Bisher 54 Tote (bis 23.11. abends) wurden geborgen unter dem eingestürzten Supermarkt im Ortsteil Zolitūdē in Riga. Das Unglück ereignete sich bereits Donnerstag abend (21.11.) gegen 18 Uhr, seitdem dauern die Rettungsmaßnahmen immer noch an. Heute liegt dichter Nebel über der Stadt, daher bietet die Stadt eine teilweise gespenstische Szenerie. 40 Personen wurden bis zum Nachmittag von den Rettungskräften unter den Trümmern lebend geborgen. Heute morgen wurde ein Notruftelefon eingerichtet, wo Angehörige sich nach dem Gesundheitszustand der Verletzten erkundigen können. Regierungschef Dombrovskis hat bereits angekündigt, dass angesichts der Schwere des Unglücks und der hohen Zahl der Opfer die folgenden drei Tage - der 23., 24. und 25.November - zu nationalen Trauertagen erklärt werden.
Bei den Rettungsmaßnahmen kamen auch drei Feuerwehrleute ums Leben (siehe
lettischer Rettungsdienst VUGD, auch Bericht bei "
IR").
 |
Trauer auch auf der Internetseite des MAXIMA-Konerns: "Eine Tragödie ist geschehen.
Das ist ein Unglück für uns alle. Allen zu Tode gekommenen Mitarbeitern und Besuchern
unseres Marktes und deren Familien möchten wir unser tiefempfundenes Beileid ausdrücken,
wie auch den Verletzten und ihren Angehörigen. "MAXIMA" wird alles tun, was in unseren
Kräften steht, um den Betroffenen des Unglücks jegliche Art von Hilfe zukommen zu lassen." |
|
Die Tragödie um den eingestürzten Maxima-Markt muss schon jetzt als die schlimmste in Lettland seit Wiedererlangung der Unabhängigkeit bezeichnet werden. In lettischen Medien sind heute Vergleiche mit dem Untergang der "Estonia" im Jahr 1993 zu lesen, denn unter den insgesamt 852 Opfern waren damals auch 23 lettische Staatsbürger, nur 6 konnten lebend gerettet werden konnten. Eine andere böse Erinnerung wird wachgerufen an den 23.Februar 2007, als ein Brand aufgrund defekter Elektroleitungen mitten im Winter 26 alten Menschen im Heim "Reģi" in Alsunga (Bezirk Kuldiga) den Tod brachte.
 |
So sah das Unglücksgebäude des 21.November 2013 aus der Sicht der Projektplaner aus |
Unter dem Eindruck der katastrophalen Nachrichten aus Riga reagierten bereits mehrere Verantwortliche in anderen lettischen Städten und wollen Neubauten nun verstärkt überprüfen lassen. "Die Ereignisse in Riga sind ein ernsthaftes Signal für alle lettischen Städte, und wir tuen unser Möglichstes,um Ähnliches bei uns zu vermeiden", so äußerte sich zum Beispiel Uldis Sesks, Bürgermeister von Liepaja. Er hatte die Baubehörden der Stadt angewiesen, alle öffentlichen Gebäude in denen sich täglich viele Menschen versammeln, gesondert zu überprüfen. Bei privaten Eigentümern sollen Informationen darüber abgefragt werden, welche Maßnahmen zum Gebäudeschutz getroffen wurden. Auch in Liepaja war bereits zweimal das Dach eines Supermarkts eingestürzt, allerdings in beiden Fällen wegen übergroßer Schneemassen.

