14. Dezember 2012

Die Sache mit dem Geld

Euro ohne Krise - geht das? 
Innenpolitisch hat Lettland so manche aktuelle Fragen zu bewältigen: von der Bildungsreform über die nötigen Reformen im Gesundheitswesen bis hin zur Regionalpolitik. Nichts davon bringt die Regierung von Ministerpräsident Dombrovskis derzeit ernsthaft ins Wanken. Aber eine Frage spaltet doch die verschiedenen politischen Lager gleichermaßen und sorgt für Nervosität: Die Zustimmung zur Euroeinführung wie geplant am 1.Januar 2014 sinkt. Neueren Umfragen zufolge erwarten nur noch 20-25% der Bevölkerung dass es genau so umgesetzt werden wird.

Dombrovskis und seine Minister bemühen sich derzeit, den Übergang zum Euro als ganz normalen Teil der laufenden Wirtschafts- und Finanzpolitik darzustellen. Manches folgt dabei gewohnten Schablonen und Mechanismen: in vielen Fällen schaut Lettland eben doch neidisch auf den nördlichen Nachbarn Estland, und möchte am liebsten das, was die Esten heute tun, morgen im eigenen Lande auch zur Verfügung haben.
Andererseits folgt die Diskussion momentan auch den vielfältigen Medienschlagzeilen zum Thema Europa: gefühlt hat es seit dem Ausbruch der weltweiten Wirtschaftskrise 2008 kein Aufatmen mehr gegeben - Europa rutscht von einem Krisentreffen ins nächste. Von Lettinnen und Letten wurde abverlangt, kurzfiristig erhebliche Lohnkürzungen bis zu 25% hinzunehmen - und dies auch alles ganz "ordnungsgemäß" abzulaufen schien, während die Menschen in anderen Ländern wie Griechenland oder Spanien zu Zehntausenden protestierend auf die Straße gehen. Ob es nun lettischen Stolz hervorruft, dass Lettland inzwischen besonders von konservativen Wirtschaftsvertretern teilweise als "Vorbild für Europa" angesehen wird? Wohl nur unter denen, die finanziell selbst keine Sorgen haben.

Brüssel oder Moskau?
"Es ist eine Wahl zwischen Euro oder Rubel!" - behauptet die konservative Europaparlamentarierin Sandra Kalniete. Sie möchte gerne "mit an dem Tisch sitzen, wo die wichtigen Entscheidungen getroffen werden." Einige lettische Politiker fürchten also um ihren Einfluß in der Europapolitik (und drohen mal wieder mit wachsendem russischen Einfluß als angebliche Alternative). Kalniete weist darauf hin, als lettische Botschafterin in Frankreich die Zeit erlebt zu haben, als die Franzosen sich von ihrem Franc trennen mussten und nennt die Deutschen als Vorbild: "die hatten es am schwersten, denn wie für uns war die DM ein Symbol der wirtschaftlichen Erholung." Und für Aivars Endziņš, Chef des lettischen Verfassungsgerichts, ist die Sache sowieso klar: "Darüber haben wir ja schon abgestimmt, als wir uns für den EU-Beitritt entschieden haben," sagte er lettischen Journalisten. Wer behaupte, bei einer Euro-Einführung eine gute Begründung für eine Klage vor dem Verfassungsgericht zu haben, der gehe fehl.

Die Oppositionspartei "Saskaņas centrs" (SC) nutzt derweil das Euro-Thema auch für die Kommunalwahl: die steht im Frühsommer 2013 an, und SC-Spitzenkandidat ist Bürgermeister Ušakovs - mit guten Chancen auf Wiederwahl. Ob da der Vorschlag, gleichzeitig mit den Kommunalwahlen am 1.Juni ein Referendum zur Euro-Einführung durchführen zu wollen eigentlich ernst gemeint ist, oder nur die Wiederwahl zementieren soll, wird nur die als Russland-freundlich geltende Partei selbst wissen. Das Argument, Dombrovskis solle sich für die Euro-Einführung "das Mandat vom Volk" holen, klingt jedenfalls auch nicht ganz ehrlich: eine Einführung zum 1.1.14 würde wohl kompliziert werden wenn sie bis zum 1.Juni 2013 unsicher bleiben müsste. Und wie genau würde eine Frage beim Referendum lauten? Euro ja oder nein, oder mehrere "Wunschdaten" zur Auswahl stellen? Details dazu sind vorläufig der politischen Taktiererei überlassen. SC-Vertreter jedenfalls benutzen gegenwärtig gern den Begriff vom "Euro als Trojanischem Pferd".

