Inzwischen hat auch das lettische Parlament bereits diese Frage diskutiert (lsm). Für eine Verfassungsänderung votierten 47 Abgeordnete, 25 dagegen. 7 waren nicht anwesend, und 21 stimmten nicht mit ab - was im lettischen Parlament möglich ist; von der Fraktion "Saskaņa" stimmten überhaupt nur drei der 19 Abgeordneten ab. Das sieht alles vorerst nach einer ordentlichen Portion Parteitaktik aus. Nun wird in den Parlamentsausschüssen weiter diskutiert. Ministerpräsident Krišjānis Kariņš hatte sich gegen Verfassungsänderungen ausgesprochen - vor allem mit dem Argument, es gäbe momentan viele wesentlich wichtigere Themen in Lettland.
Das lettische Verfassungsgericht bei seiner ersten Sitzung am 28.4.1997 (Foto: Blumbergs) |
Seit dem 6. Mai 2020 wird das lettische Verfassungsgericht von zwei Frauen geleitet: von Ineta Ziemele als Vorsitzende und Sanita Osipova als Stellvertreterin. Ziemele wechselte im Oktober 2020 an den Europäischen Gerichtshof - also wurde Osipova inzwischen neue Vorsitzende.
Noch nie sei die Unabhängigkeit der lettische Gerichtsbarkeit so gesichert gewesen wie momentan, meint aber Osipova in einem Interview mit der Zeitschrift "IR". Osipova, die ihre Dissertation zum Lübecker Stadtrecht schrieb und neben einer Professur an der Lettischen Universität auch schon eine Gastprofessiur in Münster wahrnahm (Lettische Presseschau / Diena), wurde kürzlich von der "Europäischen Bewegung Lettlands ("Eiropas kustība Latvijā") zur "Europäerin des Jahres 2020" gewählt (bnn). "Lettland braucht eine Kultur der Toleranz, wo die Menschenwürde für alle gleich gilt", so formulierte Osipova es in der Zeitschrift "Jurista Vārds".
Es gibt auch nicht nur die Fürsprecher der Ausschließlichkeit der traditionellen Ehen. Auf dem Portal "ManaBalss" (Meine Stimme) sammeln sich im Moment die Befürworter eines Vorschlags, der Gesetzgeber möge jede Form des Zusammenlebens als gleichwertig anerkennen. "Eine Heirat wird in der lettischen Gesellschaft nicht mehr als einzige Form einer Familie angesehen", so steht es dort zu lesen, und inzwischen gibt es über 20.000 Unterschriften dafür. Dahinter steckt der Verein "Dzīvesbiedri" (Lebenspartner), "Mozaika", und Aktivisten wie Kaspars Zālītis. Auch eine Eingabe an das Parlament gegen eine Verfassungsänderung wurde hier bereits erarbeitet (delfi).
In Lettland kamen 2019 insgesamt 18786 Kinder zur Welt (csb). Davon wurden 61,6% von verheirateten Paaren geboren. "Die häufigste Form der Familie in Lettland ist die einer alleinerziehenden Person mit einem oder mehr minderjährigen Kindern", so stellt es das Lettische Statistikamt für 2020 fest. 23,6% aller als Familien erfasste Lebensgemeinschaften sind solche Haushalte von Alleinerziehenden, gefolgt von 22,3% Paare ohne Kinder. Nur 16,2% sind verheiratete Paare mit Kindern. Seit 2011 habe sich die Anzahl der Haushalte speziell mit allein lebenden Frauen mit Kindern erheblich gesteigert, und dazu gäbe es klare Gründe: zum einen weise Lettland eine der höchsten Scheidungsraten in der gesamten Europäischen Union auf (3,1 pro 1000 Einwohner). Zum anderen würden etwa 40% aller Kinder außerehelich geboren. Und dazu kommt noch, dass die Statistik diejenigen Familien, wo einer der Elternteile dauerhaft im Ausland wohnt, eben als Haushalt von Alleinerziehenden zählt.
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