27. Februar 2012

Russisch als 2. Amtssprache in Lettland?

Das Referendum, das in Lettland Russisch als 2. Amtssprache einführen sollte, ist mit großer Mehrheit abgeschmettert worden.
Manche (z. B. Axel Reetz in den "Baltischen Briefen (2/2012)" verweisen auf Beispiele, wo Minderheiten eine eigene Amtssprache offiziell zugestanden wird. Schwedisch in Finnland oder Rätoromanisch in der Schweiz. Hier handelt es sich um Minderheiten, die eine lange, historisch gewachsene Tradition haben.
Seltsamerweise zieht hierzulande niemand einen eigentlich viel näher liegenden Vergleich: Wie wäre es, wenn Türkisch neben Deutsch als zweite Amtssprache eingeführt wird? Schon wenn türkische Politiker ihre Landsleute in Deutschland auffordern, doch bitte die türkische Sprache hoch zu halten, wird das unisono von den Grünen über die SPD bis zu CDU/CSU  als integrationsfeindlich zurück gewiesen. Wer hier in Deutschland lebt und arbeitet, soll Deutsch können. Und das bedeutet eben nicht Assimilation.
Es ist gerade 50 Jahre her, seit unsere türkischen Mitbürger/innen als Arbeitsimmigrant/inn/en nach Deutschland zu kommen begannen. Im selben Zeitraum wuchs aufgrund des Zustroms russischer Immigranten, die faktisch gleichfalls Arbeitsimmigranten waren, der russische Bevölkerungsanteil in Lettland. Mit dem Unterschied, dass die Letten - anders als die Deutschen - bis 1989 im eigenen Land gegenüber den Immigranten benachteiligt waren.
Es gab übrigens zwischen den Weltkriegen in Lettland und vor allem in Estland ein international anerkanntes System von Kulturautonomie für Minderheiten z. B. mit eigenen Schulsystemen und Repräsentanz der Minderheiten im Parlament.
Dieses Konzept diente als Vorbild für die Bonn-Kopenhagener Erklärungen, die 1955 die Anerkennung der jeweiligen dänischen bzw. deutschen Minderheit besiegelte.

12 Kommentare:

Axel Reetz hat gesagt…

Sie irren sich, der Vergleich mit den Türken wird in Lettland immer gezogen! Warum fordern die Türken keine zweite Amtsprache und warum gibt es keine türkischen Schulen? So etwa geht die Diskussion hierzulande (also in Lettland) Der Vergleich hinkt gleich aus zwei wesentlichen Gründen. Erstens sind die Sowjets als Besatzer gekommen und auch die Einverleibung ins Zarenreich war Folge kriegerischer Auseinandersetzungen, während Deutschland die Türken selbst geholt hat. Die Russen sind also in Lettland aus anderen Gründen und schon viel länger. Zweitens sind die Türken in Deutschland anteilsmäßig entschieden weniger als die Russen in Lettland.
Beide Aspekte führen zu einem weiteren wesentlichen Unterschied im Alltag: In Lettland war es jahrelang ohne die Sprache der „Besatzer“, schwierig durchs leben zu kommen. In Deutschland hat es der Türke schwerer, der kein Deutsch kann.
Rätoromanisch wird unterstützt, damit es nicht ausstirbt, das ist ein anderer Fall und das habe ich auch nie anders dargestellt. Die Finnen wiederum haben ihren ehemaligen Fremdherrschern die Staatsprache zugestanden. Hier hätten wir dann wieder eine Parallele zu Lettland!

