicklung verschiedener Einkaufszentren und Hotels in Riga beteiligt. Als Verkehrsminister war er einst in den Korruptionsskandal um "Jūrmalgate" verwickelt (jauns / IR / ), und 2011 beantragte Präsident Valdis Zatlers beim Verfassungsgericht die Auflösung des Parlaments, da dieses sich geweigert hatte die Immunität des Abgeordneten Ainārs Šlesers aufzuheben, gegen den wegen Korruption ermittelt werden sollte. Resultat: Neuwahlen, bei denen der "Oligarchenblock" (Latvijas Pirma Partija / Latvijas Celš LPP/LC) mit 2,42% weit unter der 5%-Grenze blieb - obwohl Šlesers seine Partei schnell noch in "Šlesera Reformu partija" (Šlesers Reform Partei) umbenannt hatte.

Der größte Ärger: die Fahrradwege? 

Das kleinmütige Riga kann kaum je so groß
werden, wie Meister Šlesers selber, scheint
dieser Wahlslogan zu sagen
Aber auch in der - gefühlt - fünfundzwanzigsten Auflage verkündet Šlesers wie gewohnt "Wohltaten". Bei der LPV wird gleich ein ganzes Füllhorn von Versprechungen ausgeschüttet, und für jede und jeden scheint etwas dabei zu sein: "Gedeiht Riga, so gedeiht auch Lettland" (zu übersetzen wohl als "Ökonomie, Ökonomie, Investoren"), für den Bau eines neuen Konzertsaals und eines Museums für moderne Kunst, 200 Euro für alle als Unterstützung für Medikamente, 2000 Euro für jedes neugeborene Kind, und sogar für kostenlosen öffentlichen Nahverkehr in Riga (das war vor einign Jahren nur von den "Progressiven" zu hören). Darüber hinaus auch kostenlose Mittagessen in den Schulen bis zur 9.Klasse, Verringerung der Beamtenzahl um 30%, Steuererleichterungen für Immobilienbesitzer, Sitzbänke für Rentner und Spielplätze für Kinder. Renovierung aller Brücken und, erstaunlich: alle Fahrradwege sollen abgeschafft werden mit dem Argument, diese abgegrenzten Streifen würde ja im Winter sowieso nicht gebraucht. 

Demgegenüber klingen die Sprüche der anderen Parteien fast langweilig: "Sicherheit, Verantwortung, Ordnung" (JV). "Sicherer und menschenfreundlicher Stadtverkehr" (Progressive) Dem entsprechend ist es vielleicht kein Wunder, dass Šlesers mit seiner LPV inzwischen die Umfragen anführt - allerdings mit einer Zustimmung von 8,6% der Befragten auf einem sehr niedrigen Niveau. Auch wenige Wochen vor der Wahl wissen noch 33,1% nicht, was sie wählen sollen, und zusätzliche 14,5% sagen gar nicht teilnehmen zu wollen. (lsm)

Aufsuchende Urnenmobilität

Auf dem Lande herrscht offenbar größere Unsicherheit über die Wahlbeteiligung - bei den vorangegangenen Wahlen sollen sich in einigen Wahlbezirken weniger als 100 Menschen beteiligt haben. Zum ersten Mal wird es "fahrende Wahllokale" geben - es werden Busse mit Wahlurnen eingesetzt, und zwar voraussichtlich in Alūksne, Dobele, Jelgava, Olaine, Smiltene und in Rēzekne. Es werde zu bestimmten Zeiten Haltepunkte an Supermärkten, an Bahnhöfen oder Schulen geben, heißt es. (lsm)

20. April 2025

Lokales auch aus der Ferne

Schon seit dem 15. April laufen in Lettland Kommunalwahlen - denn seit diesem Tage ist die Stimmabgabe per Post möglich. Der eigentliche Wahltag wird dann der 7. Juni 2025 sein. Aber auch der Teil des Wahlprozesses, der in Deutschland immer noch gern "Briefwahl" genannt wird, geschieht jetzt auf neue Art und Weise in Lettland: mit elektronischen Hilfsmitteln.