Politisch für den Lats, privat lieber Devisen?
Eines scheint sicher: der Weg zur Euro-Einführung bedeutet momentan gleichzeitig eine weitere Zustimmung zur Regierungspolitik - denn Währungs- bzw. Wechselkursschwankungen gab es ja auch in den vergangenen Jahren nie, allzu fest war der Lat an den Euro gebunden. Gerüchte einer Abwertung des Lat, um heimische Finanzschwierigkeiten zu beheben, blieben nur Gerüchte: dem steht allein schon die Statistik entgegen, dass über 80% aller Kreditaufnahmen in Lettland sowieso in Euro laufen (siehe "IR" 12.12.).
Mehr Argumentationsschwierigkeiten haben da schon die lettischen Nationalisten auf der einen und die oppositionelle Bauernpartei auf der anderen Seite. Ganze fünf Stunden lang diskutierten Vertreter der nationalen Liste ("Visu Latvijai" / "Tēvzemei un Brīvībai/LNNK") in dieser Woche über dieses Thema. Den Lat nur aus nationaler Symbolik beizubehalten, dazu konnte sich aber zumindest die Parteiführung der Nationalisten doch nicht durchringen. Man wisse zwar, dass der Euro kein Wundermittel sei, aber die Angst vor einem auch international erkennbaren Kurswechsel ist auch hier größer als das eigentliche Vertrauen in den Euro.

Umfragen zum Thema Euro gibt es in Lettland gegenwärtig häufig, aber je nach Auftraggeber fallen auch die Ergebnisse aus. "Latvijas Fakti" weist im Auftrag der lettischen Nationalbank 59% Gegner einer Euro-Umstellung auf, während dem "DNB Barometer" zufolge 50% eine Euro-Einführung zumindest in den allernächsten Jahren befürworten. Das "DNB Barometer" fragte auch nach den größten Bedenken der Letten: an der Spitze steht hier die Angst vor steigender Inflation. In einem sind sich die Umfrageinstitute aber einig: gegenwärtig wirken sich auch scheinbare Kleinigkeiten stark auf die Stimmungstendenz aus. Die Agentur SKDS übersetzt die sinkende Zustimmungstendenz in Lettland in Zahlen: 2004 waren bei den SKDS-Umfragen noch 41,1% für den Euro, 2009 waren es noch 36,7%, Ende 2012 nur noch 23,1% die eine Euro-Umstellung bedingungslos befürworten. - Gleichzeitig meinen aber auch 44% (Umfrage Eurobarometer) der Letten, die Einführung des Euro habe das eigene Privatleben eher positiv beeinflußt.

Ein Beitrag der Zeitschrift "IR" schaut auch bei den Politikern genau hin: da in Lettland alle Politiker ihre privaten Rücklagen öffentlich angeben müssen, fällt es Pauls Raudzeps in der "IR" nicht schwer ein gespaltenes Verhältnis der meisten Oppositionspolitiker nachzuweisen. Seiner Untersuchung zufolge gipfelt es beim SC-Abgeordneten Igors Meļņikovs, der in seiner Steuererklärung 2011 nur ein Vermögen von 4.000 Lat, aber Rücklagen in Höhe von 100.000 US-Dollar angegeben habe.
Kārlis Seržants, Abgeordneter der oppositionellen Lister der Bauernpartei und der Grünen, bemühte in der Zeitung "Diena" das dänische Beispiel. Dänemark habe durch seinen Nicht-Beitritt zur Eurozone 40 Milliarden gespart - pro Bürger 9.000 Euro. Einzige Einschränkung: "Ich bin Historiker, kein Wirtschaftsfachmann", so Seržants. Seine Fraktionskollegin
Dana Reizniece-Ozola gab vor auch bereits das Datum des Zusammenbruchs des Euroraums zu wissen: "Am meisten genannt wird der 28.Juli 2014", teilte sie den erstaunten Parlamentskollegen mit. 
Trotz solcher Sprüche - die erste Lesung der Gesetzesvorlage zur Euro-Einführung, die in dieser Woche im lettischen Parlament beraten wurde, bezeichnete die Wirtschaftszeitung "Dienas Bizness" als bloßen "Rhetorik-Wettbewerb". Dennoch: der erste Schritt Richtung Euro ist bereits getan.