Albert Caspari hat gesagt…

Zu Türken in Deutschland ist wirklich in Lettland häufig zu lesen und zu hören. Ein Beispiel aus dem Internetportal der Zeitschrift "IR":

"alias": Kaut ko nesaprotu. Pilna Vācija ar turkiem, kāpēc neviens Merkelei nebrūk virsū par to, ka turku valoda varētu būt otrā valsts valoda un nepilsoņiem turkiem jādod vēlēšanu tiesības. Kāpēc Latvijā pēkšņi mums jāsāk runāt krieviski, krievu valoda jānosaka kā otrā valsts valoda un visiem jādod tiesības vēlēt? (frei übersetzt: ich verstehe etwas nicht - ganz Deutschland ist voll von Türken, warum schlägt Merkel dann nicht vor Türkisch zur zweiten Amtssprache zu machen und auch denen mit türkischer Staatsbürgerschaft Wahlrecht zu geben? Warum sagt man uns in Lettland plötzlich wir sollen Russisch reden, Russisch zur zweiten Amtssprache zu machen, und allen Wahlrecht zu geben?)

Hier gibt es auch viel Unwissen darüber, was zumindest in einzelnen Bundesländern schon längst gängige Praxis ist (obwohl natürlich Türken in Deutschland längst nicht das prozentuale Gewicht haben wie Russen in Lettland).
Ist es ein Versäumnis der deutschen Politik, vielleicht des Goethe-Instituts, oder der Botschaften über diese Ansätze in Lettland nichts zu erzählen? Selbst auf NGO-Ebene gibt es da nichts. Nur entweder "Letten-Freunde", oder "Russen-Freunde" ...

Klaus E hat gesagt…

Nur zieht diesen Vergleich mit den Türken - fast -niemand in Deutschland! Mein Hinweis galt einer Doppelmoral gerade aus vermeintlich "fortschrittlicher" Ecke, die das Erlernen der deutschen Sprache zur Voraussetzung einer Integration macht, aber die gleiche Forderung bei kleinen Völkern und Staaten als nationalistisch brandmarkt. Und dass die Letten die Russen nicht aus freien Stücken ins Land geholt haben, macht die Sache nicht besser. Zu den "zwei Gründen" des angeblichen hinkenden Vergleichs (jeder Vergleich "hinkt" ein bisschen):
1.) Die Russen seien schon viel länger in Lettland und aus anderen Gründen (Besatzer). Es gibt schon lange, resultierend aus der Zarenzeit, eine russische Minderheit in Lettland. Die macht jedoch nur einen Bruchteil des heutigen russischen Bevölkerungsanteils aus. Sie hatte übrigens auch nie die Forderung nach Russisch als Staatssprache erhoben. Besatzer waren z.B. die Angehörigen der sowjetischen Truppen in der DDR. Die gab es in großer Zahl auch im Baltikum. Die Mehrzahl der Russen in Estland und Lettland sind jedoch eher als Immigranten zu betrachten als dass sie im eigentlichen Sinne Minderheiten mit einer längeren historischen Tradition in diesen Staaten darstellen. Weder sind sie als Besatzer kommandiert worden noch sonst wie ins Baltikum getrieben worden. Es war bekannt, dass im Baltikum für sowjetische Verhältnisse sehr gute Abreist- und Lebensbedingungen herrschten. Und die meisten kamen aus diesen Gründen. Das ist das klassische Motiv von Arbeitsimmigranten. Und insofern ähnelt die Situation der meisten Russen viel mehr der Situation der Türken in Deutschland als derjenigen der Schweden in Finnland. Dass die Sowjets dies bewusst gefördert und die Russen mit Privilegien gegenüber den Einheimischen ausgestattet hatten, ändert daran nichts.
In der über 200-jährigen Zugehörigkeit zum Zarenreich war Lettland übrigens bis auf eine kurze Periode nach 1880 aufgrund einer merkwürdigen Autonomie sprachlich vom Deutschen beherrscht. Aber das ist eine andere Geschichte.
2.) "Zweitens sind die Türken in Deutschland anteilsmäßig entschieden weniger als die Russen in Lettland." Stimmt. Dann könnten es die Deutschen ja den Finnen nachmachen und problemlos Türkisch als zweite Amtssprache einführen. Denn die Finno-Schweden sind im Verhältnis noch weniger.
Es gibt übrigens in Lettland eine interessante Parallele zum finnischen Beispiel. Das Verhältnis zwischen Letten und ihren ehemaligen deutschbaltischen Herrschern war zwischen den Weltkriegen sicher nicht frei von Widersprüchen, entwickelte sich aber vielversprechend. Dazu musste Deutsch keine zweite Amtssprache sein. Wäre wohl auch nicht angesagt gewesen. Es reichte eine kulturelle Autonomie. Entscheidend war, dass man sich in die neue lettische Gesellschaft integrieren konnte und wollte. Darauf kommt es doch aber - auch heute wieder - an.