Über das zentrale Portal "Latvija" kann registrierten Bürgerinnen und Bürgern auch im Ausland die Teilnahme an der Wahl bequem ermöglicht werden. Es gibt drei Wege: eID, eIDMobile, oder SmartID. Das Ganze nennt sich dann "Voter Data Management". Seit 2019 gibt es einen elektronischen Identitätsnachweis, die "eID-Karte" (deutsche Info / lettische Info), und es gibt ausführliche Hinweise, wie der eigene PC auf die Nutzung der eID-Karte vorzubereiten ist.

Wählen am Aufenthaltsort

So vorbereitet, kann es dann losgehen: Lettische Wahlberechtigte können nun ihre Wahlunterlagen elektronisch bestellen und selbst ausdrucken. Eben dies ist nun ab dem 15.4. möglich, und sollte rechtzeitig geschehen - denn "Wahlteilnahme per Post" heißt immer noch: entscheidend ist der Brief, der an die lettische Behörde zurückgeschickt wird und bis zum 7.Juni 20:00 Uhr angekommen ist. Ob der oder die Wahlberechtigte seine Wahlentscheidung allein, oder im Beisein anderer trifft, wird hier beim Wählen aus der Ferne nicht mehr kontrolliert.  

Zumindest wird dabei etwas Papier gespart. In Lettland funktioniert der Wahlvorgang so: in Riga zum Beispiel kandidieren 16 verschiedene Wahllisten. In einem Wahllokal bekommt der / die Wahlberechtigen dann alle 16 Listen auf Papier in die Hand gedrückt. Nur die favorisierte Parteiliste wird dabei (unbeobachtet, in der Wahlkabine) zum Wählen genutzt: noch dazu kann bei jedem Kandidat oder jeder Kandidatin Pro oder Contra ausgedrückt werden, und so gewinnt am Ende der/die Kandidatin der gewählten Partei mit der meisten Zustimmung. Und nur dieser eine Wahlzettel (diese eine Parteiliste) wird mit in den Umschlag gelegt - die anderen 15 müssten aber vernichtet werden.

Möglichst automatisch

Auch die Auszählung der Ergebnisse wird diesmal anders: 1078 Scanner wurden von der zentralen Wahlbehörde (CVK) angeschafft, um eine automatische Zählung der Ergebnisse möglich zu machen. Vorher war das Design dieser Wahlzettel noch vereinheitlicht worden (siehe Beitrag). Damit sei auch entschieden, dass dieselbe Art von Wahlzetteln auch bei der kommenden Parlamentswahl 2026 und der Europawahl 2029 verwendet werden wird. Die Stimmenzählung solle so automatisch wie möglich ablaufen, dabei die Arbeit im Wahllokal erleichtert und die Stimmauszählung transparent gestaltet werden, so meint CVK-Chefin Kristīne Saulīte. (lsm)

Mobil oder immobil

Innerhalb Lettlands ist eine Wahlteilnahme per Post nicht möglich. Warum können Lettinnen und Letten, die im Ausland leben, überhaupt an Regionalwahlen teilnehmen - wenn sie doch ganz woanders leben? Bedingung ist ein Mindestalter von 18 Jahren und die lettische Staatsbürgerschaft. Wer mindestens 90 Tage vor dem Wahltag in einem Ort in Lettland registriert ist, oder dort Immobilien besitzt, ist wahlberechtigt. Wer in einem Ort Immobilien besitzt und dort wählen möchte, muss dass frühestens 90 Tage und spätestens 9 Tage vor der Wahl beantragen. (cvk)

Insgesamt stehen bei den Kommunalwahlen in Lettland 5936 Personen auf 340 verschiedenen Parteilisten zur Wahl. 731 Personen werden einen Platz in einem der Kommunalparlamente einnehmen können. Etwa 40 Kandidatinnen und Kandidaten würden gegenwärtig noch überprüft, berichtet "LSM", sie seien in Gerichtsprozesse und Strafverfahren verwickelt.