In Salaspils soll ein kürzlich gebauter Supermarkt der Rimi-Kette nach dem Willen der Stadt ebenfalls erneut überprüft werden. Die Bauwut im Bereich des Lebensmittelhandels in Lettland drückte sich einerseits vor allem in der Konkurrenz zwischen Maxima (litauischer Betreiber) und RIMI (lettischer Betreiber, Investor ist die schwedische ICA-Gruppe) aus. Allein der Name "Supermarkt" reichte für die teilweise riesigen, weitläufigen und aufwändig gestalteten Anlagen schon nicht mehr aus: so wurde erst der "Lielveikals" erfunden ("Großladen?" / Kaufhaus), dann der "Hypermarkt" - mit noch größeren Parkplätzen, integrierten Spielplätzen für die Kinder, und natürlich einem breiten Angebot an Restaurants und Modeshops.
 |
"Leistungsbilanz" bei MAXIMA:
immer mehr "Hyper-Märkte" |
Im sowjetischen Lettland gab es außer dem früheren sowjetischen "Armeekaufhaus" in der Rigaer Altstadt, das bereits 1938 gebaut worden war, keine Kaufhäuser oder Supermärkte im "marktwirtschaftlichen" oder "kapitalistischen" Sinne (je nach Sichtweise). Die Bezeichnung "Universālveikals" führte hier aber gleich - mit dem Bezug auf das "Universum" oder das Universale - den großspurigsten verfügbaren Namen in die lettische Sprache ein. Heute wirkt die "Galerija Centrs" fast schon symphatisch altmodisch im Vergleich mit den großspurig angelegten Hallen an den Ausfallstraßen der lettischen Städte, mit dem aus alten Zeiten erhaltenen historischen Treppenhaus, und natürlich den baulichen Begrenzungen aufgrund der Altstadtlage.
Die Begründung des Supermarkt-Baubooms nimmt Maxima-Konkurrent RIMI für sich in Anspruch: 1997 eröffnete auf dem Gelände des DOLE-Markts der erste RIMI-Lebensmittelladen, so ist auf der
Firmenwebseite zu lesen, und damit sei die Tradition der "Lielveikals" in Lettland begründet worden. MAXIMA, 1992 in Vilnius gegründet, gilt heute mit seinen 500 Verkaufsstellen (141 in Lettland) als die größte Supermarktkette der baltischen Region, mit Niederlassungen auch in Bulgarien. Gemäß
firmeneigenen Statistiken besuchen 287.000 Kunden jeden Tag einen der MAXIMA-Märkte. Der MAXIMA-Umsatz in Lettland stieg 2012 gegenüber dem Vorjahr um 11,5% auf über 2 Milliarden Litas (vor Steuern), also etwa 580 Millionen Euro. Insgesamt 29.500 Angestellte sorgen für den Service in den MAXIMA-Märkten. Der eingestürzte Markt in Riga-Zolitūdē war 500qm groß und gehörte der MAXIMA-XX-Kategorie an.
 |
Der Einkaufsmarkt in der Priedaines iela 20: bisher Objekts des Eigenlobs bei der Baufirma RE&RE und der Homburg-UnternehmensGruppe |
In manchen Medien sind inzwischen Spekulationen zu lesen, auf dem Dach des betroffenen Einkaufsmarkts seien Arbeiten im Gang gewesen dort auf dem Dach einen Garten sogar mit Bäumen einzurichten, andere reden von Plänen für einen Kinderspielplatz. "Wir haben aber auch schon zwei Winter mit diesem Gebäude erlebt, und nichts deutete auf Probleme mit dem Dach hin", so sagt es Ivars Sergets, Eigentümer der SIA "HND Grupa", für zusammen mit dem Architekturbüro "
Kubs"den Bauentwurf des Gebäudes verantwortlichen Firma (siehe
NRA).In einer zweiten Baustufe wurde angrenzend noch ein 12-stöckiges modernes Wohnhaus gebaut werden (Infos siehe auch
a4d.lv)
Nach einem