Axel Reetz hat gesagt…

In der Sowjetzeit wurden selbst die einheimischen Russen russifiziert. Wer ist jemand, der einen lettischen Paß, einen polnischen Nachnamen hat und zu Hause Russisch spricht?

Albert Caspari hat gesagt…

HAUSMITTEILUNG:
nur zur Info, auch an den Absender: ich habe heute einen Kommentar auf diesen Beitrag in meiner Funktion als Koordinator gelöscht. Zum wiederholten Male versucht jemand sich als Blogger zu tarnen, die Absenderadresse weist dann aber direkt auf eine kommerzielle Partnervermittlung. Das geht am Sinn dieses Blogs vorbei - weder verlinken wir kommerzielle Seiten, noch wird Geld dafür gezahlt um bestimmte Produkte oder Dienstleistungen an dieser Stelle politiv darzustellen.

kloty hat gesagt…

Es gab übrigens zwischen den Weltkriegen in Lettland und vor allem in Estland ein international anerkanntes System von Kulturautonomie für Minderheiten z. B. mit eigenen Schulsystemen und Repräsentanz der Minderheiten im Parlament.
Dieses Konzept diente als Vorbild für die Bonn-Kopenhagener Erklärungen, die 1955 die Anerkennung der jeweiligen dänischen bzw. deutschen Minderheit besiegelte.


Und warum sollte man das nicht wieder einführen?

Axel Reetz hat gesagt…

Eine zweite Amtssprache ist natürlich jenseit von ideolgischen Fragen auch eine Kostenfrage.

Klaus E hat gesagt…
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
Klaus E hat gesagt…

Anmerkung zum Kommentar von Kloty und Dr. Axel Reetz

Estland und Lettland haben auch versucht, mit ihren Minderheitsgesetzgebungen an die Erfahrungen der ersten Unabhängigkeitsperiode zwischen den Weltkriegen anzuschließen.
Soweit ich weiß, gibt es in Lettland auch ein eigenes russisches Schulwesen. Die politische Repräsentanz in den Parlamenten war früher ein Problem, weil die Minderheiten eben klein waren.
Die baltischen Staaten sehen sich - übrigens völkerrechtlich korrekt und legitim - in Kontinuität mit ihrer Existenz der Zwischenkriegszeit und deshalb existiert auch die jeweilige Staatsbürgerschaft kontinuierlich fort. Da die meisten der zugewanderten russisch sprechenden Menschen keinerlei Bindung zu den baltischen Staaten hatten, waren sie natürlich erst mal keine Staatsbürger dieser Staaten. Sie wurden nach Wegfall der sowjetischen Staatsbürgerschaft russische Staatsangehörige.
Aber mal jenseits aller juristischen und sonstigen Überlegungen: Mein europäisch-liberales Einfühlungsvermögen stößt da an Grenzen, wenn jemand 40 Jahre in dem Land lebt, in das er/sie mal eingewandert ist und wo der jetzige Arbeits- und Lebensmittelpunkt liegt, und sich immer noch nicht in der Landessprache, so weit artikulieren kann, dass er die Staatsbürgerschaft erwerben kann. Sei er/sie nun Iraner in Dänemark, Türkin in Deutschland oder eben Russe in Lettland. Zum Glück sind letztere in Lettland längst eine "Minderheit". Mit seinen Ausführungen des Referendums als eine Art von Provokation hat Axel Reetz sicher recht. Aber so oder so würde Russisch als 2. Amtssprache nur den ewig Gestrigen in die Karten spielen, die partout mit der lettischen Gesellschaft nix zu tun haben wollen. Und natürlich gibt es das Problem auch hier. Wenn Kinder bei der Einschulung hierzulande kein Wort Deutsch können (und wir haben hier nur ein deutsches Schulsystem), fehlt es regelmäßig überhaupt nicht an mahnend erhobenen Zeigefingern.