Vielleicht demnächst in neuer Fassung im
Handel? ("Letties entdecken die Geldfabrik"?)
Die Fähigkeiten der Ba-Wü-Münzprägung
als Kinderspiel

Estnische Mahnung, deutscher Nutzen
Unterdessen trat - angeblich auf Einladung des lettischen Präsidenten Bērziņš - der estnische Präsident Ilves kürzlich im lettischen Fernsehen mit einer Euro-Rede auf. "Unsere Minister kümmern sich nur noch um den Euro", meint der estnische Gast, "aber den lettischen Kollegen schmerzt der Kopf gleich zweimal: wegen dem Lat und wegen dem Euro." Auch in der Krise sei es besser, bei den wichtigen Beschlußfassungen mit am Tisch sitzen zu können, so Ilves. Und auch er bemüht das deutsche Beispiel: nicht einmal Deutschland wolle ja den Euro aufgeben, denn Berlin fürchte einen Exportrückgang als Folgewirkung. Und: "Ländern wie Griechenland und Italien kann innerhalb der Eurozone geholfen werden. Wer den Euro nicht hat, kann nur noch auf den Internationalen Währungsfond (IWF) hoffen."

Einen Nutzen wird auch Deutschland von der lettischen Währungsumstellung auf jeden Fall haben: zumindest die "Staatliche Münzen Baden-Württemberg", denn dort werden die lettischen Euros geprägt. Kosten: über 5 Millionen Euro. Keine Überraschung, denn an gleicher Stätte wurden auch schon Lats hergestellt.
Auch die "Deutsch-Baltische Handelskammer in Estland, Lettland, Litauen" (AHK Baltische Staaten) befürwortet den Beitritt Lettlands zum Euroraum  - vor allem mit Blick auf die positiven Aussichten für die Geschäftstätigkeit der vielen in Lettland aktiven deutschen Unternehmen, so der Text einer Pressemitteilung. Anläßlich eines Treffens der Handelskammer mit Ministerpräsident Dombromvskis bekräftigte die Kammer noch einmal: "Die Unternehmen würden durch größere Preistransparenz und weniger Transaktionskosten profitieren." Ähnliches lassen lettische Ökonomen bezüglich lettischer Firmen verlauten: die entsprechenden Thesen bauen allerdings ausschließlich auf die Aussicht auf Wirtschaftswachstum und Export. "Geld kommt nicht daher dass es von der Zentralbank herausgegeben wird, sondern dadurch dass unsere Unternehmer es verdienen," so sagte es Mārtiņš Bitāns, Währungsexperte der Lettischen Nationalbank, der Latvijas Avize.
 
Anders sieht es nur in den Leserbriefspalten und Internetforen aus. Dem (deutschen) Volk aufs Maul geschaut, gibt es dort nichts als Misstrauen gegenüber zusätzlichen Euro-Interessenten. Die üblichen Argumente: die Vermutung, Deutschland müsse dann nur noch ein armes Land mehr mitversorgen bis hin zu Behauptung, Euro-Befürworter seien schlicht "Idioten und Verführte". Wo soll eigentlich die Euro-Begeisterung herkommen, wenn sie von den Menschen im Euroraum nicht geteilt wird?

Regierungschef Dombrovskis baut wohl weiterhin auf sorgfältige Erledigung der "Hausaufgaben". Finanzminister Vilks kündigte in dieser Woche an, dass Lettland Kredite in Höhe von 603.000 Euro, die 2008 vom IWF zur Verfügung gestellt wurden, bis Jahresende vorzeitig zurückzahlen wird (IWF 10.12.12).

Die Bank von Lettland gab unterdessen bekannt, dass ab dem 1.Januar 2014 der Umtauschkurs 1,42 Euro  zu 1 Lat betragen wird (0.702804 Lat = 1 Euro).  

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