Bericht der Zeitung "Dienas Bizness" wurden die Bauarbeiten an dem nun vom Einsturz betroffenen Markt im November 2011 beendet. Danach wird das Haus von der "Homburg"-Unternehmensgruppe betrieben und zusammen mit dem Baukonzern "RE&RE" gebaut und am 3.11.2011 eröffnet, mit dem Maxima-Markt als "Ankermieter". Die Suche nach Schuldigen wird sich also nicht auf den Maxima-Konzern allein beschränken können und dürfen. Damals, mitten in der Wirtschaftskrise, ließen sich die Bauverantwortlichen als Retter von Arbeitsplätzen feiern: "Die Homburg-Gruppe ist die einzige, die momentan überhaupt etwas baut!" so sagte es RE&RE-Generaldirketor Didzis Putniņš damals (siehe
riga24.lv). "SNC–Lavalin Homburg Property Management" ließ sich erst Anfang 2012 im Bereich des Gebäudemanagements in Lettland registrieren (siehe
db.lv)
Aktuellen lettischen Zeitungsmeldungen zufolge überließ die "Homburg"-Investitionsgesellschaft nach Fertigstellung des Maxima-Marktes die Bewirtschaftung einer erst im April 2012 neu gegründeten Firma namens "TINEO" - einer als SIA in Lettland registrierten "Gesellschaft mit beschränkter Haftung" (eine fast zynische Feststellung in diesem Zusammenhang). "Homburg" beschränkte sich fortan auf das benachbarte Wohnhaus, während über "TINEO" nachzulesen ist, dass sie sich als "Offshore" vollständig im Besitz einer auf Zypern registrierten Investitionsgesellschaft befinden soll; als alleiniger Vertretungsberechtigter ist ein litauischer Staatsbürger mit Wohnsitz in Vilnius angegeben: Robertas Vyšniauskas (siehe
lanida.lv). Ein maximal effektives Abschieben von Verantwortung, wie es scheint.
Eigentümer von "TINEO" - und damit auch dem betreffenden MAXIMA-Markt, soll Nerijus Numavičius sein, laut "
Baltic Business News" der "reichste Geschäftsmann Litauens", dem Hauptanteilseigner an "Vilniaus Prekyba" und damit auch am Maxima-Konzern.
Inzwischen wurde ebenfalls bekannt, dass bereits um 16.20 Uhr des Unglückstags, also knapp zwei Stunden vor dem Dacheinsturz, es einen Feueralarm im Gebäude gegeben habe. Gegenwärtig wird noch untersucht ob dies einen Zusammenhang mit der Einsturzursache hat. Das Wachpersonal hatte zunächst einen Feueralarm vermutet und das Gebäude und das Kellergeschoß entsprechend abgesucht; als nichts gefunden wurde, war das Gebäude wieder freigegeben worden.
 |
Werbesprüche der"SNC Lavalin": Günstiges Outsourcing von Arbeitskräften und ein neues Zauberwort: "redeployment" ... |
Bis heute präsentiert "
Re&Re" den Bau stolz als Unternehmensleistung auf der eigenen Webseite.Die Verwaltung des laufenden Betriebs des Gebäudes wurde demnach der kanadischen Firma "
SNC Lavalin" übergeben - also ein wahrhaft "internationales" Management.Da wird es viele Möglichkeiten geben, Gründe für die Einsturzkatastrophe zu finden: persönliche, aber auch strukturelle. Wer sich mit "SNC Lavalin" beschäftigt, findet zum Beispiel sehr schnell Korruptions-Vorwürfe, durch die das Image der Firma belastet sei (
CTV-News,
Eurosiareview).
Wer plant und entwirft also eigentlich die vielen schönen neuen "Paradiese" in Lettland? Ist es ein Lebenmittel-Konzern, der auf Eröffnungstermine und schickes, ausgefallenes und auffälliges Design drängt? Oder sind es Baukonzerne, Geldanlage- und Betreiberfirmen, die für die Investoren aus dem Ausland "kostensparendes Management" und "Umgruppierung der Angestellten" anbietet? Oder doch ein Einzelfall, mit allzu extravaganten Plänen auf dem Dach? Vielleicht wird - bei allem Unglück für die vielen Toten und Verletzten - manches davon jetzt doch deutlicher zu Tage treten. Wie man so schön sagt: "Muss denn erst etwas passieren ...?"