27. November 2013

Maxima-Leffekt

"Frage, mach Vorschläge, kommentiere!" Bis heute
morgen wollte Regierungschef Dombrovskis
sich noch auf diese Weise als starke, aber kritikbereite
Führungsfigur profilieren
Die Trauertage nach dem Supermarkt-Einsturz im Rigaer Ortsteil Zolitude sind gerade vergangen. Einige denken noch öffentlich über verschiedene Arten von Konsequenzen nach: es gibt Forderungen nach einem Boykott von Maxima-Märkten, oder genauer Kontrolle der Projekte besonders der Baufirma Re&Re, die angeblich schon im Oktober 2012 für einen Dacheinsturz beim ALFA-Supermarkt in Riga verantwortlich gewesen sein sollen (NRA).

Juris Pūce, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, trat in dieser Woche eilig zurück, angeblich um jeglichen Gerüchten vorzubeugen er könne Bestechungsgelder von Baufirmen genommen haben. Dies kam in Zusammenhang damit auf, dass seine Frau den Kulturverein "Ascendum" leitet, der in letzter Zeit vielfach Zuwendungen von verschiedenen lettischen Baufirmen bekommen haben soll (eine Spende in Höhe von 29.500 Lat ist im öffentlich einsehbaren Jahresbericht des Vereins ausgewiesen. Spender: Re&RE). Der Verein fördert unter anderem die Restaurierung des Rigaer Doms. "In diesem Moment bedarf es in Lettland wieder Vertrauen in die Regierung, keiner glaubt dass Amtspersonen auch Verantwortung übernehmen und zurücktreten. Gleichzeitig bin ich mir über die Ehrenhaftigkeit und Gesetzmäßigkeit aller meiner Handlungen bewusst. In Anerkennung der besonderen Situation in der sich Lettland gegenwärtig befindet, trete ich von meinem Amt zurück", so formulierte es Pūce.

Ministerpräsident Dombrovskis gibt nach
Gesprächen mit Präsident Bērziņš seinen Rücktritt
bekannt
Nichts aber war zu lesen von Vorwürfen an Ministerpräsident Dombrovskis (Partei "Vienotība") in diesem Zusammenhang. Der Rücktritt wird die meisten überrascht haben - nicht aber einige mögliche Gründe dafür. Einerseits sagt Dombrovskis, er übernehme die "politische Verantwortung" für die tragischen Ereignisse in Zolitude. Das klingt ehrenhaft, und entsprechend äußern sich auch heute verschiedene Kabinettsmitglieder. Andererseits sagt er, das Land brauche nun eine solide Mehrheit im Parlament, und äußerte gleichzeitig Dankbarkeit für das Vertrauen, das er während des schweren Weges durch die Wirtschaftskrise seitens des lettischen Volkes erfahren habe (seit März 2009 war er Ministerpräsident).
Dombrovskis hatte in den vergangenen Wochen zweimal Schwierigkeiten mit Ministern, die von der nationalistischen Regierungspartei "Visu Latvijai / Tevzemei un brivibai / LNNK" (Nacionālā apvienība / NA) gestellt wurden. Im Falle der ehemaligen Kulturministerin Jaunzeme-Grende sprach Dombrosvkis schließlich selbst ein Machtwort und empfahl ihr den Rücktritt (siehe auch Blogbeitrag) - neu ernannt wurde inzwischen Dace Melbārde. Als nächstes wurde der amtierende Justizminister Jānis Bordāns aus seiner eigenen Partei ausgeschlossen; aber in seinem Fall sah Dombrovskis dies nicht als Grund an ihn als Minister entlassen zu müssen. Von Bruch des Koalitionsvertrags war seitdem die Rede, auch von Gerüchten, die NA könne als Regierungspartei durch die "Zaļo un zemnieku savienība (ZZS)" (gemeinsame Liste der Grünen mit der Bauernvereinigung) abgelöst werden.

Nun also der Rücktritt (siehe Video). Jetzt kommen die Besonderheiten des lettischen politischen Systems in den Fokus. Dombrovskis Rücktritt bedeuten nicht gleichzeitig Neuwahlen: alles liegt in der Hand von Präsident Bērziņš. Falls er jemanden benennen kann, der oder die das Vertrauen einer Mehrheit des Parlaments gewinnt, dann wird mit den bestehenden Mehrheitsverhältnissen eine neue Regierung gebildet. Das könnte auch erneut Valdis Dombrovskis sein - aber dieser schloß es vor der Presse bereits aus dafür erneut zur Verfügung zu stehen.
Aus der Ecke der Nationalen Liste unter Raivis Dzintars, die einer Schwächung der eigenen Position in der nächsten Regierung vorbeugen muss, wird versucht die Aufmerksamkeit auf den Rigaer Bürgermeister zu lenken. Warum muss Dombrovskis zurücktreten, Ušakovs aber nicht?
Bürgermeister Ušakovs selbst kritisiert den Rücktritt des Regierungschefs. "Er läuft nur davon vor Problemen, die er zu lösen nicht bereit war," sagt er. "Es gibt genug zu tun gegenwärtig, von der Krise um 'Liepajas metalurgs' über die Euro-Einführung bis zum Streit um die Fluggesellschaft AIR BALTIC. Da will 'Vienotība' wohl ein paar Sympathiepunkte sammeln und bereitet sich schon mal auf die Wahlen des kommenden Jahres vor." (im Mai 2014 stehen die Europawahlen an, reguläre Parlamentswahlen würden 2015 stattfinden).

Andere scheinen ratlos, besonders Dombrovskis Parteifreunde. Der lettische EU-Kommisar Andris Piebalgs zeigte sich sogar "schockiert" von Dombrovskis Rücktritt: "der Unglücksfall war tragisch, drüber besteht kein Zweifel; ich sehe aber keinen hinreichenden Grund für Rücktritte auf Regierungsseite."
Präsident Andris Bērziņš sagte seinerseits zu, schon nächste Woche Gespräche zu einer neuen Regierungsbildung führen zu wollen, damit diese noch in diesem Jahr gebildet werden kann.

Nachtrag: lettischen Pressemeldungen zufolge beschloss am Donnerstag, 28.11. die Aktionärsversammlung des Maxima-Konzerns die Entlassung des bisherigen Vorstandsvorsitzenden von Maxima-Latvija, Gintaras Jasinskas.Am Tag zuvor hatte er in einem Interview noch den Rücktritt von Ministerpräsident Dombrovskis mit den Worten kommentiert: "Wer sich schuldig fühlt, tritt zurück."

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Die naechsten regulaeren Parlamentswahlen finden bereits im Herbst 2014 statt. Die Legislaturperiode der aktuellen Saeima betraegt nur 3 Jahre, da sie bei ausserordentlichen Parlamentswahlen gewaehlt wurde. Siehe Artikel 13 der lettischen Verfassung.

Albert Caspari hat gesagt…

Danke für die Anmerkung. Das stimmt, obwohl die zentralen Wahlkommission hat wohl noch keinen konkreten Wahltermin festgesetzt (siehe www.cvk.lv)

Anonym hat gesagt…

"On the first Saturday in October 2014 the next regular Saeima (Parliament) elections will be held in Latvia."

http://cvk.lv/pub/public/28334.html

Das ist dann der 4. Oktober 2014

Anonym hat gesagt…

Man nenne mir die parlamentarische Demokratie, in welcher der Rücktritt der Regierung automatisch zu Neuwahlen führt. Das ist ja auch in Deutschland nicht so.