29. Dezember 2012

Ist das Kultur, oder kann das weg?

Eines der Kulturthemen des abgelaufenen Jahres:
der Chor der Oper drohte mit Streik, singt aber
vorerst weiter
Zum Jahresausklang sind auch in Lettland allerlei Rückblicke und Ausblicke zu lesen. Die folgende Themenübersicht ist - mit Ergänzungen - derjenigen des Portals "Delfi.lv" nachempfunden.

Lettisches Kino: Enttäuschungen, Nörgeleien, Hoffnung und Neuanfang

Aufsehen erregten 2012 verschiedene neue lettische Filme - was zunächst mal ein gutes Zeichen ist, denn bei einem Land mit nur 2 Millionen Einwohnern ist es ja nicht ganz selbstverständlich dass es überhaupt eine eigene Kinoproduktion gibt. Fest etabliert hat sich "Cinevilla" als "Kinoproduktionsstadt"; um es ökonomisch lohnenswert zu machen wird dort allerlei "Sonstiges" angeboten - vom Hotel über ein Wettlauf-Event bis zur Möglichkeit dort zu heiraten. Doch die politische Unterstützung fällt unterschiedlich aus: während bei der Premiere von "Sapnu komanda", dem lettischen Basketballmärchen, auch fast alle politischen Größen Beifall klatschten, gefiel das in "Kolka Cool" gezeigte ländliche lettische Alltagsleben der nationalistischen Rechten gar nicht: "zu viel Schimpfworte und Alkoholgebrauch im Film".
Lettische Freizeitangebote:
einmal selbst "Freiheitskrieg"
spielen im Kinodorf

Bedenklich dabei vor allem, dass Kritik mit finanziellen Drohungen verknüpft wird: ein mit staatlichen Fördergeldern finanziertes Werk soll bitte schön auch ein positives (Vor-)Bild des eigenen Lands zeigen - wenn es nach den Wünschen solcher Möchtegern-Kulturexperten geht.

In zwei Fällen wirkte sich politisches Geschacher und Finanzierungstaktik auch direkt aus. Zum einen war es das Filmfestival  "Arsenāls", dessen Tradition bis zum Jahr 1986 zurückreicht. 2011 konnte das 25-jährige Jubiläum gefeiert werden - im März 2012 gaben die bisherigen Verantwortlichen das Ende des Festivals bekannt: nach 2184 gezeigten Filmen und insgesamt 330.000 Zuschauern (DIENA 12.2.12). Auch die beiden bisherigen Sponsoren, Ex-Ministerpräsident Māris Gailis und Festivaldirektor und Filmemacher August Sukuts, zogen sich zurück. Außerdem sei es nicht gelungen, mit dem Stadtrat Riga und dem lettischen Kulturministerium eine Vereinbarung zum Erhalt des Festivals zu treffen. Ebenso legendär wie das Festival selbst war die Preisverleihungszeremonie: Sukuts servierte allen teilnehmenden Filmemachern Wein - eines der Gefäße enthielt einen Knopf von Sukuts Weste, und wer diesen beim Austrinken fand erhielt auch das Preisgeld. Aber vielleicht sind auch einfach die Zeiten solcher generöser "Kulturpaten" vorbei? Während Sukuts sich lange vor dem Ende des Festivals ein Haus im sonnigen Spanien kaufte und dort leben will, und Gailis es auch schon mal zu einer Weltumseglung drängte, bleibt die Kinoförderung in Lettland mühsames Tagwerk. Im Herbst wurde das Konzept für ein neues lettisches Kinofestival vorgestellt, das künftig "FF RIGA" heißen soll (siehe "Baltic Times") und vor allem die Konkurrenz des inzwischen gut etablierten "Black Nights Festival" im estnischen Tallinn annehmen muss, wo schon in den vergangenen Jahren Filme präsentiert wurden, die eigentlich auch Teilnehmer beim "Arsenāls" hätten sein können.

Oper Riga: Leitung in Frage gestellt

Wenn es schon "alles ist Dunkelheit" heißt - so
soll es auch dunkel bleiben! - so reagierte die
Stadt Riga auf einen polnischen Gastkünstler
Einen Teil der Kritik zog auch das Förderprogramm des staatlichen "Kulturkapitalfond" auf sich ("Valsts kultūrkapitāla fonds" VKKF). Die Kriterien zur Aufnahme in eine Liste von "landesweit wichtigen Kulturprojekten" wurden vor allem von denen in Frage gestellt, die sich unberücksichtigt fanden: außer den beiden Kinofestivals "Arsenāls" und "Baltijas Pērle" auch nicht das Opernmusikfestival in Sigulda und das lettische Ballettfestival. Irritationen erzeugte Kulturministerin Jaunzeme-Grende schon Anfang des Jahres mit ihrer Entscheidung, den Vertrag von Andrejs Žagars, dem Chef des Opernhauses in Riga, nicht zu verlängern sondern die Stelle auszuschreiben. Begründet wurde das mit angeblichen Finanzschwierigkeiten bei der Oper. Mit der Ankündigung eines Audits folgte dann aber doch die Vertragsunterzeichnung mit Žagars, allerdings nur auf ein Jahr. Ob es da 2013 neue Unruhe geben wird? Žagars hatte angekündigt, dass zwar die Oper gegenwärtig alle aufgenommenen Kredite bedienen könne, aber für die Arbeit der kommenden Jahre eine halbe Million Lat mehr erforderlich seien. Dazu kamen im Mai und Juni 2012 Diskussionen um den Opernchor, der aufgrund Arbeitsüberlastung und niedriger Entlohnung kurz vor einem Streik war. Und nun hat auch Chefdirigent Karel Mark Chichon in Riga gekündigt - aus Protest gegen niedrige Musikerlöhne (siehe "Der Standard").

