Für den Einkauf der grau-braunen Köstlichkeit, die gern zusammen mit fettem Speck zubereitet wird, gibt es sogar Ratschläge von fachlicher Seite. Die populärste Sorte sei gegenwärtig "Retrija", meint das landwirtschaftliche lnstitut im nordlettischen Priekuli. Braun marmoriert, mit rauer Oberfläche und einem Gewicht von etwa 360 Gramm auf 1000 Stück, das sind die Sortenkennzeichen. Vor einigen Jahren waren vom selben Institut sogar Pressemitteilungen zu lesen, dass vor Weihnachten keine grauen Erbsen mehr für Kurzentschlossene angeboten werden konnten. "Ausverkauft - unsere neue Defizitware" - hieß es da in Anspielung auf gruselige Sowjetzeiten. Agronomin Aija Bērziņa musste damals, im Jahr 2007, den geringen Ernteertrag mit einem ungewöhnlich trockenen und heißen Sommer in Lettland erklären. "Wenn auf jeder Pflanze nur zwei, drei Erbsen zu finden sind, und wir von 10 Hektar nur 3 Tonnen Erbsen ernten, dann ist das einfach zu wenig, denn zwei Drittel der Ernte müssen wir als Samen wieder vorhalten," so die Einschätzung der Fachfrau damals.
Klimaerwärmung erkennbar an lettischen Nationalspeisen? Vielleicht. Damals waren noch hauptsächlich Sorten wie "Vitra", "Bruno" und "Selga" in Gebrauch. "Retrija" dagegen, mit besonders großen Erbsen, wurde speziell für die traditionellen Weihnachtsgerichte gezüchtet.
Zusammen mit den "grauen Erbsen" ganz oben auf der Liste der "lettischen Spezialitäten" - auch wenn sie hauptsächlich in Kurland angeboten werden: handtellergroße "Sklandrauši" |
Lettische graue Erbsen, so argumentieren die lettischen Liebhaber, enthalten neben den für die Verdauung wertvollen Ballaststoffen auch Antioxidantien und viele Vitamine. Aber im deutschen Sprachraum scheint sich ihre Beliebtheit in Lettland noch nicht ganz herumgesprochen zu haben; während viele lettische Zeitschriften regelmäßig Geschichten rund um die Verwendung der grauen Erbsen schon bei den "alten Letten" kümmern (nicht umsonst habe man früher von einem typischen strapazierfähigen "Bauernmagen" gesprochen), sind in Deutschland - wenn überhaupt - ganz andere Geschichten zu lesen.
Rund um Elmshorn (bei Hamburg) seien zum Beispiel die "grauen Erbsen" ein traditionelles "Faschingsdienstags-Gericht". Geht man der Entstehung der dazugehörigen Legende nach, so stammte diese angeblich aus Zeiten der Belagerung der Stadt im Dreißigjährigen Krieg. Zufällig habe man damals ein paar Säcke mit Grauen Erbsen gefunden, und so seien die Stadtbewohner vor einer Hungersnot gerettet worden. - Puuhh - da mögen ja die Letten aufatmen: selbst wenn diese Geschichte wahr wäre, erstens sind die lettischen Gebräuche viel älter und heute noch allgegenwärtiger, zweitens hätte ja vielleicht sogar eine lettische Lieferung dieser Spezialität die Elmshorner damals gerettet haben können ... wer weiß.
Anders liegt die Sachlage im Falle der Friesen. Hier stammen die Traditionen ebenfalls aus sehr alter Zeit, und da aus der Zeit vor dem 13.Jahrhundert (als Städte wie Riga gegründet wurden und sich dann die Hanse entwickelte) auch Geschichten sowohl von friesischen wie auch kurischen Seeräubern bekannt sind, die beide Graue Erbsen mit sich geführt haben sollen, könnte auch dieser kulinarische Kulturaustausch damals zustande gekommen sein. Aber auch hier gibt es offenbar informellen Nachholbedarf: so ist im Portal "Ostfriesland-direkt" die Vermutung nachzulesen, graue Erbsen seien "angeblich nur in Ostfriesland erhältlich". Nun ja, es ist beim dort wiedergegebenen Rezept leider nicht ergründlich, welche Sorte verwendet wurde oder empfohlen wird, aber sollten die heutigen Friesen mal Urlaub in Lettland machen, so wären sie diesem Portal zufolge dann schon beim bloßen Vorhandensein der grau-braunen Köstlichkeiten glücklich zu machen, während der Lette noch stolz die Unterschiede verschiedener Sorten dekliniert. Auf "Ostfriesland-Treff-de" sind tatsächlich Rezepte zu finden wo graue Erbsen, Speck und Zwiebeln zusammenkommen, aber auch noch Porree und Möhren dazu. Vielleicht ein möglicher fruchtbarer (und schmachhafter) Zweig zukünftigen Kulturaustausches?
Einige Erfahrungen mit deutschen Gästen scheinen wohlmeinende lettische Gastgeber jedoch bereits gemacht zu haben. "Als ich Gäste aus Deutschland hatte," erzählt die ebenfalls in Priekuli befragte Fachfrau Aina Kokare der lettischen Zeitschrift "IR", "da haben sie über mich gelacht, als ich graue Erbsen anbot. Das würden sie nur als Tierfutter kennen, meinten sie." Kokare schließt daraus: So hoch wie in Lettland würden die grauen Erbsen wohl nirgendwo geehrt. Wo sich graue Erbsen finden, da seien bestimmt auch Letten in der Nähe!
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