kloty hat gesagt…

Estland und Lettland haben auch versucht, mit ihren Minderheitsgesetzgebungen an die Erfahrungen der ersten Unabhängigkeitsperiode zwischen den Weltkriegen anzuschließen.

Beim Versuch ist es auch geblieben.

Die politische Repräsentanz in den Parlamenten war früher ein Problem, weil die Minderheiten eben klein waren

Etwa so klein wie die Vertretung der dänischen Minderheit in schleswig-holsteinschen Parlament?

Da die meisten der zugewanderten russisch sprechenden Menschen keinerlei Bindung zu den baltischen Staaten hatten, waren sie natürlich erst mal keine Staatsbürger dieser Staaten.

Litauen hat es nicht gestört.

Die baltischen Staaten sehen sich - übrigens völkerrechtlich korrekt und legitim - in Kontinuität mit ihrer Existenz der Zwischenkriegszeit und deshalb existiert auch die jeweilige Staatsbürgerschaft kontinuierlich fort.

Was wäre denn geschehen, wenn Russland erklärt hätte, dass es sich auf die Kontinuität der Russischen Imperiums beruft? Was wäre daran illegitim?

wenn jemand 40 Jahre in dem Land lebt, in das er/sie mal eingewandert ist

Diese Leute sind nirgends eingewandert. Sie lebten die ganze Zeit auf dem Territorium Sowjetunions.

dass er die Staatsbürgerschaft erwerben kann

Es gibt auch andere Gründe die Staatsbürgerschaft nicht erwerben zu wollen. An Sprachkenntnissen liegt es nicht. Wenn Sie schon türkische Mitbürger in Deutschland als Referenz angeben, bei weitem nicht alle von ihnen haben die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt nur weil sie 8 Jahre in Deutschland leben und deutsch sprechen.

Weniger Demagogie wäre in dieser Diskussion sehr hilfreich.

Axel Reetz hat gesagt…
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
Axel Reetz hat gesagt…

Ich habe erst jetzt die späteren Kommentare gesehen:
Zu Klaus E.: Stimmt nicht alles, was Sie schreiben. Alle Einwohner Estlands und Lettlands, die nach 1940 zugewandert sind, wurden nicht automatisch Bürger Rußlands. Sie konnten die Staatsbürgerschaften ihrer Herkunftsländer bekommen, viele haben sich aber den Nichtbürger-Paß ausstellen lassen. Sie sind damit Einwohner Estlands oder Lettlands ohne deren Staatsbürger zu sein.
Zu Kloty: In Strecken richtig, in Strecken erinnert mich die juristische Argumentation an die Diskussion vor einigen Jahren, daß sich zwei unbewohnte von uns gekaufte Inseln gegenseitig als Staat anerkennen. Es sei vielleicht erinnert, daß es 1920 Friedensverträge gab. 1991 soll sich also mit welchem Dokument Rußland auf das Territorium des Zarenreiches berufen? Und zur Frage der Einwanderung: Kloty, wollen Sie leugnen, daß in der Zeit von 1944 und 1991, als Esten und Letten über ihr Schicksal nicht frei e´ntscheiden durften zahlreiche Menschen, vorwiegend Russen, ins Land gekommen sind? Wenn Sie von anderen verlangen, weniger demagogisch zu sein, sollten Sie diesem Anspruch auch selbst genügen.