Zeit für Kultur - und für Pöstchen und Finanzen

Im Juni 2012 gründete sich die Initiative “Laiks kultūrai” (Zeit für Kultur) als Verein, mit Theater- Opern und Museumsdirektor/innen als der Mitgliedern. Ausgangspunkt waren zunächst nach Ansicht der Initiative fruchtlose Versuche, mit Kulturministerin Jaunzeme-Grende ins Gespräch zu kommen, und die Verfassung eines Memorandums, das vor allem von einer Arbeitsgruppe unter Leitung der Schriftstellerin Nora Ikstena initiiert worden war. Seit 2008 sind nach Analysen der Initiative im Mittel 13% der Staatsausgaben zurückgefahren und gekürzt worden - aber 42% der Ausgaben für Kultur. Ein Absinken des Kulturhaushalts unter 2,5% des Staatshaushalts sei nicht hinnehmbar.
Im Juni erklärte dann Juris Dambis, Architekt, Leiter der staatlichen Denkmalpflege Lettlands und neuer Vorsitzender von  “Laiks kultūrai”, der Dialog mit der Ministerin verbessere sich langsam. War es am Anfang noch die Forderung nach Rücktritt der Ministerin, entließ diese schließlich ihre  beiden Berater (beides selbst Ex-Kulturminister) Ints Dālderis un Sarmīte Ēlerte. Letztere wurde inzwischen von der Fraktion "Vienotība" als Kandidatin für den Posten der Bürgermeisterin von Riga ausgerufen - also Gegenkandidatin von Bürgermeister Nils Ušakovs. Seitens der Kulturministerin wurden drei neue "Berater" ernannt: Dambis, sowie Solvita Krese (Lettisches Zentrum für Zeitgenössische Kunst) und Haralds Matulis (Latvijas Radošo savienību - Rat der Kreativen Vereinigungen Lettlands). Eines der Ziele der Initiative ist es - neben ausreichenden Finanzen für alle Kulturinstitutionen - dass Kultur als eine der Prioritäten des Staates festgeschrieben werden möge. Die Mitglieder von “Laiks kultūrai” vereinigen insgesamt etwa 5000 im Kulturbereich arbeitende Mitglieder.

Kunst in Riga - nicht überall willkommen

Lettischer Grammy-Kandidat:
Komponist Uģis Prauliņš
Im Oktober/November lud Riga Bildhauer unter dem Thema "Integrācijas anatomija" (Anatomie der Integration) ein. Eine Veranstaltung mit Tradition, die in ähnlicher Form schon seit 1972 durchgeführt wird. Seit 2004 ist das "Mākslas Menedžmenta un Informācijas centrs (MMIC)" verantwortlich, 2012 mit Aigars Bikše, Ivars Drulle und Inese Baranovska als Kuratoren. Aber schon vor der Eröffnung gab es Schwierigkeiten: für drei Arbeiten gab die städtische Bauverwaltung keine Erlaubnis zur Anbringung an den dafür vorgesehenen Gebäuden. Stefanos Tsivopoulos (Niederlande / Griechenland) nannte sein Werk ”Putin's Vorwahlkampf-Bühne” und wollte die Wiederwahl Putins in Russland künstlerisch kommentieren. Hubert Zcerepok aus Polen, der auch viel in Deutschland ausstellt, wollte mit "Alles ist Dunkelheit" einen feurigen Davidsstern mit einem Comet kombinieren und in der Nähe des lettischen Freiheitsdenkmals anbringen lassen. Und auch die plastischen schwarzen Soldaten des Letten Ginters Krumholcs ("Im Namen der Rose") sollten am Freiheitsdenkmal aufgestellt werden - immerhin einem Ort, der 1990 durch Kunstausstellungen mitten in den hitzigsten politischen Diskussionen für interessante künstlerische Aspekte sorgte. Im Jahr 2012 war Ähnliches unerwünscht, und die Ausstellung zog ins Eisenbahnmuseum auf die andere Seite der Daugava um. Sozial engagierte Künsterinnen und Künstler einzuladen, die auch die Lage in Europa und in der Welt im Blick haben - so der Anspruch der Organisatoren. In Rigas "guter Stube" waren allzu viel künsterische Nadelstiche zum Thema "Integration" dieses Jahr offenbar unerwünscht (siehe "Artleaks und LETA)".

2013 - wieder ein Chor-Jubeljahr?

2012 erregte zunächst Dirigent Māris Sirmais Aufsehen mit der öffentlichen Ankündigung, sich nach 22 Jahren Zusammenarbeit vom vielfach preisgekrönten Chor "Kamēr" zu trennen. Komponist Uģis Prauliņš wurde für seine Komposition "Die Nachtigall" gleich für zwei Grammys nominiert. Lange im Unsicheren blieb aber die Finanzierung des Großen Sänger- und Tanzfestes, das regulär im Juli 2013 stattfindet. Ein offener Brief von Amateurchorleitern machte die ziemlich kümmerliche Unterstützung der ehrenamtlichen Chorleiter und -organisatoren deutlich, und auch der konkrete Umfang des Budgets für das Sängerfest blieb lange unklar. Vom 30.Juni bis 7.Juli 2013 werden in Riga 390 Chöre, 540 Volkstanzensembles und 55 Blasorchester erwartet (Programminfo).
Also: auf ein neues, gutes Kulturjahr!

Keine Kommentare: